11. hofbauer kongress: baron pornos nächtliche freuden (frits fronz, österreich 1969)

Veröffentlicht: September 19, 2013 in Film
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1240614_522150517867408_673418243_nEin Mann mit Hut und Mantel steht in der Abenddämmerung vor dem Riesenrad des Wiener Praters. Ein Sandler, das Gesicht eingefallen, zerfurcht und ebenso grau wie seine Haare. Während eine gar traurige Melodei anhebt, beginnt er schlurfenden Gangs seinen Trauermarsch durch die verführerisch schillernde Ösi-Metropole, der ihn in den folgenden 75 Minuten erst auf und ab und vorbei an den Leuchtreklamen und Schaufenstern einer Wiener Einkaufsstraße, dann schließlich an das Ufer der Donau und währenddessen zurück in das Refugium ebenso schmerzhafter wie tröstlicher Erinnerungen führt. Und während er so ziellos wandert, da singt er ein Lied, das von der Endlichkeit der Liebe handelt, die wie Sterne in der Nacht verglühen …

In Rückblenden, die durch bei seinem „Schaufensterbummel“ erblickte Konsumartikel ausgelöst werden, erfährt der Zuschauer, dass es sich bei dem traurigen Herren um Baron Alexander von Wertenberg (Frits Fronz) handelt, einen einst wohlhabenden Geschäftsmann. BARON PORNOS NÄCHTLICHE FREUDEN erzählt, wie der vornehme Herr in der Gosse landete, weil er der schönen Nachtklubsängerin Karin (Monika Ceber) – geblendet von den brausenden Gefühlswallungen der Liebe – sein ganzes Vermögen überschrieb, um mit ihr ein neues Leben zu beginnen. Vorher lebte er in Saus und Braus, verlustierte sich gemeinsam mit seinen gichtigen Geschäftspartnern im mit Pressspan vertäfelten Partykeller mit blutjungen, schönen Frauen, die willig ihre nackten Leiber als Unterlage für eine Partie Kniffel darboten; spendierte seinen schönen Geliebten Abend für Abend literweise Champagner aus edlen Kristallgläsern, während er den erotischen Gesangs- und Tanzdarbietungen in seinem Lieblingsnachtklub lauschte und eine Zippe nach der anderen schmauchte; holte die schöne Karin schließlich in seiner Luxuslimousine mit den polierten Radkappen ab, um mit ihr zu klassischer Bontempiorgel-Musik in einer mondänen Butzenscheibeneckkneipe zu dinieren. Natürlich verfiel er der viele Jahre jüngeren Frau mit Haut und Haaren, spendete sie ihm bei ausgiebigen Pettingorgien in seinem geräumigen Bett zwischen den goldgerahmten Venedigfotos doch ungeahnte Lendenfreuden. Doch auch Karin schien den Baron zu lieben: einen Freund der schönen Künste, einen wahren Genießer mit dem Stil eines echten Welt- und Lebemannes. Sie flüsterte ihm solch süße Lügen ins gutgläubige Blumenkohlohr, dass nicht einmal die Warnungen von Karins Sangeskollegin Petra (Isa Franke) zu ihm durchdringen konnten: Karin wolle ihm nur ans Geld. Wie sollte er jener ordinären Frau mit dem vulgären Riecherker im Gesicht auch Glauben schenken können, verspürte er tief in seinem grau behaarten Altherrenbusen doch die Leidenschaft und Kraft eines jungen Knaben erblühen, der zum ersten Mal vom süßen Honig der Liebe gekostet hatte. Doch eines Tages, nachdem er Karin sein Bargeld als Beweis seiner tiefen Empfindungen überwiesen hatte, wartete der Baron vergeblich auf seine große Liebe. Nervös stand er an der Kommode vor seinem Lieblingsfoto des Markusplatzes und sog begierig an seiner Zigarette: Er wollte das Brennen in den Lungen spüren, auf dass es die Angst, Petras Lästereien könnten sich als Wahrheit erweisen, überlagern würde. Lieber physischen Schmerz als dieses ungreifbare Gefühl der Lähmung, dass seine plötzlich wieder müden Glieder beschlich, als sein Blick auf das leere Bett fiel, das er gestern noch mit Karin zerwühlt und einem hydraulischen Härtetest unterzogen hatte. Schnell in den Nachtklub geeilt, denn dort würde Karin bestimmt schon auf ihn warten, ihn mit einem sanften Kuss empfangen und alles würde gut sein. Doch auch dort wartet nur Petra, die ihm nach einer schadenfroh hingerotzten Nummer namens „Roulette D’Amour“ (so auch der nur minimal dezentere österreichische Originaltitel) voller ätzender Besserwisserei berichtet, dass Karin sich mit einem anderen davongemacht habe. Der Baron hatte alles auf eine Karte gesetzt beim Liebesglücksspiel – und verloren. Traurig schlendert er nun durch das nächtliche Wien, in Gedanken immer noch bei seiner Karin, die sein altes Herz gebrochen und ihn ruiniert hatte. Doch schlimmer als der materielle Verlust wiegt die Gewissheit, dass das einst vom heißen Blut der Leidenschaft durchströmte Herz nun für immer erkaltet ist. Der Baron wird nie wieder lieben, die Menschen sind für ihn verloren. Nur noch ein nach Regen riechender Straßenhund darf sich seiner Zuneigung gewiss sein.

