il portiere di notte (liliana cavani, italien 1974)

Veröffentlicht: Mai 19, 2012 in Film
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Wien, 1957: Der ehemalige Nazi Maximilian Theo Aldorfer (Dirk Bogarde) ist untergetaucht, arbeitet im „Hotel zur Oper“ als Nachtportier, weil er sich „im Tageslicht schämt“. Er steht immer noch in Kontakt zu ein paar alten Gesinnungsgenossen und gemeinsam versuchen sie, die Spuren ihres alten Lebens zu verwischen und neu anzufangen. Der Erfolg ihres Vorhabens gerät in Gefahr, als Lucia Atherton (Charlotte Rampling) im Hotel einkehrt: Als junges Mädchen war sie Maximilian, der für die Nazis medizinische Experimente durchführte, als Gefangene begegnet und in seinen Bann geraten. Die sadomasochistische Beziehung zwischen den beiden, die durch das Ende des Krieges jäh unterbunden worden war, blüht neu auf. Doch Maximilians alten Genossen, die befürchten, dass ihre Identität aufgedeckt werden könnte, ist das zweifelhafte Liebesglück ein Dorn im Auge …

Liliana Cavanis Film bildet gemeinsam mit Luchino Viscontis LA CADUTA DEGLI DEI und Pasolinis SALÒ E LO 120 GIORNATE DI SODOMA die künstlerisch-intellektuelle Speerspitze einer Bewegung, die den Nationalsozialismus – dessen Vertreter in den Sechziger- und Siebzigerjahren keineswegs vollständig verschwunden waren – nicht zuletzt als Ausdruck einer gestörten Sexualität interpretierte. Ihr bleiches, deprimierendes, tieftrauriges Porträt einer fehlgeleiteten Liebe, wurde – wie Pasolinis ein Jahr später entstandener Film – bei Erscheinen kontrovers diskutiert und für seine Darstellungen als geschmacklos verurteilt: Niemand konnte ahnen, dass erst die Vertreter der Naziploitation, die sich an den Erfolg der genannten Filme anhängten, das sensationalistische Potenzial der Nationalsozialismus-Thematik ohne Rücksicht auf Verluste ausschlachten würden.

Mit knapp 40 Jahren Abstand, in denen IL PORTIERE DI NOTTE zu einem Klassiker des so genannten transgressiven Kinos reifen konnte, relativieren sich die einstigen Empörungsrufe. Die verstörende Wirkung, die Cavanis Film einst auf ein Publikum ausübte, das den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg zum Teil noch miterlebt hatte und diese Zeit nur vergessen wollte, tritt für den heutigen Betrachter – ich habe diesen Film jetzt zum ersten Mal gesehen – durch die elegante, fast musikalische Inszenierung und die schwermütig-tragische Stimmung in den Hintergrund. Vielleicht war aber auch gerade das der Stein des Anstoßes: Maximilian ist nicht etwa der pathologische Menschenquäler, sondern im Gegenteil ein sensibler Mann, dessen Obsessionen ihm selbst das größte Rätsel sind. Und sein Opfer ist nicht bloß Opfer: Ihre Liasion lässt sich nicht einfach nur auf beschädigte Psychen schieben: Beide ergänzen sich in ihren Bedürfnissen und die Machtverhältnisse sind längst nicht in Stein gemeißelt, sondern schlagen mal zugunsten der einen, mal zugunsten der anderen aus. Für beide erweisen sich die Ereignisse jener vergangenen Zeit als so einschneidend, dass ihnen der Neuanfang schlicht unmöglich ist: Sie sind Gefangene der Vergangenheit, ihrer eigenen Biografie. Sie stehen sich selbst im Weg.

Im Marlene-Dietrich-Schlager „Wenn ich mir was wünschen dürfte“, den Lucia in der ikonischen Szene des Films im Nazi-Fetisch-Outfit singt, kommt diese Disposition deutlich zum Vorschein:

„Man hat uns nicht gefragt, als wir noch kein Gesicht
Ob wir leben wollten oder lieber nicht
Jetzt gehe ich allein, durch eine große Stadt,
Und ich weiß nicht, ob sie mich lieb hat
Ich schaue in die Stuben durch Tür und Fensterglas,
und ich warte und ich warte auf etwas

Wenn ich mir was wünschen dürfte
Käm ich in Verlegenheit,
Was ich mir denn wünschen sollte,
Eine schlimme oder gute Zeit

