cutter’s way (ivan passer, usa 1981)

Veröffentlicht: September 5, 2013 in Film
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CUTTER’S WAY spielt im Küstenstädtchen Santa Barbara, Hauptstadt der sogenannten kalifornischen Riviera und einer der teuersten Flecken der USA, aber er beginnt in tristem Schwarzweiß: Eine Parade marschiert in Zeitlupe eine Straße entlang, geradewegs auf die Kamera zu. Mädchen tanzen, sodass ihre Röcke hochfliegen. Es ist ein Bild der Freude, doch Jack Nitzsches Musik verwandelt es in ein Monument der Trauer. Die Euphorie und Begeisterung, die im Bild eingefangen ist wie ein Insekt im Bernstein, ist eine gestrige, betrachtet durch den Schleier der Zeit mit den Augen eines Menschen, dem die Kraft zur Nostalgie längst abhanden gekommen ist. Die Farbe kehrt bald zurück ins Bild, die Erinnerung scheint lebendiger zu werden, aber die Distanz zwischen dem Hier und Jetzt und dem Gestern, das das Bild einzufangen scheint, wird dadurch nicht kleiner.  Was sich vergrößert, ist nur der Schmerz der Gewissheit, dass etwas endgültig und unwiederbringlich verloren ist. Dieser Auftakt ist wie der letzte Moment der Hellsichtigkeit, der das Hirn noch einmal durchzuckt, bevor alles Leben aus ihm weicht.

CUTTER’S WAY spielt also in Santa Barbara, einem Ort, der nur dafür gemacht zu sein scheint, die unerreichbaren Träume der unteren Mittelschicht von Reichtum, Glamour, Sonne und Palmenstränden zu verkörpern – und genau dies als Handlungsort der gleichnamigen Soap Opera (in Deutschland jahrelang nachmittags auf RTLplus unter dem Titel CALIFORNIA CLAN ausgestrahlt) auch tat. Aber die Yachthäfen, Poloturniere, Prachtvillen und mondänen Luxus-Restaurants, die einen Teil seiner Settings ausmachen, sprechen hier nicht von Traumerfüllung; vielmehr illustrieren sie, wie weit seine Protagonisten von einer solchen selbst entfernt sind. Sie sind hier fehl am Platze, ein Dorn im Auge der makellosen Schönheit, eine Rolle, die sie mit fast sadomasochistischer Lust spielen. Als hätten sie diesen Ort nur deshalb ausgewählt, weil sie dort niemals heimisch sein können, immer wie Aussätzige wirken müssen. CUTTER’S WAY wird vielerorts als Noir bezeichnet (worüber man streiten kann, wie dieser Text belegt), doch er spielt, nur anscheinend ironisch, fast ausschließlich bei Tageslicht. Die kalifornische Sonne macht das Geschehen aber keineswegs freundlicher; wenn überhaupt, sorgt sie dafür, dass die ganze moralische, emotionale, spirituelle Leere, die seine Protagonisten, aber auch ihre Zeit erfüllt, schonungslos sichtbar wird. Die meiste Zeit aber blendet sie, hüllt alles in ein entrücktes Glimmern, das sich wie ein Schleier auf die Welt legt, einlullt, betört, einschläfert, betäubt. Es ist dasselbe matte, trügerische Licht, das schon in Arthur Penns NIGHT MOVES oder Robert Altmans THE LONG GOODBYE die Sinne der Protagonisten vernebelte.  Beides Filme der Siebzigerjahre.

