the blues: feel like going home (martin scorsese, großbritannien/deutschland 2003)

Veröffentlicht: Februar 22, 2010 in Film
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FEEL LIKE GOING HOME ist der erste Beitrag einer siebenteiligen Serie, in der sich verschiedene namhafte Regisseure dem Blues widmen. Ist die Serie auch im weitesten Sinne dem „Genre“ der Dokumentation zurechenbar, geht es bei den einzelnen Filmen keineswegs darum, bloß einen filmischen Abriss der Geschichte des Blues zu liefern: Vielmehr wählt jeder der Filmemacher seinen eigenen, persönlichen Zugang zum Thema. Den Auftakt macht Scorsese mit seinem Film FEEL LIKE GOING HOME, der sich – wie man dem Titel unschwer entnehmen kann – auf die Suche nach den Wurzeln des Blues begibt und sich damit einer Suche widmet, die dieser Musikrichtung schon beinahe körperlich eingeschrieben ist.

„Die Wurzeln eines Baums werfen keine Schatten.“: Dieses afrikanische Sprichwort benutzt Scorsese zu Beginn per Voice-Over, um zu illustrieren, wie ursprünglich der Blues ist. Die Musik sei so tief in den Leben ihrer Urheber verwurzelt, dass sie, so Scorsese weiter, das Einzige gewesen sei, das die weißen Herrenmenschen den schwarzen Sklaven niemals hätten nehmen können. Der Blues ist ein Stück afroamerikanischer Identität – das ist die Aussage des Films, in dem sich Scorsese hinter dem kontemporären Bluesmusiker Corey Harris „versteckt“, der sich auf der Suche nach den Ursprüngen seiner Musik ins Mississippi-Delta begibt, um so auch seine eigenen Wurzeln zu finden. Nur, wer seine Wurzeln kennt, so Harris, weiß nämlich auch, wer er ist und wohin ihn sein Weg in Zukunft führen wird: Der Film versucht somit in dokumentarischer Form das zu leisten, was Walter Hill in CROSSROADS in Spielfilmform brachte. Im Süden der USA besucht Harris zusammen mit noch lebenden Bluesmusikern und Zeitgenossen verstorbener Legenden die Schauplätze der Bluesgeschichte, fühlt, wie die Musik dort „in der Luft liegt“, wie sie nicht zufällig hier entstanden ist, sondern aus diesem Boden förmlich organisch gewachsen ist. Doch die Reise endet hier nicht: Inspiriert von der Fife & Drum-Musik von Otha Turner führt ihn die Spur nach Mali, Westafrika, von wo aus einst die Sklavenschiffe in Richtung USA in See stachen.

FEEL LIKE GOING HOME beginnt sehr stimmungsvoll. Bild- wie auch Tonaufnahmen vom Beginn des Jahrhunderts belegen ebenso einfach wie eindrücklich die Wurzeln des Blues als „Arbeitsmusik“, zeigen längst verstorbene Urväter wie Huddie „Leadbelly“ Ledbetter, Son House oder Muddy Waters beim Musizieren oder lassen deren Zeitgenossen Anekdoten erzählen, die den Mythos des Blues als einer „gelebten“ Musik bekräftigen, ihn darüberhinaus als alternative Geschichtsschreibung definieren, etwa wenn ein altes Stück, das von einer gewaltigen Flut erzählt, eingespielt und von entsprechenden Archivaufnahmen einer tatsächlichen Flut (die an O BROTHER WERE ART THOU? erinnern) begleitet wird. Auch der Lokalkolorit, auf den sich Harris ja explizit bezieht, sorgt für athmosphärische Bilder, die mehr erzählen als jedes Wort, kommt jedoch letztlich ebenso zu kurz, wie so vieles andere in dem mit 75 Minuten für sein ambitioniertes Vorhaben viel zu knapp bemessenen Film, dem genau das abgeht, was er doch immer wieder als Kern des Blues ausgibt: Gefühl.  

FEEL LIKE GOING HOME verliert sein Ziel ironischerweise endgültig aus den Augen, wenn er eine kurz per Voice-Over aufgestellte Ähnlichkeitsbehauptung zum Anlass nimmt, den dramaturgisch zwar folgerichtigen, letztlich aber dennoch unmotivierten Sprung nach Afrika zu machen. Die danach zu hörende afrikanische Musik belegt die behauptete Verwandtschaft mit dem Blues nämlich keineswegs und desavouiert so das Grundkonzept des Films massiv. Selbst der in seiner Neugier so sympathische  Harris scheint den pathetischen Worten Ali Farka Tourés, der den US-amerikanischen Blues reichlich paternalistisch zur kommerziellen und damit minderwertigen Abart afrikanischer Volksmusik degradiert, nicht wirklich beipflichten zu wollen, die als konkludierendes Statement doch sozusagen die Quintessenz von Scorseses Film darstellen.

FEEL LIKE GOING HOME leidet damit genau an derselben Krankheit, die auch schon Scorseses Spielfilme in den letzten 10 Jahren (spätestens seit BRINGING OUT THE DEAD) immer wieder befallen hat: Wo woher ein genauer Blick und chronistische Akribie vorherrschend waren, ist nun eine gewisse Schlampigkeit und Faulheit eingekehrt, die den Dingen nicht mehr auf den Grund geht, sondern das vorhandene Material mit dem Holzhammer bearbeitet, damit es zur These passt. Und wenn das nicht gelingt, ist das auch nicht weiter schlimm. Wer sich selbst erkennen will, muss die Reise zu seinen Wurzeln antreten. Scorsese hat die Abkürzung genommen.

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