joe (john g. avildsen, usa 1970)

Veröffentlicht: August 28, 2012 in Film
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Das Teeniemädchen Melissa Compton (Susan Sarandon) lässt sich von ihrem drogendealenden Hippiefreund Frank (Patrick McDermott) eine Überdosis Speed verpassen und landet daraufhin im Krankenhaus. Ihre Eltern sind sofort zur Stelle, Vater Bill (Dennis Patrick) – ein erfolgreicher Geschäftsmann – begibt sich in die Wohnung Franks, um Melissas Habseligkeiten abzuholen und wird dort von dem Dealer überrascht. Im Handgemenge stirbt Frank, Bill bleibt nichts anderes übrig, als seine Spuren zu verwischen und den Tatort zu verlassen. Nachts landet er in einer Bar, in der der Arbeiter Joe Curran (Peter Boyle) seine rassistischen Tiraden absondert. Die beiden kommen miteinander ins Gespräch und Bill lässt die Bemerkung fallen, er habe einen Hippie ermordet. Joe hält das zunächst für einen Scherz, als der Mord an Frank Tage später jedoch durch die Nachrichten geistert, zählt er eins und eins zusammen und sucht Kontakt zu Bill. Zwischen den beiden Männern entwickelt sich eine gefährliche Partnerschaft …

JOE muss man heute vor allem als Zeitdokument betrachten: Inszenatorisch eher unauffällig und dialoglastig (Wenn auch schön fotografiert), erinnert er etwas an die Filmadaption eines Theaterstücks. Tatsächlich basiert er aber auf einem Originaldrehbuch von Norman Wexler, der zwei Jahre nach EASY RIDER eine desillusionierte Bestandsaufnahme dessen verfasste, was von einstigen Idealen noch übrig geblieben war: nichts mehr. (1972 wurde Wexler dann festgenommen, nachdem er gedroht hatte Präsident Nixon zu erschießen – konsequent.) Was vormals Bewusstseinserweiterung war, ist nur noch Drogensucht, freie Liebe gelangweiltes Rumvögeln, „alternatives Lebenskonzept“ ein Euphemismus für verantwortungsfreies Rumgammeln, die brüderliche Liebe reicht gerade so weit wie der eigene Drogen- und Geldvorrat. Was einst als Gegenentwurf zur kapitalistisch organisierten bürgerlichen Gesellschaft gedacht war, ist nicht nur nicht zum Mainstream, sondern vielmehr selbst zur Dystopie geworden. Und die Antipathie und das Misstrauen, das den Hippies eh schon entgegengeschlagen war, ist nun offenem Hass gewichen. Die jugendlichen „Gammler“ sind zum perfekten Sündenbock für Leute wie Joe geworden, die zwar unter tristen Umständen leben, aber vor lauter Patriotismus nicht erkennen, wer für ihre Situation in Wahrheit verantwortlich ist. Letztlich ist es Neid, der den Zorn Joes schürt: Er würde gern selbst so ungezwungen leben, hat aber nicht den Schneid dazu.

In gewisser Weise kann man JOE auch als Vorläufer solcher Filme wie Cravens LAST HOUSE ON THE LEFT (oder natürlich Scorseses TAXI DRIVER, dessen Amoklauf-Finale JOE vorwegnimmt) betrachten. Die thesenhaft-aufklärerische Dramaturgie verfestigt diesen Eindruck ebenso wie der satirische Grundton des Films, mit dem Avildsen seine beiden Protagonisten bloßstellt, ohne dabei allzu offensichtlich zu werden. In der merkwürdigen Zweckbeziehung zwischen dem wohlhabenden, kultivierten und zivilisierten Bill und dem schäumenden, groben und ungebildeten Joe findet JOE seinen gesellschaftskritischen Kulminationspunkt. Bill braucht Joe, um seine eigenen Schuldgefühle zu exorzieren, Joe braucht Bill als Leitfigur, um die eigene Lethargie abzulegen und endlich auch einmal tätig zu werden. Wie die beiden – eigentlich antipodische Gegensätze, verdankt Joe seine Armut doch nicht zuletzt der Tatsache, dass Menschen wie Bill das Geld hinterhergeschmissen wird – sich zusammentun und jeweils die schlechtesten Eigenschaften des anderen verstärken, ist schon eine Schau. Da weiß man dann gleich wieder, warum man so ein ungutes Gefühl bekommt, wenn Politiker sich in Bierzelten tummeln und zur „Basis“ gehen, um zu erfahren, was der Volksmund so sagt. Joe fungiert für Bill als Versucher, als Katalysator, der ihn Tabus überschreiten und seine Zivilisiertheit abwerfen, weg vom Schreibtisch und mitten hinein ins Leben treten lässt, Bill verleiht den reaktionären Fantasien Joes im Gegenzug erst eine gewisse Legitimation. Und so kommt es am Schluss zur Katastrophe.

JOE trifft aufgrund seiner eher zurückgenommenen Regie heute nicht mehr so unmittelbar, wie er das vor 40 Jahren wahrscheinlich tat. Dennoch lässt sich an ihm gut nachvollziehen, welche Stimmung zu seiner Zeit vorherrschte. Präsident Nixon, der seine Präsidentschaft 1969 angetreten hatte und den Weg von der Euphorie zur totalen Depression begleitete, ist hier etwa schon früh Zielscheibe eines bösen Witzes. So berührt JOE vor allem deshalb, weil er sehr hellsichtig und beinahe prophetisch zeigt, wohin der Weg der USA führen würde, ohne dass jemand in der Lage gewesen wäre, das zu verhindern. Peter Boyle sollte nach dem Erfolg von JOE verständlicherweise die Rolle des ganz ähnlich angelegten Popeye Doyle in Friedkins THE FRENCH CONNECTION übernehmen, lehnte aber ab, weil er Angst vor den Geistern hatte, die er als rassistischer Arbeiter gerufen hatte. Er ist aber vor allem deshalb so furchteinflößend, weil er sehr transparent macht, dass es nur eines kleinen Stoßes bedarf, um einen großmäuligen Dampfplauderer in einen Mörder zu verwandeln. Das macht Avildsens Film dann abseits seines Status als Zeitzeugnis auch heute noch relevant.

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