derrick, episoden 026 – 030 (deutschland 1976/1977)

Veröffentlicht: Januar 23, 2014 in Film
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Episode 026: Das Superding (Wolfgang Becker, 1976)

Bildschirmfoto 2014-01-19 um 19.06.18Kurz nachdem Eberhard Witte (Horst Sachtleben) sich mit dem Chef einer Bank verabredet hat, um diesen über einen unmittelbar bevorstehenden Einbruch zu informieren, wird er auf offener Straße erschossen. Die Ermittlungen Derricks führen zum „Rock-Shop“, der Discothek des ehemaligen Mathematiklehrers Gerke (Horst Buchholz), dessen Befragung jedoch zunächst keine weiteren Erkenntnisse bringt. Derrick und Klein kommen nicht richtig weiter, bis sie Nachricht von der Bank erhalten: In deren Tresorraum wurde tatsächlich eingebrochen und das gesamte Geld entwendet …

Becker behandelt in seiner Episode einen geradezu klassischen Heist-Stoff, dessen bewusster Anachronismus den besonderen Reiz ausmacht. Der Regisseur geht nicht einfach unreflektiert vor, er legitimiert die auch 1976 wahrscheinlich nicht mehr ganz zeitgemäße Methode seiner Schurken durch die Figur Gerkes, der als Mastermind darauf baut, dass niemand hinter seinen genial einfachen Plan kommt. Und so graben seine Helfer wirklich einen unteriridischen Tunnel von der Disco, deren Musik den Baulärm übertönt, bis zur Bank auf der gegenüberliegenden Straßenseite und lassen in einer beinahe surrealen Sequenz, die wie eine Parodie auf den erst 20 Jahre später erscheinenden MISSION: IMPOSSIBLE wirkt, einen kleinwüchsigen Mann durch den Lüftungsschacht in den Tresorraum hinab. Die eigentliche Aufklärung des Mordes und die Ermittlungen Derricks interessieren Becker nur am Rande und irgendwann endet die Episode dann einfach: Derrick weiß, dass das alles etwas mit Gerke zu tun haben muss und stattet ihm einen weiteren Besuch ab, bei dem er ihm droht, alles auf den Kopf zu stellen. Gerke wiederum geht es gar nicht so sehr ums Geld: Ihn erfüllt schon das Wissen, dass sein Plan geglückt ist und dass er die Polizei an der Nase herumführen konnte, mit höchster Befriedigung. Man sieht es nicht mehr, aber es steht zu vermuten, dass Oberinspektor Derrick angesichts des hysterisch-triumphierenden Lachanfalls, dem Gerke ams Ende erliegt, das Klappmesser in der Hosentasche aufgeht. Viele schöne, zwischen staubigem Discokugel- und Spiegel-Glamour und bundesdeutscher Eichenholz-Thekenromantik oszillierender Tanzclub-Szenen runden ein mildpsychotronisches Fernsehvergnügen ab.

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Bildschirmfoto 2014-01-19 um 20.39.55Episode 027: Risiko (Franz Peter Wirth, 1976)

Die „Chloroform-Bande“ versetzt die Landstraßen um München in Aufregung: Zwei Männer und eine Frau halten LKWs unter Vorspiegelung einer Panne an, betäuben die hilfsbereiten Fahrer und klauen deren Wagen mitsamt der Ladung – bis eines Tages etwas schief läuft und ein Mann erschossen wird. Horst (Christian Reiner), einer der beiden Täter, kann den Mord nicht mit seinem Gewissen vereinbaren: Als er ankündigt, sich zu stellen, wird auch er erschossen. Als Derrick und Klein seine Mitschüler nach relevanten Hinweisen befragen, bietet Horsts bester Freund Alex (Wolfgang Müller) seine Hilfe an. Es ist für die beiden Kriminalbeamten schnell klar, dass es sich bei Horst um einen der Räuber und bei Alex um seinen Komplizen handeln muss, doch sie wollen über ihn an die Hintermänner der Tat herankommen. Und das will auch Alex …