BARON PORNOS NÄCHTLICHE FREUDEN wurde den Teilnehmern des 11. Hofbauer Kongresses als „trister Überraschungsfilm“ kredenzt und durchspülte alle im Kinosaal Anwesenden mit purer Lust und neuer Energie am Ende eines langen Kinotags (mit so viel Energie immerhin, dass danach noch Platz für einen Enzzeitfilm war): beinahe so, wie die schöne Karin den alten Baron im Herbst seines Lebens noch einmal wachgeküsst hatte. Schmierige Melodramatik, hemmungsloser Weltschmerz, der sich wie dickes Altherrenblut von der Leinwand sich in den Zuschauerraum ergießt, das staubige Bouquet ranziger Bahnhofskaschemmen vertrömend, deren ausstattungstechnische Allusionen an den Glamour die sich nur noch dunkel an bessere Zeiten erinnernden Alkoholiker, die sich dort ins Vergessen saufen, mit süßem Hohn zu überziehen scheinen: BARON PORNOS NÄCHTLICHE FREUDEN beschert dem Zuschauer eine sensorische Überdosis der Schwermut. Der mysteriöse Frits Fronz, der den Film inszenierte und die Hauptrolle spielte, möglicherweise auch den zentralen Schlager sang, zu dem der Film – in seiner Struktur selbst wie ein Lied in Strophen und Refrains gegliedert – immer wieder zurückkehrt, stattet den ganzen Film mit bleischwerer Langsamkeit und einer gewissen Schlaftrunkenheit aus: Tages- oder gar Sonnenlicht gibt es gar nicht zu sehen, nur die tiefschwarze Nacht, in der alles, was noch leuchtet, die Werbung für Konsumartikel ist, die sich der Baron nun nicht mehr leisten kann. Der redundante und vorhersehbare Handlungsverlauf evoziert die Empathie für den Baron, der sich gutgläubig ins Unheil stürzt, unfähig die Zeichen zu erkennen. Dann sind da diese grauenvoll hässlichen Innenräume, die mondäne Orte der Genusssucht, Erotik und Affluenz darstellen sollen, jedoch immer nur an abgestandenen Sekt, erkaltete Aschenbecher voller billiger Asbestkippen, den beißenden Geruch verschwitzter Nylonfüße und das Erbrochene im Rinnstein vor dem Ausgang denken lassen. Alles in des Barons Welt ist Wunschdenken und Vorspiegelung, ein Trugbild, das aufrechterhalten wird, um die Leere nicht sehen zu müssen: Beim schrillen Klang der Bontempiorgel brechen dann alle Dämme, gerät der Film in einen wahren Freudentaumel. Das Bild splittet sich kaleidoskopartig auf, die Überblendungen hageln auf den wehrlosen Zuschauer herab, der schwitzende, Schwerarbeit leistende Organist – wie der Baron ein Mann, der immer eine Packung Dannemann’s bei sich trägt und abends allein in den Schlaf sinkt – erleidet fast einen Schlaganfall. Fronz scheint das alles sehr Ernst zu meinen und deshalb wirkt auch seine Trauer so echt. Er hat es wie der Baron nie kommen sehen, dass die Karin eines Tages weg sein würde. Wie konnte sie nur, er hat ihr doch alles gegeben: einen Strauß falscher Rosen, billigen Schaumwein aus dem Pressglaskelch, die Fahrt im Mercedes, dessen Sitze schon ganz durchgesessen sind, seinen Körper, aufgeschwemmt, teigig und ausgelaugt, und seine nach Zigaretten und Corega Tabs schmeckende Küsse, die sie nach seinen Besuchen bei ihm eifrig mit Seife abwusch. Nur das Geld, das er jetzt nicht mehr hat, das war echt.

BARON PORNOS NÄCHTLICHE FREUDEN ist im Double Feature mit einem weiteren Film bei CMV im Rahmen der zweiteiligen Frits-Fronz-Collection auf DVD erschienen. Ich rate zum Kauf.

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