der bucklige von soho (alfred vohrer, deutschland 1966)

Veröffentlicht: Januar 1, 2014 in Film
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bucklige_von_soho_derWährend in London ein Würger umgeht, der es auf junge Frauen abgesehen hat, kommt Wanda Merville (Monika Peitsch) in die englische Hauptstadt, um dort eine Erbschaft anzutreten. Stattdessen landet sie jedoch in der Gewalt des schurkischen Alan Davis (Pinkas Braun), der ihr das Vermögen abspenstig machen will. Er arbeitet für Lady Marjorie Perkins (Agnes Windeck), die ein Heim für vorbestrafte Mädchen betreibt. Was die alte Dame nicht ahnt: Die von ihr abgestellte Heimleiterin Gladys Gardner (Uta Levka) ist an dem Wohlergehen der Insassen nur wenig interessiert, lässt sie lieber wie Sklaven in einer vorsintflutlichen Wäscherei und in der zwielichtigen Mekka-Bar arbeiten. Wer nicht spurt, der bekommt es mit dem Würger zu tun. Inspector Hopkins (Günther Stoll) leitet die Ermittlungen …

Wer sagt es denn: DER BUCKLIGE VON SOHO bedeutet für die Reihe genau den Quantensprung, der nach den letzten eher mittelprächtigen Filmen so dringend nötig war. Schon die erste Szene, in der eine halbnackte Blondine im nächtlichen Nebeldunst vor der Mekka-Bar von einem buckligen Koloss überfallen und getötet wird, das Bild bei ihrem Schrei einfriert und der unglaubliche Score von Peter Thomas erklingt, ein von „Hu!“- und „Ha!“-Rufen getragenes Beat-Stück, ist wie eine Offenbarung. Die Betulichkeit, diese asketische Zurückhaltung, die das Schwarzweiß immer mit sich gebracht hatte, ist wie weggeblasen, das Edgar-Wallace-London verwandelt sich dank Vohrers Inszenierung vor den Augen des Zuschauers in ein farbenfroh übersteuertes Sündenbabel, in dessen menschenleeren Gassen unsagbare Verbrechen geschehen. Zum Glück hatte Vohrer – dessen DIE TOTEN AUGEN VON LONDON schon der mit Abstand bildgewaltigste Film der Reihe war – begriffen, dass ein nur kosmetischer Wandel von Schwarzweiß zu Farbe nicht ausreichen würde, die Serie zu erneuern: DER BUCKLIGE VON SOHO bewegt sich entschieden weg von den moderaten Murder Mysterys mit ihren mondänen Herrenhäusern, kultivierten Adligen, der dialoggetriebenen Ermittlungsarbeit ihrer Gentleman-Ermittler und der immer etwas scheinheiligen Vortäuschung geschmackvoller Filmkunst, hin zu knallbunter Exploitation, die sich ihrer Schauwerte sehr bewusst und der jegliche Scham fremd ist. Die Farben brennen alles weg, der Bucklige ist schön pittoresk, wie er da grunzend durchs Bild hinkt, und der Blick auf die rußige Waschküche, in der sich die durchweg bildhübschen Mädels in grauen Kitteln und Klotschen abplacken, macht gerade in dieser besinnlichen Zeit sehr deutlich, dass menschliches Mitgefühl nicht zuletzt durch die Hose geht. Der ganze Film ist von vorne bis hinten ein einziges Pulp-Fest, überdreht, grell, gewalttätig, geschmacklos und sexy: Da sage nochmal jemand, Deutschland habe keine brauchbaren Genrefilme vorzuweisen. Der hier spielt ganz vorn mit, und Vohrer darf sich durchaus mit den Großen der (Exploitation-)Zunft in eine Reihe stellen lassen. (In diesem Text vergleicht Tim Lucas Alfred Vohrer mit keinem Geringeren als Mario Bava.)

Aber DER BUCKLIGE VON SOHO weiß nicht nur mit Vordergründigem zu begeistern: Vohrer entwickelt vor dem Hintergrund seiner Frischzellenkur einen hochinteressanten Subtext, der wesentlich von einem Generationenkonflikt berichtet. Da werden die Jungen, denen die Zukunft gehört, von den Alten, die noch vom Empire – oder, wie Lady Marjories Ehemann, der General Edward Perkins (Hubert von Meyerinck) vom Zweiten Weltkrieg – träumen, geschändet, ausgebeutet und unterdrückt. Zwar waren die Opfer auch in den vorigen Wallace-Filmen meist junge Frauen, die den mit dem Ballast der Jahrhunderte belasteten Familienstrukturen zum Opfer fielen, aber erst in DER BUCKLIGE VON SOHO wird diese Tatsache ganz explizit gemacht. Wohl auch, weil man auf Produzentenseite gemerkt hatte, dass man eine neue Zuschauergeneration erschließen musste. Die Entscheidung, künftige Wallace-Krimis in Farbe zu verfilmen, war also mit weiteren, tiefgreifenderen Korrekturen verbunden, die sich in Vohrers Film ganz deutlich zeigen. Insofern war der auf Handlungsebene thematisierte Generationenkonflikt ein Spiegelbild jenes Konflikts, den Produzent Wendlandt mit der konzeptionellen Neuausrichtung seiner Erfolgsreihe auch extradiegetisch vom Zaun brach. DER BUCKLIGE VON SOHO war gleichermaßen ein „Willkommen“ an ein jüngeres Publikum wie die deutlich vernehmbare Verabschiedung jener Publikumsschichten, die den Schritt in das letzte Drittel der Edgar-Wallace-Geschichte nicht mehr mitmachen wollten.

Die Edgar-Wallace-Checkliste:

Personal: Eddi Arent (20. Wallace-Film), Siegfried Schürenberg (10.), Kurt Waitzmann (5.), Albert Bessler (4.), Pinkas Braun, Gisela Uhlen (3.), Agnes Windeck, Hubert von Meyerinck, Uta Levka, Susanne Hsiao, Gerhard Hartig, Tilo von Berlepsch (2.), Suzanne Roquette, Hilde Sessak, Ilse Pagé, Richard Haller, Günther Stoll (1.). Regie: Alfred Vohrer (8.), Drehbuch: Herbert Reinecker (3.), Musik: Peter Thomas (13.), Kamera: Karl Löb (9.), Schnitt: Susanne Paschen (1.), Produktion: Horst Wendlandt (18.).
Schauplatz: London, Scotland Yard, Schloss Castlewood, eine düstere Wäscherei, der Nachtklub Mekka. Gedreht wurde in London und Berlin.
Titel: Bezieht sich auf den herumschleichenden deformierten Würger, der aber im Auftrag handelt.
Protagonisten: Inspektor Hopkins und das weiblich Opfer Wanda Merville.
Schurke: Ein Ring von Mädchenhändlern und der Killer, der Bucklige von Soho.
Gewalt: Einige Strangulationen, Tod durch einen Riesen-Bunsenbrenner, Erschießungen.
Selbstreflexion: Begrüßung zu Beginn, Günther Stoll wendet sich am Schluss mit einem „Ende“-Schild ans Publikum. Außerdem reflektiert der auf Plotebene verhandelte Generationenkonflikt den Status der Reihe an der Schwelle zum Einstieg in das zweite Jahrzehnt ihres Bestehens.
Kommentare
  1. […] sehr lesenswerte Edgar-Wallace-Retrospektive fort. Besonders angetan war er von Alfred Vohrers „Der Bucklige von Soho“. Des weiteren gehört Oliver zu den wenigen Auserwählten, die am Hofbauer-Kongress in Nürnberg […]

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