Wenn ich mir was wünschen dürfte
Möchte ich etwas glücklich sein
Denn wenn ich gar zu glücklich wär‘
Hätt‘ ich Heimweh nach dem Traurigsein […]“

Nicht nur, dass sie und Max wie ziellose Schlafwandler durch die Realität irren, ohne sich zu dieser zugehörig zu fühlen, das Wesen des Glücks ist für beide diffus geworden. Sie sind zum Glück nur noch in der Lage, wenn es mit Schmerzen verbunden ist, die sie in jene Zeit zurückbringen. Dass sie sich zum Schluss in Maximilians spärlich eingerichtetem Apartment einschließen, ist zwar in erster Linie der Belagerung durch Max‘ Nazi-Freunde geschuldet, noch mehr aber Ausdruck der mit Zunahme ihrer Gefühle wachsenden Entfremdung von der Welt, die sie umgibt. Es ist die Emigration ins INnere, die sie vollziehen. Insofern ist IL PORTIERE DI NOTTE weitaus mehr als „nur“ ein Film über den Nationalsozialismus und seine privaten psychischen Folgen. Es ist ein Film über Menschen, die den Kontakt zur Welt und ihrem eigenen Menschsein verlieren. Das Gefühl, das Cavanis Film weit mehr als jedes andere prägt, ist Trauer und Empathie mit diesen verlorenen Seelen. Für Max‘ Nazifreunde, die nichts mehr fürchten als ihre Enttarnung, setzen die alten Reflexe wieder ein, sobald jemand „Sieg Heil!“ ruft – dann reagieren sie wie der Pawlowsche Hund, auch wenn sie sich selbst als „therapiert“ bezeichnen. Maximilian ist ihnen insofern voraus, weil er weiß, dass er sich nichts vormachen kann: Er ist immer noch derselbe, nur die Welt um ihn herum hat sich verändert.

Dirk Bogarde interpretiert seinen Maximilian als distinguierten, effiminierten Aristokraten: Die Herrenmenschenideologie ist zu einem unscharfen Snobismus degeneriert, gleichzeitig ist er innerlich von Selbstzweifeln, Scham und Unsicherheit zerfressen. Nur in seinen leisen Triumphen ahnt man noch, wozu er einst fähig gewesen sein mag: Der verächtliche Blick, mit dem er den Pawlowschen Hitlergruß seiner Kameraden quittiert, verrät den entschlossenen, intelligenten Mann hinter des Maske des braven Hoteldieners. Charlotte Rampling ergänzt den Romantiker Maximilian mit einer Mischung aus kindlicher Unschuld und katzenhafter Aggression. Es ist nachvollziehbar, warum Maximilian ihr verfallen und was sie als Kind an diesem Mann finden konnte, der sie mit heiligem Ernst untersuchte wie eine fremde Göttin. Aber so exzentrisch beide in ihrer Lust auch sind, sie bleiben Opfer: Gebannt von den blassen Farben, die sich einem Leichentuch gleich über die Bilder legen. Wenn Maximilian und Lucia am Ende tot auf den regennassen Gehsteig fallen, ist mit ihnen nur ein Symptom ausgeschaltet. Die Krankheit würde Europa noch eine Weile länger beschäftigen.

Über meine nächste Station bin ich noch unentschlossen: Entweder, ich lege noch Viscontis LA CADUTA DEGLI DEI nach, oder ich begebe mich schnurstracks zur nächsten Station: Lettland. Lasst euch überraschen!

Apropos: Wie meine Leser gemerkt haben dürften, ist der Filmflow hier derzeit etwas ins Stocken geraten. Das ist sowohl einer gewissen temporären Unlust als auch der Tatsache geschuldet, dass ich meine filmische Weltreise nicht einfach nur abreißen möchte, sondern jedem Film mit einem Mindestmaß an Aufmerksamkeit gegenübertreten will, das an manchen Abenden einfach nicht gewährleistet ist. Die Weltreise geht also definitiv weiter, wenn auch etwas gemächlicher als zunächst geplant. Wenn’s euch nicht stört …

Kommentare
  1. […] für ein unglaublich guter, spannungsreicher film. wie schon von meinem mann aufschlussreich erörtert, wirft er einen unverhohlenen blick auf den zusammenhang zwischen dem dritten reich und repressiver […]

  2. […] Il portiere di notte (I 1974) [Der Nachtportier, Regie: Liliana […]

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