Mit ‘Daniéle Gaubert’ getaggte Beiträge

Von CAMILLE 2000, meinem ersten Radley-Metzger-Film, hatte ich etwas völlig anderes erwartet. Den Regisseur, mit dem ich mich zugegebenermaßen bislang überhaupt noch nicht auseinandergesetzt habe, hatte ich bislang als Porno-Auteur der eher groben, rohen Art abgeheftet – wahrscheinlich in erster Linie deshalb, weil er eben „Metzger“ heißt und vor allem in den Siebzigern aktiv war. CAMILLE 2000, eine Adaption von Alexandre Dumas‘ Roman „Die Kameliendame“, lässt dieses Trugbild heftig platzen, schwelgt in seiner üppig-psychedelischen Ausstattung, seiner luxuriösen Fotografie, der Schönheit seiner beiden Protagonisten und hat mit heftigem Sex der Marke „Wham! Bang! Thank you, Ma’am!“ nun wirklich rein gar nichts zu tun, dafür aber sehr viel mehr mit Filmen wie COME, QUANDO, PERCHÉ (ebenfalls mit Daniéle Gaubert), Roger Vadims LA CURÉE oder, in stilistischer Hinsicht, mit solchen Ausstattungswundern wie Petris LA DECIMA VITTIMA, Schivazappas FEMINA RIDENS oder Scandelaris LA PHILOSOPHIE DANS LE BOUDOIR.

Der Stoff von Dumas‘ Roman wird von Metzger aus dem Paris des mittleren 19. Jahrhunderts in das Rom der späten Sechzigerjahre verlegt, wo Armand Duval (Nino Castelnuovo), es sich vom Vermögen der Eltern gut gehen lassender Sohn einer wohlhabenden Familie, sich in die schöne Marguerite Gautier (Danièle Gaubert) verliebt, ihrerseits für ihren Verschleiß junger Liebhaber und hedonistischen Lebensstil berüchtigt. Alle Warnungen seines Freundes Gastion (Roberto Bisaccio) in den Wind schlagend, nimmt er Kontakt zu der faszinierenden Frau auf und lässt sich auf eine leidenschaftliche Romanze mit ihr ein, in dem festen Glauben, sie von der Monogamie überzeugen zu können. Nach anfänglichen Problemen hat er tatsächlich Erfolg – die hoffnungsvolle Liebe scheitert dann aber nicht etwa an Promiskuität und Amoral, sondern an gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zwängen, als nämlich Armands Vater (Massimo Serato) Marguerite ins Gewissen redet …

Die trügerische Freiheit, die der finanzielle Wohlstand bringt, wird in fast allen diesen Beziehungsfilmen thematisiert, die in den Sechzigerjahren im Zuge der sexuellen Revolution und ihrer gesellschaftlichen Folgen reüssierten und von denen ich oben nur einige wenige genannt habe. Mit einer einfachen, antithetischen Gegenüberstellung von gesellschaftlich-wirtschaftlichem Erfolg und sexueller Selbstverwirklichung begnügt sich Metzger dankenswerterweise aber nicht. Die identitätslos-austauschbaren Lustmenschen, die Marguerite in einem wahren Taumel rauschhafter Parties umgarnen und sich auch von einer bewusstlos auf der Tanzfläche zusammenbrechenden Gastgeberin den Spaß nicht verderben lassen, sind jedenfalls kaum besser als die Großbürger vom Schlage Duvals, die nur das eigene Ansehen und den Erhalt ihres Status im Sinn haben. Marguerites Lebenswandel, der ihr eine handfeste Drogenabhängigkeit eingetragen hat, ist eher ein Spiegel von Armands Dasein als ein echter Gegenentwurf: So wie er sich von seinen Eltern aushalten lässt, finanziert sich Marguerite über die Zuwendungen ihrer meist reichen Liebhaber, die sie dafür wie ein Besitzstück behandeln dürfen.

