leviatán (claudio fragasso, spanien/puerto rico/usa 1984)

Veröffentlicht: November 13, 2016 in Film
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monster-dogSeltsam, dass niemand vorher auf die Idee gekommen war, Alice Cooper in einem Horrorfilm zu besetzen. Cooper hatte sich in den frühen Siebzigerjahren einen Namen als Kopf der gleichnamigen Band gemacht, die mit makabren Texten („I love the Dead“ handelte etwa von Nekrophilie) und Grand-Guignol-Bühnenshows das Establishment verschreckte, bevor er dann als Solokünstler ganze Horrormusicals vertonte. Sein Solodebüt „Welcome to my Nightmare“ erfuhr eine Fernsehadaption (und eine aufwändieg Live-Inszenierung), aber davon abgesehen beschränkten sich seine Filmauftritte auf kleine Nebenrollen, etwa in ROADIE oder SEXTETTE. Als Fragasso ihn für LEVIATÁN castete, befand sich Cooper gerade in einer mehrjährigen kommerziellen Durststrecke – seine New-Wave-inspirierten Alben „Special Forces“, „Zipper catches Skin“  und „DaDa“ waren allesamt hart gefloppt – und einem Kampf gegen die Alkoholsucht, die ihn fast umgebracht hätte. Er hätte gewiss einen besseren Film verdient gehabt, als diesen rumpeligen Werwolfschocker, aber immerhin konnte auch Fragasso nicht verhindern, dass es mit dem Musiker danach wieder aufwärts ging (zumindest kommerziell, denn seine beiden Hardrock-Platten „Constrictor“ und „Raise your Fist and Yell“, mit denen er sich zurückmeldete, sind wahrscheinlich auch seine schlechtesten).

Alice sieht ziemlich mitgenommen aus, als habe er mit einem schlimmen Hangover zu kämpfen – er war damals gerade 36, sieht aber, gezeichnet durch vergangene Exzesse, deutlich älter aus -, wirkt ausgesprochen desorientiert und verunsichter. Es passt zu LEVIATÁN, der eigentlich immer und überall verrissen wird. Es ist gewiss kein „guter“ Film – aber er hat mich positiv überrascht, weil er ganz anders ist, als ich das erwartet hatte. Fragasso darf man durchaus als einen der Totengräber des italienischen Kinos bezeichnen: Gemeinsam mit Bruno Mattei bildete er ein gefürchtetes Duo, das in den Achtzigern alle irgendwie erfolgreichen US-Filme kopierte und in meist lieblos hingerotzten Italo-Versionen auf den Markt brachte. Mit ZOMBI 3 bescherte Fragasso dem armen Lucio Fulci eine echte Breitseite und besaß die Chuzpe, danach mit OLTRE LA MORTE sogar noch einen Nachklapp zu inszenieren. Sein berühmtester Film ist wohl TROLL 2 ein Meilenstein des „So bad it’s good“, den ich auch endlich mal gucken muss. Was ich sagen will: Alles deutete daraufhin, dass LEVIATÁN ein inkompetentes Formula-Movie ist. Ich erwartete eigentlich einen Slasher mit austauschbaren Hackfressen und einem doofen Monster. Ein doofes Monster gibt es, austauschbare Hackfressen auch, aber den Film um diese herum möchte ich beinahe als „eigenständig“ bezeichnen.

Vince Raven (Alice Cooper) ist ein erfolgreicher Popmusiker, der mit seinem neuesten Video zu dem Song „Identity Crisis“ (furchtbar lazy getextet, aber den Refrain habe ich jetzt seit zwei Tagen im Ohr) überhaupt nicht zufrieden ist. Für seinen nächsten Clip packt er deshalb seine befreundete Crew ein und fährt zu dem Haus, in dem er einst aufwuchs – und sich ein handfestes Trauma zuzog. Sein Vater litt nämlich an einer seltenen Geisteskrankheit, die ihn in ein werwolfähnliches Wesen verwandelte: In dieser Gestalt tötete er einige Menschen und wurde schließlich von einem aufgebrachten Lynchmob hingerichtet. Kein Wunder, dass Vincents Ankunft von den Eingeborenen wenig begeistert aufgenommen wird: Man vermutet, dass er die Krankheit von seinem Vater geerbt hat – und hat außerdem mit einem Rudel wild gewordener Hunde zu kämpfen, die die Gegend unsicher machen. Tatsächlich gibt es bald die ersten Toten …

Um ehrlich zu sein: LEVIATÁN ist auch ein Meisterstück der Laufzeit-Schinderei. Der Film beginnt mit dem Videoclip, in der Mitte gibt es eine ausgedehnte Passage, in der Cooper einen zweiten fürchterlichen Song zum besten gibt, bevor die Schlusscredits laufen, gibt es noch einmal eine Art „Best-of-Montage“ und viel Zeit geht außerdem drauf für das unwichtige Miteinander der Figuren. Aber LEVIATÁN hat eine eigene Atmosphäre und wandelt nicht nur auf ausgetretenen Pfaden. Wenn es richtig losgeht, geht die größte Bedrohung gar nicht vom „Monster Dog“ aus, sondern von ein paar Rednecks, die sich Zugang zu Vincents Elternhaus verschaffen (das etwas an eine Mischung aus dem Haus der Sawyer-Family aus THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE und der Bleibe derer zu Usher erinnert) und Vincents umbringen wollen. Da gibt es dann ein sehr handfestes Belagerungsszenario mit deutlichen Westernanleihen, das Fragasso viel besser liegt als die etwas tölpeligen Horrorszenen. Die Titelkreatur sieht man nur ein paar Mal: Sie ist eher eine Metapher denn der eigentliche „Schurke“ des Films. Großen Anteil an der eigenartigen Stimmung des Ganzen hat der Drehort: LEVIATÁN spielt in den USA, wurde aber irgendwo in der spanischen Pampa gedreht. Das schafft eine kognitive Dissonanz, und dass die Bilder ein herbstlicher Grauschleier umwabert, schadet auch nicht. Wie gesagt: LEVIATÁN ist keinesfalls ein vergessener Klassiker und ich würde auch nicht unbedingt empfehlen, ihn aktiv zu suchen, aber wenn er einem über den Weg läuft, sollte man sich von Vorurteilen freimachen und ihm eine Chance geben. Besser als die beiden zuletzt von mir gesehenen Hundeschocker DEVIL DOG und DRACULA’S DOG ist er in jedem Fall.

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