Wie schon „Der tag nach dem Mord“ so ist auch „Risiko“ ein reiner Adoleszenz-Albtraum, den Wirth ausschließlich in den schwärzesten Farben malt. Die Freude am Risiko – Horst und Alex sind begeisterte Motorradfahrer – führt beide schnell in die Kriminalität, weil der nächstgrößere Kick benötigt wird, und von da in den Tod bzw. das Gefängnis. Nutznießer sind erwachsene Kriminelle, die sich die Einsatzbereitschaft der Jungs zunutze machen. Die Eltern, die eventuell hätten einlenken können, erreichen ihre Söhne längst nicht mehr. So schlafwandelt vor allem Alex durch die Welt, als sei er der letzte Pistolero. Doch an dem Schweiß, der ihm auf der Stirn steht, und an seinem fahrigen Verhalten erkennt man, das die Schuhe, in die er da geschlüpft ist, mehr als nur eine Nummer zu groß sind.

Was „Risiko“ so faszinierend und zu einem echten Runterzieher macht, das ist die ganz leise und verhalten mitschwingende Ahnung, dass es für Alex, Horst und ihre Freundin Brigitte auch ganz woanders hätte hingehen können. Hätte es vielleicht hätte schon gereicht, wenn sie sich zu ihren Gefühlen bekannt hätten? Die Homosexualität Alex‘ steht überdeutlich im Raum, auch wenn sie nie wirklich explizit gemacht wird. Wirth entführt für eine Stunde in eine Welt, in der alle ihr wahres Ich, ihre innersten Bedürfnisse hinter einer meterdicken Stahltür versteckt und den Schlüssel in einem eisigen Gebirgssee versenkt haben. Alles, was bleibt, ist Distanz.

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Bildschirmfoto 2014-01-20 um 17.43.17028: Pecko (Zbynek Brynych, 1976)

Der 18-jährige Pecko (Pierre Franckh) beobachtet durch Zufall den Mord an einer jungen Balletttänzerin. Doch als Derrick ihn befragt, schwört er, den Täter nicht erkannt zu haben …

Ein weiteres Meisterwerk von Brynych, der hier eine ganze Episode in jenem ruinösen Parallel-München ansiedelt, das er in „Auf eigene Faust“ nur kurz besuchte. Ist „Pecko“ ein Fiebertraum, ein düsteres Märchen oder eine Vision? Von allem steckt etwas in der Geschichte um einen hoffnungslosen, hilflosen, einsamen Träumer, der Weltmeister im Radball (!!!???) werden will, obwohl er ein miserabler Fahrradfahrer ist; der von seinem Bruder und allen anderen herumgeschubst wird und dann ausgerechnet gegenüber Derrick um seine Autonomie kämpft. Und jenseits der braunen verfallenen Mauern, die die Welt von Pecko sind, da tanzen die Mädchen der Sonne entgegen, nur um irgendwann bemerken zu müssen, dass sie von fiesen Profiteuren als Drogenkuriere missbraucht werden. Auch ihre Träume platzen wie die von Pecko, aber sie vergießen Blut dabei.

Eine Episode voller Unfassbarkeiten: Pierre Franckh als Pecko, der verhinderte Radballspieler mit dem Halstuch, dem Käppi, der abgeschnittenen Jeans und den Kniestrümpfen; Pecko, der zu Michael Holms „Tränen lügen nicht“ junge Frauen schüchtern umgarnt; Pecko, der seinen Bruder liebt, den Mörder, und mehr nur sein Fahrrad. Ein Tanzlehrer, der behauptet nur „Pferdchen“ zu trainieren. Stefan Behrens als heruntergekommener Hausmeister, der seine Aufgabe ohne Entlohnung versieht, weil er dafür gratis in einer Bruchbude leben darf. Tänzerinnen, deren Karriere am Ende ist, bevor sie begonnen hat. Die sich mit schweißnassem Gesicht leidend in die Kamera drehen, als wollten sie dem Zuschauer sagen: „Hol uns hier raus!“ Harald Juhnke als Agenturleiter. Arbeiter im Karohemd, die im Bildhintergrund vergebens auf Godot warten. Niemand, absolut niemand bemerkt hier, dass er in die Hölle eingetreten ist, dass das gar keine lebbare Welt ist, dass hier keine Träume erfüllt werden, dass das ganze Leben Stillstand im Nichts ist, Verfall. Nie war Derrick weiter weg von zu Hause als in Brynychs „Pecko“. Ein winziger Hauch Nostalgie schwingt beim heutigen Blick auf diese Folge vielleicht mit, einem Blick auf bundesrepublikanische Realität 1976, dem Jahr, in dem auch ich das Licht der Welt erblickte. Aber hier leben? Nein, danke.

