pound of flesh (ernie barbarash, kanada 2015)

Veröffentlicht: November 5, 2015 in Film
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Jean-Claude Van Damme war nie weg. Seit seinem Debüt 1986 in NO RETREAT, NO SURRENDER (die vier Filme, in denen er zuvor als Statist und Nebendarsteller mitwirkte, zähle ich mal nicht) hat er in jedem Jahr mindestens einen Film gedreht (Ausnahme ist lustigerweise der Jahrgang 1987). Einen Namen machte er sich unter den Actiondarstellern als smarter, gutaussehender Sonnyboy, der bei den Frauen gut ankam, sich für ein Lächeln nie zu schade war und sich selbst offenkundig ziemlich toll fand. Jeanshosen, Voll- oder Dreitagebart und Cowboystiefeln, mit denen sich kernige Typen wie Stallone oder Norris als men next door inszenierten, setzte er pastellfarbene Designeranzüge und Gelfrisur entgegen. Klar, es gab Ausnahmen (siehe etwa John Woos HARD TARGET), aber grundsätzlich war das Van Dammes Persona. Noch in seinem letzten vorletzten großen Kinofilm als Hauptdarsteller, Tsui Harks phänomenalem KNOCK OFF, spielte der damals auch schon 38-jährige Belgier eine Variation dieses geckenhaften Typen – unvergessen, wie er Cantopop-Songs singend in einem knallroten Sportwagen durch Hongkong rast. Als 98/99 kurz nacheinander erst das folgende Herzensprojekt LEGIONNAIRE, in dem er einen klassischen Loner im Stile alter Hollywood-Helden gab, und dann UNIVERSAL SOLDIER: THE RETURN an der Kasse gnadenlos baden gingen, war Van Dammes große Zeit eigentlich vorbei. Und mit ihr verschwand auch der gut gelaunte Lausebengel, dessen Abenteuer für jede Art von existenzieller Gravitas absolut unempfänglich waren.

Seitdem hat sich ein unübersehbarer Wandel an Van Dammes Persona vollzogen, dessen Radikalität schon einigermaßen bemerkenswert ist. Es ist ja nicht untypisch, dass das Werk von Actiondarstellern oft als eine Art Reflexion ihres „wahren“ Lebens fungiert. Die sechs ROCKY-Filme spiegeln die Karriereschritte Stallones vom Underdog zum Megastar geradezu akribisch, Schwarzenegger war jahrelang wenig mehr als ein wandelnder Muskelberg mit lustigem Akzent und Seagal lässt die Grenzen zwischen seinen Rollen und seinem Leben bewusst verschwimmen. Was bedeutet es also, dass sich Van Damme seit einigen Jahren schon als Gebrochenen inszenieren lässt, der für vergangene Sünden Abbitte leisten muss? Man weiß, dass Van Damme zu seinen Hochzeiten kein Kind von Traurigkeit war, es ordentlich krachen ließ und sich auch nicht wirklich darum scherte, diese Tatsache zu verbergen. Während andere Stars ein Bewusstsein für ihre Außendarstellung entwickeln und sich bemühen, den Anschein von Anstand und Sitte zu wahren, um ihre Fans nicht zu verprellen, wirkte Van Damme immer ein bisschen wie der Prolet, der plötzlich zu Geld gekommen ist, und nicht weiß, wohin damit. Koks, Nutten, Sportwagen: Van Damme wollte alles und er wollte es sofort. Dieser Lebenswandel machte ihn zur Zielscheibe der Klatschpresse und stand wahrscheinlich auch einem Sprung in höhere Sphären im Weg. Wenn Van Damme nicht, wie in THE EXPENDABLES 2 als Nebendarsteller an Bord geholt wird, ist er für das Kino verbrannt, spielt seit über 15 Jahren nahezu ausschließlich in DTV-Produktionen mit.

