the narrow margin (richard fleischer, usa 1952)

Veröffentlicht: September 2, 2011 in Film
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Die LAPD-Detectives Brown (Charles McGraw) und Forbes (Don Beddoe) haben den Auftrag, Ms. Frankie Neal (Marie Windsor), die Ehefrau eines ermordeten Gangsters, per Zug von Chicago nach L.A. zu eskortieren, wo sie als Kronzeugin in einem Prozess gegen das organisierte Verbrechen aussagen soll. In ihrem Haus wartet bereits ein Killer des Mobs, dem Forbes zum Opfer fällt. Entgegen aller Pläne ist Brown von nun an ganz auf sich allein gestellt und muss auf der Zugfahrt nach L.A. all sein Geschick aufwenden, um die aufmüpfige Zeugin zu beschützen und die lauernden Mörder in Schach zu halten. Aber es wartet noch eine weitere Überraschung auf ihn …

Um mal mit der Tür ins Haus zu fallen: THE NARROW MARGIN ist ein Meisterwerk des Film Noir, mithin Pflichtprogramm für jeden ernsthaft an Film (und Filmgeschichte) Interessierten und vielleicht sogar der frühe Gipfelsturm in Fleischers langer Laufbahn. Der Film erntete zu Recht großes Kritikerlob und hätte der Karriere des RKO-B-Film-Regisseurs in einer besseren Welt einen enormen Schub geben sollen, doch stattdessen setzte THE NARROW MARGIN im Büro von RKO-Chef Howard Hughes‘, der darauf bestand, jeden Film selbst zu begutachten, um zu entscheiden, wie damit zu verfahren sei, Schimmel an. Der potenzielle Kassenschlager blieb ein Insidertipp und erst die Zeit bescherte ihm den Klassikerstatus, der ihm rechtmäßig zusteht. Für Fleischer, der genau wusste, was er mit THE NARROW MARGIN vollbracht hatte und nach Jahren in der B-Movie-Hölle nach neuen Herausforderungen gierte, eine frustrierende Erfahrung, die maßgeblich zu seiner Entscheidung beitrug, der RKO den Rücken zu kehren; eine Entscheidung, die in Zeiten, als Regisseure noch vertraglich an ihre Studios gebunden waren, nicht ohne Risiko war.

William Friedkin, der gemeinsam mit einem aus der Konserve eingespielten Fleischer den exzellenten Audiokommentar zur (damit erst Recht zum Plichtkauf avancierenden) US-DVD beisteuert, bezeichnet Fleischer als „Meister des Film Noir“. Eine Sichtweise, die sich in Deutschland, wo nur wenige von Fleischers Noirs überhaupt zu sehen waren und eher andere Noir-Autoren und -Filme kanonisiert werden, nicht direkt erschließen mag, die jedoch schon nach den ersten Minuten von THE NARROW MARGIN nachzuvollziehen ist. Die stimmungsvolle Fotografie des Films, der Einsatz der für dieses Genre so typischen bedrohlichen Schatten, verkanteten Perspektiven und klaustrophobischen Settings, die suggestiven, pointierten Dialoge aus der Feder von Spezialist Earl Felton (der schon die Drehbücher für TRAPPED und ARMORED CAR ROBBERY beigesteuert hatte und mit Fleischer auch für 20.000 LEAGUES UNDER THE SEA und BANDIDO zusammenarbeiten sollte), die brillant durchkomponierten Set Pieces und die eruptiven Gewaltschübe sowie der verschlungene, undurchsichtige Plot sind geradezu als mustergültiger Noir-Stoff zu bezeichnen. Zusammen mit den exzellenten Darbietungen vor allem von Charles McGraw, dessen aus schroffem Fels geschlagenen Gesichtszüge in Verbindung mit der Stein zu Sand mahlenden Reibeisenstimme ihn zum Harboiled-Helden prädestinieren, und Femme Fatale Marie Windsor, deren lockender Schlafzimmerblick nur echten Kerlen wie Brown überhaupt eine Chance lässt und die die so typische dunkle sexuelle Aggression perfekt verkörpert, ergibt das einen unmittelbar packenden, raffinierten und komplexen Vertreter des Genres.

Fleischers Entscheidung, den Film fast ausschließlich in den engen Zugabteilen spielen zu lassen, ist goldrichtig, auch wenn sie etwas vom den gewohnten Noir-Ambiente – dunklen Straßenzügen, verqualmten Hinterzimmern, Schnapsläden, Zockerhöhlen und gammeligen Kneipen – wegführt. Aber dieses Abweichen von der Regel ist nur vordergründig, denn für die genreübliche Pointierung und Überspitzung ist das Zugsetting ideal: Der Kampf um Leben und Tod wird in bedrohlicher Enge geführt, große Emotionen bekommen kaum die Luft, die sie brauchen, um sich zu entfalten, der Mensch wird in kleine Schachteln verpackt und zwischen Schlafkabine und Speisewagen entsorgt. THE NARROW MARGIN ist ein immens grafischer Film: Fleischer findet enorm einprägsame Bilder, um das Geschehen wirkungsvoll zu unterstreichen. Er verfolgt mit der Kamera eine Treppe herunterfallende Perlen bis vor die Füße eines im Schatten lauernden Killers, er lässt den armen Forbes vor dem Tod noch einmal genussvoll an seiner Zigarre ziehen oder eine Tote im Fallen einen Plattenspieler mit bitterironischem Swing anschmeißen. Passend zur leitmotivischen Enge bringt er mithilfe von Reflektionen gleich mehrere Handlungen in ein Bild, verdichtet so den Bildkader und lässt als paradigmatischen Running Gag einen dickleibigen Mann durch die Gänge des Zuges laufen. („Nobody loves a fat man, except his grocer and his tailor.“) Ausweichen ist unmöglich: THE NARROW MARGIN rollte gestern gnadenlos über mich hinweg. Ich ringe heute noch nach Luft.

Kommentare
  1. Whoknows sagt:

    Ich gebe es jetzt doch langsam zu: Mit „The Narrow Margin“ begann für mich bis jetzt Fleischer’s Filmographie. Es erstaunte mich regelrecht, was der Mann vorher schon alles gemacht hatte. Peinlich, aber wahr.

  2. Oliver sagt:

    Ja, der war schon fleißig … 🙂

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