Mit ‘Philippe Leroy’ getaggte Beiträge

Der im vergangenen Oktober verstorbene Umberto Lenzi hatte sich in seiner drei Jahrzehnte umfassenden Regielaufbahn in nahezu allen populären Genres versucht, vom Abenteuer- und Kostümfilm über den Italowestern und den Giallo bis hin zum Horror- und Kriegsfilm. Ich glaube, mich nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen zu müssen, wenn ich behaupte, dass er seine besten Leistungen im Poliziottesco, jener spezifisch italienischen Spielart des Copthrillers, einer überdrehten Fortführung des cinema di dinuncia. MILANO ODIA: LA POLIZIA NON PUÓ SPARARE, ROMA A MANO ARMATA, NAPOLI VIOLENTA, IL CINICO, L’INFAME, IL VIOLENTO und LA BANDA DEL GOBBO sind Meisterwerke der Form, die da oben an der Spitze nicht allzu viel Konkurrenz haben. Den Startschuss für Lenzis Aktivitäten in diesem Bereich, die 1979 mit DA CORLEONE A BROOKLYN ein Ende fanden, bildete der 1973 entstandene MILANO ROVENTA, der noch sehr stark dem Gangster- und Mafiafilm verpflichtet ist.

Antonio Sabato spielt den aus Sizilien nach Mailand emigrierten Toto Cangemi: Gemeinsam mit seinem brüderlichen Freund Lino (Antonio Casagrande) hat er sich mit miesen Jobs durchgeschlagen, bis die gemeinsame Freundin mit einer schnellen Nummer das große Geld nach Hause und Toto so auf einer Idee brachte. In der Gegenwart des Films firmiert Toto tagsüber als ehrenwerter Geschäftsmann, der Obst und Gemüse aus Sizilien importiert, und nachts die Pferdchen zum Galoppieren bringt. Dem einträglichen Geschäft droht aber plötzlich Gefahr: Der Franzose Roger Daverty (Philippe Leroy) bringt den Drogenhandel in die norditalienische Metropole und er will, dass Totos Mädchen dabei helfen, den Stoff unters Volk zu bringen. Ein Machtkampf der beiden Banden bricht los …

MILANO ROVENTE zeigt bereits das Geschick für urbane, zupackende Stoffe, das Lenzi in den Folgejahren zur Genüge unter Beweis stellen sollte, krankt aber etwas am wenig überraschenden, episodischen Verlauf seiner Geschichte und der wenig inspirierten Besetzung: Der schöne Antonio Sabato ist eine Nummer zu gesichtslos, um echtes Interesse zu evozieren, zu glatt für von Herzen kommende Sympathie, Philippe Leroy zu souverän und unterkühlt, um als gleichwertiger Gegenpart punkten zu können. Die beiden scheinen in gänzlich entgegengesetzten Welten zu agieren. Ein anderes Kaliber ist da schon Allessandro Sperlis Gangsteronkel Billy Barone, der mit der Empfehlung einer Unterweltlaufbahn in Chicago nach Mailand kommt, um Toto zu helfen: Seine Szenen sind toll, allein wie er Zigarre raucht, ist schon den Eintritt wert, aber letztlich ist er auch nur eines von vielen Elementen, die ins Rennen geworfen werden, aber in der allgemeinen Hektik keine echte Wirkung entfalten. Es ist immer was los in Lenzis Film, Langeweile kommt keine auf, Dekore, Musik und Lokalkolorit sind einmalig (besonders schön sind die vielen Szenen mit sich an brennenden Mülltonnen wärmenden puttanas) und Freunde des Genres werden die Sichtung gewiss nicht bereuen, aber für das ganz, ganz große Glück fehlen die unvergesslichen Momente, der Irrsinn, der krasse Tabubruch, diese eine perfekte Szene, die alles um sie herum zum Glühen bringt. Aber wie gesagt: Lenzi war bei MILANO ROVENTE erst am Anfang, es kamen noch etliche solcher Momente, unzählige solcher Szenen. Wenn es diesen „nur“ guten Film brauchte, um dahinzukommen, ist alles gut.

