jackie brown (quentin tarantino, usa 1997)

Veröffentlicht: November 18, 2014 in Film
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Jackie Brown (Pam Grier), eine 44-jährige Stewardess einer kleinen mexikanischen Airline, verdient sich etwas als Geldkurier des Waffen- und Drogenhändlers Ordell Robbie (Samuel L. Jackson) dazu. Weil sie schon einmal in einer Drogensache auffällig geworden ist, lauert ihr der Kriminalbeamte Ray Nicolette (Michael Keaton) auf, der es auf Robbie abgesehen hat, und zwingt sie zur Mitarbeit: Sie soll ihn bei der Übergabe von 500.000 Dollar in die Falle locken. Doch Jackie hat eine bessere Idee: Gemeinsam mit dem Kautionsagenten Max Cherry (Robert Forster) schmiedet sie einen Plan, mit dem sie Nicolette und Robbie hereinlegen und das Geld dabei für sich einstreichen kann …

In PULP FICTION ging es nach Thomas Elsaesser nicht zuletzt um „love and theft“, darum, wie Weiße schwarze Kultur (die sie lieben) für sich vereinnahmen (also stehlen). Mit JACKIE BROWN holt Tarantino diesen Subtext nun gewissermaßen auf die strukturalistische Ebene, indem er selbst als weißer Filmemacher einen Film macht, der nach dem Vorbild der Blaxploiter der Siebzigerjahre gefertigt ist. Mit Pam Grier übernimmt ein ehemaliger Star des Genres die Hauptrolle und der Soundtrack wird überwiegend von Größen der Soul- und Funk Music bestritten. Das dem Blaxploitation-Film inhärente Thema des Kampfes der Unterdrückten um Selbstbestimmung und Gleichberechtigung holt Tarantino aber auf eine realistische, soziale Ebene zurück, indem er seine schwarze Heldin auch noch zu einer mittelalten Geringverdienerin macht, die sich ernste Gedanken um ihre Zukunft machen muss, und ihr einen 56-Jährigen zur Seite stellt, der sich in sie verliebt und durch diese Liebe beginnt, sein eigenes Dasein zu hinterfragen. Den ewigen, nicht erwachsen werden wollenden und in ödipalem Ringen begriffenen Jungspunden aus PULP FICTION setzt er mit Jackie Brown und Max Cherry zwei Charaktere entgegen, die ihre Sturm- und Drangzeit längst hinter sich haben und die sich vielmehr damit beschäftigen, wie sie ihr Leben ausklingen lassen wollen.

Soweit ich mich erinnere, bedeutete JACKIE BROWN das Ende der nach PULP FICTION grassierenden Tarantino-Verehrung. Viele, die jenen Film für all jene Oberflächenmerkmale so liebten, die man damals mit dem Regisseur verband, kehrten ihm nach diesem mit Spannung erwarteten Drittwerk enttäuscht den Rücken. Sie vermissten wahrscheinlich die ausgestellte Coolness von Auftragskillern in schwarzen Anzügen und Bonnie-und-Clyde-Pärchen, die Dialoge über unterschiedliche Hamburger-Benennungen, die heftigen Gewaltausbrüche, die verschachtelte Narration. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass JACKIE BROWN einen sehr viel ruhigeren, gemächlicheren Rhythmus anschlägt. Ganz im Stile des Heist Movies spielen Langsamkeit und Geduld eine sehr wichtige Rolle. Ein großer Coup will sorgfältig geplant statt überstürzt werden und wer wüsste das besser, als Jackie und Max, zwei Menschen, die sich im Leben eingerichtet haben wie auf einer gut eingesessenen Couch? Ein Fauxpas wie Vincent Vega, dem Killer aus PULP FICTION, der auf der Toilette seiner Zielperson erschossen wurde, soll ihnen nicht passieren. Das, was ihnen an Skrupellosigkeit und Abgebrühtheit fehlt, machen sie durch Routine, Menschenkenntnis und Umsicht wett. Sie müssen gar keine Gewalt anwenden, weil sie die Situationen, die auf sie zukommen, antizipiert haben wie Schachspieler.

