the front (martin ritt, usa 1976)

Veröffentlicht: April 5, 2011 in Film
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Eigentlich sollte hier der Text zu Ritts SOUNDER stehen, doch die Qualität der mir zur Verfügung stehenden NL-DVD hat mich zum sofortigen Abschalten gezwungen: Von einer miserablen, unscharfen und farbarmen VHS-Kopie gezogen, die den Film von 2,35:1 auf 4:3 beschneidet, stellt diese DVD einer der größten Frechheiten dar, die ich auf diesem Bereich je zu Gesicht bekommen habe. Eine neue adäquate Scheibe ist bereits bestellt, ich gelobe den Film in Kürze nachzureichen und beende meine kleine Ritt-Retrospektive jetzt vorläufig mit einem meiner Lieblingsfilme, dem in meinem Geburtsjahr gedrehten THE FRONT.

New York in den frühen Fünfzigerjahren: Howard Prince (Woody Allen) ist ein sympathischer kleiner Versager, der seine liebe Mühe hat, seinen Lebensunterhalt mit einem Job als Kassierer und Gelegenheits-Buchmacher zu besteiten. Als sein Freund, der Fernsehautor Alfred Miller (Michael Murphy), ihm erzählt, dass er auf der Schwarzen Liste stehe, auf der alle vermeintlichen Sympathisanten des Kommunismus landen, und mithin keine Arbeit mehr finde, bietet Howard ihm sofort an, für ihn als „Front“ zu fungieren: Er reicht fortan die Bücher Alfreds ein, tritt dem Produzenten gegenüber als deren Autor auf und kassiert als Belohnung einen Anteil am Honorar. Als neue Autorenhoffnung gefeiert und berauscht vom plötzlichen Wohlstand, will Howard mehr und bietet seine Tätigkeit so auch anderen Autoren an. Aber die Kommunistenhetze macht auch vor ihm nicht halt und so interessiert sich bald auch das HUAC für ihn …

Zwischen THE GREAT WHITE HOPE und THE FRONT muss irgendetwas passiert sein mit Ritt. War ersterer noch geprägt von einer untröstlichen Enttäuschung und von Wut über die Menschheit, die mit ihrem Neid, ihrer Dummheit und Niedertracht immer wieder ihre besten Vertreter auf ihr kümmerliches Niveau herunterzieht, und so kaum zu ertragen, erzählt Ritt seine Geschichte in THE FRONT mit der Lockerheit, der Souveränität und dem lachenden Auge eines Mannes, dem die Zeit Recht gegeben hat: Ritt selbst war 1951 auf der Schwarzen Liste gelandet und mit ihm einige weitere Mitglieder der Stabliste von THE FRONT, die nun verspätete Gelegenheit haben, ihren Kommentar zu den Ereignissen abzugeben. Und sie tun das zwar mit sichtbarer Genugtuung, aber ohne jede Verbitterung.

Die bizarren Argumentationsstrategien der Kommunistenhasser, ihre Verleumdungswut und der vorauseilende Gehorsam der Fernsehleute, die sich unhinterfragt diktieren lassen, wen sie einstellen dürfen und wen nicht, erinnern an die Albtraum-Bürokratien Franz Kafkas, werden aber durch den common sense Howards, der es gar nicht fassen kann, dass das alles wahr sein soll, geschickt ausbalanciert, sodass THE FRONT nie zu sehr in Richtung Groteske abgleitet.  Einen großen Anteil daran, dass diese Tragikomödie auch in ihren traurigen und erschütternden Momenten – wie Ritt und sein Kameramann Michael Chapman den Selbstmord des Schauspielers Hecky Browns (Zero Mostel) einfangen, macht einfach nur sprachlos – niemals wirklich deprimierend wird, hat Woody Allen, der dem Film mit seinem breiten Brooklyn-Akzent und seinem jüdischen Humor seinen Stempel aufdrückt und ihn fast in einen Woody-Allen-Film verwandelt. Er ist perfekt als naiver Humanist wider Willen: Seine klimaktische Weigerung, seinen toten Freund, eben besagtem Hecky Brown, vor dem Untersuchungsausschuss des HUAC als Kommunisten zu diffamieren, erfolgt eben nicht im vollen Bewusstsein der historischen Tragweite, wird nicht, wie so oft in solchen Filmen, als heldischer Akt des Patriotismus gefeiert. Howard tut ganz einfach das, was ihm seine Prinzipien befehlen, unter Inkaufnahme aller daraus folgender Konsequenzen. Wenn er erkennt, dass er den Ausschuss nicht wie geplant durch rhetorische Volten an der Nase herumführen kann, sondern ihm tatsächlich nur die Wahl zwischen dem Verrat und der Selbstopferung bleibt, der er um jeden Preis entgehen wollte, und er sichtlich darunter leidet, dass ersteres einfach keine Option für ihn ist, erreicht der Film eine fast kantische Dimension: Es ist nicht weniger als Howards Pflicht, sich gegen das System zu stellen.

Die Aussage, mit der er seine Kooperation verweigert, gehörte in einer gerechten Welt zu den berühmten Filmzitaten, die selbst der zitieren kann, der den zugehörigen Film nie gesehen hat, und beendet THE FRONT, eines der großen humanistischen Meisterwerke des Kinos, mit angemessenem Knalleffekt. Leider ist er nur wenigen bekannt, in Deutschland (wo er einst als DER STROHMANN erschien) überhaupt nicht erhältlich und selbst in den USA mittlerweile out of print. Eine Schande, wenn ihr mich fragt.

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