el canibal (jess franco, spanien/frankreich/deutschland 1980)

Veröffentlicht: November 19, 2015 in Film
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Francos zweiter Kannibalenfilm nach dem drögen MONDO CANNIBALE ist doch von etwas anderem Holz geschnitzt. Das mag dem „normalen“ Genrefan, der sich dieses Werk in der Hoffnung einer geschmacklosen Splatteroper einfährt und sich erneut königlich langweilt, zwar nicht auffallen, doch der Francophile findet hier ohne Zweifel mehr von dem, was ihm in den Filmen des Spaniers das Herz erwärmt. Die ersten zwanzig Minuten geben die Richtung vor: Da wird die Verfolgung einer nackten Frau durch diverse Eingeborene mit dem provokanten Lustwandeln des leichtbekleideten Hollywood-Stars Laura Crawford (Ursula Buchfellner) parallelmontiert, das archaische Treiben im Busch durch eine quasiindustriell anmutende Kakophonie aus verzerrtem und mit Hall belegtem Grollen und Brüllen unterlegt. Ich wähnte mich schon in einem ultrasleazigen Experimental- oder Avantgardefilm, woran auch die eher unterdurchschnittliche Qualität der niedrigauflösenden Videodatei ihren Anteil hatte, die mir vorlag. Gerade in den dunklen Szenen verwandelte sich das Bild in ein beunruhigendes Rauschen amorpher Pixelwolken verschiedener Grauschattierungen, das in Verbindung mit dem ohrenbetäubenden Soundtrack eine durchaus verstörende Qualität annahm. Dafür kann natürlich Franco nichts, aber dies passte  auch zur äußeren Form von EL CANIBAL – herrlicher deutscher Titel siehe links -, der trotz seiner erneut pulpigen Abenteuergeschichte einen fast schon parabelhaften Charakter hat. Nur was einem diese Parabel sagen soll, ist nicht so ganz klar.

Es ist vor allem diese seltsame Aufgeräumtheit, die Francos Filme oft auszeichnet, die auch EL CANIBAL gegen jede Vernunft zum Funktionieren verhilft. Völlig egal, dass da wieder mal Einiges nicht wirklich passt, die Kannibalen gar nicht so unzivilisiert aussehen, ihr primitives Dörfchen an einen vor Jahren verlassenen und nun halbverfallenen und zugewachsenen Ableger des Robinson Clubs erinnert, die wild bewachsene, bergige und mit Steilküsten versehene Insel, auf der der Film spielen soll, von oben aus dem Helikopter betrachtet nur ein kleiner Grasfleck ist, die Entführer, die den Superstar Crawford entführen, reichlich bescheuert sind und die „Effekte“ besonders ramschig. Franco geht es ja nicht um Realismus, sondern um eine ganz basale Schauermär von stellenweise nackter Penetranz und bauchiger Archaik. Besonders geil in dieser Hinsicht ist das Finale, in dem der Held, der toughe Vietnamveteran Peter Weston (Al Cliver), dem glubschäugigen Oberkannibalen auf eine Klippe hinterherklettert, um sich vor strahlend blauem Himmel mit ihm das letzte Gefecht zu liefern. Da meint man, Franco habe sich am Kampf Odysseus‘ gegen den Polyphem orientiert. Überhaupt dieser Kannibale: Franco inszeniert ihn als geisterhafte Naturgewalt, die unaufhaltsam durch den Urwald stapft, immer wieder eingefangen in Totalen, in denen er im Zentrum des wuchernden Wildwuchses steht und eine ziemlich imposante Figur abgibt. Das hat was. Erklärt wird dann auch rein gar nichts und wenn alle Handlungsfäden nach episch anmutenden 100 Minuten aufgerollt sind, hält sich Franco auch nicht lang mit einem überflüssigen Epilog auf. Klappe zu, Affe tot. Es ist schon beeindruckend, wie alle Spurenelemente des Menschlichen aus diesem Film getilgt wurden, er trotz seiner recht namhaften Besetzung so ganz und gar unreflektiert und apriorisch wirkt. Wie die Crawford einem Interviewer gesteht: „I have no opinion of men. I just love them.“

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