liane, das mädchen aus dem urwald (eduard von borsody, deutschland 1956)

Veröffentlicht: Februar 11, 2014 in Film
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Vor ein paar Jahren hat eine große deutsche Zeitung eine Umfrage gemacht, in der das Lieblingsbuch der Deutschen ermittelt werden sollte. Ich weiß weder, welche Zeitung es war, noch welches Buch letztlich auf Platz eins landete, aber das Ergebnis wird viele, die immer noch gern die Phrase vom Volk der Dichter und Denker im Munde führen, einigermaßen ernüchtert haben. Irgendeines der Harry-Potter-Bücher landete weit oben, dicht gefolgt von „Der Herr der Ringe“ und einem damals gerade angesagten Dan-Brown-Verschwörungsschinken, Ken Follett und Noah Gordon waren bestimmt auch unter den Top 20, wahrscheinlich noch weit vor deutschen Eliteliteraten wie Thomas Mann, Günter Grass, Goethe und Schiller, die bekanntlich jeder Deutsche mit der Muttermilch aufgesogen hat. Die Lehre, die man daraus zieht: Nicht immer erlangt das Beste, Hehrste, Schönste auch die größte Bedeutung. Manchmal setzt sich einfach das Mittelmaß, das Banale, Hässliche und Schlechte durch, einfach, weil es sich am weitesten verbreitet hat. Und daraus kann man dann wieder interessante Erkenntnisse ziehen. Etwa im Fall von LIANE, DAS MÄDCHEN AUS DEM URWALD.

In Afrika stößt ein deutsches Forscherteam auf ein junges, weißes Mädchen (Marion Michael), das zusammen mit dem Eingeborenenstamm der Woodoo lebt. Thoren (Hardy Krüger) gewinnt ihr Vertrauen und tritt mit ihr gemeinsam die Reise nach Hamburg an, wo man sich dem Sensationsfund widmen will. Die Nachricht eilt ihm voraus und der Reeder Amelongen (Rudolf Forster) vermutet gleich, dass es sich bei dem Mädchen um seine Enkelin Liane handelt. Gemeinsam mit ihren Eltern war sie als Kleinkind Opfer eines Schiffbruchs geworden und galt seitdem als tot. Diese Entwicklung ist Amelongens linker Hand Schöninck (Reggie Nalder) ein Dorn im Auge, droht er nun doch das Unternehen, das ihm laut Testament zufallen soll, an Liane zu verlieren. Er bemüht sich nach Kräften, die Beweise für ihre Identität verschwinden zu lassen und schreckt in letzter Instanz auch vor einem Mprd nicht zurück …

LIANE, DAS MÄDCHEN AUS DEM URWALD war, sehr zum Entsetzen der zeitgenössischen Filmkritik, einer der größten Erfolge seines Kinojahres, hatte in Deutschland mehr als zehn Millionen Zuschauer (wenn man den Informationen, die das Web so ausspuckt, glauben darf) und machte einen entsprechenden Umsatz. So sehr da also – durchaus mit einiger Berechtigung – von den Gatekeepers der Kultur die Einfältigkeit des Machwerks gegeißelt wurde, es hielt die Menschen nicht davon ab, ihre Kinokarte zu lösen und damit mittelfristig zwei Fortsetzungen der latent rassistischen, latent pädophilen, akut dummen deutschen Tarzan-Paraphrase zu ordern. Derweil die Sittenwächter mit Blick auf die zu rettende Moral eifrig die Frage diskutierten, ob man ein junges Mädchen (Marion Michael war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 15 Jahre alt) mit entblößtem Busen und Lendenschurz zeigen dürfe, die Freigabe erst ab 10 Jahren erteilten, nur um sie dann erst auf 12 und schließlich auf 16 Jahre anzuheben, rieb sich Produzent Volmer ob der Gratis-Publicity die gierigen Pranken, das Dollar-Zeichen in den Augen blinkend. Hardy Krüger, der männliche Hauptdarsteller, gab später, als er ein Weltstar geworden war, der auf seinen Ruf zu achten hatte, pflichtschuldig zu Protokoll, LIANE, DAS MÄDCHEN AUS DEM URWALD sei der schlechteste Film, in dem er jemals mitgewirkt habe (er war halt jung und brauchte das Geld), das Narrativ vom schwarzen Schaf, für das sich alle schämen, konsequent zu Ende führend.

