great balls of fire! (jim mcbride, usa 1989)

Veröffentlicht: Juli 29, 2015 in Film
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600full-great-balls-of-fire!-posterGREAT BALLS OF FIRE! ist natürlich das perfekte companion piece zum sechs Jahre zuvor entstandenen BREATHLESS (dazwischen drehte Jim McBride THE BIG EASY, ebenfalls mit Dennis Quaid in der Hauptrolle): Nicht nur, weil ersterer nach einem Song von Jerry Lee Lewis benannt ist, sondern weil die Protagonisten beider Filme Seelenverwandte sind. Beide sind sie weniger Gefangene als Könige ihrer eigenen Welt und beide müssen irgendwann erstaunt bemerken, dass die Grenzen zur Realität leider durchlässig sind. Beide scheren sich nicht um die Meinung Außenstehender, beide folgen nur ihrem eigenen Wertekompass, beide verweigern sich dem Versuch der Assimilation. Nach den Regeln der Gesellschaft sind beide Verlierer, aber nach ihren eigenen Maßstäben triumphieren sie. Und als Zuschauer ist man geneigt, ihnen Recht zu geben.

Jerry Lee Lewis ergatterte 1956 einen Plattenvertrag bei Sun Records, dem legendären Studio in Memphis, bei dem auch Elvis‘ Karriere begann, und erwarb sich in den Folgejahren mit Hits wie „Whole Lotta Shakin‘ Goin‘ On“, „Great Balls of Fire“, „Breathless“ und „High School Confidential“ sowie seiner wilden Bühnenshow den Spitznamen „The Killer“. Seine unverblümt sexuellen Lyrics führten zu zahlreichen Radioboykotten, die seinen Charterfolg jedoch nicht bremsen konnten, und zu Auseinandersetzungen mit seinem Cousin Jimmy Lee Swaggart, einem berühmten amerikanischen Prediger. „Rock’n’Roll’s first great wild man“, wie Jerry Lee Lewis genannt wurde, war mit 22 auf dem besten Weg, Elvis vom Thron zu stoßen, als er sich fatalerweise dazu entschied, seine 13-jährige Cousine Myra zu ehelichen. Ein englischer Journalist enthüllte den Skandal während einer England-Tournee und leitete damit Lewis‘ Absturz ein. Erst in den späten Sechzigerjahren gelang es ihm, mit dem musikalischen Wandel von Rock’n’Roll zu Country an seine alten Erfolge anzuknüpfen.

Man ist zunächst versucht, GREAT BALLS OF FIRE! als „Biopic“ zu bezeichnen, aber diese Einschätzung trifft den Kern nicht ganz. McBrides Film konzentriert sich nämlich ausschließlich auf die Zeit von 1956, dem Jahr von Lewis‘ (Dennis Quaid) erstem Erfolg, bis 1958, als seine Karriere nach der Hochzeit mit Myra (Winona Ryder) zusammenbricht. Der Film endet mit einer Szene in der Kirche von Jimmy Lee Swaggart (Alec Baldwin), der seinen Cousin dazu auffordert, sich vom Rock’n’Roll, der „Teufelsmusik“, loszusagen und sich zu Gott zu bekennen, um zu verhindern, dass er in die Hölle fahre. „Well, if I’m going to hell“, antwortet Jerry Lee, während er die Kirche verlässt, „I’m going there playing the piano.“ Die abschließende, in die Credits übergehende Darbietung von „The Wild One“ in einem vollgepackten, winzigen Club, dessen Besucher gemeinsam mit dem Star völlig ausrasten, lässt sich chronologisch nicht mehr einordnen. Man sieht seinen Bassisten J. W. Brown (John Doe) – Myras Vater – auf der Bühne, der in einer vorangegangenen Szene eigentlich das Handtuch geschmissen hatte. (Der Song stammt zwar von 1958, wurde aber erst 1974 von Lewis veröffentlicht.) Kurz bevor die Credits rollen, gibt es noch eine Einblendung: „Jerry Lee Lewis is playing his heart out somewhere in America tonight“. GREAT BALLS OF FIRE! endet mithin auf einer Note der suspendierten, ewigen Gegenwart des Vergangenen. Für seinen Protagonisten spielt es keine Rolle, ob er an der Spitze der Charts steht oder nicht: In seinem Selbstverständnis ist er immer noch der Superstar, der sein Publikum zum Ausrasten bringt, ist es immer noch 1957. Jerry Lee Lewis wird ewig leben.

