il boss (fernando di leo, italien 1973)

Veröffentlicht: November 9, 2012 in Film
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Im Auftrag seines Mentors, des Mafiabosses Don Giuseppe D’Aniello (Claudio Nicasto) massakriert Nick Lanzetta (Henry Silva) die Familie des verfeindeten Don Antonino Attardi (Andrea Aureli): Nur sein weinerlicher Bruder Carlo (Gianni Musy) und Cocchi (Pier Paolo Capponi) kommen davon und letzterer entführt als Vergeltungsschlag sofort die Tochter D’Aniellos. Lanzetta hat einen Plan: Er will den Entführern ein Lösegeld anbieten, um Zeit zu gewinnen. Doch eigentlich hat er ganz anderes im Sinn …

So wie ich IL BOSS gesehen habe, den dritten Teil von Di Leos lose verbundener Gangster-Trilogie (die ich zuvor fälschlicherweise als Mailand-Trilogie ausgewiesen hatte: IL BOSS spielt in Palermo), sollte man Filme eigentlich nicht schauen. In einer stressigen Arbeitswoche bin ich an mehreren Tagen hintereinander bei seiner Sichtung eingeschlafen, musste mehrfach zurückspulen und neu anfangen. Eigentlich guckt man sich Filme so kaputt: Für IL BOSS hat diese „Strategie“ aber erstaunlich gut funktioniert. Ich glaube, wenn ich ihn auf Anhieb am Stück geschafft hätte, hätte ich ihn möglicherweise nicht so gute gefunden. Denn IL BOSS ist ein gänzlich anderer Film als seine Vorgänger MILANO CALIBRO 9 oder LA MALA ORDINA. Zeichneten sich jene durch einen sehr geradlinigen Plot und starke Protagonisten aus, an die man sofort sein Herz verlieren konnte, ist IL BOSS ein Film, der weniger eine Geschichte eines Charakters erzählt, als das Protokoll einer Dynamik abliefert, in der die Menschen kaum mehr als Dominosteine sind, die angestoßen werden und ihrerseits anstoßen. Hatte ich zunächst jene Emotionalität vermisst, die Di Leos vorige Filme im Überfluss boten, machte es mir die zerstückelte, in mehrere Etappen mit zeitlichem Abstand dazwischen geteilte Betrachtung deutlich leichter, diesen „Mangel“ zu akzeptieren und zu bemerken, dass Di Leo hier etwas gänzlich anderes im Sinn hatte.

Es gibt keinen einzigen liebenswerten Charakter in IL BOSS – eigentlich noch nicht einmal einen Charakter. Man erfährt kaum etwas über die einzelnen Figuren und keine scheint über den Rahmen des Films hinaus Bedeutung zu haben; mit Ausnahme von Lanzetta vielleicht, doch auch der ist so unendlich leer, dass man fast froh darüber sein muss, dass es die Fortsetzung, die nach dem Cliffhanger-Ende per Schrifteinblendung angekündigt wird, nie gegeben hat. Ähnlich wie Scorsese in GOOD FELLAS skizziert Di Leo hier die Funktionsweisen eines Systems, doch verzichtet er dabei fast völlig auf die detaillierte Zeichnung eines Milieus. IL BOSS ist im Gegenteil fast nackt, jeglichen Zierrats entledigt. Er erzählt von einer sich immer weiter drehenden Gewaltspirale, die alle erfasst, von einer entsetzlichen Mordlogik, die sich verselbständigt, von einzelnen Protagonisten total abgelöst hat. Wenn es nicht Lanzetta ist, der herumläuft und mordet, dann ist es jemand anders. Lanzetta ist vielleicht ein bisschen besser, ein bisschen kaltblütiger, aber – das macht der unvollendete Schluss klar – auch er ist nur eine Fußnote, die keine gesonderte Beachtung verdient hat. Er ist nur der extreme Auswurf eines Systems, das weiterbesteht, indem es sich immer wieder häutet und reinigt, ohne sich dabei wesentlich zu verändern. IL BOSS ist ein fürchterlich deprimierender Film: Nicht, weil er einen wirklich mitnähme, sondern weil das alles so schrecklich arbiträr ist, weil das ganze Morden ganz egal ist. Nichts ändert sich, es war immer so, wird immer so sein. Keine neue Erkenntnis, aber nur wenige Filme haben das so unmissverständlich klar gemacht.

Kommentare
  1. […] bei Remember it for later: “I padroni della città” (Zwei Supertypen räumen auf), und “Il boss” (Der Teufel führt Regie) vom großartigen Fernando di Leo, sowie “La belva col mitra” (Der Tollwütige) von […]

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