bienenstich und discofieber (hubert frank/klaus überall, deutschland 1979)

Veröffentlicht: April 11, 2015 in Film
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Ein Trend, der nach Jahrzehnten bizarrer Flops vorerst – endlich? – ad acta gelegt worden zu sein scheint: der Film zum Popstar. Nach A HARD DAY’S NIGHT und HELP!, zwei Höhenflügen des zweifelhaften „Genres“, die die Beatles unter der Regie von Richard Lester vorgelegt hatten, vereinzelten weiteren Glücksfällen wie HEAD (The Monkees) kam nur selten wirklich Gutes bei dem Versuch heraus, Musiker zu Protagonisten „autobiografisch“ angehauchter Filme zu machen. Selbst ein durch und durch fehlgeschlagenes Werk wie KISS IN ATTACK OF THE PHANTOMS erscheint eigentlich schon als positive Überraschung und als konzeptioneller Geniestreich, wenn man ihn mit BIENENSTICH UND DISCO-FIEBER vergleicht, dem „Boney-M.-Film“, der eigentlich nur ein Teeniefilm ist, in den ohne größere Motivation und mit dem Pritt-Klebestift ein paar Tanz- und Gesangsnummern integriert wurden.

So beginnt der Film dann auch mit einer ausgedehnten Nummer der Discogruppe Eruption, bevor der Zuschauer mit den Protagonisten „bekannt“ gemacht wird, einer Gruppe von Schülern, die sich in der mit weißem Kunstfarn ausstaffierten Diskothek „Ice Palace“ austoben. In der Schule fehlt am nächsten Tag logischerweise die Kraft, um sich dem Unterricht zu widmen, stattdessen wird Unfug getrieben, den die Lehrer mit beeindruckender Gleichgültigkeit hinnehmen. Der „Plot“, so es denn einen gäbe, entfaltet sich als Ansammlung austauschbarer Episödchen, die die verzweifelten Versuche der Jungmenschen zum Inhalt haben, sich dem anderen Geschlecht anzunähern. Da sind etwa der Schmierlappen Thomas (Tony Schneider) mit dem romantisch-verträumten, den seriellen Date Raper verbergenden Blick, der etwas von der hübschen blonden Kunstmalerin Eva (Hanna Sebek) will, seine Kumpels Walter und Charly, die noch weniger Erfolg haben (einer von beiden ist etwas dick und daher komisch), sowie die Mädels Brit und Antje, und natürlich die geile Deutschlehrerin (Gisela Hahn). Mal kommt Evas Bruder (Michel Jacot) dazwischen, wenn sie gerade zum Aktmalen schreiten will und zwingt den Besuch nackig aufs Dach (haha!), dann wieder tanzt sie pudelnackt in der Wohnung von Thomas herum, dessen Vater (Ulrich Beiger) nur wenig Verständnis für die Umtriebe der Jugend hat, aber natürlich völlig hilflos ist. Am Ende besucht der Dicke seine Freundin in der Klosterschule und versteckt sich dort mit einer Pulle Schnaps im Wandschrank, weil die Oberschwester mit dem Weihrauch zu Besuch kommt. Wenn der Handlung die Puste ausgeht, was so ca. alle zehn Minuten der Fall ist, trifft man sich schnell wieder im Ice Palace, um dort den Showeinlagen von La Bionda, Eruption oder Tony Schneider himself zu lauschen, es sei denn natürlich The Teens treten für eine Darbietung von Hits wie „Funny, Money, Honey“ gleich im Klassenzimmer auf. Besonders toll ist der orientalisch angehauchte Auftritt von La Bionda, einem Duo, dessen eine Hälfte wie ein chronisch Depressiver mit Trichterbrust aussieht, während die andere mit Balkanschnäuz auch eine erfolgversprechende Karriere als Messerstecher hätte einschlagen können. Mittels eines famosen Special Effects verschwindet Trichterbrust plötzlich aus dem Bild, nur um sich dann in Miniaturversion in der Handfläche des staunenden Balkanschnäuz zu materialisieren und dort seinen Veitstanz aufzuführen.