Heute wird LIANE, DAS MÄDCHEN AUS DEM URWALD immer mal wieder als schräge deutsche Filmkuriosität herbeizitiert, als Beweis dafür, was unsere Vorfahren sich damals für einen Schrott ansehen mussten oder sogar wollten. Und das ist dann immer der Moment, indem ich geneigt bin, diesen „Schrott“ gegen die Spötter in Schutz zu nehmen. Ja, dieser Film bedient rassistisch-kolonialistische Vorurteile über die „Wilden“ in Afrika, die sich mit einer putzigen Uga-Uga-Sprache oder gar mit Trommeln verständigen, sich an Lianen durch die Gegend schwingen, mit Speeren werfen oder mit Giftpfeilen schießen, aber panisch die Flucht ergreifen, wenn sie eine Tonbandaufnahme von sich selbst hören. Er verbreitet uralte Klischees wie jenes von Afrika als einem Ort, an dem sich Elefant, Nashorn und Löwe gute Nacht sagen, tapfere deutsche Medizinstudentinnen im Forsschercamp auf ihre Berufung an die Universität oder den Heiratsantrag des Schwarms warten, derweil verschwitzte Herren ihnen an die Wäsche wollen, blonde Haudegen Tiere für den Zoo einfangen und junge deutsche Mädchen weitab der Zivilisation zu edlen Wilden heranreifen, die ja bekanntlich die besseren Menschen sind. Borsody inszeniert das Ganze mit jener Bräsigkeit, die man als typisch für das deutsche Kino der Fünzigerjahre annimmt, weil man die falschen Beispiele kennt. Rührend naiv etwa der Moment, in dem der verzückte Opa einen alten Brief seiner Tochter liest, in dem sie ihm von seiner Enkelin berichtet, derweil Lianes gegenwärtige Handlungen jedes der geschriebenen Worte bestätigen. Belustigend der Schnitt, der direkt vom Dialog über die Bedrohungen der Zivilisation auf das aus heutiger Sicht höchst moderate Verkehrsaufkommen im Hamburger Zentrum überleitet. Und das Finale, das einen Mordfall, dessen Aufklärung, die Flucht und den darauf folgenden Unfalltod des Täters in fünf Filmminuten packt, zeugt von ausgesprochener Konfliktscheue und Harmoniesucht. Aber das ändert leider alles nichts daran, dass dieser Film seinerzeit den Nerv traf, irgendetwas in den Menschen ansprach und sie dazu brachte, ins Kino zu gehen.

Um das zu erklären, kann man wahrscheinlich die Litanei vom Reiz des Exotismus bemühen, die Sehnsucht der Menschen nach einer heilen, schönen Welt, die zehn Jahre nach Kriegsende immer noch groß war, oder nach weit entfernten, fremden Ländern. Man kann es auch einfacher haben und unterstellen, dass die Hälfte der Zuschauer auf die mediale Skandalisierung des Films hereingefallen und schlicht neugierig waren oder gern einen Blick auf die jugendlichen Brüste der Hauptdarstellerin erhaschen wollten. Sex sells und das galt damals, als Nacktheit im Film noch Seltenheitswert hatte, vielleicht noch mehr als heute. All das ist wahrscheinlich nicht ganz falsch. Man könnte aber auch einfach sagen, dass LIANE, DAS MÄDCHEN AUS DEM URWALD eine griffige Geschichte auf die Leinwand brachte. Einer etablierten Schablone folgend, bot Borsodys Film zu gleichen Teilen Abenteuer wie Melodram, Spannung und Herzschmerz vor einer Kulisse, die für einen deutschen Film eher ungewöhnlich war. Er bot mit Hardy Krüger einen jungen attraktiven Star und lieferte mit der 15-jährigen Marion Michael, die aus Tausenden von Gleichaltrigen gecastet worden war, auch gleich die passende Geschichte vom Aufstieg aus dem Mittelmaß in die Welt des Glamours (die die Narration des Films gewissermaßen doppelte). LIANE, DAS MÄDCHEN AUS DEM URWALD ist ein früher deutscher Blockbuster, ein Film, der nicht zuletzt durch das Marketing „gemacht“ wurde. Und er ist daher weitaus weniger altbacken und überkommen, als man das auf den ersten Blick meinen mag.