come_quando_perch_philippe_leroy_antonio_pietrangeli_001_jpg_evtaDas Liebesleben der Reichen und Schönen übt auf Künstler wie Rezipienten und Publikum vermutlich seit der Neuzeit einen immensen Reiz aus. In Shakespeares Dramen metzelten sich ganze Herrscherfamilien von der Lust entflammt und Macht berauscht dahin, im Zuge der sexuellen Revolution der 1960er-Jahre wurde Liebeskummer meist weniger drastisch kuriert, zog eher seelische Schäden nach sich, und statt Rang und Macht fungierte die Aussicht auf materielle Affluenz als kompromittierendes Element. Die Opfer sehen sich hin- und hergerissen zwischen den Möglichkeiten, die das Fallen sexueller Tabus mit sich bringen, den noch nicht ganz überkommenen bürgerlichen Werten, mit denen sie sozialisiert wurden, dem romantischen Wunsch nach der echten, der wahren Liebe auf der einen, finanzieller Unabhängigkeit und nahezu unbegrenzter Wunscherfüllung auf der anderen Seite. Auf den Hofbauer-Kongressen haben Filme um wohlhabende Großbürger, dekadente Neureiche, ehrgeizige Emporkömmlinge und die komplizierten Beziehungen, die sie miteinander unterhalten, ihren festen Platz. Im letztjährigen Januar-Kongress geriet etwa die junge, schöne Jane Fonda in Roger Vadims LA CURÈE zwischen die Fronten ihres wohlhabenden, aber langweiligen Ehemanns und seines wilden und abenteuerlustigen Sohnes, nur um am Ende mit leeren Händen dazustehen. In Antonio Pietrangelis letztem, nach seinem Tod von Valerio Zurlinis vollendetem Film COME, QUANDO, PERCHÉ geraten das Ehe- und Liebesleben sowie die Wertvorstellungen der schönen Paola (Daniéle Gaubert) ins Wanken, als der freigeistige Alberto (Horst Buchholz), alter Freund ihres liebevollen, aber auch etwas asketischen Gatten Marco (Philippe Leroy), ihr seine Liebe gesteht und mit seiner Art ihr Herz erobert.

Festivalbesucher und Film-Vielseher werden das Phänomen kennen, wenn sich zwischen eigentlich vollkommen unterschiedlichen Filmen erstaunliche, teilweise bis in kleinste Details reichende Parallelen auftun. Auf diesem Hofbauer-Kongress etwa spielten in vielen Szenen Wecker eine große Rolle, wurden gleich mehrfach der „Kinsey-Report“ gepriesen und viele Bananen gegessen. Und Buchholz‘ Angelo erinnerte mich mit seiner provokanten Art, in die eheliche Harmonie einzudringen und die konservativen Wertvorstellungen von Paola und Marco zu hinterfragen, wie ein reiferer, weniger soziopathischer Seelenverwandter von Per, der in Thomsens GIFT eine bürgerliche Familie auf den Prüfstand stellt, um die schöne Tochter dem Zugriff der Eltern zu entreißen. Dennoch sind beide Filme grundverschieden. COME, QUANDO, PERCHÉ ist, anders als GIFT, kein ausgesprochen politischer Film. Ihm fehlen der gallige Humor und dieser unterschwellige Zorn, er will kein explizites Statement über den Zustand der Gesellschaft machen, sondern ist allein an seinen Charakteren interessiert. Am Ende des Films steht eine durchaus überraschende Entscheidung Paolas, die auch deshalb so vor den Kopf stößt, weil sie keine Verallgemeinerung sucht, keinem anderen erzählerischen Zweck unterworfen ist, als dem, uns diese eine Frau näherzubringen. Ihre Wahl scheint auf den ersten flüchtigen Blick konservative Werte zu bestärken, doch das Gegenteil ist der Fall. Sie entscheidet sich nicht gegen die Magie, den Impuls, die Lust, die ihr Alberto beschert, und für die langweilige Sicherheit mit Marco, sondern gerade für dieses irrationale Gefühl, das sie mit ihrem Gatten verbindet, das sie einst an ihn band, und das sie bis heute nicht erklären kann. Es gibt kein bezifferbares Argument für Marco. Und gerade deshalb ist er der Richtige.

