jack and jill (dennis dugan, usa 2011)

Veröffentlicht: Juli 15, 2013 in Film
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Jack Sadelstein (Adam Sandler), Familienvater und Manager einer großen Werbeagentur in Los Angeles, ist angespannt: Zum Thanksgiving Day hat sich seine Zwillingsschwester Jill (Adam Sandler) zu Besuch aus der Bronx angemeldet. Jill ist eine liebevolle Person, aber sie ist auch etwas dümmlich, laut, ordinär, in vielen ihrer Angewohnheiten schlicht furchtbar peinlich … und Single. Weil sie ihren vermeintlichen Kurzbesuch deshalb kurzerhand ausdehnt und Jack den letzten Nerv zu rauben droht, beschließt der, ihr einen Mann zu suchen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. An unerwarteter Stelle eröffnet sich jedoch eine Chance: Ausgerechnet Superstar Al Pacino (Al Pacino) findet Gefallen an der Frau, die wie er aus der Bronx stammt. Und weil Jack genau den für einen wichtigen Werbespot gewinnen will, lässt er nichts unversucht, die beiden zu verkuppeln …

Jeder hat ihn, diesen einen Verwandten, der einem bei aller Liebe doch auch ein bisschen peinlich ist. Dessen Besuch man mit Angstschweiß auf der Stirn und in Befürchtung eines gesellschaftlichen Super-GAUs erwartet und nach dessen Abreise einem ein Stein vom Herzen fällt, weil man wieder einmal mit dem Schrecken davongekommen ist. Der „Peinliche Verwandte“ ist ein Standard der Komödie, den nun auch Adam Sandler bearbeitet – und dadurch exponenziell steigert, dass es sich bei der unmöglichen Person um einen Zwilling handelt. Während des von der eigentlichen Handlung des Films abgekoppelten Prologs treten verschiedene echte Zwillingspaare vor die Kamera (die Strategie erinnert ein wenig an Rob Reiners WHEN HARRY MET SALLY mit seinen verschiedenen Ehepaaren). Sie schildern, was sie an ihrem Zwilling schätzen, was sie mit ihm verbindet und fungieren als anschauliche Beispiele für die besondere Beziehung, die zwischen Zwillingspärchen besteht. Sie sehen sich nicht nur zum Verwechseln ähnlich, sie haben auch eine besonders enge Verbindung zueinander. Der verbreitete Glaube an die Fähigkeit von Zwillingen, außer- und übersinnlich miteinander kommunizieren zu können, die Schmerzen des anderen über riesige Distanzen fühlen zu können, hat in dieser besonderen Beziehung ihren Ursprung. Sie ist es aber auch, die Jills Ausfälle für Jack so besonders schmerzhaft macht: Die Frau ist ein Spiegelbild seiner selbst, und so befremdet er sich von ihr immer wieder fühlt, so liegt der Quell seines Unwohlseins doch vor allem in dem tief eingegrabenen Wissen, dass sie ihm ähnlicher ist, als er das zugeben mag. Diese Hin- und Hergerissenheit Jacks zeigt sich vor allem in einer wiederkehrenden Formulierung. Gegen den Spott, den sein Angestellter immer wieder über Jill auskippt, verteidigt Jack seine Schwester mit derselben Phrase, mit der er seine Attacken auf sie verteidigt: „I can say that, she’s my twin.“ Doch diese Berufung auf ihre besondere Beziehung ist für ihn lange Zeit nur Vorwand, ihr gegenüber kein Blatt vor den Mund nehmen zu müssen, Mittel, den Anschein geschwisterlicher Liebe gegenüber Dritten zu wahren. Erst spät erkennt er, was er an seiner Schwester hat, was sie ihm und er ihr bedeutet: Nämlich als er in ihre Kleider schlüpft, um den liebestollen Pacino klarzumachen, und dabei erfährt, was ein anderer in seiner Schwester sieht.

