1. mondo bizarr weekender: ein toter hing im netz (fritz böttger, deutschland 1960)

Veröffentlicht: Februar 2, 2015 in Film
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Endlich, endlich, endlich. Ich weiß nicht, wie lange ich diesen Film schon sehen will, jetzt endlich hat es geklappt – und noch dazu auf der Leinwand. Mein ewiger Dank gebührt den wunderbaren Veranstaltern von Mondo Bizarr in meiner heimlichen Heimat Düsseldorf, die diese Perle zu ihrem ersten Weekender ins Kino holten: fast, als wollten sie mir damit ein persönliches Geschenk machen. Tatsächlich haben sich alle Vorschusslorbeeren, die dem Film von verschiedenster Seite zugetragen werden, als berechtigt erwiesen, was ja an sich schon an ein Wunder grenzt. Schon so mancher schöne Film ist daran gescheitert, dass man ihn sich, angefeuert von frenetischem Publikumslob, einfach noch besser vorgestellt hat. Vielleicht hat es EIN TOTER HING IM NETZ geholfen, dass er so ganz anders ist, als ich ihn mir vor meinem geistigen Auge ausgemalt hatte. Der Monsteranteil ist deutlich geringer als erwartet und die Monsterspinne kleiner, dafür gibt es mehr putziges Beziehungsgedöns, wunderbar swingende Lounge-Musik und traumhaft anzuschauende Sechzigerjahre-Schönheiten in various states of undress, wie der Genießer sagen würde. Der Film ist natürlich schon aus historischer Perspektive hochinteressant, weil er – wie etwa auch der ganz anders geartete DER IRRE VOM ZOMBIEHOF – eine „Sackgasse“ der deutschen Filmgeschichte darstellt. Genre-, sprich Horror-, Monster- oder Science-Fiction-Filme waren und sind nach der in dieser Hinsicht noch reichen Stummfilmzeit, mit einflussreichen Klassikern wie NOSFERATU, EINE SYMPHONIE DES GRAUENS oder DAS KABINETT DES DR. CALIGARI, rar gesät in deutschen Landen. Dass durchaus Potenzial da war, dass man in mannigfaltige Richtungen hätte nutzen können, sieht man eben auch an EIN TOTER HING IM NETZ, der den Vergleich mit US-amerikanischen Werken jener Zeit nicht zu scheuen braucht. Wer nervenzerfetzende Spannung erwartet, wird vermutlich enttäuscht werden, aber wer sich auf diese ganz spezielle Stimmung einlassen kann, sich für Sitten- und Mentalitätsgeschichte interessiert oder wie ich einfach Freude am Look und Sound dieser Zeit hat, erlebt hier ein wahres Fest. Dafür gehe ich gern tiefer ins Detail.

Zu Beginn wird eine brünette Holde aus ihrem Schönheitsschlaf geklingelt, erst von einem Freund am Telefon, dann von ihrem spießigen Vermieter, der die ausstehende Miete einfordert. Es muss dringend Geld her und das lockt in Form eines Tanzengagements in Fernost, für das man sich in der Agentur Blackwood bewerben kann. (Der Film spielt zu Beginn in der Wiege des Showbiz, im sonnigen El Ey.) Schon hier sehr süß das schwankende Verhältnis der Frau zur Sexualität: Dem Vermieter wird das entblößte Fahrwerk noch in voller Pracht und ohne jede Scham vorgeführt, weil er als möglicher Partner gar nicht in Frage kommt, als dann jedoch ein Jüngling erscheint, der katzenhafte Sprung hinter den Vorhang geprobt. Der Sex liegt eben im Auge des Betrachters. Die junge Frau beschließt dann sehr spontan, nach Fernost „zu gehen“, und man weiß nicht, ob sie sich darüber bewusst ist, dass man da mit dem Flugzeug hinreisen muss und nicht zu Fuß hinlatschen kann. In der Agentur Blackwood türmen sich schon die reisewütigen, verzweifelten oder abenteuerlustigen Starlets, darunter die dralle Babs (Barbara Valentin), mit platinblonder Mähne und Schmollmund als frustrierte, lasterhafte Männermörderin erkennbar, die vom anderen Geschlecht die Schnauze voll hat. Der Reihe nach dürfen alle vortanzen oder auch nur ihre Beine zeigen und Böttger macht eine große Nummer aus dem „Trick“ des Casting Directors Gary (Alexander D’Arcy), der seiner Assistentin per Beinüberschlag signalisiert, ob er eine Frau engagieren will oder nicht. Ob das wirklich so viel einfacher ist als zu sagen: „Die nehmen wir“? Viviane Forrester hat ein Buch geschrieben, dessen Titel den zugrundeliegenden Irrtum gut beschreibt, es heißt „Der Terror der Ökonomie“. Eines der Mädchen tat mir besonders Leid: Eine zierliche Ballettänzerin, der man gleich ansieht, dass sie mit ihrem zugeknöpften Mantel nicht in Frage kommt für die ganze Nummer, aber sie hat sogar eine Schallplatte mitgebracht und darf dann lange vortanzen, bewegt sich überaus grazil und anmutig durch das Büro des Agenten. Am Ende bekommt sie dann aber wie erwartet zu hören, dass sie ein andermal wiederkommen soll, und als sie enttäuscht von dannen zieht, vergisst sie sogar ihre Platte mitzunehmen. Ihre Enttäuschung wird wahrscheinlich schnell verflogen sein, als sie erfahren hat, dass das Flugzeug, indem auch sie gesessen hätte, über dem Pazifik abgestürzt ist.