Unmittelbar nach der Sichtung konnte ich über COME, QUANDO, PERCHÉ – das recht allgemeine, vieldeutige „Wie, wann, warum“ des Originaltitels wurde für die deutsche Version zum „wo, wann, mit wem“ vereindeutigt und somit abgeflacht – kaum mehr sagen, als dass er „schön“ ist. Turin und das sonnendurchflutete Sardinien bilden attraktive Kulissen für die attraktiven Darsteller, Armando Trovaioli sicherte sich für seinen Score die engelsgleiche Stimme von Edda Dell’Orso, deren wortlose Harmonien geradwegs ins Herz zielen, Settings und Ausstattung sind mondän und edel, und aus den Dialogen sprechen Weisheit und Poesie, anstatt bloß Exposition zu liefern. Die Handlung ist indes nicht wirklich neu: Filme um Dreiecksbeziehungen und vom Freund des Ehemanns verführte Gattinnen gibt es zuhauf und die meisten spielen sich so ähnlich ab wie COME, QUANDO, PERCHÈ. Aber da ist eben dieses Ende, das einem wie Schuppen von den Augen fallen lässt, dass es wahrscheinlich so viele Vorstellungen und Definitionen von Liebe und Eheglück wie Menschen gibt und dass die Ratio auf diesem Gebiet ein nur bedingt tauglicher Wegweiser ist. Oder eher: In der Liebe kann es gerade vernünftig sein, das unvernünftig Scheinende zu tun. Was für Alberto richtig ist, muss es für Paola noch lange nicht sein. Und Sex ist tatsächlich auch nicht alles, man mag es kaum glauben.

Malaysia in der Mitte des 19. Jahrhunderts: Der adlige Sandokan (Kabir Bedi) verdingt sich nach der Ermordung seiner Familie durch den britischen Kolonialherren James Brooke (Adolfo Celi) als Pirat und Freiheitskämpfer. Der portugiesische Seefahrer Yanes de Gomera (Philippe Leroy) steht dem Volkshelden mit Rat und Tat zur Seite, der immer größeren Zorn der Besatzer auf sich zieht. Nachdem er auf hoher See in einen Hinterhalt gelockt wird und über Bord geht, landet er schließlich in der Obhut des Briten Lord Guillonk (Hans Caninenberg), dem Onkel der entzückenden Marianna (Carole André), der keine Ahnung hat, wer ihm da in die Hände geraten ist. Marianna verliebt sich in den Piraten und flieht mit ihm auf dessen Insel Mompracem. Mit der Hilfe des verzweifelten Guillonk plant Brooke den entscheidenden Schlag gegen den Rebellen …

Unter dem Titel SANDOKAN – DER TIGER VON MALAYSIA lief Sergio Sollimas Miniserie – sechs Episoden à 60 Minuten – mit großem Erfolg im deutschen Fernsehen und bescherte dem indischen Hauptdarsteller Kabir Bedi unter anderem den goldenen Bravo-Otto als beliebtester Fernsehschauspieler. Wie sehr sich die Welt doch in den vergangenen 40 Jahren verändert hat: Das Format der Miniserie ist heute genauso gestorben wie das Genre des bunten Abenteuerfilms, und dass ein feuriger Südostasiate mit wallender Mähne und leidenschaftlich geschwungenen Lippen die Zuneigung der deutschen Teenager gewinnt, scheint kaum noch denkbar. SANDOKAN ist insofern reichlich „dated“: Die dialoglastige Dramaturgie wirkt teilweise ebenso steif wie die abgebildete feine britische Gesellschaft, jeglicher Humor, der den überbordenden Exotismus und Romantizismus, den der Titelheld bedient, abfedern würde, ist abwesend, die schwülstige Love Story kommt ohne jeden Sex aus, und die Action hebt sich Sollima für die letzte Episode auf. Den Gigantismus, den man aus späteren, US-amerikanischen Miniserien wie NORTH AND SOUTH kennt, sucht man außerdem vergebens. Zwar dürfte SANDOKAN ein ordentliches Budget gehabt haben, doch nicht zuletzt durch die überschaubare Zahl der handelnden Figuren entsteht eher der Eindruck eines entgrenzten Kammerspiels denn der eines ausufernden Epos. Auch die psychologische Ausgefeiltheit und Kompexität, die man etwa an heutigen Fernsehserien zu schätzen weiß, strebt SANDOKAN nicht an, füllt seine Spielzeit stattdessen mit einer Vielzahl bunter Geschichten, deren Ablauf jedoch meist vorhersehbar ist.

