schiave bianche: violenza in amazzonia (mario gariazzo, italien 1985)

Veröffentlicht: Juli 30, 2013 in Film
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Zu Beginn interviewt ein Fernsehmann eine Frau, die er als „Catherin Miles“ anspricht und die man nur von hinten sieht, auf dem Trafalgar Square in London. Man erfährt nur, dass sie Schreckliches erlebt hat, eine Gerichtsverhandlung hinter sich bringen musste, in der sie wegen zweifachen Mordes angeklagt war. Der Film blendet sogleich zurück in jene Gerichtsverhandlung irgendwo in Südamerika. Catherine Miles (Elvire Audray) entpuppt sich nun als junges, ca. 18-jähriges Mädchen, dessen Gesichtszüge Zeichen großer Belastung und Müdigkeit zeigen. Ein Anwalt stellt seine Fragen, das Mädchen erzählt. Alle begann am Amazonas, wo Catherin aufwuchs und auch heute noch immer hinfährt, wenn Schulferien sind. Ihre Geschichte ist unglaublich: Ihre Eltern wurden von eingeborenen Kopfjägern ermordet und enthauptet, sie selbst verschleppt und „eingemeindet“ …

Der von MONDO CANE-Miterfinder Franco Prosperi gescriptete SCHIAVE BIANCHE: VIOLENZA IN AMAZZONIA markiert zusammen mit Deodatos INFERNO IN DIRETTA so etwas wie den Schlusspunkt des Kannibalenfilms. Was einst als Ableger des Mondo-Films begonnen hatte und nach der provokanten Zuschauerkonfrontation eines CANNIBAL HOLOCAUST ohne weitere Umwege in den tumben Splatterspaß für Unverdrossene gemündet war, präsentierte sich in diesen beiden Werken weitestgehend geglättet und für die Bedürfnisse eines breiteren Publikums – das dann aber doch einen weiten Bogen um beide machte – aufbereitet. SCHIAVE BIANCHE ist aber noch näher am pseudodokumentarischen Stil, in dem der Kannibalenfilm seinen Ursprung hatte: Während Deodato für seinen eigenen INFERNO IN DIRETTA lediglich eine Reporterin zur Protagoistin macht, inszeniert Gariazzo seinen Film – recht unbeholfen und inkonsequent – als Dokumentarfilm über das Schicksal der fiktiven Catherine Miles, die ein Jahr lang unter Kopfjägern leben musste. Anstatt alle Register der Fake Documentary zu ziehen, sind es bei ihm lediglich ein Voice over und die genannten Szenen mit einem Reporter, die die Geschichte authentifizieren sollen. Es gibt kein Found Footage (von wem sollte das auch stammen?), die Bilder, die wir sehen, stellen ein „objektives“ Abbild der Ereignisse dar, das durch Catherines Aussagen kommentiert und bestätigt wird. Der Schachzug geht natürlich ziemlich in die Hose, weil man von Anfang an weiß, dass Catherine überleben wird und sich keine echte Spannung entfalten mag. Um das aufzufangen, bieten Gariazzo und Prosperi einen putzigen Plottwist und ein stimmungsmäßiges Umschwenken des Films auf. Da steht SCHIAVE BIANCHE dann wieder im Einklang mit der Zivilisationsskepsis eines CANNIBAL HOLOCAUST, auch wenn das hier eher der Konvention als der Überzeugung der Macher geschuldet ist.

