kiss of death (barbet schroeder, usa 1995)

Veröffentlicht: Februar 6, 2013 in Film
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David Caruso ist ja mittlerweile aufgrund seiner eindimensionalen Rolle in CSI MIAMI zu einer Art besonnenbrilltem Running Gag verkommen, aber anno 1995 war der Star der Fernsehserie NYPD BLUE auf dem Sprung, auch im Filmgeschäft groß rauszukommen. Anlässlich dieses Films wurde sogar in der Splatting Image ein Interview mit ihm abgedruckt, in dem er Steve McQueen als sein großes Vorbild nannte: Er bewundere an ihm die mimische Ökonomie, das Talent, mit einem Minimum an Mitteln maximalen Effekt zur erzielen. In KISS OF DEATH zeigt Caruso, dass er die McQueen’sche Coolness tatsächlich gut zu adaptieren versteht – er muss keine beeindruckende Physis mitbringen oder Muskeln zeigen, um klarzumachen, dass man mit ihm besser keine Spielchen spielen sollte. In einem famos besetzten Film ist er das unumstrittene Zentrum, das menschgewordene Auge des Tornados. Schade, dass seine Filmkarriere nach einigen gescheiterten Anläufen baden ging. Zumal die Filme, die daran „Schuld“ waren, in einer gerechten Welt niemals gefloppt wären. KISS OF DEATH ist einer davon.

Das Remake des (mir noch unbekannten) gleichnamigen Noir-Klassikers von 1947 wurde von Barbet Schroeder als hochkonzentrierter Männerfilm auf die Leinwand gebracht. Schroeder interessiert sich dabei kaum für gängige Genremechanismen. Die sonst zentralen Actionszenen sind kurz, dafür aber umso drastischer, die Rache des gebeutelten Helden wird nicht zum blutigen Triumphzug ausgewalzt, sondern mit den Mitteln des Verstandes verübt und die überlebensgroßen, archetypischen Figuren lassen immer wieder Eigenschaften aufblitzen, die ihnen ungewohnte Tiefe verleihen. Es sind nicht so sehr die großen dramatischen Schlüsselszenen des Films, die haften bleiben, sondern eben die kleinen Momente, die von Schroeder nahezu gleichberechtigt behandelt werden. So sehr man es auch mit einem typischen Hardboiled-Stoff zu tun hat: KISS OF DEATH wirkt stets real und glaubwürdig, ohne dabei auf fragwürdige Authentifizierungsstrategien zurückgreifen zu müssen. Der Film ist selbst dann, wenn er Nicolas Cage eine Plattform zum Megaacting bietet, noch so down to earth wie sein Hauptdarsteller.

Der Autoknacker Jimmy Kilmartin (David Caruso) will nach verbüßter Haftstrafe ein normales Leben mit Frau Beverly (Helen Hunt) und gemeinsamer Tochter führen. Doch mit seinem in krumme Dinger verwickelten Cousin Ronnie (Michael Rapaport) klopft schnell die kriminelle Vergangenheit an die Tür. Ronnie bittet Jimmy, als Fahrer bei einer groß angelegten Autoschieberei zu fungieren, „Little Junior“ (Nicolas Cage) bringe ihn sonst um. Jimmy ist nicht der Typ, der seine Familie hängen lässt, also willigt er ein. Wenig später bereut er diese Entscheidung: Der Konvoi wird von der Polizei angehalten und weil sein Beifahrer das Feuer auf den Polizeibeamten Calvin Hart (Samuel L. Jackson) eröffnet und ihn verwundet, sieht sich Jimmy einer Anklage wegen versuchten Mordes gegenüber. Während er im Knast sitzt, kommt seine Gattin Beverly ums Leben – nachdem sein feiner Cousin sie ins Bett zerren wollte. Jimmy sinnt auf Rache, serviert er Ronnie mit einem gezielten Tipp beim aalglatten Staatsanwalt Zioli (Stanley Tucci) ab. Und der sieht in Jimmy ein geeignetes Werkzeug, die eigene Karriere voranzubringen: Nach seiner Entlassung soll der ihm helfen,  Little Junior hinter Gitter zu bringen …

Man kann nicht sinnvoll über KISS OF DEATH sprechen, ohne auf seine Schauspieler einzugehen. Schroeder kitzelte selbst aus Idi Amin eine unfassbare Performance heraus, kein Wunder, dass er die Riege herausragender Darsteller zu Glanzleistungen motivierte, die den eher ruhigen Film zum Strahlen bringen. Zu Caruso habe ich mich schon geäußert, aber Cage, Tucci, Jackson und Rapaport sind kaum weniger großartig. Ersterer gibt seinen Junior als Trainingsanzug-Proleten mit Asthma und Abneigung gegen Metallbesteck. Seine Auftritte sind kurz, aber unvergesslich, prägnante Beispiele seines berüchtigten Megaactings: Nach dem Tod seines Vaters tanzt er autoaggressiv zu Kirmes-Techno, er macht Gewichtheben mit einer Tänzerin seines Stripclubs, möchte sich mit Jimmy in einem Anfall von Introspektion über „life and shit“ unterhalten, gibt sich motivierende Akronyme („it helps you to visualize your goals) und hat sich dabei für „B.A.D“ entschieden, was für „balls, attitude, direction“ steht. Jimmys Vorschlag „F.A.B“ – „Fucked at Birth“ – ist ihm hingegen entschieden zu negativ. Ich gehe davon aus, dass ein Großteil dieser Dialogzeilen sowie Einfälle wie die Besteckabneigung auf Cages eigene Improvisation zurückgehen – und erstaunlicherweise zerreißen diese tonal krass herausstechenden Momente den Film nicht, sondern fügen sich wunderbar ins Bild. Es sind diese superspezifischen Details, die Little Junior – eigentlich ein echter Kintopp-Schurke – gegen jede Wahrscheinlichkeit zu einer runden, lebendigen Figur machen. Eine Überraschung ist auch Samuel L. Jackson: Agiert er seit Jahren als Karikatur seines vor 20 Jahren etablierten „big black motherfuckers“, hat er hier eine überraschend differenzierte Rolle bekommen. Der Cop, der von seiner Schussverletzung ein tränendes Auge und Migräneanfälle davongetragen hat und dessen Zorn auf Jimmy sich in echte Sympathie verwandelt, als er bemerkt, dass der genauso ein Opfer seiner Umwelt ist wie er, ist in KISS OF DEATH ein emotionales Zentrum neben dem Zentrum. Diese Wandlung eines Nebencharakters zur echten Identifikationsfigur ist nur eine der zahlreichen unerwarteten Überraschungen, die Schroeder bereithält. Unbedingt ansehen!

Kommentare
  1. zorafeldman sagt:

    nur eine korrektur: ronnie wollte beverly nicht nur ins bett zerren: sie ist offensichtlich rückfällige alkoholikerin, immerhin trinkt sie bereits im baby cakes schon wodka und kann nur noch wankend den club verlassen. dass sie in ronnies bett aufwacht, nach einer nacht, an die sie sich wohl nicht erinnern kann, während ronnie duscht, lässt ziemlch sicher darauf schließen, dass er mit ihr einiges veranstaltet hat, als sie im vollrausch nicht mehr wirklich teilnehmen konnte. so habe ich die szene jedenfalls interpretiert.

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