Das ist es dann aber auch, was ich an SANDOKAN auch heute noch so überaus sympathisch finde: Die Serie trägt keine überkandidelten Ansprüche vor sich her, zielt weder auf historische Genauigkeit ab noch auf das mittlerweile selbst zum Klischee gewordene „Spiel mit den Erwartungen“. Sollima geht stattdessen mit verblüffender Ehrlichkeit zu Werke und liefert 6 Stunden pulpig-bunten Eskapismus, dessen ernsteren Untertöne – Toleranz und Respekt gegenüber „fremden“ Kulturen, Kritik am Kolonialismus und die Propagierung eines „einfachen“ Lebens – die nackte Freude an der weitestgehend unschuldigen Räuberpistole niemals überdecken. Im Grunde genommen war SANDOKAN schon in den Siebzigerjahren – dem Jahrzehnt des Vietnamkriegs, an den man sich damals vielleicht noch stärker erinnert fühlen musste – ein Anachronismus, eine Erinnerung an Zeiten, in denen Gut und Böse noch klar voneinander geschieden waren, Jungs von einem Leben an Bord eines Piratenschiffes und Mädchen von einem Tiger in Menschengestalt träumten.

 

les_filles_sement_le_ventIn einer versengten Einöde Südfrankreichs placken sich einige Erntehelfer für den Unternehmer Buonacasa (Saro Urzi) ab: Armand (Philippe Leroy) einer der Fahrer ist trotz eines überholungsreifen LKWs einem unerbittlichen Zeitplan ausgesetzt, die in schäbigen Baracken untergebrachten Packerinnen werden ebenfalls gnadenlos ausgebeutet. Es kommt zum Streik der an die Grenzen ihrer Geduld und Belastbarkeit getriebenen Arbeiter, um einen gerechten Stundenlohn zu erzielen. Wenig später wird die hübsche Josine (Françoise Saint-Laurent) im Lager vergewaltigt, als sich der Rest der Schar zur Vergnügung in der nächsten Stadt aufhält. Die eh schon aufgeheizte Stimmung steigert sich bis zum Siedepunkt …

Schöne, stolze oder verzweifelte Frauen, kernige Typen, große, jede Vernunft übermannende Gefühle, eine Landschaft, die in ihrer sonnenverbrannten Rauheit die bloßgelegten Nerven der Charaktere und ihre Persepktivlosigkeit widerspiegelt, Schwarzweißbilder voller brennender Leidenschaft und ein Score, der einem abwechselnd drückende Schwüle und dann wieder eine kühlende Brise ins Gesicht haucht: Das ist LES FILLES SÉMENT LE VENT, ein Arbeiterdrama, dessen vom Neorealismus beeinflusste Grundlage durch großzügige melodramatisch-pulpige Elemente gehörig aufgeweicht wird, ohne dass seine Wurzeln dabei jedoch ganz gekappt würden. Das Herz schlägt ihm auf dem rechten Fleck, auch wenn es ihm weniger um eine realistische oder gar sachliche Zeichnung prekärer Arbeitsverhältnisse geht. Man darf also keine reflektierte oder differenzierte Darstellung des Erntehelfer-Lebens erwarten, alles ist überlebensgroß und ein Dasein zwischen den Extremen gar nicht mehr möglich. Moderation, Distanz und Objektivität sind dem Film gänzlich fremd, er bewegt sich immer auf Messers Schneide, dies jedoch mit größtmöglicher Gelassenheit. Mit jeder Faser des Körpers und brennender Leidenschaft wird sowohl gehasst wie geliebt und es ist nur konsequent, dass den Schurken am Schluss ein loderndes Flammenmeer das Leben kostet. LES FILLES SÉMENT LE VENT (deutscher Titel: ERNTE DER SÜNDIGEN MÄDCHEN) ist ein Film, der in dieser Radikalität zu gleißender poetischer Klarheit kommt, ohne Raum für Interpretation oder Ambivalenz, ohne jeden Kompromiss. Als gesellschaftspolitisches Manifest, als authentische Abbildung der Arbeiterrealität taugt er nicht, vielmehr strebt er die Austreibung der ausbeuterischen Dämonen und die damit einhergehende Katharsis durch ungebremste Dramatisierung und Überhöhung an. Louis Soulanes Film will vor allem erlebt und erfühlt werden. Das fiel zumindest mir enorm leicht: Das gleichermaßen zärtliche wie unerbittliche Schwarzweiß legt einen Schleier der Entrückung über alles, verortet das Geschehen in einem ewigen Sommer der Ideen. Im brennenden Sommerwind flatternde Rockschöße und Haare, offenliegende, schweißglänzende Dekolletés, trotzig sich dem Leid entgegenstemmende oder devot vor ihm zerfließende Seelen, mit dem Mute der Verzweiflung gefeierte Feste summieren sich zu einem emotionalen Panorama, dem ich hoffnungslos erlegen war.