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Bildschirmfoto 2014-01-22 um 19.33.19Episode 029: Der Mann aus Portofino (Dietrich Haugk, 1976)

Einem Mann namens Sieburg (Karl Renar) wird erst zur Flucht aus der Justizvollzugsanstalt verholfen, dann wird er ermordet. Derrick und Klein finden heraus, dass er wegen Autodiebstahls einsaß. Der Wagen, den er entwendete, gehörte einem gewissen Dr. Pinaldi aus dem Örtchen Portofino, der seit Monaten als verschwunden gilt. Sein letzter Aufenthaltsort war der kleine Bauernhof von Herrn Bachler (Alexander Golling)  in der Peripherie von München. Bei der Spurensuche stoßen die beiden Kriminalbeamten auf eine Mauer aus Schweigen. Doch dass der Gutsbesitzer Parenge (Kurt Meisel) vor einigen Jahren seine Frau bei einem Bootsunfall vor der Küste Portofinos verlor, lässt sie ebenso aufhorchen wie die Tatsache, dass Bacher ein Jahr lang mit Sieburg in einer Zelle des Gefängnisses Stadelheim verbrachte …

Haugks „Der Mann aus Portofino“ ist ein deutscher Giallo im Gewand eines Fernsehkrimis. Quasi  L’UOMO DI PORTOFINO, UN GIALLO TEDESCO. Warum? Die Motive hinter dem die Ermittlungen auslösenden Mordfall liegen mehrere Jahre in der Vergangenheit und werden im Laufe der Handlung über seltsam entrückte Flashbacks enthüllt. Den Schlüssel zur Lösung bildet der titelgebende Mann aus Portofino, der sich in all seinen Szenen mittels  subjektiver Kamera direkt an den Zuschauer wendet und auf Italienisch auf ihn einredet. Die sich so einstellende Entfremdung/Überforderung verbindet den Zuschauer mit den Protagonisten, die als erkennbare Fremdkörper ins tiefe Bayern – und die verborgenen Geheimnisse seiner Bewohner – eindringen. Zum ersten Mal kommen in der Serie offen komische Züge zum Tragen: Um Vertrauenshürden zu überwinden, nimmt Derrick von den durch die Bank Schnupftabak konsumierenden Urbayern eine Prise an, die ihn in heftige Niesanfälle ausbrechen lässt. Ein Running Gag, der sich durch die ganze Episode zieht und Derrick zu einem Leidensgenossen der typischen Außenseiterfiguren des Giallo macht. (Ich hatte in meinem Text zu Argentos PROFONDO ROSSO schon darauf hingewiesen, dass die Giallo-Protagonisten oft ortsunkundige Touristen sind, deren Orientierungslosigkeit und Fremdheit die genretypische Auseinandersetzung mit Wahrnehmung und Sinnestäuschung verstärkt und spiegelt.) Auch die tragisch säuselnde Gitarrenmusik, die weit davon entfernt ist, lediglich das Gezeigte auf der Tonspur zu doppeln und zu verstärken, schlägt die assoziative Brücke zum Giallo mit seiner Etablierung einer traumgleichen, oft ins Surreale kippenden Gestaltung.

Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich die ganze dramatische Dimension von „Der Mann aus Portofino“ erfasst hatte: Zunächst scheint Haugks Episode geradezu flüchtig und leicht, ein fluffig-komischer Exkurs in der bundesrepublikanisch-bürgerlichen Tristesse, die die Serie sonst auszeichnet. Aber je länger man das Geschehen verfolgt, umso mehr vertieft es sich, entpuppt sich selbst die Komik noch als Ausdruck einer unüberwindbaren existenziellen Tragik. Am Ende haben Derrick und Klein einen Mordfall geklärt, aber „gelöst“ haben sie gar nichts. Zurück in München, wird ihnen alles vorkommen wie ein böser Traum. Und wer weiß? Vielleicht war das ja alles nicht mehr als das.