Die Mädels und Gary, der sofort das Kommando übernimmt, ganz klar, treiben ein paar Tage auf dem Ozean herum – gegen jede Wahrscheinlichkeit, denn Gary weiß, dass da doch einfach irgendwann ein Schiff vorbeikommen MUSS – und stranden dann auf einer Insel. In der Folge wird ausgiebig das Schuhwerk der Mädchen thematisiert, das für einen Aufenthalt auf der Insel nicht wirklich ausgelegt ist, von dem sie sich aber trotzdem nur höchst ungern trennen. Immer wieder werden die Stöckelsandalen und High Heels aus- und wieder angezogen und man hat das Gefühl, das könnte ewig so weitergehen, ohne dass man daran Anstoß nehmen müsste. Der Film findet die Attraktionen an den unerwartetsten Stellen. Der Fund eines Hammers („mit langem Stiel“) etwa signalisiert, dass die Insel doch bewohnt ist, und veranlasst Gary außerdem zu der Spekulation, dass hier vielleicht Uran abgebaut wird. Logisch, wegen des langen Stiels kann die Strahlung dann nicht bis zur Hand vordringen. Und Babs fragt, ob man dieses „Uran“ denn auch essen könne. In einer Blockhütte finden die Gestrandeten den Toten im Netz und auch die Spinne bekommt ihren ersten Auftritt. Die ist wirklich eine Schau, guckt grimmig aus ihrem Comicgesicht und hat richtige Hände. Ein Glück, dass der Film aus den Sechzigern ist, 20 Jahre später hätte sie bestimmt einen Stinkefinger gezeigt. Gary wird bald gebissen und rennt infolgedessen als Werwolf durch den Busch, doch der Film zeigt daran seltsamerweise nur ein höchst geringes Interesse. Stattdessen wendet er sich den Mädels in ihrer Hütte zu, die ohne Mann natürlich verloren sind und sich in endlosen Zickenkriegen oder Panikattacken ergehen, bis sie auf die Gehilfen des Toten stoßen: den Filou Robby (Rainer Brandt) und den bodenständigen Joe (Harald Maresch). Dialogzeile für die Ewigkeit: „Das ist Robby, ein berühmter Uranforscher. Ich habe ihn im Schilf kennen gelernt.“ So wurden früher Freundschaften fürs Leben geknüpft. Es wird ausgelassen getanzt und gesoffen, Joe verliebt sich, Robby wandert reihum und zieht damit den Zorn Joes auf sich, und irgendwann taucht dann das Monster wieder auf und stört die Eintracht, was fast ein bisschen schade ist. Zur Strafe jagen Mann und Frau es in einem atmosphärischen Finale mit Fackeln vereint durch den Wald in den Sumpf, wo es tragisch verendet.  Aber das ist besser so, so sind sich alle einig, denn das wäre ja echt kein Leben gewesen so als Monster.

EIN TOTER HING IM NETZ ist wirklich das pure Glück und überdies erstaunlich freizügig für seine Zeit. In der „harten“ Fassung, die wir glücklicherweise bestaunen durften (es gibt auch eine „softere“, in der die Damen bekleideter sind), kann man aus der Ferne sogar einen Blick auf die nackten Brüste der sich in einer Lagune verlustierenden Frauen werfen. Ansonsten werden natürlich alle Gerneklischees versammelt, aber irgendwie gelingt es Böttger trotzdem, den Absturz in die Formelhaftigkeit zu verhindern. EIN TOTER HING IM NETZ hat sich seine immense Spritzigkeit bis heute bewahrt. Und warum nur sehen Frauen heute nicht mehr so aus wie hier?

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