Die Jugend zieht in JACKIE BROWN konsequent den Kürzeren – wobei „Jugend“ hier durchaus relativ zu verstehen ist. Das Surfergirl Mel (Bridget Fonda), notgeile Gespielin von Robbie, glaubt, sich alles erlauben zu können, und endet mit zwei Kugeln im Leib. Beaumont (Chris Tucker) ist ganz einfach zu dumm, um zu begreifen, warum er nicht bei Robbie in den Kofferraum steigen sollte. Und Nicolette ist viel zu ehrgeizig, viel zu heiß auf den Ruhm, den ihm die Verhaftung des Waffenhändlers einbringen wird, um die Gefahr zu bemerken, in die er sich begibt. Man muss nur die Ruhe und Würde erkennen, mit der sich Jackie bewegt (bzw. die Tarantino ihr mit seiner Inszenierung zuweist), und sie mit der Selbstverliebtheit ihrer Kontrahenten vergleichen, um zu wissen, dass sie am Ende triumphieren wird. Schon wie sie in der Creditsequenz an dieser blauen Mosaikwand entlangschreitet, den Blick immer geradeaus gerichtet, totale körperliche Souveränität ausstrahlend, ist klar, dass sie sich auf ihrem Weg nicht aufhalten lassen wird. Pam Grier ist grandios in JACKIE BROWN, eine bessere Besetzung kaum denkbar. Sie verkörperte schon in den Siebzigern eine Art weiblicher Urgewalt, mit der Mann sich besser nicht anlegte, aber verfügte in ihrer Jugend über einen noch sehr ungeschliffenen Charme. Es war eher Trotzigkeit, die sie antrieb und sie manchmal auch über das Ziel hinausschießen ließ. Hier verpulvert sie keine unnötige Energie, geht höchst ökonomisch mit ihren Reserven um. Körpereinsatz muss sie fast nie zeigen, weil sie in der Lage ist, die anderen in ihrem Sinne zu lenken. Man sieht ihr eine gewisse Müdigkeit an. Nicht die körperliche Erschöpfung nach einer vollbrachten Anstrengung, sondern jene, die der jahrelange Alltag, der daily grind bei ihr hinterlassen hat. Aber diese Müdigkeit schärft auch noch einmal ihre Sinne, weil sie den Fokus auf ihre eigene Verletzbarkeit lenkt, während Robbie, Nicolette und Konsorten sich in ihrer virilen Kraft für unbesiegbar halten. Pam Griers Gesicht spiegelt diese Ruhe und Konzentration, den Willen, sich nicht mit den Verhältnissen abzufinden. Es ist kein Wunder, dass sich Max Cherry sofort in sie verliebt, wie sie da als reine weibliche Präsenz auf ihn zuläuft und noch in der Bewegung zu einem Denkmal weiblicher Selbstbehauptung kristallisiert (ich meine, damals wurde in der Rezension in der Splatting Image ausgeführt, wie Jackie durch die Montage immer ein Stück zurückversetzt wird, so als dehne sich der Weg, den sie zurücklegen muss, für Max Cherry ins Endlose). Sein Blick der Verzauberung wiederholt sich am Ende noch einmal, wenn Jackie nach gemeinsam überstandenem Abenteuer und einem innigen Kuss in ein anderes, neues Leben entschwindet und ihn, der ihre Kraft nicht hat, in seinem zurücklässt. Er muss sein Telefonat beenden, und sein Blick erinnert an den Killer Jules aus PULP FICTION, der eigentlich tot sein müsste, den aber alle Kugel auf wundersame Weise verfehlt haben. Als sei ein Tornado über ihn hinweggerauscht, ohne eine Spur zu hinterlassen. Auch Max ist Zeuge göttlicher Einmischung geworden.

Kommentare
  1. Ghijath Naddaf sagt:

    Ich sehe nun nicht das die Fans der ersten Stunde nach Jacky Brown abwanderten.
    Dann schon eher nach Kill Bill, der aber immerhin visuell noch sehr ansprechend war.
    Aber was soll´s. Dafür hat Tarantino jetzt ganz viele neue Fans die bei Django Unchained gröhlend
    im Kino sitzen, sich an den grotesken und langweiligen Blutorgien ergötzen und den unerträglichen
    Christoph Waltz für einen grossen Schauspieler halten.