So wie seine Protagonisten in einem Limbo der Handlungsunfähigkeit gefangen sind, so hat CUTTER’S WAY seine Zeit verfehlt. Im Jahre 1 der neuen Zeitrechnung der Achtzigerjahre veröffentlicht, steht er noch ganz in der Tradition des New Hollywood der Siebzigerjahre, eines vom europäischen Autorenkino beeinflussten Gegenentwurf zu den überkommenen Studio-Exzessen, die Hollywood in den Sechzigerjahren fast in den kreativen wie finanziellen Ruin getrieben hätten. 1980 hatte dieses Schicksal dann seinerseits New Hollywood ereilt: Michael Ciminos HEAVEN’S GATE war der große Knall, der die Studios dazu brachte, die Zügel wieder straffer zu halten, die finanziellen Risiken zu minimieren und die Gewinne zu sichern. Es war das Ende von New Hollywood und seiner intimen, persönlichen, künstlerisch ambitionierten und mutigen Filme und der Beginn des Eventkinos, das seine Zuschauer mit immer größeren Attraktionen in die Lichtspielhäuser lockte. CUTTER’S WAY kam mindestens ein Jahr zu spät, verfehlte sein Publikum, wurde umbetitelt und noch einmal, erneut ohne Erfolg, gestartet, bevor er in der Versenkung verschwand. Im Jahr von RAIDERS OF THE LOST ARK und SUPERMAN II konnte CUTTER’S WAY nur verlieren: Vom tschechischen Regisseur Ivan Passer inszeniert, ist er ein Film ohne große Stars, ohne ausufernde Actionszenen oder Spezialeffekte und ohne markige Thesen, stattdessen angetrieben von einer behutsamen, konzentrierten Inszenierung, vielschichtigen, subtilen Charakterzeichnung und einem Drehbuch, dessen Gesellschaftskritik umso harscher wirkt, als sie auf Parolen und Polemik gänzlich verzichtet. Der Film schleicht 110 Minuten lang um den von dieser rätselhaften Santa-Barbara-Stimmung in Watte gepackten Betrachter herum, bevor er ohne jede Verabschiedung wieder verschwindet. Und dann, Stunden nach seinem Ende, bemerkt man, dass da etwas anders ist als zuvor.  Diese Charaktere fehlen plötzlich. Wo sie waren, klafft nun eine tiefe Wunde.

Dabei machen sie es einem nicht leicht. Richard Bone (Jeff Bridges), ein attraktiver junger Mann, ist schon mit seinen knapp 30 Jahren am Ende angelangt: Vollkommen ambitions- und ziellos geht er einem Alibijob als Bootsverkäufer nach – ein Job, den er vor allem wegen seines guten Aussehens innehat – und stürzt sich nachts in folgenlos bleibende Liebesabenteuer mit einsamen Frauen. Sein bester Freund ist der Vietnamveteran Alex Cutter (John Heard). Einäugig, einarmig, einbeinig, schwerer Alkoholiker, zutiefst verbittert und verzweifelt auf der Suche nach jemandem, dem er die Schuld an seinem Schicksal geben kann. Er ist verheiratet mit Mo (Lisa Eichhorn), und sein Selbsthass hat sie mit in den Sumpf des Alkoholismus gezogen, aus dem sie aus eigener Kraft nicht mehr entrinnen kann. Sie ist verliebt in Bone, doch eine Mischung aus Sentimentalität, Loyalität und Mitleid, hält sie gefangen. Das und Bones Unfähigkeit, eine Entscheidung zu treffen, eine dauerhafte Verpflichtung einzugehen. Diese drei Verlierer, Opfer, wie immer man sie nennen mag, sind auf Gedeih und Verderb aneinandergekettet: Zu mutlos, einander loszulassen, verstärken sie ihre schlimmsten selbstzerstörerischen Impulse und taumeln, ihre Lage erkennend, aber verleugnend, dem Abgrund entgegen. Was die Geschichte eines langsamen, schleichenden, aber unaufhaltsamen Verfalls sein könnte, wird beschleunigt, als Bone nachts Zeuge wird, wie ein Mann eine Leiche in einer Mülltonne entsorgt. Er kümmert sich nicht weiter darum, selbstbezogen und bequem wie er ist, bis am nächsten Morgen die Polizei bei ihm auftaucht, ihn als Tatverdächtigen verhört und mit der Schwester der Ermordeten konfrontiert. Cutter, begeistert von der sich bietenden Abwechslung, beginnt Bone über das Gesehen auszufragen und entlockt diesem schließlich einen Tatverdächtigen. Der Mann mit der Sonnenbrille, den Bone auf einer Parade wiederzuerkennen glaubt, ist kein Geringerer als der Großindustrielle J. J. Cord (Stephen Elliott). Ein gefundenes Fressen für Cutter, verkörpert Cord doch alles, was er hasst an Amerika: Er ist einer jener reichen, feigen Säcke, die andere für ihren eigenen Profit ins Feuer schicken, ohne jemals selbst etwas riskieren oder gar Strafe fürchten zu müssen. Und so überredet er den schwächlichen Bone, Cord gemeinsam mit der Schwester der Toten zu erpressen. Natürlich geht alles schief, was schiefgehen kann …

