kill bill vol. 2 (quentin tarantino, usa 2004)

Veröffentlicht: November 21, 2014 in Film
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Mit KILL BILL VOL. 2 erweitert Tarantino die zuvor verengte Perspektive und liefert den Kontext, in dem der Fragen aufwerfende Vorgänger zu verstehen ist. Die Fortsetzung ist somit nicht bloß inhaltliche Fortführung, sondern gleichermaßen Erweiterung, Kommentar und Korrektur (Mit DEATH PROOF wird Tarantino diese dialektische Struktur in einem Film bündeln). Letzteres teilweise sehr explizit: So klärt uns die zu diesem Zeitpunkt nach wie vor namenlose „Braut“ (Uma Thurman) zu Beginn via Voice-over darüber auf, dass sie mitnichten während, sondern bei der Generealprobe für ihre Hochzeit überfallen wurde. Auch ihren Namen enthüllt der Film nach kurzer Zeit: Beatrix Kiddo heißt die Rächerin, und das aus Bills (David Carradine) Mund zuvor noch leicht herablassend klingende „kiddo“ (etwa „Kindchen“) entpuppt sich somit als kernig-kumpelhafte Ansprache. Mit dieser Offenbarung legt die Heldin auch ihre Undurchdringlichkeit ab, sie verwandelt sich von der überstilisierten, zweidimensionalen Comicfigur in einen Menschen aus Fleisch und Blut. Und das beeinflusst den ganzen Film um sie herum.

KILL BILL VOL. 2 ist nach der stlistischen Tour de force des ersten Teils auffallend ruhig, der Gewaltanteil zudem deutlich reduziert: Ausgedehnte Splattereinlagen und Blutfontänen sucht man vergebens, und die finale Auseinandersetzung mit dem „Oberschurken“ Bill ist beinahe antiklimaktisch. Ebenso sein Tod durch die „Five Point Palm Exploding Heart Technique“, der schon vorher angekündigt wird: Wer ein ausgedehntes, blutiges Duell und einen platzenden Brustkorb erwartet hat, sieht sich bitter getäuscht. Die längere Sequenz, die Beatrix während ihrer Ausbildung beim chinesischen Kung-Fu-Meister Pai Mei (Gordon Liu) zeigt, erinnert mit ihren von alten Eastern abgeschauten Zooms, Trainingsmontagen und dem ausgestellten Spiel Lius noch an die Zitierfreude des Vorgängers, aber sie fällt aus hier sehr aus dem Rahmen. Es ist offenkundig, dass KILL BILL nicht leidglich aus ökonomischen Gründen in zwei Teile gesplittet wurde: Seine beiden Hälften sind wie das Yin und das Yang, einander geradezu diametral gegenüberstehend, sich in ihrer Verschiedenartigkeit aber zur perfekten Einheit vervollständigend. Teil 1 verkörperte Beatrix‘ Zorn, die Raserei, den Überschwang der Gefühle und den damit einhergehenden Kontrollverlust, Teil 2 schildert das Zurückgewinnen dieser Kontrolle und der Souveränität, die Klarheit, Ernüchterung, vielleicht auch Enttäuschung, die Einzug hält, wenn der Puls sich beruhigt hat. Im Grunde genommen ist KILL BILL VOL. 2 ein Film über das Erwachsenwerden. Er begleitet Beatrix auf ihrem Weg zur Mutterschaft. Und um eine verantwortungsvolle Mutter zu werden, muss sie sich von einigen Altlasten befreien. Tarantinos Film handelt, wie auch schon PULP FICTION, von der Auseinandersetzung mit und der Lösung von Vaterfiguren.

Wenn Beatrix am Schluss zu Bill kommt, ihrem ehemaligen Mentor, Ausbilder und Chef, aber eben auch dem einstigen Liebhaber und Vater der gemeinsamen Tochter, verwandelt sich das grellbunte Spektakel in ein ernstes, ruhiges Kammerspiel, ein Beziehungsdrama, wenn man so will. Zwar sind Schuss-, Schneid- und Hiebwaffen nie ganz außer Reichweite, und niemand käme auf die Idee, die beiden Protagonisten mit „normalen“ Menschen zu verwechseln, aber ihre nun folgende, meist verbale Auseinandersetzung lässt sich dennoch am besten als „authentisch“ und „einfühlsam“ beschreiben. Beide Charaktere tauschen sich über ihre gemeinsame Geschichte aus, Beatrix erklärt Bill, warum sie ihn einst verließ, verlassen musste, was in ihr vorging, als sie erfuhr, dass sie Mutter werden würde; Bill öffnet im Gegenzug Beatrix sein Herz, erklärt ihr, warum er sich verraten fühlte und wie es zu seiner, ähem, „Überreaktion“ kam. Für sie ist klar, dass das Leben, das sie bisher gelebt hat, nicht mehr lebbar ist. Und diese Erkenntnis macht die endgültige Abspaltung von Bill erforderlich. Bei dieser Trennung geht es nicht im Wesentlichen um Bill: Beatrix muss eine andere werden, eine selbstständige Frau (und in gewisserweise hat sie mit ihrer Mordtour bewiesen, dass sie das ist, nur der Modus war noch der alte). Der Wandel, den sie vollzieht, wird offenkundig, wenn man ihr Verhältnis zur anderen Vaterfigur des Films betrachtet: Pai Mei. Der wie ein Eremit auf einem Berg lebende Kung-Fu-Meister, der sich nicht gerade durch herausragende soziale Fähigkeiten auszeichnet, fordert von Beatrix totale Unterwerfung und absoluten Gehorsam – das Gegenteil von Emazipation und Selbstständigkeit. Und Beatrix fügt sich in diese Rolle, weil sie weiß, was sie zu gewinnen bzw. zu verlieren hat. Sie benötigt Pai Meis „väterlichen“ Rat, ist noch nicht soweit, sich ihm zu verweigern und ihm entgegenzutreten. Und ich meine, dass sich das Motiv des Vaterkonfliktes durchaus mit Tarantinos „love and theft“-Strategie kurzschließen lässt: KILL BILL VOL. 2 handelt dann auch von der Emanzipation des Regisseurs von seinen Einflüssen. Man kann sich Dinge aneignen, aber man muss lernen, seine Identität dabei zu bewahren.

Ich weiß noch, dass ich damals im Kino enttäuscht war von KILL BILL VOL. 2. Ich hatte mehr Wildheit erwartet, mehr grafische, comichaft überzogene Gewalt, mehr von dem, was den ersten Teil ausgezeichnet hatte. Ich verstand, was Tarantinos Plan war, wusste auch den größeren Tiefgang zu würdigen, aber war trotzdem insgesamt ein bisschen gelangweilt und underwhelmed. Wie Bill da am Schluss einfach zu Boden fällt, fast schon aufreizend undramatisch, ja geradezu uninszeniert, empfand ich als kleinen Affront. Heute ist das ganz anders. Gerade das Schlusskapitel des Films, das lange, ruhige Beisammensein von Beatrix und Bill, ihr verbales Ringen in einem Kampf, dessen Ausgang doch eigentlich schon längst vorgezeichnet ist, empfinde ich als begeisternd und berauschend, Bills „antiklimaktischen“ Tod als vielleicht einen der schönsten Tode wenn nicht gar der gesamten Kinogeschichte, so doch zumindest der letzten 30, 40 Jahre. Und KILL BILL VOL. 2 fügt sich als wichtiger Baustein in Tarantinos Werk.

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