    • Oliver sagt:

      OK, vielleicht ist „abwandern“ zu stark formuliert, aber wenn es um die geilsten und coolsten Filme der Neunziger geht, dürfte PULP FICTION ziemlich weit oben stehen. Und JACKIE BROWN ist wahrscheinlich eher eine Fußnote. Ist aber, zugegebenermaßen mehr so ein Gefühlsding von mir.

      Ich merke außerdem, dass QT für dich das ist, was für mich PTA ist. Man ersetze Christoph Walz durch den unerträglichen DDL. 🙂

  2. Ghijath Naddaf sagt:

    Ja, wobei ich aber wie gesagt, The Hateful Eight wieder eine Chance gebe werde.
    Du aber, nach eigenen Angaben, Inherent Vice wohl eher nicht.
    Was ich übrigens als schade empfinden würde. Sieht wirklich sehr interessant aus.
    The Master und Magnolia fand ich übrigens grauenvoll.

    • Oliver sagt:

      Ach, ich weiß nicht. Ich hadere da immer wieder mit mir. Grundsätzlich ist ein Film, über den man sich wirklich ärgern kann, ja immer noch tausendmal besser als diese einfach so vorbeiblubbernde Plörre. THE MASTER fällt mir immer mal wieder ein und ich überlege dann, ob ich ihn mir mal anschauen soll. Über INHERENT VICE weiß ich rein gar nix. Außer dass er von PTA ist.

  3. Ghijath Naddaf sagt:

    Das Buch von Pynchon habe ich zwei mal gelesen. Das zweite mal allerdings haupsächlich in der
    Hoffnung es diesmal zu verstehen. Wie dem auch sei, der Trailer zu PTA’s Verfilmung ist klasse.

  4. Chrisch sagt:

    „Ich merke außerdem, dass QT für dich das ist, was für mich PTA ist. Man ersetze Christoph Walz durch den unerträglichen DDL.“

    Für wen steht DDL? Mir fiele nur Daniel Day Lewis ein, aber hat der mal mit PTA gedreht?

  5. Oliver sagt:

    Ja, THERE WILL BE BLOOD.

  6. Chrisch sagt:

    Da war was, stimmt.

    Findest du Lewis tatsächlich generell „unerträglich“ oder nur in Bezug auf There Will Be Blood?

  7. Chrisch sagt:

    Dann empfehle ich: Mein linker Fuß, Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins und Der Boxer.

    Ein hervorragendes und eindringliches Schauspiel liefert er in jenen Streifen ab. Stellenweise auch angenehm zurückhaltend und auf große Gesten verzichtend.

    Generell sehe ich ihn allerdings nicht als „Wichtigtuer“. Wenig Zurückhaltung geht ja nicht zwangsläufig damit einher, wichtigtuerisch sein zu wollen.

    Man denke nur an Al Pacino, dessen Schauspiel sich nach Der Pate – der ja noch sehr „ruhig“ von Pacino verkörpert wurde – stark verändert hat, da er immer kraftvoller auftrat. Beides hat seine Vorzüge. Und Pacino wurde ja auch nicht wichtigtuerisch. Vielmehr ist sein Schauspiel auch stark geprägt durch seine Theaterherkunft. Größere Gesten, kraftvollerer Auftritt. Mehr Mut zur Theatralik.
    Sieht man immer besonders gut, wenn man ihn mit De Niro vergleicht. Letzterer ist ein reiner Filmdarsteller und verzichtet ja meist auf große Gesten.

    Ein anderes Beispiel wäre Nic Cage. Manchmal wirkt sein Stil wie schlechtes Overacting und ein anderes Mal ist es große Kunst. Man denke nur an „Bringing out the dead“, „Leaving Las Vegas“, „Spiel auf Zeit“ oder jüngst „Joe“.