CUTTER’S WAY zeigt eindrucksvoll, welche Spätfolgen der Vietnamkrieg gezeitigt hat: Sie offenbaren sich nicht nur in den Verletzungen und Narben Cutters, sondern auch in der emotionalen Verkarstung der Menschen in seinem Umfeld. Aber Passers Film ist mehr als nur ein Post-Vietnamkriegsfilm oder Heimkehrerdrama. Er besetzt genau jenen Punkt in der Geschichte Amerikas, in dem der Zorn und die Aufruhr, die von den Tumulten der späten Sechzigerjahre noch übrig waren, sich an der neu errichteten Fassade aus Materialismus, Lethargie und Selbstzufriedenheit brachen, die die Achtzigerjahre charakterisieren sollte. Für den fehlgeleiteten, aber gerechten Zorn Cutters ist kein Platz mehr, stattdessen lässt man es sich im eigenen Wohlstand gut gehen. Einmal bringt er es im Suff auf den Punkt: „I watched the war on TV like everybody else. Thought the same damn things. You know what you thought when you saw a picture of a young woman with a baby lying face down in a dictch, two gooks. You had three reactions, Rich, same as everybody else. The first one was real easy: ‘I hate the United States of America’. Yeah. You see the same damn thing the next day and you move up a notch. ‘There is no God’. But you know what you finally say, what everybody finally says, no matter what? ‘I’m hungry.’” Die Probleme sind immer nur die Probleme der anderen und viel zu weit weg, um wirklich zu interessieren. Aber CUTTER’S WAY ist kein wütender, allenfalls ein bittersüßer Film. Er führt seine Figuren nicht vor, er begegnet ihnen mit Empathie. Selbst der Feigheit Bones. Auch wenn bis zum Ende nicht geklärt wird, ob Cutter und Bone nun wirklich einem Mörder auf die Schliche gekommen oder doch nur einer Fantasie hinterhergerannt sind: Endlich haben sie etwas getan. Cutter, bis dahin allenfalls Ritter von der traurigen Gestalt, verwandelt sich am Schluss tatsächlich in den Ritter auf dem weißen Pferd, von dem Mo gehofft hatte, dass er sie befreien würde. Es ist zwar längst zu spät, aber immerhin. Und Bone besiegelt zum Schluss wahrscheinlich gleich zwei Schicksale, aber er hat endlich einmal eine Entscheidung getroffen – wenn es auch vielleicht die falsche war.

CUTTER’S WAY ist ein wunderbarer Film, tieftraurig, dabei niemals larmoyant, sondern sehr warm und dank der pointierten, eloquenten Dialoge ungemein witzig. Er ist glasklar inszeniert, filigran und kunstvoll, ohne jemals auf diese eigenen Kunstfertigkeit zu verweisen. Das Gleiche gilt für das Drehbuch, dessen Brillanz sich gerade darin äußert, dass man sie während des Films kaum bemerkt, weil man einfach „drin“ ist. Eine Kunst, die heute kaum noch jemand beherrscht: CUTTER’S WAY ist beinahe literarisch, ohne jemals unfilmisch zu werden. Die Krönung sind die drei Hauptdarsteller und Jack Nitzsches Score. Heard, Bridges und Eichhorn ziehen den Zuschauer an sich, lassen ihn nicht wieder los, Nitzsches gleichzeitig einschmeichelnder wie beunruhigender Score lässt erahnen, dass diese neue Freundschaft eine verhängnisvolle ist. Trotzdem möchte man sofort zurückkehren zu Bone, Cutter und Mo. Es gibt hier so viel zu entdecken, so viele kleine Details und Geheimnisse und die Zeit ist viel zu kurz.

Weil mir die Worte ausgehen noch ein paar Links zu weiterführenden Texten:

The Guardian: CUTTER’S WAY is a cinematic masterpiece

Left Field Cinema – Hier wird erörtert, was CUTTER’S WAY mit THE BIG LEBOWSKI gemein hat.

Little White Lies

Electric Sheep Magazine

Ruthless Culture: The Complete Hero

 

Kommentare
  1. zorafeldman sagt:

    diese singende säge im score hat sowas abseitiges, verlassenes, wie Cutter.

  2. Ghijath Naddaf sagt:

    Schöner Text. Klasse Film. Werde nach der Empfehlung auf Martin Compart´s Seite, demnächst
    endlich mal den zugrunde liegenden Roman „Cutter and Bone“ von Newton Thornburg lesen.

    THRILLER, DIE MAN GELESEN HABEN MUSS: CUTTER AND BONE

  3. chris sagt:

    immer wieder geil, was für tolle filme man für sich entdeckt!
    danke dafür

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