Vor allem, wenn man seine Rezeption durch die US-Filmkritik verfolgt, kann man zu dem Schluss kommen, dass Adam Sandler ein Nachfahre von Jerry Lewis ist. Auch dessen große Karriere wird heute in den USA gern marginalisiert und revidiert. Dass Lewis‘ Filme von der intellektuellen Kritik vor allem in Frankreich als cineastische Offenbarungen gefeiert wurden und werden, ist nicht etwa Anlass, eigene Positionen zu überdenken, sondern nur Beleg dafür, dass die Europäer keinen Geschmack haben. Adam Sandler geht es so ähnlich: Keinem anderen aktiven Filmkomiker schlägt dermaßen unverhohlene Verachtung entgegen wie ihm, bei keinem anderen sind sich die sonst so disparate Ansichten vertretenden Kritiker plötzlich so einig, kein anderer wird so dermaßen offensiv missverstanden und fehlinterpretiert, bei keinem anderen wird die Kritik so oft so unsachlich und persönlich wie bei ihm. Dass er mit Armond White genau einen unverdrossenen Fürsprecher hat, der dem allgemeinen Tenor – Sandler sei zynisch, publikumsverachtend und dumm – vehement widerspricht, führt nicht etwa zu einer „ergebnisoffenen“ Neudiskussion über den möglichen Wert des Sandler’schen Werks, sondern erhärtet den Status quo noch. Schließlich gilt White als „contrarian“, jemand, der der Masse grundsätzlich widerspricht, um sich interessant zu machen. Was er gut findet, muss zwangsläufig Müll sein. In Europa (bzw. in Deutschland) war Sandler nie eine große Nummer, was den Vorteil hat, dass es hier keinerlei politischen Ressentiments gegen ihn gibt (anders als in den USA, wo sein Erfolg beim „gemeinen“ Publikum ihn vielen seriösen Kritikern suspekt macht). So konnte sich dann auch ein kleiner, aber gewichtiger Kreis von Fürsprechern bilden, die Sandlers Werk, ähnlich wie White, für seine philantropischen Qualitäten schätzen, die ihn etwa mit dem Großmeister Frank Capra verbinden. Was ihn von diesem unterscheidet, ist sein Hang zur Zote, zum Körper(funktions- und -öffnungs)humor. Was Gegnern Beleg für mangelndes Niveau und das Anbiedern an untere Bildungsschichten ist, ist in Wahrheit Ausdruck von Sandlers tiefer Liebe für den normalen Durchschnittsbürger. Seine Furzwitze sind zutiefst demokratisch: Menschen haben unterschiedliche Bildung, Berufe, Vorlieben, Interessen, Ziele – aber alle müssen sie scheißen. Der Wert von Sandlers Humor zeigt sich vor allem in Abgrenzung zu einem anderen jüdischen Komödianten: Während sich Woody Allen in den letzten Jahren immer mehr in einem intellektuellen Elfenbeinturm verschanzt, von wo aus er uns alljährlich das neueste Ergebnis seiner Nabelschau zusendet, sind Sandlers Filme absolut universell, grenzüberschreitend, sozial.

Das zeigt sich auch in JACK AND JILL, der die typischen shenanigans der Travestie-Komödie unterwandert, um zu einem tieferen Selbstverständnis zu gelangen. Hier geht es nicht in erster Linie darum, zu zeigen, wie blöd ein Mann in Frauenkleidern aussieht. Der Film handelt vielmehr von Peinlichkeit allgemein, von unserer Angst, uns zu blamieren oder blamiert zu werden. Aber natürlich ist er vor allem ein Aufruf dazu, Konzepte von Peinlichkeit zu hinterfragen, gewissermaßen hinter die Peinlichkeit zu schauen, den Menschen zu erkennen und ihn trotz oder gerade wegen seiner Mängel zu lieben. Für Adam Sandler, dessen Filme immer auch Selbst-Konfrontationen sind, mag dieser Film auch ein Aufruf an seine Kritiker gewesen sein. Sie haben ihn – mal wieder – nicht verstanden und ihre Häme über ihn gegossen. Ein kleiner Kritikpunkt trifft diesen schönen Film aber dann doch: Seine Inszenierung wirkt oft leblos, künstlich und soap-operesk und unterwandert so den Tumult des Plots. Die Schauplätze – vor allem Jacks Haus mit seiner sterilen Einrichtung wie aus dem Schöner-Wohnen-Heft – sehen unbelebt und unecht aus, und der einzige Mensch, der darin nicht wie ein Fremdkörper wirkt, ist Katie Holmes als Jacks Ehefrau. Das ist aber nicht als Lob gemeint: Wie vor ihr Courteney Cox in Sandlers BEDTIME STORIES hat sie eine dieser fürchterlich unterentwickelten Frauenrollen abbekommen, mit denen man einfach nur wie Staffage aussehen kann. Hier kranken Sandlers Filme dann auch manchmal: Sie hinken dem Witz ihres Protagonisten hinsichtlich Dramaturgie und Inszenierung oft ungut hinterher. Ich bin geneigt, dass Regisseur Dennis Dugan zuzuschieben, aber der hat ja auch den famosen GROWN UPS gemacht, der wunderbar lebendig, locker und leicht anmutet. Dazu später mehr.