CAMILLE 2000 ist mithin vor allem ein Film über die (Un-)Möglichkeit der Liebe in einer kapitalistisch-materialistisch organisierten Welt. Die grandiose Ausstattung des Films kontrastiert die barocken Herrschaftsbauten Roms mit groteskem Designerzeug von fragwürdiger Funktionalität. Das Plexiglasbett, auf dem sich Marguerite und Armand unter durchsichtiger Bettwäsche und vor einer Spiegelwand verlustieren, ist da nur das eindrücklichste Beispiel. Metzgers Kameramann Ennio Guarnieri reizt die visuellen Möglichkeiten, die die transparenten Oberflächen und Vielfach-Spiegelungen bieten, weidlich aus, und komponiert Bilder, die die Frage aufwerfen, was „Original“ und was Spiegelung ist, suggerieren, dass Identität in dieser Welt zur höchst flüchtigen, keinesfalls mehr sicheren Größe geworden ist. Es ist demzufolge auch kein Wunder, dass sich das kurze Liebesglück der beiden weitab der trügerischen Verlockungen des Jetsets, auf einem vor dem kleinen Fischerörtchen Porto Ercoli liegenden Segelboot, abspielt. Hier scheinen beide Protagonisten sich förmlich „gesundzuschrumpfen“: Der Backlash, der im letzten Akt folgt, Armand erst auf eine bizarre Sadomaso-Themenparty führt, bei der die Frauen in Ketten liegen und Separées aussehen wie Kerkerzellen, Marguerite dann einer Überdosis erliegen lässt, ist umso härter. Keiner kommt hier lebend raus, und Armands Lachen in der letzten Szene hat etwas entschieden Verzweifeltes. Wie gesagt: Man kennt das, aber so aufregend wie hier sah das nicht allzu oft aus. Und wer ein Faible für diese psychedelisch angehauchten Beziehungsfilme hat, kommt an CAMILLE 2000 eh nicht vorbei. Ich habe Radley Metzger jetzt jedenfalls auf dem Schirm.

come_quando_perch_philippe_leroy_antonio_pietrangeli_001_jpg_evtaDas Liebesleben der Reichen und Schönen übt auf Künstler wie Rezipienten und Publikum vermutlich seit der Neuzeit einen immensen Reiz aus. In Shakespeares Dramen metzelten sich ganze Herrscherfamilien von der Lust entflammt und Macht berauscht dahin, im Zuge der sexuellen Revolution der 1960er-Jahre wurde Liebeskummer meist weniger drastisch kuriert, zog eher seelische Schäden nach sich, und statt Rang und Macht fungierte die Aussicht auf materielle Affluenz als kompromittierendes Element. Die Opfer sehen sich hin- und hergerissen zwischen den Möglichkeiten, die das Fallen sexueller Tabus mit sich bringen, den noch nicht ganz überkommenen bürgerlichen Werten, mit denen sie sozialisiert wurden, dem romantischen Wunsch nach der echten, der wahren Liebe auf der einen, finanzieller Unabhängigkeit und nahezu unbegrenzter Wunscherfüllung auf der anderen Seite. Auf den Hofbauer-Kongressen haben Filme um wohlhabende Großbürger, dekadente Neureiche, ehrgeizige Emporkömmlinge und die komplizierten Beziehungen, die sie miteinander unterhalten, ihren festen Platz. Im letztjährigen Januar-Kongress geriet etwa die junge, schöne Jane Fonda in Roger Vadims LA CURÈE zwischen die Fronten ihres wohlhabenden, aber langweiligen Ehemanns und seines wilden und abenteuerlustigen Sohnes, nur um am Ende mit leeren Händen dazustehen. In Antonio Pietrangelis letztem, nach seinem Tod von Valerio Zurlinis vollendetem Film COME, QUANDO, PERCHÉ geraten das Ehe- und Liebesleben sowie die Wertvorstellungen der schönen Paola (Daniéle Gaubert) ins Wanken, als der freigeistige Alberto (Horst Buchholz), alter Freund ihres liebevollen, aber auch etwas asketischen Gatten Marco (Philippe Leroy), ihr seine Liebe gesteht und mit seiner Art ihr Herz erobert.