Kommentare
  1. Ghijath Naddaf sagt:

    Das Klischee vom Wilden als besseren Menschen, hat glaube ich in Deutschland viel mit Karl May
    zu tun. Man selbst ist der Gute, der Westen ist böse und die Wilden, ja mei, die wissens halt nicht
    besser. Diese falsche Toleranz, die meiner Meinung nach übrigens nicht nur Naiv, sondern zutiefst
    rassistisch ist, gehört aber scheinbar unausrottbar zum deutschen Glaubensbekenntniss.
    Siehe Jürgen Todenhöfer. Ich selbst finde z.b. auch die meisten Karl May Filme grässlich kitschig
    und verlogen. Umso mehr amüsiert mich immer der Ernst mit dem sich z.b. Tim Lucas, diesem aus
    seiner Sicht wahrscheinlich sehr exotischen Germanen Kitsch nähert.
    Sorry, aber es sollte wirklich mal einer was zur verheerenden Auswirkungen von Karl May Büchern
    und Filmen auf die Volkspsyche schreiben.

    • Oliver sagt:

      Ich habe eigentlich vor, die deutschen Karl-May-Verfilmungen dieses Jahr mal einer Neubetrachtung zu unterziehen. Zum einen, weil ich sei seit der Kindheit nicht mehr gesehen habe, zum anderen, weil mich das (kommerzielle) Kino jener Zeit gerade sehr fasziniert und interessiert, aber auch, weil ich glaube, dass die Filme besser sind als ihr Ruf.

      Das wäre jetzt ein Widerspruch zu dir. 🙂

      Ich habe Karl Mays Bücher selbst auch immer als ziemliche Qual empfunden und wahrscheinlich trifft deine Kritik ihn und sein Werk auch, trotzdem fällt es mir schwer, seine Bücher in dieser Schärfe zu verurteilen, weil er eben aus einer ganz anderen Zeit heraus geschrieben hat. Die Vorurteile und Klischees, die seine Bücher prägen, findet man auch bei Zeitgenossen aus anderen Ländern (die vielleicht besserer Autoren waren, aber trotzdem …) Werke wie „Das Buschgespenst“, die in Deutschland angesiedelt waren, sind noch einmal etwas ganz anderes, haben sich durchaus mit relevanten gesellschaftlichen Problemen befasst und diese dann in das Gewand von „Unterhaltung“ gekleidet. Ich schätze, man sollte auch ihn differenziert betrachten. Er hat so viele Bücher geschrieben, die Winnetou-Romane sind ja nur ein winziger Ausschnitt aus seinem Gesamtwerk.

  2. Ghijath Naddaf sagt:

    Das las sich jetzt wahrscheinlich schärfer als gewollt. Ich lese immer mal wieder, von Zeit zu Zeit,
    die Autoren meiner Jugend um zu überprüfen ob, und wie weit der Zahn der Zeit an ihnen genagt
    hat. So konnte ich neulich Alexandre Dumas für mich wieder entdecken. Vor allem die Musketier
    Romane haben mich, mit ihrer zeitlos brillianten Dramaturgie, erneut begeistert.
    Obwohl die zwei Nachfolge Romane in Deutschland meines Wissens nie ungekürzt übersetzt wurden. Im Zuge dieser Neubetrachtungen, habe ich mich dann auch am „Schatz im Silbersee“
    versucht. Grosser Gott !! Überall teutonische Herrenmenschen, die sich am laufenden Band in der
    Prärie über den Weg laufen und zu allem Überfluss Mundart schwätze.
    Alle natürlich voller Respekt vor dem roten Mann. Und selbst wenn der mal auf dem Kriegspfad ist,
    stellt er natürlich keine Bedrohung dar. Zu gross ist die intelektuelle Überlegenheit der deutschen
    Trapper. Da bleibt der Rothaut nur ein erstauntes…UFF !
    Und tatsächlich finde ich heute noch viel von dieser falschen Toleranz, gepaart mit Überheblichkeit
    und Besserwisserei, vor allem in teilen der deutschen Linken. Aber wie gesagt, ob es da einen
    Kausalzusammenhang gibt, dazu müssten sich klügere Leute äussern.
    Die Verfimungen sind allerdings nicht so grausam wie die Bücher. Da hast du Recht.

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