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Bildschirmfoto 2014-01-22 um 21.12.39Episode 030: Yellow He (Zbynek Brynych, 1977)

Der Beginn ist reichlich sonderbar: In einer Diskothek unterbricht der DJ sein Programm, um für eine Frau (Susanne Beck), die er „Yellow He“ nennt („He“ in dem Fall nicht wie das englische „he“ ausgesprochen, sondern wie der Ausruf des Erstaunens), den Swing-Klassiker „Bei mir bist du schoen“ aufzulegen. Yellow He beginnt unter Anfeuerung der anderen Gäste – offenbar genießt sie eine gewisse Berühmtheit – zu tanzen. Bald gesellt sich ein junger, schüchtern wirkender Mann (Martin Semmelrogge) zu ihr, sie tanzen nun gemeinsam und geben sich schließlich einen innigen Kuss, der von den Umstehenden frenetisch bejubelt wird. Schnitt: Die beiden wachen gemeinsam in ihrem Bett auf. Er erfährt zu seinem Entsetzen, dass sie noch bei ihrer Mutter wohnt, steht dann aber doch auf, um auf die Toilette zu gehen. Auf dem Weg dorthin sieht er in der Küche einen älteren Herren am Tisch sitzen, dem soeben eine riesige Schale mit Tropenfrüchten serviert wird. Als er vom Klo zurückkommt, fragt Yellow He ihn, ob er sie heiraten möchte. Er, völlig perplex, kann sein Glück kaum fassen und willigt ein. Wieder ein Schnitt. Ein Mann erfährt von einem Arzt, dass sein Vater im Sterben liegt, es gibt keine Hoffnung mehr. Er verlässt die Klinik und wird erschossen.

Zbynek Brynych hat auch schon in seinen bisherigen Beiträgen zur Serie immer wieder die Umwege, Abzweigungen und Sackgassen auf dem Weg zum Ziel gesucht, und „Yellow He“ ist in dieser Hinsicht wahrscheinlich bis zu diesem Zeitpunkt seine radikalste DERRICK-Arbeit. Es sind kaum noch zehn Minuten Spielzeit übrig, bis klar wird, wie die Geschichte um Yellow He mit dem Mordfall zusammenhängt und so schnell, wie Brynych die Episode dann abwickeln muss, ahnt man, dass ihn andere Dinge mehr interessiert haben. Schwierig zu beschreiben, was die Faszination ausmacht, die von dieser Folge ausgeht. Das Mysterium bündelt sich tatsächlich in der Figur der Frau mit dem eigenwilligen Spitznamen, über die man fast nichts erfährt, die aber dennoch alle Aufmerksamkeit auf sich zieht und es sichtlich genießt, ihre erotische Kraft wirken zu lassen. Sie ist ein verlockend oszillierender Farbtupfer im bundesrepublikanischen Braungrau, das Derrick und Klein in nahezu jeder Folge durchwaten müssen („Ich bin kein moralisierender Spießer“, sagt Derrick einmal). Auch hier gibt es sie wieder, die großbürgerlichen Bonzen mit ihren geschmacklosen Villen, die feinen Ehepaare, die nur noch die Etikette zusammenhält, die lustfremden Beziehungen, die armen Unterschichten-Tropfe, die von den Begüterten schamlos ausgenutzt werden, die Söhne, die von den Eltern ohne Rücksichtnahme auf ihre eigenen Interessen auf den Karrierepfad geführt werden.

„Yellow He“ steckt voller Tragik, unausgesprochener Wünsche und zerplatzter Träume, aber nichts davon wird jemals wirklich explizit. Sehr seltsam, aber durchweg magisch.

Wertung: *****/*****

Kommentare
  1. Radball (!!!) (???)

    In den 70er Jahren kam Radball noch öfters in der Sportschau. Echt.

    Es fällt auf, wie Reinecker über die Jahre hinweg manche Themen leicht variiert wieder aufgriff. So wirkt RISIKO wie eine Variation zur KOMMISSAR-Folge DIE WAGGONSPRINGER.

    Du hast übrigens bei den Folgen 26 und 17 die Bewertung vergessen.

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