griechische feigen (sigi rothemund, deutschland 1977)

Veröffentlicht: Oktober 29, 2013 in Film
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GriechischeFeigenA1Für die attraktive Patricia (Betty Vergés) sind die Ferien bei ihren reichen Eltern in Griechenland zu Ende. Das heißt: Zurück nach München an die Uni und weiterlernen fürs Erwachsensein und die berufliche Karriere. Doch Patricia steht der Sinn nach etwas anderem. Kurzerhand verschenkt sie ihr Flugticket und macht sich mit ihrem Gepäck auf die Reise: sich ohne Ziel treiben lassen durch Griechenland, dabei etwas über die Männer lernen und dem Geheimnis der eigenen Identität auf die Spur kommen. Herausfinden, was sie will, was sie braucht, wer sie ist. Sie hüpft von Abenteuer zu Abenteuer, bis sie bei Tom (Claus Richt) landet. An Bord seines Segelboots verbringt sie ein paar traumhafte Tage. Doch dann mischt sich die Eifersucht ein und zerstört das junge Glück – zumindest vorerst …

„Ein Mädchen, das (sich) auszog, das Lieben zu lernen“ – bei dieser Tagline wusste der Genießer im Trenchcoat gleich, was er zu erwarten hatte und konnte beruhigt die Eintrittskarte lösen. Er wird nach Verlassen des Kinos nicht enttäuscht gewesen sein, gibt das Drehbuch seiner ansehnlichen Protagonistin doch ausgiebig Gelegenheit, die Hüllen fallen zu lassen und sich in amouröse Abenteuer zu stürzen. Dem weniger eindeutig interessegeleiteten Zuschauer indes können sich die Abgründe, die sich in der Geschichte um die willensstark, aber letztlich orientierungslos umherstolpernde Patricia auftun, nicht verborgen bleiben. Das „unbeschwerte Sommermärchen“ ist unangenehm bleich, und je greller und heißer die Sonne scheint, umso schärfer und dunkler werden auch die Schatten, die sie wirft. In Maßen genossen, spendet sie Wärme und Geborgenheit, wer sich jedoch zu lang in ihr aufhält, riskiert, sich zu verbrennen und auszutrocknen. Für die Menschen, die GRIECHISCHE FEIGEN bevölkern, scheint die Empfehlung, Sonnenschutz aufzutragen und ein kühles Plätzchen aufzusuchen, bereits zu spät zu kommen. Sie alle sind Getriebene,  Verlorene, nicht mehr in der Lage, rationale Entscheidungen für sich und andere zu treffen, hoffnungslos ihren Launen, Trieben und Lüsten ausgeliefert, ohne diese noch hinterfragen zu können. Der Film ist im Kern verdammt traurig und ernüchternd.

„Manchmal frage ich mich, ob du noch ganz dicht bist.“, sagt Tom einmal zu Patricia und die kann seine Ratlosigkeit auch nicht auflösen, weil sie selbst nicht genau weiß, ob sie wirklich normal ist. Ihre Reise durch Griechenland, auf der sie sich in beinahe aggressiver Art und Weise und völlig ohne Bewusstsein für die Gefahr, in die sie sich ja auch begibt, verschiedenen Männern als Lustobjekt anbietet, soll sie zu einem wahrhaftigen Bild von sich selbst führen, doch der völlige Selbstverlust ist wahrscheinlicher. Und die Männer, denen sie begegnet, sind auch nur mit sich beschäftigt, vollkommen uninteressiert daran, jemand anderem etwas zu geben. Der erste, gleich am Flughafen, hat eben noch seine Gattin abgesetzt, jetzt hat er schon die junge Studentin im Auto. Zwei junge Deutsche, die sie mitnehmen, wollen gar nicht erst ihr Einverständnis abwarten, sondern gehen direkt zur Vergewaltigung über, der Patricia ohne jede Traumatisierung oder Erkenntnis für die Zukunft entfliehen kann. (Später versuchen die beiden Jungs ein geeignetes Opfer unter älteren deutschen Touristinnen zu finden, frei nach dem Leitspruch: „Die Neckermann-Weiber sind besser, als in die hohle Hand zu wichsen.“) Das Hippiepärchen, in deren Zelt Patricia Unterschlupf findet, während die sich neben ihr vergnügen, behauptet, sich zu lieben, obwohl sie sich erst drei Tage kennen. Am Ende begegnet sie ihm wieder, die kurze Liebschaft ist schon wieder vorbei. Tom ist der einzige, der Interesse an ihr als Person zeigt. Doch an ihrem aufreizenden, herausfordernden Gehabe, mit dem sie jeden Mann um sich herum auf die Probe stellt, entzündet sich ein Streit, der vorerst das hässliche Ende ihrer bis dahin harmonischen Beziehung herbeiführt. Auch Tom offenbart dabei nicht gerade seine beste Seite, legt stattdessen die typisch männlichen Besitzansprüche an den Tag. Dass Patricia am Ende zu ihm zurückkehrt, weil sie glaubt, ihn zu lieben, ist eher der dramaturgischen Notwendigkeit, den Film zu einem runden Ende und seine Protagonistin zum Ziel ihrer Reise zu bringen, geschuldet, als dass es psychologisch folgerichtig schiene. Als sie Tom in seiner Wohnung aufsucht, liegt der schon mit der nächsten im Bett, sie, nicht bereit, schon aufzugeben, steigt prompt zu seinem Mitbewohner in die Badewanne. Die Frau, die im Nebenzimmer von ihrer vermeintlich großen Liebe beglückt wird, bezeichnet sie überaus grob und abwertend als „Ficke“, obwohl sie doch selbst kaum mehr gewesen ist in den vergangenen Tagen, kaum mehr überhaupt sein wollte. Wenn Tom Patricia am Ende in die Arme schließt, sie sich ihre Liebe gestehen, so ist man fast froh, dass der Vorhang fällt, scheint eine glückliche Beziehung zwischen den beiden doch kaum möglich, sieht man bereits den nächsten Konflikt drohend heraufziehen.

