winnetou 1. teil (harald reinl, deutschland/jugoslawien/italien 1963)

Veröffentlicht: April 4, 2014 in Film
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Es ist erstaunlich, wie modern ein so deutlich in seiner Zeit verhafteter Film wie WINNETOU 1. TEIL heute in seinem Ansatz wirkt. Nachdem der Zuschauer die beiden Freunde Old Shatterhand und Winnetou in DER SCHATZ IM SILBERSEE kennenlernen durfte, erfährt er nun, wie es zu dieser Freundschaft kam. Der Apachenhäuptling Winnetou, in DER SCHATZ IM SILBERSEE noch eine cypher, eine vom Zuschauer mit Bedeutung aufladbare Leerstelle, reines Bild gewissermaßen, erhält nun einen biografischen Hintergrund, einen Charakter, eine Motivation – und eine Stimme. Man kennt diese Strategie, mit der Fortsetzung eines erfolgreichen Films in dessen Vorvergangenheit zu springen, um seine Ereignisse gewissermaßen rückwirkend herzuleiten. „Prequels“ nennt man diese vorverlagerten Fortsetzungen und hat heute selten gute Worte für sie übrig, weil sie meist dem Missverständnis erliegen, ein Mehr an expositorischer Information stelle einen Wert an sich und einen Mehrwert gegenüber dem Vorgänger dar, wo sie im Gegenteil doch meist das Mysterium, das im Zentrum jeden Filmes steht, entzaubern. Auf WINNETOU 1. TEIL trifft das glücklicherweise nicht zu: Er dringt nur ein Stück tiefer in eine unermessliche Welt ein, ohne sie jedoch vollständig zu erschließen und zu kartografieren. Und Winnetou bleibt auch nach diesem Teil noch so fremd, exotisch und anziehend, wie er das zuvor war. Die Figur ist nicht auszuloten.

Pierre Brice wurde mit der Darstellung Winnetous zwar zum Star, doch sein Spiel nur selten gelobt. Dabei ist es ganz entscheidend für den Erfolg der Filme, die er durch seine bloße Präsenz trägt – sogar in Szenen, in denen er gar nicht anwesend ist. Brice verleiht dem Indianerhäuptling eine stoische Miene, in der sich kaum Emotionen abzeichnen, die aber nicht einschüchternd, drohend oder gleichgültig wirkt, der vielmehr etwas Verwundbares, Verletzliches, sehnsüchtig Suchendes innewohnt. Es sind wahrscheinlich die dunklen, aber klaren Augen, in denen sich das Leid seines Volkes widerspiegelt, ebenso aber auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Das Drehbuch – und Synchronsprecher Christian Wollf – legen ihm aphoristische Dialogzeilen in den Mund, gleichnishaft formulierte Sätze, die Ausdruck seines Spiritualismus, seiner Erdverbundenheit und einer weit über seine Jahre hinausgehenden Weisheit sein sollen. Sie schrammen die Grenze zur unfreiwilligen Komik manchmal mehr als nur haarscharf, aber Brice gelingt es wie durch ein Wunder, sie überzeugend zu verkaufen. In seiner ganzen Gestalt und Haltung, Körpersprache und -spannung entbirgt sich eine Dissoziation mit dem Materiellen, als sei er nur vorübergehender Gast auf der Welt und in seinem Leib. Er ist ganz entschieden messianisch gezeichnet, ein Aspekt der im zweiten und schließlich im dritten Teil noch deutlicher hervortritt, und man wunderte sich nicht, wenn er sich plötzlich entmaterialisierte und als schillernder Lichtstrahl gen Himmel führe. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Die Great Western Railway plant den Bau einer Eisenbahnlinie nach Westen, die rund um das Apachengebiet gelegt werden soll. Ein deutscher Ingenieur, wegen seines harten Schlags „Old Shatterhand“ genannt (Lex Barker), soll den Bau beaufsichtigen. Noch vor seiner Ankunft erfährt er aber, dass der schurkische Santer (Mario Adorf) mit dem Bauunternehmer Bancroft andere Pläne verfolgt: Er will die Bahnlinie gegen gültige Verträge direkt durch das Land der Apachen bauen, sich so das gesparte Geld in die eigene Tasche stecken und außerdem einen Krieg provozieren, um an das Gold des Indianerstamms zu kommen. Als Vertreter der Eisenbahner sieht sich auch Old Shatterhand dem gerechten Zorn Winnetous gegenüber, den er nicht zerstreuen kann. Nach einer erbitterten Schlacht in der Westernstadt Roswell, bei der Old Shatterhand versucht, Santer in seine Gewalt zu bringen, gerät er in die Gefangenschaft der Apachen. In einem Duell gegen Winnetous Vater Intschu-tschuna (Mavid Popovic) muss er nun um sein Leben kämpfen …

