icarus (dolph lundgren, usa/kanada 2010)

Veröffentlicht: September 9, 2010 in Film
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Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich der ehemalige, unter dem Decknamen „Icarus“ operierende KGB-Agent Eddie (Dolph Lundgren) eine neue Existenz als Geschäftsmann und Familienvater in Kanada aufgebaut. In Wahrheit ist er jedoch immer noch für die russische Mafia als Auftragskiller tätig, weil diese ihn in seiner neuen Heimat ausfindig gemacht und erpresst hat. Mit seinem Doppelleben hat er sich einigermaßen arrangiert, doch nach einem weiteren erfolgreich absolvierten Auftrag gerät er plötzlich selbst ins Kreuzfeuer. Die Suche nach dem Verantwortlichen führt ihn weit in die eigene Vergangenheit …

Nach dem von mir nach einer Sichtung eher als Spaßfilm eingestuften COMMAND PERFORMANCE kehrt Lundgren mit ICARUS wieder auf das ihm so gut zum verhärmten Gesicht stehende ernstere Terrain zurück und reanimiert das Genre des Killer- und Agentenfilms, das in den vergangenen Jahrzehnten etliche Metamorphosen durchlaufen hat. Lundgren bleibt sich jedoch insofern treu, als er mit ICARUS erneut das eigene Älterwerden thematisiert, seinen Killer Eddie zur – zunächst ungewollten – Selbstfindung führt und ihn die großen philosophischen Fragen nach dem Wesen von Charakter, Prägung, Bestimmung und Freiheit stellen lässt, die sich auch schon Melvilles Protagonisten einst stellen mussten, ohne darauf noch die Antwort finden zu dürfen. „They say life is about choices“, sagt Eddie zu Beginn, um den Satz nach einigen blutigen Einschüssen, die ein Flash-Forward auf das Ende des Films darstellen, mit den Worten fortzusetzen: „It seems like I didn’t make a lot of good ones“. Der Killer als Ergebnis einer Reihe von Fehlentscheidungen, also von Entscheidungen wider das bessere Wissen, wider das eigene Wesen? Nein, denn es folgt die unausweichliche Erkenntnis: „Now I know I never really had a choice.“ Das bedeutet zum einen, dass Eddie stets einem vorgezeichneten Weg namens „Schicksal“ gefolgt ist, von dem er allerhöchstens für eine kurze Strecke abweichen konnte, nur um schließlich wieder auf ihn zurückgeholt zu werden: “ That’s the funny thing about fate… if you don’t follow, it will drag you where it wants to go.“ Aber auch, dass Eddie immer eins mit seinen Handlungen gewesen ist, auch wenn sie sich im Rückblick als falsch erwiesen haben. Es stellt sich heraus, dass ausgerechnet die in ferner Vergangenheit liegende Verweigerung eines Mordbefehls ihn und seine Familie in der Gegenwart in Lebensgefahr bringt – und zwar ironischerweise durch genau jenen Mann, dem er mit seiner Verweigerung damals das Leben rettete. Es gibt aber keine Reue in Eddie, kein Bedauern über den vergangenen „Fehler“: Er musste damals so handeln wie er gehandelt hat, denn hätte er es nicht getan, dann wäre ihm jede Grundlage der Reflexion darüber entzogen. Er wäre dann nicht hier. Er muss seinen Weg bis zum Ende gehen und darauf hoffen, dass sein Schicksal von einem guten Autor verfasst wurde.

Kommentare
  1. Marcos sagt:

    Interessant finde ich am Ende von ICARUS vor allem das existenzialistische „Auf-der-Linie-Wandern“. Es kann für ihn nur Bewegung, nur Dynamik nur Aktion geben. Ein Stillstand kommt nicht in Frage, denn das wäre das endgültige Umkippen auf eine der beiden Seiten. Entweder als ewiger Erfüllungsgehilfe der Geheimdienste, oder tot. Dass er jetzt auch noch eine Familie hat – schön dargestellt, dass die Frau nicht mehr abseits steht, sondern über alles informiert wird und sich als ebenso wandlungsfähig und tatkräftig zeigt – macht es noch schwerer, aber schenkt immer noch mehr Hoffnung, als das was van Dammes Luc Devereaux am Ende von UNI SOL 3 haben wird.