Wien, 1957: Der ehemalige Nazi Maximilian Theo Aldorfer (Dirk Bogarde) ist untergetaucht, arbeitet im „Hotel zur Oper“ als Nachtportier, weil er sich „im Tageslicht schämt“. Er steht immer noch in Kontakt zu ein paar alten Gesinnungsgenossen und gemeinsam versuchen sie, die Spuren ihres alten Lebens zu verwischen und neu anzufangen. Der Erfolg ihres Vorhabens gerät in Gefahr, als Lucia Atherton (Charlotte Rampling) im Hotel einkehrt: Als junges Mädchen war sie Maximilian, der für die Nazis medizinische Experimente durchführte, als Gefangene begegnet und in seinen Bann geraten. Die sadomasochistische Beziehung zwischen den beiden, die durch das Ende des Krieges jäh unterbunden worden war, blüht neu auf. Doch Maximilians alten Genossen, die befürchten, dass ihre Identität aufgedeckt werden könnte, ist das zweifelhafte Liebesglück ein Dorn im Auge …

Liliana Cavanis Film bildet gemeinsam mit Luchino Viscontis LA CADUTA DEGLI DEI und Pasolinis SALÒ E LO 120 GIORNATE DI SODOMA die künstlerisch-intellektuelle Speerspitze einer Bewegung, die den Nationalsozialismus – dessen Vertreter in den Sechziger- und Siebzigerjahren keineswegs vollständig verschwunden waren – nicht zuletzt als Ausdruck einer gestörten Sexualität interpretierte. Ihr bleiches, deprimierendes, tieftrauriges Porträt einer fehlgeleiteten Liebe, wurde – wie Pasolinis ein Jahr später entstandener Film – bei Erscheinen kontrovers diskutiert und für seine Darstellungen als geschmacklos verurteilt: Niemand konnte ahnen, dass erst die Vertreter der Naziploitation, die sich an den Erfolg der genannten Filme anhängten, das sensationalistische Potenzial der Nationalsozialismus-Thematik ohne Rücksicht auf Verluste ausschlachten würden.

Mit knapp 40 Jahren Abstand, in denen IL PORTIERE DI NOTTE zu einem Klassiker des so genannten transgressiven Kinos reifen konnte, relativieren sich die einstigen Empörungsrufe. Die verstörende Wirkung, die Cavanis Film einst auf ein Publikum ausübte, das den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg zum Teil noch miterlebt hatte und diese Zeit nur vergessen wollte, tritt für den heutigen Betrachter – ich habe diesen Film jetzt zum ersten Mal gesehen – durch die elegante, fast musikalische Inszenierung und die schwermütig-tragische Stimmung in den Hintergrund. Vielleicht war aber auch gerade das der Stein des Anstoßes: Maximilian ist nicht etwa der pathologische Menschenquäler, sondern im Gegenteil ein sensibler Mann, dessen Obsessionen ihm selbst das größte Rätsel sind. Und sein Opfer ist nicht bloß Opfer: Ihre Liasion lässt sich nicht einfach nur auf beschädigte Psychen schieben: Beide ergänzen sich in ihren Bedürfnissen und die Machtverhältnisse sind längst nicht in Stein gemeißelt, sondern schlagen mal zugunsten der einen, mal zugunsten der anderen aus. Für beide erweisen sich die Ereignisse jener vergangenen Zeit als so einschneidend, dass ihnen der Neuanfang schlicht unmöglich ist: Sie sind Gefangene der Vergangenheit, ihrer eigenen Biografie. Sie stehen sich selbst im Weg.