Mit WINNETOU 1. TEIL beginnt eine in den beiden Sequels stringent fortgesetzte Geschichte um Frieden, Toleranz, Ehrlichkeit und grenzüberschreitende Freundschaft. Für Winnetou markieren die drei Filme Stationen auf einer Reise vom wütenden Opfer weißer Unterdrückung hin zum Friedensstifter und Versöhner, dessen Glanz schließlich auf alle, die ihn umgeben, abstrahlt. Im ersten Teil steht er noch ganz in der Tradition des erbarmungslosen Wilden, der, von den weißen Teufeln in die Ecke getrieben, mit unerbittlicher Grausamkeit und Entschlossenheit zurückschlägt. Unbarmherzig schmettert er alle Bemühungen Old Shatterhands ab, ihn von seinem Wohlwollen zu überzeugen, und noch nicht einmal seine Schwester Nscho-tschi (Marie Versini) kann ihn davon abbringen, Old Shatterhand am Marterpfahl sterben zu lassen. Als Winnetou dann doch einer inneren Eingebung folgend von einer sofortigen Hinrichtung absieht, und dem Weißen eine Chance gibt, sein eigenes und das Leben seiner Freunde zu retten, hat man den Eindruck, der Indianer hat einen Kampf gegen sich selbst verloren: Er kann Grausamkeit nicht, sie entspricht nicht seinem Wesen, auch wenn sie dringend zum Repertoire eines angehenden Häuptlings gehören sollte. Wenig später schon vollzieht er mit dem Mann, den er eben noch als Feind umbringen wollte, das Ritual zur Blutsbrüderschaft. Und mit dem Blut verbinden sich nicht nur zwei kulturelle Gegensätze, auch die beiden wichtigsten Impulse des Films finden zueinander: Mit Old Shatterhand wird WINNETOU 1. TEIL gewissermaßen geerdet, er ist der Handwerker, der Winnetous Vision vom Frieden in die Tat umsetzt, dem Philosophen den Rücken frei- und ihn gleichzeitig am Boden hält, verhindert, dass er sich in einer immateriellen Ideenwelt verliert. Umgekehrt schenkt Winnetou dem tapferen Weißen eine Mission, die seine eigene Bedeutung weit überragt. Old Shatterhand ist aber natürlich auch der Anker für den Zuschauer, die Figur, durch dessen Augen er auf die fremde Welt blickt. Was er da sieht, ist wieder einmal schlicht bezaubernd: Durch die Verlegung des Wilden Westens nach Jugoslawien wird der mythische Gehalt der Erzählung noch gesteigert, es ist, als ritten die Figuren durch idealisierte Traumlandschaften, immer auf der Suche nach der leuchtenden Himmelspforte. Wenn sich Reinl dann den eher zupackenden Elementen zuwendet, ein echtes Massaker im Eisenbahnerstädtchen Roswell inszeniert, die Apachen mit gen Himmel gereckten Speeren geduldig und mitleidlos auf den Sturz des an einer Felsklippe hängenden Santers warten lässt, wirken diese Szenen ob des offenkundigen Kontrastes gleich doppelt so brutal. Den Film zerreißt es förmlich, in seinem Bestreben die grausame Materialität der Erde hinter sich zu lassen und ins Paradies zu fahren, da wo Martin Böttchers Musik in Endlosschleife läuft, der Tag im Lächeln Nscho-tschis immer für uns leuchtet.

 

Kommentare
  1. ekkardbaeuerle sagt:

    Hat dies auf Ekkard Bäuerle | Mixtape rebloggt und kommentierte:
    Wuwuwu… eine wirklich lesenswerte, weil waschechte Liebeserklärung an die edelste Rothaut der Welt: Winnetou – und das ist nur der erste Teil!

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