Kommentare
  1. Frank sagt:

    Ein wundervoller Text, einer deiner schönsten – weil er mir, mit Ausnahme des Vergleichs mit Woody Allen (der sich m.E. nicht unbedingt anbietet) vielleicht, doch sehr detailliert aus der Seele spricht. Das Frauenbild in Sandlers Filmen ist in der Tat diskussionswürdig. Da sein konstitutionelles Basismotiv aber seit jeher vor allem die Krise des jüdischstämmigen, gehoben situierten US-Mittelständlers männlichen Geschlechts ausmacht, der am Ende bekanntermaßen stets seinem grundsätzlichen existenziellen Idealzustand übergeben wird, hat es bei ihm (auch) keinen Platz für hässliche, geschweige denn „komplizierte“ Frauenfiguren – so er sie wie in „Jack And Jill“ nicht selbst spielt. Das widerspräche schon von Grundauf der Natur seiner Filme. Selbst die durch ihren Amnesiekomplex arg gehandicapte Drew Barrymore in „50 First Dates“ stellt ja immer noch so etwas wie eine Traumpartnerin für jeden Durchschnittstypen dar.

    • Oliver sagt:

      Oh, danke!

      Der Allen-Vergleich ist etwas hingeworfen, das stimmt. Habe ihn gewählt, weil Allen wie Sandler jüdischen Glaubens ist und man seinen Filmen quasi auf Vorschussbasis jene gewisse „Intellektualität“ unterstellt, die man Sandler aus Prinzip aberkennt. Allen steckt in der Schublade „Intellektuellenkino“, auch wenn er seit Jahren keinen neuen Gedanken mehr formuliert hat, Sandler in der Schublade „Idiotenkino“, auch wenn er immer wieder unter Beweis stellt, dass das nicht zutreffend ist. Aber du weißt ja, dass ich Allen mit Ende der Neunzigerjahre abgeschworen habe, insofern ist das eine sehr persönlich geprägte Wahrnehmung. 🙂

      Zu den Frauen: Das Problem ist weniger, dass die Frauen „unkompliziert“ oder „hübsch“ sind, sondern persönlichkeitsfrei. Auch ein Drehbuch- bzw. Inszenierungsproblem: Es gibt für die Frauen einfach nichts zu tun.

      Was genau meinst du mit „dem existenziellen Idealzustand übergeben“? Dass am Ende alles gut ist und demnach auch ein braves Weib nötig ist?

      • Frank sagt:

        „Aber du weißt ja, dass ich Allen mit Ende der Neunzigerjahre abgeschworen habe, insofern ist das eine sehr persönlich geprägte Wahrnehmung.“

        Ja, leider 😦 Vielleicht ändert sich das ja nochmal, irgendwann, in zwanzig, dreißig Jahren, wenn Allen über 100 ist und Nordasien oder den Südpol für sich entdeckt hat.

        „Was genau meinst du mit “dem existenziellen Idealzustand übergeben”? Dass am Ende alles gut ist und demnach auch ein braves Weib nötig ist?“

        So ungefähr. Natürlich nicht bezogen auf eine realitätsaffine Perspektive, sondern auf die capraesken ‚Märchenwelten‘, denen Sandlers Protagonisten mitsamt ihren demografischen Wurzeln entstammen. Die brauchen solche Frauentypen am Ende, um ruhigen Gewissens in den Filmorkus entlassen werden zu können, wo sie den Rest ihrer familiären Tage im Ruhezustand verbringen dürfen.

      • Oliver sagt:

        Schöne Beobachtung!

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