classe tous risques (claude sautet, frankreich/italien 1960)

Veröffentlicht: März 2, 2010 in Film
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Der zum Tode verurteilte Schwerverbrecher Abel Davos (Lino Ventura) ist auf der Flucht: Mit seinem besten Freund und Partner in Crime Raymond (Stan Krol), seiner Frau Therese (Simone France) und seinen beiden kleinen Kindern will er aus Mailand nach Paris zurückkehren, wo ihm ein paar ehemalige Weggefährten helfen sollen, ein neues Leben zu beginnen. Doch nach großen Strapazen kommt es bei der Landung an der französischen Riviera zu einem Schusswechsel mit zwei Zollbeamten, bei dem Raymond und Therese ihr Leben lassen. Von nun an ist Abel auf sich allein gestellt: Die Kinder erschweren sein Vorhaben und auch die vermeintlichen Freunde reißen sich nicht gerade ein Bein aus, um ihm zu helfen. Abel ist für sie längst zu einer Gefahr geworden …

Claude Sautets CLASSE TOUS RISQUES nimmt eine Sonderstellung innerhalb des (französischen) Gangsterfilms ein. Er liefert weder eine Milieustudie, noch romantisiert er das Gangsterdasein oder erhöht es zur existenzialistischen Metapher, wie so viele andere vor und nach ihm, sondern betont das Private und Menschliche seiner Geschichte, bietet dem Zuschauer die Möglichkeit, sich direkt mit Abel zu identifizieren. Der ist zwar ein brutaler Mörder, aber eben auch ein fürsorglicher Vater, dem die Tragweite seines Tuns langsam bewusst wird und der Reue zeigt, der den sprichwörtlichen Point of no Return aber längst hinter sich gelassen hat und nun erkennt, dass er sich zum Wohl seiner Kinder von ihnen trennen muss. In gewisser Weise dreht Sautet die Konventionen des Gangsterfilms um: Der Verlust der Moral und der Freundschaft, die Allgegenwart von Eigennutz und Verrat spielen auch in CLASSE TOUS RISQUES eine wichtige Rolle, doch sind sie hier nicht der Fehler im funktionierenden System, sondern ein fester Bestandteil desselben: Wenn Abel am Ende die Verantwortung für sein Handeln übernimmt, dann tut er das nicht, weil er keine andere Chance mehr sieht, sondern weil er es nicht länger ertragen kann, die Menschen, die ihn lieben, in Gefahr zu bringen und schließlich für ihren Tod verantwortlich zu sein. Der Gangster braucht Freunde, doch diese riskieren stets ihr Leben für ihre Treue zu dem Mann, der keine Rücksicht nehmen darf.

Dass ich vor kurzem Vater geworden bin, hat mir den emotionalen Zugang zum Film sehr erleichtert: Man kann Vatergefühle sicherlich auch nachvollziehen, ohne selbst Vater zu sein – dafür ist dem Menschen ja die Fähigkeit zur Empathie gegeben worden -, wirklich nachfühlen kann man Abels Schmerz aber wohl erst, wenn man selbst ein Kind hat. Bei der Szene, in der er seine beiden Söhne einem alten Freund anvertraut, ihnen zum Abschied noch mitgibt, dass sie bald wieder zusammen sein werden, obwohl bei ihm doch längst die Gewissheit herangereift ist, dass dem nicht so sein wird, sie sich – unschuldig und arglos wie sie sind – noch einmal umdrehen, um ihm zu winken, bevor sie in einem U-Bahn-Eingang verschwinden, und Abel – ein Bär von einem Mann – sich überwältigt von einem nahezu körperlichen Schmerz in einen Baum stemmt und sein Gesicht vor seinem Helfer Eric (Jean-Paul Belmondo) versteckt, hat sich in mir alles zusammen gezogen. Dabei ist Sautet – ähnlich wie schon Jacques Becker – kein Regisseur des emotionalen Überschwanges: CLASSE TOUS RISQUES kommt ohne aufwallende Musik aus, ohne inszenatorische Zaubertricks, er evoziert Emotionen vor allem durch die Inszenierung seiner Schauspieler, die Art und Weise, wie er sie ins Bild rückt und ihre Gesichter fotografiert. Das Ende ist einfach niederschmetternd: Abel hat sein Schicksal akzeptiert, er hat keine Lust mehr zu fliehen und eine immer länger werdende Blutspur hinter sich her zu ziehen. Ein mit der nüchtern-sachlichen Stimme einer Staumeldung gesprochener Voice-Over unterrichtet noch davon, dass Abel sich gestellt hat, das Urteil gesprochen, die Todesstrafe vollstreckt wurde, dann ist der Film zu Ende. Was ist wohl aus seinen Kindern geworden? Gänsehaut.

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