Zwischen all dem irgendwie infantilen Splatter, dem die „transgressive“ Wirkung der auch schon dummen Lenzi-Schwarten völlig abgeht, den aus Archivmaterial zusammengesetzten Expeditionen ins Tierreich und dem Exotismus aus der Riefenstahl-Doku mutet der melodramatische Ton, den der Film erst zaghaft, dann immer stärker anschlägt, unglaublich rührend an. Man fühlt sich in alte Tarzan-Filme verschlagen, wenn Catherine und ihr Entführer Umukai (Will Gonzales) sich ineinander verlieben, die Hormone des blonden Teeniegirls beim Anblick des tumben Kopfjägers mit dem stieren Blick und dem schlecht sitzenden Haarteil in Wallung geraten, sie sowohl dem Stockholm-Syndrom als auch dem Klischee des Noble Savage erliegt und ihr älteres Selbst von der Tonspur das Offensichtliche in platte Phrasen kleidet. Die traute Zweisamkeit kann natürlich nicht nur keinen Bestand haben, sie muss auch tragisch enden, und weil wir ja schon wissen, dass Catherine ihr Abenteuer heil übersteht, ist auch klar, dass es der brave Umukai ist, der das Zeitliche segnet. Am Ende, und da schließt sich dann der Kreis, wird Catherine nämlich zur Mörderin. Es waren natürlich nicht die Kopfjäger, die ihre Eltern töteten, sondern geldgierige Verwandte, die nun die grausame Rache Catherines zu spüren bekommen. Das wiederum kann Umukai nur schlecht verknusen, denn keine Frau darf ihre Hände mit dem Blut von Menschen beschmutzen. Traurig blickt er sie an, bevor er aus dem Paddelbötchen in den nassen Freitod hüpft, sie ganz allein ohne die Liebe ihres noch jungen Backfischlebens zurücklässt. Auch heute noch denkt Catherine oft an ihren braungebrannten Dschungelkrieger, etwa wenn ihrem Sohn das Spielzeugschiff im Teich umkippt und sie gedankenverloren ins Wasser starrt. Jaja, man ahnt es nicht, was es mit einem jungen Menschen anrichtet, wenn er dem gewaltsamen Tod der Eltern mit anschließender Enthauptung beiwohnt, wenn er von Kopfjägern entführt wird, monatelang ohne Aussicht auf Rettung unter Wilden im Urwald leben muss und in heidnischen Ritualen entjungfert wird. Dieser Film zeigt, dass das kein Zuckerschlecken ist. Sollte man gesehen haben, um dieses oft unterschlagene Gegenwartsproblem endlich mit der ihm gebührenden Aufmerksamkeit zu bedenken und vielleicht ein längst überfälliges Spendenkonto einzurichten.

Kommentare
  1. Heiko sagt:

    Ein bräseliger Film, gut geeignet für verregnete Sonntag wie ich finde. Trotz seiner Schlichtheit ist sein wilder Mischmasch aus Melodram, seichten Kannibalenfilm-Anklängen, Horror, Fake-Doku und Abenteuerfilm (so würde ich das mal kategorisieren) gerade ein Pluspunkt, dass man den Film doch ganz in Ordnung finden kann.

    Noch eine kleine Anmerkung, da hier im Text eine Verwechslung vorliegt, die öfter vorkommt: Der von der angesprochene Franco Prosperi – also Gualtiero Jacopettis Partner bei vielen Mondo-Streifen – hat hier nicht das Script geschrieben. Als Writer war er nur zusammen mit Jacopetti an deren Mondos beteiligt sowie an seiner einzigen Solo-Regiearbeit WILD BEASTS. Es gibt noch einen Franco Prosperi, der als Regisseur unter anderem den Poliziottescho TOTE PFLASTERN SEINEN WEG mit Ray Lovelock und den Rape and Revenge-Reißer VERFLUCHT ZUM TÖTEN inszenierte. Dieser, der jüngere (geb. 1933) der auch ausgeschrieben Francesco heißt (der Mondo-Prosperi heißt nur Franco, geb. 1928), hat hier mitgeschrieben.

    • Oliver sagt:

      Sieh an. Ich kenne beide Prosperis, hatte aber dem Booklet der Raro-Video-DVD vertraut, das diesen hier sinngemäß als geistigen Vater der Shockumentary bezeichnet. Man kann sich wirklich auf niemanden verlassen, alles muss man selbst machen. Danke für die Aufklärung.

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