Im Marlene-Dietrich-Schlager „Wenn ich mir was wünschen dürfte“, den Lucia in der ikonischen Szene des Films im Nazi-Fetisch-Outfit singt, kommt diese Disposition deutlich zum Vorschein:

„Man hat uns nicht gefragt, als wir noch kein Gesicht
Ob wir leben wollten oder lieber nicht
Jetzt gehe ich allein, durch eine große Stadt,
Und ich weiß nicht, ob sie mich lieb hat
Ich schaue in die Stuben durch Tür und Fensterglas,
und ich warte und ich warte auf etwas

Wenn ich mir was wünschen dürfte
Käm ich in Verlegenheit,
Was ich mir denn wünschen sollte,
Eine schlimme oder gute Zeit

Wenn ich mir was wünschen dürfte
Möchte ich etwas glücklich sein
Denn wenn ich gar zu glücklich wär‘
Hätt‘ ich Heimweh nach dem Traurigsein […]“

Nicht nur, dass sie und Max wie ziellose Schlafwandler durch die Realität irren, ohne sich zu dieser zugehörig zu fühlen, das Wesen des Glücks ist für beide diffus geworden. Sie sind zum Glück nur noch in der Lage, wenn es mit Schmerzen verbunden ist, die sie in jene Zeit zurückbringen. Dass sie sich zum Schluss in Maximilians spärlich eingerichtetem Apartment einschließen, ist zwar in erster Linie der Belagerung durch Max‘ Nazi-Freunde geschuldet, noch mehr aber Ausdruck der mit Zunahme ihrer Gefühle wachsenden Entfremdung von der Welt, die sie umgibt. Es ist die Emigration ins INnere, die sie vollziehen. Insofern ist IL PORTIERE DI NOTTE weitaus mehr als „nur“ ein Film über den Nationalsozialismus und seine privaten psychischen Folgen. Es ist ein Film über Menschen, die den Kontakt zur Welt und ihrem eigenen Menschsein verlieren. Das Gefühl, das Cavanis Film weit mehr als jedes andere prägt, ist Trauer und Empathie mit diesen verlorenen Seelen. Für Max‘ Nazifreunde, die nichts mehr fürchten als ihre Enttarnung, setzen die alten Reflexe wieder ein, sobald jemand „Sieg Heil!“ ruft – dann reagieren sie wie der Pawlowsche Hund, auch wenn sie sich selbst als „therapiert“ bezeichnen. Maximilian ist ihnen insofern voraus, weil er weiß, dass er sich nichts vormachen kann: Er ist immer noch derselbe, nur die Welt um ihn herum hat sich verändert.

Dirk Bogarde interpretiert seinen Maximilian als distinguierten, effiminierten Aristokraten: Die Herrenmenschenideologie ist zu einem unscharfen Snobismus degeneriert, gleichzeitig ist er innerlich von Selbstzweifeln, Scham und Unsicherheit zerfressen. Nur in seinen leisen Triumphen ahnt man noch, wozu er einst fähig gewesen sein mag: Der verächtliche Blick, mit dem er den Pawlowschen Hitlergruß seiner Kameraden quittiert, verrät den entschlossenen, intelligenten Mann hinter des Maske des braven Hoteldieners. Charlotte Rampling ergänzt den Romantiker Maximilian mit einer Mischung aus kindlicher Unschuld und katzenhafter Aggression. Es ist nachvollziehbar, warum Maximilian ihr verfallen und was sie als Kind an diesem Mann finden konnte, der sie mit heiligem Ernst untersuchte wie eine fremde Göttin. Aber so exzentrisch beide in ihrer Lust auch sind, sie bleiben Opfer: Gebannt von den blassen Farben, die sich einem Leichentuch gleich über die Bilder legen. Wenn Maximilian und Lucia am Ende tot auf den regennassen Gehsteig fallen, ist mit ihnen nur ein Symptom ausgeschaltet. Die Krankheit würde Europa noch eine Weile länger beschäftigen.

Über meine nächste Station bin ich noch unentschlossen: Entweder, ich lege noch Viscontis LA CADUTA DEGLI DEI nach, oder ich begebe mich schnurstracks zur nächsten Station: Lettland. Lasst euch überraschen!

Apropos: Wie meine Leser gemerkt haben dürften, ist der Filmflow hier derzeit etwas ins Stocken geraten. Das ist sowohl einer gewissen temporären Unlust als auch der Tatsache geschuldet, dass ich meine filmische Weltreise nicht einfach nur abreißen möchte, sondern jedem Film mit einem Mindestmaß an Aufmerksamkeit gegenübertreten will, das an manchen Abenden einfach nicht gewährleistet ist. Die Weltreise geht also definitiv weiter, wenn auch etwas gemächlicher als zunächst geplant. Wenn’s euch nicht stört …