So wie Richard Gere BREATHLESS seinen unauslöschlichen Stempel aufdrückte, so prägt Dennis Quaid GREAT BALLS OF FIRE! Er interpretiert den „Killer“ als eitlen, geckenhaften, Bubblegum kauenden Pfau, der von seiner Einmaligkeit felsenfest überzeugt ist und in seiner ganz eigenen Welt zu leben scheint. Als Mensch offenbart er sich nie, auch nicht in seiner Beziehung zu Myra, im Vordergrund steht immer nur eine undurchdringliche Fassade der Arroganz und Selbstverliebtheit. Er wirkt ein bisschen wie ein trotziges Kind, das ganz ohne die erzieherische Hand der Eltern aufgewachsen ist und daher eine sehr eigene Vorstellung von Richtig und Falsch erlangt hat. Nie kommt er auf die Idee, dass es keine allzu gute Idee sein könnte, seine 13-jährige Cousine zu heiraten, es ist für ihn nichts moralisch Anrüchiges daran. McBride akzentuiert, wie in BREATHLESS auch, die der Figur inhärente Komik: Jerry Lee Lewis ist ein wandelnder Cartoon, mit dem die Welt um ihn herum mehr als nur leicht überfordert ist. Die unerhörte Liebesgeschichte zwischen ihm und Myra wird durch diese comicartige Verzerrung überhaupt erst goutierbar. Wenn Jerry nach Hause kommt und seine Gattin heulend auf dem Boden der neu angeschafften, pastellfarbenen aber bereits vollkommen verwüsteten Traumküche vorfindet, sie ihm gegenüber verzweifelt schluchzt, dass sie doch erst 13 und noch keine Hausfrau sei, ist das umwerfend komisch, obwohl es eigentlich gar nicht zum Lachen ist. Als Familienvater ist mir erst bei dieser Sichtung klar geworden, was da eigentlich vor sich geht. Wie sich Myras Eltern fühlen müssen, als sie ihr Kind in die Obhut dieses Irren geben, um das Geschäft nicht zu gefährden, wie schmerzhaft es für ihren Vater sein muss, Jerry Abend für Abend „Whole lotta shakin‘ goin‘ on“ mit dem Wissen zu hören, dass er danach zu seiner minderjährigen Tochter ins Bett hüpft. Soweit wir das anhand des Films beurteilen können, liebt Jerry sie tatsächlich, aber wirklich zu begreifen ist diese Beziehung nicht. Der Zuschauer muss einfach glauben, dass sich hier tatsächlich zwei Menschen gefunden haben, deren Beziehung es eigentlich gar nicht geben dürfte. Und McBride gelingt das Kunststück, dass man das glauben möchte. GREAT BALLS OF FIRE! ist zweierlei: Er zeichnet das Porträt eines Mannes, der sich durch gesellschaftliche Konventionen nicht beugen ließ und damit als Inbegriff des Rockers gelten darf. Und er ist eine bittere Komödie über die seltsamen Irrwege der Liebe und die amerikanische Bigotterie.

Kommentare
  1. Ghijath Naddaf sagt:

    Habe den Killer ende der 80er mal live in Hambug gesehen. Grosses Konzert !
    Und die Legende war höchst lebendig. Während die älteren Herrn auf der Bühne loslegten, tanzte
    das Jungvolk, überwiegend Psychobillys, Punks, Skins u.s.w., sich vor der Bühne in Ekstase.
    Pfeiffen wie Ted Herold und Peter Kraus hätten das sehen sollen. Dann würden sie sich zweimal
    überlegen, sich in irgendwelchen dusseligen TV Dokus als Rock´n´Roller zu bezeichnen.

  2. Oliver sagt:

    Respekt!

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