the big sleep (howard hawks, usa 1946)

Veröffentlicht: Juli 1, 2008 in Film
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Der Privatdetektiv Philip Marlowe (Humphrey Bogart) wird vom todkranken Millionär Sternwood (Charles Waldron) engagiert, um ihm einen Erpresser vom Hals zu schaffen. Dieser liegt jeodch bald schon tot auf dem Boden seines Hauses, vor seiner Leiche die unter Drogeneinfluss kichernde Carmen (Martha Vickers) Sternwood, von der das Mordopfer kurz zuvor offenbar unanständige Fotos gemacht hatte. Der Fall verkompliziert sich und bald geht es nicht mehr nur um einen toten Erpresser, sondern auch um einen verschwundenen Angestellten Sternwoods und die ebenfalls verschollene Gattin des zwielichtigen Eddie Mars (John Ridgeley). Und welche Rolle spielt die undurchsichtig-verführerische Vivian Sternwood (Lauren Bacall) in dem Fall?

Raymond Chandlers Debütroman „The Big Sleep“ diente mir in meinem Urlaub als faszinierende Unterhaltungslektüre: Chandler, der mit seinem Philip Marlowe einen Archetypen der Pulpliteratur und des Crime- und Actionkinos schuf, begeistert dabei vor allem mit seinen detaillierten und stimmungsvollen Beschreibungen, die L. A. als labyrinthischen Ort brodelnder Unmoral zeichnen, seinen Pointen, die er dem trockenen Marlowe in den Mund (oder in dessen Gedanken) legt und einem immer neue Wendungen nehmenden Handlungsverlauf, der letztlich sogar die Grenzen von Tag und Nacht verschwimmen lässt – ein Merkmal, welches von da an nahezu jeden Film Noir bestimmte. Von der (erneuten) Sichtung von Hawks‘ nicht minder berühmter Verfilmung erhoffte ich mir vor allem letzte Klarheit, eine Art anschauliche Zusammenfassung des Romans; ein Anspruch, den der Film leider zu keiner Sekunde erfüllt und wohl auch nicht erfüllen will. Schon früh löst sich das Drehbuch (u. a. von William Faulkner verfasst) von der Vorlage, nimmt entscheidende Kürzungen und Variationen vor, die mit dem Buch im Hinterkopf verwirren müssen und die nicht immer erklärlich und sinnvoll erscheinen. Bei aller Meisterschaft Hawks‘: THE BIG SLEEP ist auch ein frühes Beispiel dafür, wie Hollywood es versteht, brisante Stoffe zu entschärfen. Dass Sternwoods Erpresser der Betreiber eines gutgehenden Handels mit Pornografie ist, begreift der Zuschauer des Films wirklich nur, wenn er immens aufmerksam ist und über das Gezeigte hinaus denkt. Das perfide Spiel der Vivian Sternwood, die in Chandlers Roman die eigentliche Drahtzieherin hinter den miteinander verwobenen Verbrechen ist, dient in Hawks Film lediglich zu ihrer Erotisierung, während die sexuelle Devianz der epileptisch-psychopathischen Carmen dagegen deutlich entschärft wurde. Das Verbrechen schließlich, das in der literarischen Vorlage überhaupt alles in Gang setzt, findet in der Verfilmung gar nicht statt. Das verwundert umso mehr, als entscheidende Verweise auf diese Vorgänge dennoch im Film verblieben sind. So spricht Marlowe etwa am Ende von einer möglichen Heilung Carmens, obwohl ihre pathologische Disposition nie explizit gemacht wird. Gerade den Filmseher der Gegenwart, der gewohnt ist, alles aufs Brot geschmiert zu bekommen (siehe mein Eintrag zu TAKING LIVES), stoßen diese Leerstellen immer wieder vor den Kopf, lassen THE BIG SLEEP trotz seines eigentlich trivialen Krimiplots als Mysterium erscheinen.

Natürlich war es niemals Hawks‘ Intention, das Buch wortgetreu in Film zu übersetzen – ein Vorhaben, dass so naiv wie hoffnungs- und schlicht und einfach sinnlos wäre –, insofern kratzen diese Anmerkungen kaum am Stellenwert seines Filmes, der die Atem- und Schlaflosigkeit vón Chandlers Held dadurch einfängt, dass er die Verwirrungen des Plots ins Zentrum stellt und gnadenlos komprimiert. In den beschwingt startenden Film drängt sich zunehmend die Dunkelheit, lapidare Ganovereien weichen Gewalt und Mord. Auch so gelingt Hawks die Schaffung einer Welt, in der es keine klaren Linien mehr gibt, die Fronten verschwimmen und ein Mann nur noch sich selbst trauen kann. Die Wahrheit lässt sich nur noch subjektiv erfassen, weshalb es Philip Marlowe, dem nicht umsonst so bezeichneten Private Eye, vor allem darum geht, seinem eigenen Dasein Sinn zu geben – in Film wie Buch sucht Marlowe die „Wahrheit“ auch dann noch, als sein Auftrag längst erfüllt ist. Das Hollywood’sche Happy End, in dem das Traumpaar Bogart/Bacall dann doch noch vereint wird, scheint dieser Weltsicht entgegenzulaufen. Auch bei Hawks darf aber durchaus ungewiss bleiben, ob Philip Marlowe und Vivian Sternwood das gemeinsam Glück finden. Vielleicht ist ihre Zuneigung auch nur ein kurzer Lichtstrahl, bevor die Dunkelheit erneut einbricht.

Kommentare
  1. Funxton sagt:

    Das Stichwort lautet – nach meiner bescheidenen Einschätzung – weniger ‚entschärfen‘ als ‚kodieren‘ oder gar ’sublimieren‘. Es ging ja nicht zuletzt darum, dem Hays Office ein Schnippchen zu schlagen.
    Da lag die Schuld für notwendige Keuschheiten nicht bei der Institution ‚Hollywood‘, sondern bei den Puritanern.

  2. funkhundd sagt:

    Du hast vollkommen Recht, da habe ich etwas nachlässig formuliert bzw. einen Gedankengang zu früh beendet. Eigentlich ist das Vorgehen Hawks‘ und Faulkners sogar sehr gewagt: Anstatt die anstößigen Elemente durch weniger provokante zu ersetzen (was ein Leichtes gewesen wäre), haben sie es bei Leerstellen belassen, die dem Film bei der Schaffung einer mysteriösen, undurchsichtigen Welt sogar in die Karten spielen. Ohne dieses Vorwissen um den Originalstoff und historische Gegebenheiten wirkt THE BIG SLEEP aber eben seltsam lückenhaft.

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