Festivalbesucher und Film-Vielseher werden das Phänomen kennen, wenn sich zwischen eigentlich vollkommen unterschiedlichen Filmen erstaunliche, teilweise bis in kleinste Details reichende Parallelen auftun. Auf diesem Hofbauer-Kongress etwa spielten in vielen Szenen Wecker eine große Rolle, wurden gleich mehrfach der „Kinsey-Report“ gepriesen und viele Bananen gegessen. Und Buchholz‘ Angelo erinnerte mich mit seiner provokanten Art, in die eheliche Harmonie einzudringen und die konservativen Wertvorstellungen von Paola und Marco zu hinterfragen, wie ein reiferer, weniger soziopathischer Seelenverwandter von Per, der in Thomsens GIFT eine bürgerliche Familie auf den Prüfstand stellt, um die schöne Tochter dem Zugriff der Eltern zu entreißen. Dennoch sind beide Filme grundverschieden. COME, QUANDO, PERCHÉ ist, anders als GIFT, kein ausgesprochen politischer Film. Ihm fehlen der gallige Humor und dieser unterschwellige Zorn, er will kein explizites Statement über den Zustand der Gesellschaft machen, sondern ist allein an seinen Charakteren interessiert. Am Ende des Films steht eine durchaus überraschende Entscheidung Paolas, die auch deshalb so vor den Kopf stößt, weil sie keine Verallgemeinerung sucht, keinem anderen erzählerischen Zweck unterworfen ist, als dem, uns diese eine Frau näherzubringen. Ihre Wahl scheint auf den ersten flüchtigen Blick konservative Werte zu bestärken, doch das Gegenteil ist der Fall. Sie entscheidet sich nicht gegen die Magie, den Impuls, die Lust, die ihr Alberto beschert, und für die langweilige Sicherheit mit Marco, sondern gerade für dieses irrationale Gefühl, das sie mit ihrem Gatten verbindet, das sie einst an ihn band, und das sie bis heute nicht erklären kann. Es gibt kein bezifferbares Argument für Marco. Und gerade deshalb ist er der Richtige.

Unmittelbar nach der Sichtung konnte ich über COME, QUANDO, PERCHÉ – das recht allgemeine, vieldeutige „Wie, wann, warum“ des Originaltitels wurde für die deutsche Version zum „wo, wann, mit wem“ vereindeutigt und somit abgeflacht – kaum mehr sagen, als dass er „schön“ ist. Turin und das sonnendurchflutete Sardinien bilden attraktive Kulissen für die attraktiven Darsteller, Armando Trovaioli sicherte sich für seinen Score die engelsgleiche Stimme von Edda Dell’Orso, deren wortlose Harmonien geradwegs ins Herz zielen, Settings und Ausstattung sind mondän und edel, und aus den Dialogen sprechen Weisheit und Poesie, anstatt bloß Exposition zu liefern. Die Handlung ist indes nicht wirklich neu: Filme um Dreiecksbeziehungen und vom Freund des Ehemanns verführte Gattinnen gibt es zuhauf und die meisten spielen sich so ähnlich ab wie COME, QUANDO, PERCHÈ. Aber da ist eben dieses Ende, das einem wie Schuppen von den Augen fallen lässt, dass es wahrscheinlich so viele Vorstellungen und Definitionen von Liebe und Eheglück wie Menschen gibt und dass die Ratio auf diesem Gebiet ein nur bedingt tauglicher Wegweiser ist. Oder eher: In der Liebe kann es gerade vernünftig sein, das unvernünftig Scheinende zu tun. Was für Alberto richtig ist, muss es für Paola noch lange nicht sein. Und Sex ist tatsächlich auch nicht alles, man mag es kaum glauben.