shock corridor (samuel fuller, usa 1963)

Veröffentlicht: Oktober 19, 2008 in Film
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Der Journalist Barrett (Peter Breck) will unbedingt den Pulitzer-Preis gewinnen. Die Aufklärung eines bislang ungelösten Mordes in einer Nervenheilanstalt soll ihm diesen ersehnten Preis nun bringen. Um in diese Heilanstalt zu gelangen, lässt er sich eine inzestuöse Beziehung zu seiner Schwester andichten, die eigentlich seine Ehefrau Cathy (Constance Towers) ist. Diese hat große Angst, dass Barretts geistige Gesundheit ernsthaften Schaden nimmt: Eine Angst, die ihr auch Barretts Helfer, sein Chefredakteur und ein Psychologe, nicht zu nehmen wissen. In der Klinik angekommen versucht Barrett sogleich seinen Mitgefangenen Informationen zu entlocken. Und dabei driftet er tatsächlich langsam aber sicher selbst in den Wahnsinn.

Es ist schon fast ein bisschen peinlich: Seitdem ich im Alter zwischen 8 und 10 Jahren Fullers WHITE DOG unter dem Titel DIE WEISSE BESTIE VON BEVERLY HILLS im Fernsehen gesehen habe, habe ich keinen Film des Männerfilm-Veteranen mehr gesehen. WHITE DOG hat mich damals ungemein beeindruckt – wohl auch, weil ich genau wusste, dass das eigentlich noch kein Film für mich war. SHOCK CORRIDOR ist ein seltsamer Film und es fällt mir ziemlich schwer, meine Gedanken und Eindrücke zu ordnen und in eine Struktur, in einen Text zu bringen. Woran liegt das? SHOCK CORRIDOR erzählt die Geschichte vom Abstieg eines gesunden Mannes in den Wahnsinn mit einer Selbstverständichkeit und Zwangsläufigkeit, die für das Sujet zunächst ungewöhnlich erscheint. Von Beginn an ist der Weg Barretts vorgezeichnet und mehr als die Frage, ob sich die Befürchtungen seiner Frau bewahrheiten, interessiert Fuller, wie sich dieser Abstieg vollzieht. Auch wenn SHOCK CORRIDOR im Gewand eines Thrillers daherkommt, viel mehr ist er ein Versuch, den Wahnsinn filmisch darzustellen, anstatt ihn zu ver-dramatisieren. So ist Fullers Film auch visuell ungemein aufregend und wagnisreich Film, arbeitet mit Spezialeffekten, die zu seiner Zeit alles andere als gängig waren. Natürlich ist SHOCK CORRIDOR auch ein Film über den Konflikt zwischen Männern und Frauen. Das kommt sehr schön in der Eröffnungsszene zur Geltung, in der Cathy mit ihren Sorgen und Ängsten ganz allein gegen drei Männer steht, die die Möglichkeit eines Scheiterns noch nicht einmal entfernt in Betracht ziehen. Hier prallen vollkommen konträre Weltanschauungen aufeinander: die emotional-empathische, weibliche Sicht auf der einen, die sachlich-mechanistische, männliche auf der anderen Seite. Der männliche Plan muss natürlich fehlschlagen, weil er die eigenen kognitiven Fähigkeiten gnadenlos überschätzt. Einer gesunden Außenperspektive beraubt, von der aus sich die Grenze zwischen Wahnisnn und Gesundheit überhaupt ziehen ließe, verliert Barrett sprichwörtlich die Orientierung, was sich auch in den Bildkompositionen von Stanley Cortez niederschlägt. Die Dimensionen der „street“, des langen Flurs, auf dem sich die Patienten der Anstalt tagsüber aufhalten, sind flexibel, variieren von einer Szene zur nächsten, und auch die Verortung der Figuren im Raum ist nicht immer klar. SHOCK CORRIDOR ist ein elaboriertes Beispiel für Zuschauerverunsicherung: Man ist sich dessen, was man sieht, sehr bewusst, fühlt sich stets in Sicherheit, bis man feststellt, dass man sich getäuscht hat. Dass Fuller dies gelingt, ohne auf clevere Plottwists und sonstige dramaturgische Winkelzüge zurückzugreifen, wie sie heute so beliebt sind, macht SHOCK CORRIDOR so rätselhaft. Aber auch so gut.

Kommentare
  1. […] ich nicht ein paar Tage zuvor Fullers SHOCK CORRIDOR gesehen, mir bliebe hier kaum mehr übrig, als darüber zu referieren, wie blöd dieser […]

  2. […] Widerling gezeichnet: Er lauert am Busbahnhof (im Kino nebenan läuft Fullers SHOCK CORRIDOR) ankommenden Frauen auf, um sie sogleich der Puffmutter Candy (Virginia Grey) zuzuführen, und […]

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