    Konsequent in seiner Fortführung der 70er-Polit-Filme, dass Freundschaft (oder eher Sentimentalität in Bezug auf sie) noch zu einem zusätzlichen Verhängnis werden kann.

  2. Oliver sagt:

    Wobei die Linie dann ja genau die Zone markiert, die er eigentlich nicht beschreiten will. Er will nicht töten, er will in Ruhe leben, er will nur noch Familienmensch sein, kann sich seinen Verpflichtungen aber eben nicht entziehen und muss so den Kompromiss des Hitman-Daseins wählen. Das Gemeine daran ist ja, dass er gerade das besonders gut kann.

    Das ist das typische Anders-Sein des Actionhelden, der – so sehr er es auch möchte – nicht zur Masse dazugehören kann. Er muss anerkennen, wer er ist – Die Forderung Trautmans an Rambo „You gotta come full circle“ -, dass er eben nie eine Wahl hatte.

    Der Schritt vorwärts besteht dann hier, wie du richtig sagst, darin, dass er TROTZDEM ein Familienleben führt – und dass er seine Frau sogar einbezieht. Das eine tun und das andere nicht lassen. Aber der Funken Hoffnung wird durch den schwarzen Geländewagen am Schluss wieder getrübt. Egal, weitermachen.

  3. Marcos sagt:

    Die Linie verstehe ich vorrangig als eine Art „Twillight-Line“, die nur solange beschritten werden kann, bis sie zur (dekonstruktivistischen) Auflösung führt. Dies metaphorisch Gemeinte wird im Film oft mit dem Walk-Out in die physikalische Welt transponiert. Bei John Ford ist es noch die Wüste, die als Symbol für eine sinnentleerte Welt steht (siehe WESTLICH ST. LOUIS). Dieses Motiv wurde im späteren Action-Kino ja noch tausendfach kopiert (siehe das Ende von MADE OF STEEL – HART WIE STAHL, RAMBO II – DER AUFTRAG, DIE HYÄNEN – EINER MUSS SIE JAGEN etc.). Manchmal, schon stärker den Nicht-Vorstellbaren Auflösungszustand der Partikel verdeutlichend, ist es die Weißblende. Wenn mich nicht alles täuscht, dann endet ICARUS mit einer Weißblende. Die Auflösung des (Anti-)Helden ist seine einzige Flucht- oder Existenzmöglichkeit. Das wird in UNI SOL 3 so deutlich gemacht wie in kaum einem anderen Actionfilm der letzten Jahre. JOHN RAMBO hat wenigstens noch eine Farm. ICARUS das Licht. Doch Luc Deveraux…

  4. Marcos sagt:

    Hab mir das Ende von ICARUS eben noch mal angesehen. Der Film endet doch düsterer als ich in Erinnerung hatte. Lundgren schenkt seiner Figur keine Weißblende, sondern einen verlangsamt-zitternden Close-Up (dachte zuerst, der DVD-Player hakt) mit angespannt-verzerrtem Gesicht, dann ein Einfrieren seines Gesichts und der Realität und eine Schwarzblende mit einem metallisch klingendem Cut-Geräusch, ähnlich einem Küchenmesser, dass auf Stahl geschlagen wird. Das Ende offeriert dann doch mehr einen weiteren Run auf der „Twilight-Line“, ähnlich Deveraux, wenn auch mit anderer Wirkungshinterlassung beim Zuschauer.

  5. […] aber das ändert nix daran, dass ich diesmal ein klein wenig enttäuscht bin. Aber ich habe ja noch ICARUS und UNIVERSAL SOLDIER: REGENERATION in der Hinterhand […]

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