Ob die „Muscles from Brussels“ diesen kommerziellen Niedergang wirklich bedauern, ihre Karriere rückblickend anders gestalten würden, weiß ich nicht. Wenn Van Damme auch kein Thema mehr für Hollywood ist, so ist sein Name dennoch eine Marke, genießt er einen gewissen Status, von dem es sich wahrscheinlich ganz gut leben lässt. Dennoch zieht er sehr schon seit Jahren viel mileage daraus, den nachdenklichen professional zu geben, der sich auf das Ende vorbereitet, vorher aber noch etwas zu erledigen hat. Es begann mit Ringo Lams Wutbrocken IN HELL, in dem Van Damme in einem russischen Knast gewissermaßen lebendig begraben wurde, setzte sich fort in WAKE OF DEATH, in dem er unter der Trauer über den Tod seiner Familie fast zerbrach, und UNTIL DEATH, in dem er einen bad lieutenant spielt, der nach einer near death experience ein neues Leben beginnen will. Im Quasi-autobiografischen JCVD reflektiert er über sein Leben und seine Karriere, während er müde und traurig in die Kamera guckt, UNIVERSAL SOLDIER: REGENERATION und UNIVERSAL SOLDIER: DAY OF RECKONING stilisieren ihn zum tragischen Antihelden shakespeare’schen Ausmaßes, einem zum Töten programmierten Zombie. Alle diese Filme setzen Van Dammes zerfurchtes, verlebt wirkendes Gesicht und seinen kantigen Schädel mit großem Gewinn ein, suhlen sich in Bildern des Leids und der Selbstgeißelung. POUND OF FLESH macht das nicht anders, beginnt mit einem in einer Eiswasser-Badewanne liegenden, bewusstlosen Van Damme, der sich dann verstört erhebt und orientierungslos durch sein Hotelzimmer stolpert wie Frankensteins Monster nach seiner wundersamen Belebung. Erinnerungsfetzen kehren zurück, mit Entsetzen sieht er erst das blutbesudelte Bett und schließlich die brutale Narbe an seinem Rücken. Man hat ihm eine Niere gestohlen, eine Niere, die seiner Nichte das Leben retten sollte, einer Nichte, die eigentlich seine Tochter ist. Mit seinem Bruder, der weiß, dass seine Frau einst fremdging und von wem seine Tochter ist, jagt er auf der Suche nach der Niere durch Manila, hoffend alle seine Sünden wiedergutmachen zu können, indem er das lebensrettende Organ dem sterbenden Mädchen bringt, um ihr ein neues Leben zu schenken: Jenes neue Leben, für das er keine Zeit mehr hat.

Ernie Barbarash, der mit Van Damme bereits 6 BULLETS und ASSASSINATION GAMES gedreht hat, lädt den Film bis zur Kante mit christlicher Symbolik auf (am Anfang benutzt Van Damme eine Bibel, um damit seine Gegner zu verdreschen), lässt die Charaktere Gespräche über Sünde, Gott und Vergebung führen und den Antihelden am Schluss den Märtyrertod sterben, nicht allerdings, ohne ihn zuvor mit dem Bruder versöhnt und ihm eine liebevolle Umarmung mit der Nichte gegönnt zu haben, die sein eigen Fleisch und Blut ist. Der Titel, prosaisch verstanden Bezug nehmend auf die fehlende Niere, bezieht sich natürlich auf Shakespeares „The Merchant of Venice“, in dem der Held seine Schuld beim Kaufmann Shylock damit bezahlen soll, dass er sich für diesen ein Pfund des eigenen Fleisches von den Rippen schneidet. Die Weichen sind gestellt: Im Stile des Film Noirs jagt der durch seine Wunde geschwächte Protagonist durch die Stadt, um sein Leben in den letzten Stunden, die ihm noch bleiben, in Ordnung zu bringen. Vielleicht ist es nicht allzu verwunderlich, dass POUND OF FLESH etwas müde wirkt: Richtig großen Enthusiasmus bringt sein Held nicht mehr auf, es ist reines Pflichtbewusstsein und ein schlechtes Gewissen, die ihn antreiben, und Van Damme spielt das so, als wünschte er sich in jeder Szene ins nächste Bett. Die Action ist routiniert, aber niemals aufregend, Manila eine hübsche Alternative zu Budapest, die aber nicht weiter ins Gewicht fällt. Vor allem fehlt dem Film ein guter Schurke (bad guy Darren Shalavi erlebte die Veröffentlichung des Films nicht mehr, erlag mit nur 42 Jahren einem Herzanfall), und ein etwas weiter zugespitztes Drehbuch: Der Wettlauf gegen die Zeit, eigentlich eine Spannung garantierende Klammer, wird kaum herausgearbeitet, die zu rettende Tochter bekommt einfach kein Gesicht, der gesundheitliche Zustand des Helden bleibt unklar. So ist es eben in erster Linie Van Damme selbst, der POUND OF FLESH sehenswert macht. Wenn er da am Ende mit schneeblassem Gesicht tot zusammensackt, ist das fast, als schaue man einem Urzeitgiganten beim Sterben zu. Möge sein Todeskampf noch viele Filme anhalten.

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