  8. Oliver sagt:

    Wenig Zurückhaltung geht allerdings damit einher, kein Maß zu kennen. Speziell seine Auftritte in GANGS OF NEW YORK und TWBB zeigen das. Beide Darstellungen grenzen an Karikaturen, jede Szene auf maximale Wirkung hin gespielt. Man fühlt sich, als würde man ununterbrochen angeschrien. Das hat auch nix mit Theaterherkunft zu tun. (Al Pacino hat übrigens auch ein paar sehr, sehr schreckliche Auftritte in seiner Filmografie.) Nimmt man dann noch seinen Pseudorücktritt hinzu, inszeniert, um dann jedem Wortbruch den Ruch des Events zu verleihen, sieht das für mich sehr nach Wichtigtuerei und Selbstverliebtheit aus. (Letzteres ist wahrscheinlich Voraussetzung dafür, überhaupt Schauspieler werden zu können, aber manchen gelingt es eben, sie in Zaum zu halten.)

    Und Nic Cage ist natürlich immer großartig. Das „schlechte Overacing“ ist Teil seiner Methode und war in den letzten zehn Jahren der Grund dafür, dass sonst vergessenswürdige Filme zu Ereignissen wurden.

  9. Chrisch sagt:

    Dann könnte es doch aber auch sein, dass Lewis‘ overacting auch Teil seiner Methode ist. Ansonsten wird mit zweierlei Maß gemessen.

    Warum es also bei Cage mit „großartig“ werten und bei Lewis den Kritikpunkt der „Maßlosigkeit“ ins Feld führen.

    Das erschließt sich mir (noch) nicht ganz.

    Grüße

  10. Oliver sagt:

    Weil es ein Unterschied ist, ob man seine Pappschablone im stulligen Genreschinken Nr. 437 mit enthemmtem Megaacting zum Leben erweckt, oder alle Feinheiten und Nuancen eines ausgearbeiteten Charakters damit nivelliert.

  11. Chrisch sagt:

    Ist argumentativ ein wenig schief, weil Cage ja gerade nicht (!) nur in klischeehaften DTV-Filmchen mitspielt, sondern seine Form des overactings ja auch in Werken nutzt, in welchen er einen „fein ausgearbeiteten“ Charakter spielt.

    Bringing Out The Dead, Joe und Leaving Las Vegas seien hier stellvertretend für weitere Filme mit gut geschriebenen und fein ausgearbeiteten Charakteren genannt.

    Ist Cage also nur „großartig“, wenn sein overacting dazu führt, dass ein eigentlich schwacher Film durch ihn so zum Ereignis wird; und wird er automatisch auch zum „Wichtigtuer“ – wie Lewis – wenn er mit seinem overacting einen fein ausgearbeiteten Charakter im wahrstenn Sinne des Wortes überspielt?

  12. Oliver sagt:

    OK, ich gebe auf mit dem Versuch, meinen Geschmack zu objektivieren. 🙂 Ich empfinde Cages Spiel eben als leichter, humorvoller, ironischer als das scene chewing von DDL. Cages Spiel führt zu Brüchen, DDLs Spiel ist für mich lediglich auf opernhafte Art und Weise überzogen. Cage setzt Akzente, DDL versucht alles zu übertönen. Bei Cage weiß man nie ganz genau, was kommt, DDL gestaltet jeden Auftritt als Showcase und Machtstatement. Schau dir THERE WILL BE BLOOD AN, vielleicht verstehst du dann, was ich meine. Oder auch nicht, dann haben wir einfach eine andere Auffassung davon, was gutes Schauspiel ist. 🙂

  13. Mr. Majestyk sagt:

    JACKIE BROWN ist meiner Meinung nach der reifste Film Tarantinos.
    All die Referenzen fügen sich hier zu einem harmonischen Ganzen zusammen.
    Der Mann hat tatsächlich mal richtig gute Filme gemacht, daran können auch die Basterds und der unerträgliche Django nichts ändern.

    Um meinen Senf zu vervollständigen, THERE WILL BE BLOOD gehört neben dem Patienten aus England zu den schlimmsten Filmprüfungen die ich je über mich ergehen lassen mußte. Der einzige Andersen den ich mag ist BOOGIE NIGHTS.
    DDL schreit wirklich hier wirklich, ich kenne ihn aber auch anders.
    Ohnehin ist die Liste der Stars lang, deren Spiel irgendwann gekippt ist.
    Für mich ist Nicholson einer, der in späteren Jahren kaum noch zu ertragen war.

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