coup de torchon (betrand tavernier, frankreich 1981)

Veröffentlicht: Dezember 30, 2010 in Film
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Französisch-Westafrika im Jahre 1938: Lucien Cordier (Philippe Noiret) ist der Polizist des kleinen Örtchens Bourkassa, aber keine Respektsperson. Seine Frau Huguette (Stéphane Audran), die Bordellbesitzerin, betrügt ihn offen mit Nono (Eddy Mitchell), zwei Zuhälter, von denen Lucien Schmiergeld-zahlungen empfängt, nutzen diese Begegnungen, um ihn auf offener Straße zu demütigen, und seiner Arbeit nachzugehen, Menschen zu verhaften und tatsächlich einmal für „Ordnung“ zu sorgen, ist ihm viel zu lästig: Er faulenzt sich durch seinen Job, immer unter dem Vorsatz, nirgends anzuecken, bis ihm sein Vorgesetzter die Idee einpflanzt, es seinen Peinigern heimzuzahlen. Cordier ermordet die beiden Zuhälter kaltblütig und entdeckt, einmal auf den Geschmack gekommen, eine ganz neue Seite an sich  …

Betrand Tavernier adaptierte gemeinsam mit Jean Aurenche den US-amerikanischen Pulproman „Pop. 1780“ von Jim Thompson und verlegte dessen Geschichte aus den USA von 1910 in eine französische Kolonie kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und liefert einen bissigen Kommentar zu Kolonialismus und Rassismus, aber auch zu menschlicher Niedertracht ganz allgemein. Sein Held, vordergründig ein trauriger Clown, mit dem man Mitleid empfindet, entpuppt sich mit laufender Spielzeit immer mehr als gewissenloser Opportunist ohne jegliche Prinzipien. Er ist der klassische Mitläufer, der die großen Ideen, philosophischen und weltanschaulichen Thesen anderen überlässt, diese dafür aber ganz wörtlich nimmt und so jede Verantwortung von sich weisen kann. Kurz bevor er einen armen Schwarzen erschießt, als würde er ein benutztes Taschentuch wegwerfen, erklärt er diesem die Welt: „Wer ist Schlimmer? Der Blinde, der aus dem Fenster pinkelt, oder der Witzbold, der ihm gesagt hat, es sei ein Urinal?“ Cordier ist der Blinde in diesem Bild und so fühlt er sich bei jedem seiner skrupellosen Morde immer auf der sicheren Seite. Er hat die Regeln schließlich nicht gemacht. Aber er hält sich an jede von ihnen.

Was an Taverniers Film beeindruckt, das ist die völlige Abwesenheit einer  bevormundenden Stellungnahme oder auch nur einer klaren Perspektive. So wie es die Steadicam unmöglich macht, Position zum Geschehen zu beziehen, COUP DE TORCHON zwischen beschwingter Komödie, düsterem Drama und brutalem Crimefilm schwankt, wird man auch als Zuschauer einer emotionalen Wechseldusche unterzogen, bei der man nie genau weiß, was man von den Charakteren und ihren Handlungen halten soll. Nun ist es fast schon ein Klischee, Filmen zu unterstellen, sie verweigerten einfache Antworten: Doch meist ist im Gegenteil selbst bei solchen sehr klar, welche Haltung sie einnehmen (man denke etwa an Oliver Stones „bösen“  NATURAL BORN KILLERS, der im Übrigen von der Kameraarbeit von Taverniers Film durchaus beeinflusst scheint). Das ist bei COUP DE TORCHON tatsächlich anders: Gut und Böse, Richtig und Falsch sind hier keine fixen Größen mehr, sondern ständig in Bewegung. Seine Charaktere  sind keine bloßen Gesinnungsstellvertreter mehr, handeln eben nicht nach festen moralischen Grundsätzen, sondern gemäß ihres Charakters und der äußeren Umstände und sind somit immer zu beidem fähig. Und das spiegelt sich eben auch im Blick des Films wider.

COUP DE TORCHON wurde von einem zeitgenössischen Kritker laut Tavernier einmal in völliger Übertreibung – aber trotzdem gar nicht mal so unzutreffend – als (sinngemäß) „größte Beleidigung der weißen Rasse“ bezeichnet. Die Menschen kommen wirklich nicht gut weg, trotzdem bleibt der Film immer ambivalent und nimmt niemals den bitteren Zynismus so vieler anderer filmischer Abrechnungen an. COUP DE TORCHON schreit förmlich nach Mehrfachsichtungen – und Taverniers letzter, IN THE ELECTRIC MIST, erscheint im direkten Vergleich gleich nochmal so enttäuschend.

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