Eigentlich will Maria (Dagmar Lassander) beim begüterten Philantropen Dr. Sayer (Philippe Leroy) nur Textmaterial für ihren Artikel zur Zwangssterilisation von Männern zur Lösung des Bevölkerungsproblems ausleihen, doch der hat andere Pläne für die attraktive und noch dazu selbstständige Frau: Er ist in Wahrheit nämlich ein sadistisch veranlagter Lustmolch mit Unterwerfungsfetisch und so wird Maria von ihm gefangen genommen, gedemütigt, erniedrigt, schließlich auch körperlich gequält. Als Maria erkennt, dass sie auf die Gnade des Mannes nicht zu hoffen braucht, schmiedet sie ihrerseits einen Plan. Das Blatt wendet sich …

Ein Film, der mit einer Einstellung beginnt, die mehrere Karrieremänner zeigt, die wortlos durch die Vagina Dentata in den gigantischen Unterleib jener berühmten Nana-Skulptur von Niki de Saint-Phalle blicken, gibt unmissverständlich seine thematische wie formale Marschroute preis. Es spricht Bände, dass Schivazappas Film dem Zuschauer trotzdem immer einen Schritt voraus ist. FEMINA RIDENS ist ein Pop-Art-Traum der Swingin‘ Sixties, allerdings weniger an drogeninduzierter Schönfärberei und enthemmter Euphorie interessiert, als vielmehr daran, die den Ideen von freier Liebe entgegenstehenden und immer noch mächtigen reaktionären Tendenzen zu enthüllen. Doch er setzt dabei nicht auf Schock und Ekel, sondern auf eine schwer zu beschreibende Mischung aus unterkühlter Distanziertheit und  erotischem Tease. Tatsächlich findet Schivazappa mit seiner Inszenierung eine treffende filmische Umsetzung für die erotischen Spiele der Betörung, Täuschung und Verführung. Er lockt den Zuschauer, lullt ihn ein und schrekct ihn dann aus seiner Träumerei auf. Und das gleiche Spiel spielen Sayer und Maria. Aber wer ist der Regisseur?

Dr. Sayer hält aller nach außen getragener Menschenliebe zum Trotz rein gar nichts von der von Gleichberechtigung und interpretiert Sex nicht als Akt der Liebe und Einheit, sondern als reine Machtdemonstration. Seine Philosophie von der sexuellen Dominanz des Mannes, der sich die Frauen kraft seines allmächtigen Phallus zu Untertan machen soll, weil das die ihnen von Natur aus zukommende Rolle ist, hat deutlich nietzscheanischen Einschlag und vermengt sich mit Ideen von Transzendenz sowie der Ästhetisierung von Auflösung und Leid, die im Kern körperfeindlich ist. Es geht ihm bei der Unterwerfung Marias jedoch weniger um den Schmerz der Frau, die Zerstörung ihres Körpers, sondern eher um die Brechung ihrer Identität. Er will, dass sie nur noch Körper ist, Werkzeug, dem Mann zu dienen. Es ist nur ein weiterer Aspekt seines Wahnsinns, dass er diesen „Idealzustand“ als gottgegeben ansieht und nicht bemerkt, als sich das Kräfteverhältnis umkehrt. Was er als das zwangsläufige und unvermeidbare Resultat seiner unwiderstehlichen männlichen Anziehungskraft auf die Frauen betrachtet, ist in Wahrheit genau das Gegenteil: seine Blindheit für die Fähigkeiten des anderen Geschlechts, das sich längst weiterentwickelt hat.

Schivazappas FEMINA RIDENS ist in jeder Hinischt atemberaubend: Das beginnt bei der fantastischen Besetzung mit der bezaubernden Dagmar Lassander und dem eisig-kantigen Philippe Leroy, die schlicht perfekt sind in ihren Rollen, setzt sich fort bei dem betörenden Score von Stelvio Cipriani, den fantastischen psychedelischen Set Designs und der Fotografie von Carlo & Sante Achilli, die immer wieder neue spannende Blickwinkel in den begrenzten Interieurs finden, und endet bei dem famosen Drehbuch, das sich nicht bloß in Oberflächlichkeiten ergeht und die Spannung lange, lange hält.  Thematisch erinnert FEMINA RIDENS ein bisschen an Yasuzo Masumuras MÔJÛ, doch hebt er dessen Sadomaso-Spiele auf eine höhere Stufe und entpuppt sich zum Schluss als ziemlich cleverer, reflektierter Rachethriller, der sein wahres Gesicht lediglich hinter einer Maske aus Nihilismus und Niedertracht verborgen gehalten hat.