GRIECHISCHE FEIGEN ähnelt nicht wenig dem vor kurzem hier besprochenen SPRING BREAKERS: In beiden Filmen brechen junge Mädchen aus der Umklammerung der Gesellschaft aus, stürzen sich in ein wildes Abenteuer, aus dem es kein Zurück mehr gibt, das sie hoffnungslos verschlingt und sie verwandelt. Die auf der Hand liegenden Differenzen zwischen beiden Filmen ergeben sich vor allem aus der Zeit, in der sie jeweils entstanden, und ihrem Produktionshintergrund. Während Harmony Korine mit SPRING BREAKERS einen zwar doppeldeutig mit der Verführung spielenden, aber doch unverkennbar konsumkritischen Film drehte, dient GRIECHISCHE FEIGEN-Regisseur Rothemund der aufklärerische Gestus – sein Thema der sexuellen Identitätssuche und Selbstbestimmung der Frau ist typisches Produkt der in den Siebzigerjahren blühenden Emanzipationsbewegung – vor allem als willkommener Deckmantel, um in bestem Lisa-Film-Stil erotische Männerbedürfnisse zu befriedigen. Aber es ist eben genau diese Widersprüchlichkeit, die GRIECHISCHE FEIGEN so spannend macht und in seiner Verhandlung jugendlicher Orientierungslosigkeit so erbarmungslos. Tatsächlich ist er kaum weniger niederschmetternd als SPRING BREAKERS, gerade weil er eigentlich genau das Gegenteil von dem anstrebt, was er letztlich vermittelt.  Man kann Patricia nur bemitleiden: Sie rennt einem Bild von Aufgeklärtheit und Autonomie hinterher, das nur wenige Jahre später nicht mehr aufrechtzuhalten war. Wie sie da ganz arglos jedem sofort ihre Titten ins Gesicht hält, lässt eher auf tiefsitzende Neurosen schließen, denn auf gesundes Selbstbewusstsein und Unangepasstheit. Überhaupt dieses ganze Theater um eine sexuelle Sinnsuche: Als erschöpfte sich ihr Charakter schon in der Frage, was sie von einem Mann erwarte. Wie sie da ihre spätpubertären Gedanken mit einem Aufnahmegerät festhält, stellt sich die Frage, woher dieses Mädchen eigentlich kommt. Zu Beginn sieht man kurz ihre Eltern: der Vater schon weit jenseits der 60, ein grauhaariger Geschäftsmann im Anzug, der im Zweiten Weltkrieg möglicherweise nicht auf der richtigen Seite stand. Schon da muss sie provozieren, tritt nackt ins Haus, um einen Gast der Eltern zu begrüßen. Sie ist natürlich Produkt ihrer Zeit, aber man wünscht ihr, dass es ihr gelingen möge, sich davon irgendwann zu lösen. Die Idee, die sie hat, ist die richtige, doch ihre Mittel sind denkbar ungeeignet. 1977 war es einfach schon zu spät für ihren abgeschauten Hippie-Idealismus.

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