st. pauli zwischen nacht und morgen (josé bénazéraf, frankreich/deutschland 1967)

Veröffentlicht: März 29, 2014 in Film
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„Wenn du nicht willst, brauchst du mir auch nicht zu sagen, wer du bist. Das ist unwichtig.“

„Wer bist du?“ „Ein Mann. Nur ein Mann, nichts Besonderes.“

„Ich will, dass du mich anlügst. Dass du mir Märchen erzählst.“

„Ich will dich ohne Maske. Ich will dich, Arlette. So wie du bist.“

„Ich glaube, ihr Helmut hat alle Welt getäuscht. Sie, Ihre Freunde und uns.“

Drei Sätze aus José Bénazérafs ST. PAULI ZWISCHEN NACHT UND MORGEN – ein Film, der genauso enigmatisch ist, wie sein Titel suggeriert –, die nicht nur andeuten, worum es hier zwischen den Zeilen geht, sondern die auch dazu geeignet sind, das Seherlebnis des Zuschauers zu illustrieren, der sich in jenes Zwischenreich zwischen Nacht und Morgen hinab begibt. ST. PAULI ZWISCHEN NACHT UND MORGEN erzählt eine eigeentlich höchst einfache, beinahe archetypische Geschichte: Aus seiner schummerigen Stripbar auf dem Kiez organisiert der schweigsame Bernie (Rolf Eden) seine Drogengeschäfte. Der junge Scheizer Drogenfahnder Helmut (Helmut Förnbacher) will die Organisation aushebeln und begibt sich deshalb in Bernies Dunstkreis, wo er sich in die drogenabhängige Tänzerin Arlette (Eva Christian) verliebt. Als der Club überfallen wird, bietet sich Helmut die Gelegenheit, sich Bernies Freundschaft und den Eingang in dessen Bande zu erkaufen, eine Chance, die er mit kaltschnäuziger Entschlossenheit nutzt. Doch Bernie hat schon keine Lust mehr auf das Drogengeschäft: Er plant den Überfall auf einen Geldtransporter. Und Helmut mischt in vorderster Front mit, angezogen vom Leben als Gangster …

Leicht kann man sich diesen Stoff aus der Hand eines der zu dieser Zeit tätigen deutschen Exploitationregisseure vorstellen: Rolf Olsen, Jürgen Roland, Ernst Hofbauer oder Alfred Vohrer fertigten ähnliche Ware zur selben Zeit nahezu am Fließband mit beachtlichen Ergebnissen. José Bénazéraf hingegen begann seine Laufbahn 1963 mit Erotikfilmen; später sollte er dann ganz auf Pornografie umsatteln. Auch ST. PAULI ZWISCHEN NACHT UND MORGEN ist ein Erotikfilm: Nicht in dem Sinne, dass er Menschen beim ästhetisierten Liebesspiel beobachtete, sondern weil es in seinem Film um Sinnlichkeit und Verführung geht, um ein dunkles, nicht näher mit Worten beschreibbares Verlangen und um die unüberbrückbare Kluft, die Wort und Gefühl voneinander trennt. Zwangsläufig fällt es schwer, etwas über den Film zu schreiben, was ihm gerecht wird. Bénazéraf stürzt den Zuschauer in jenes rätselhafte Zwielicht, in dem nicht mehr ganz klar ist, was nun Traum und was Wirklichkeit ist. Man gleitet an den Bildern entlang, versuchen hier und da etwas festzuhalten, mitzunehmen aus dem somnambulen Fluss, um es sich später genauer anzusehen, aber alles löst sich auf, sobald man zugreift, wie die Erinnerung an einen Traum in den ersten Stunden des Tages. Träumerisch schreitet auch die Handlung voran: ST. PAULI ZWISCHEN NACHT UND MORGEN ist keineswegs surreal, eher zeichnet ihn eine große Nüchternheit im Blick auf die Dinge aus. Das Wissen, dass man nicht eingreifen kann in ihren Lauf. Es liegt eine Nebelwand zwischen dem Betrachter und den Aktionen der Figuren, die nicht als Handelnde, sondern als Gezogene erscheinen. Die Szenenfolge ist absolut logisch, aber es fehlt der Kitt, der sie zusammenhalten würde. Manchmal erwartet man, dass die Figuren sich fragen, wo sie gerade sind, so abrupt werden sie von einem ins andere Setting gesetzt, ohne jeden Bezug auf Raum oder Zeit. So, wie man manchmal nicht weiß wo man ist, wenn man im Dunkeln in einem fremden Zimmer aufwacht. Der Film ist dabei niemals beunruhigend oder unheimlich, vielmehr geht eine große Ruhe von ihm aus, er vermittelt das Gefühl von Geborgenheit. Als schwebte man im warmen Fruchtwasser, schwerelos und sicher. Der Fortgang der Ereignisse wird unwichtig, was zählt, ist das, was man fühlt. Es wächst der Wunsch, sich diesem Gefühl ganz zu überlassen. So wie Helmut das am Ende tut, wenn er alle Verbindungen in die Welt des Tages kappt, beschließt, für immer in diesem Zwielicht zu bleiben, zwischen Nacht und Morgen, wo alles möglich ist.

Wie ein griechischer Chor treten immer wieder drei Mädchen in Bernies Club auf. Es sind keine Stripperinnen und es wird auch nicht ganz klar, ob sie wirklich Angestellte des Clubs sind. Wie auf ein unsichtbares Kommando hin geben sie ihre Passivität auf, um gemeinsam, eher aber nebeneinander, unabhängig von einander, zu tanzen. Jede von ihnen hat ihren eigenen Stil, den sie auch von Lied zu Lied nicht verändern. Für die Dauer des Stückes gibt es nichts außer ihren Tanz, das Gefühl, mit der Musik in der Bewegung zu verschmelzen. Sie sagen den ganzen Film über nichts, sie haben keine Namen, sie stehen zu niemandem in irgendeiner Beziehung, ihr Blick trifft nie einen anderen. Und wenn die Musik zu Ende ist, dann nehmen sie wieder ihren ursprünglichen Platz ein, auf das nächste Signal wartend. Aber so lange die Musik spielt, sie ihre Bewegungen durchexerzieren, scheinen sie die glücklichsten Menschen auf der Welt zu sein. Bedingungslos, voraussetzungslos, einfach da.

 

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