Irgendwann treten dann endlich Boney M. auf, um ihren Hit „Blue Ribbon“ anzustimmen, und weil der Zuschauer darauf ziemlich lange warten musste, werden die vier Stars gleich in vierfacher Ausführung ins Bild gebeamt, dreimal tanzend und singend, einmal sich selbst dabei zuschauend. Ja, richtig, gebeamt. Boney M. waren nämlich offensichtlich gar nicht persönlich bei den Dreharbeiten anwesend, sondern wurden lediglich per Rückprojektion in den Film hineinmontiert, teilweise gar in grobkörnige Standbilder! Dafür dass Farians Popkreation kurz zuvor noch ein Nummer-1-Album vorgelegt hatte, ist das schon eine ziemlich dreiste Pfennigfuchserei. Während des dramatischen Endes, bei dem Thomas mit dem Motorrad seiner an einem Drachen über Schloss Neuschwanstein kreisenden Eva hinterherfährt und ihr mit Heu die Nachricht „Ich liebe dich!“ ins Gras schreibt, erheben sich dann auch Boney M. an nur unzureichend wegretuschierten Seilen in die Lüfte und trällern ihr schrecklich einfältiges Liedchen „Holiday“ („Hooray, hooray, it’s a holi-holiday“). Hier hebt BIENENSTICH UND DISCO-FIEBER buchstäblich vollends ab, wirft auch noch den letzten Rest von Realitätsbezug und Kohärenz von sich und empfängt den Wahnsinn mit offenen Armen. Eine durch und durch ansteckende Geste der Unterwerfung. Während also Boney M. an Seilen hängend unkoordiniert zwischen den Sternen herumsausten, dabei eine alles andere als galaktische Figur abgebend, zeigten sich auch im Kino-Audtiorium die ersten Einflüsse des harten Stoffs auf die menschliche Psyche: rhythmisches Klatschen, erst verhaltene, dann fröhlich-ausgelassene „Holiday“-Chöre, gepaart mit einem Lachen, dass das Entgleiten jeglicher Restvernunft überdeutlich signalisierte. Den tosenden Schlussapplaus hätten Adorno und Horkheimer sicherlich adäquat zu interpretieren gewusst. Aber ganz ehrlich: So ein bisschen Kulturindustrie-induzierte Entfremdung von sich selbst ist hin und wieder genau das richtige Mittel, um in dieser verrückten Welt die Bodenhaftung zu behalten. Fliegen können andere. Zum Beispiel Boney M. Holi-Holiday.

Kommentare
  1. Mic sagt:

    Filme zum Popstar, die nicht einfach nur daneben sind, gibt es in der Tat wohl nur sehr wenige. Spontan fällt mir da zum Beispiel der Film der Spider Murphy Gang ein, der zwar auch extrem episodenhaft ist, aber wenigstens das Herz auf dem rechten Fleck hat.

    Davon ab ist alles besser als „Gib Gas, ich will Spaß“, wo es mich bei dem Gedanken alleine schon gruselt.

    • Oliver sagt:

      Naja, meine gänzlich von deiner Meinung abweichenden Gedanken zu GIB GAS habe ich ja neulich hier veröffentlicht. Wunderbarer Film! 🙂

      • Mic sagt:

        Okay, damit muss ich mich als nicht-chronologischer Leser outen ;-). Ich lese die Besprechungen so, wie sie mir in meinem Feed-Reader zwischen den anderen Feeds über den Weg kullern. Dann mache ich mich mal auf die Suche.

      • Oliver sagt:

        Macht ja nix. 🙂

  2. jackhorner sagt:

    Gibt es auch nen Autoren zu dem Artikel?

    • Oliver sagt:

      Alle Artikel auf dieser Seite sind von mir. Wenn du wissen willst, wer ich bin, musst du auf „Über mich“ und „Bibliografie“ im Header klicken.

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