live and let die (guy hamilton, großbritannien 1973)

Veröffentlicht: Januar 20, 2015 in Film
Schlagwörter:, , , , , , ,

108223_d7f47b9b-2268-414b-b450-d93092306cfbNach der Phase der Neuorientierung begann mit LIVE AND LET DIE, Bondfilm Nr. 8, die langlebige und erfolgreiche Moore-Ära. Wie schon in DIAMONDS ARE FOREVER wurde die bereits vorher etablierte Erfolgsformel um eine kräftige Prise Humor und comichaft anmutende Ausflüge ins Reich der Fantastik erweitert, ein Ansatz, der mit dem neuen Hauptdarsteller aber deutlich besser funktionierte als zuvor mit Connery. Moore, mit der Serie SIMON TEMPLAR zum Star geworden und damals bereits jenseits der 40, betont das Distinguierte, Britische der Figur, lässt aber die rohe Körperlichkeit von Connery weitestgehend vermissen. Seine Darstellung war die Grundlage dafür, dass man Bond zukünftig als leicht versnobbten, elitären Gentleman charakterisierte, eine Einschätzung, die kaum weiter von den Ursprüngen der Serie entfernt sein könnte, wo Bond als schlagkräftiges, willfähriges Instrument des Geheimdienstes etabliert worden war. Moore spielt den Geheimagenten mit unverhohlener Ironie und Distanz zum Geschehen, so als sei als einziges Castmitglied in on the joke. Die zu diesem Zeitpunkt bereits in unzähligen, vor allem italienischen und deutschen Produktionen kopierte Serie begann mit LIVE AND LET DIE zu ihrer eigenen Parodie zu werden: Um dem Publikum das zu liefern, was es von der Serie erwartete und diese Erwartungen wenn möglich noch zu übertreffen, mussten auch die letzten Bindungen zum in der Realität verankerten Agentenfilm gekappt werden. Und Moore sprang dem Zuschauer bei den absurdesten Auswüchsen zukünftig mit seiner hochgezogenen Augenbraue zur Seite, die deutlich als Metakommentar zu verstehen war, nebenbei die fast transzendentale Souveränität des Agenten betonte. Bonds Arroganz war nicht mehr nur auf seine Vorgesetzten beschränkt, die mehr und mehr den Status lästiger Aufpasser einnahmen, sondern traf in gewisser Weise sogar die Filmemacher, die die Chuzpe besaßen, den Agenten durch zahlreiche exaltierte und als unwürdig empfundene Actionszenen zu jagen. Was zum wesentlichen humoristischen Bestandteil der Serie werden sollte, führt aber auch zu einer immer größeren Abstraktion und Uneigentlichkeit. Mit den Moore-Bonds tritt die Reihe ein in den Postmodernismus und die Dekonstruktion.

Narrativ schlägt sich das in einer zunehmenden Fragmentierung nieder, im Verzicht auf einen übergeordneten Spannungsbogen und in der Etablierung mehrerer kleiner Episoden mit jeweils eigenem Anfang, Mittelteil und Ende. Man betrachte, wie die „Handlung“ von LIVE AND LET DIE strukturiert ist: Der Film beginnt mit drei Morden an Geheimdienstbeamten, die dazu abgestellt sind, Dr. Kananga (Yaphet Kotto), den Diktator einer Karibikinsel zu überwachen. Der Schurke wird mit der Exposition gewissermaßen mitgeliefert, ohne dass überhaupt ersichtlich wäre, warum ihm dieser Status zukommt. Auch Bonds folgende Ermittlungen liefern kein Gesamtbild, sondern immer nur kleine clues, die zur Überleitung in die nächste Sequenz fungieren: Sein Fahrer wird aus einem fahrenden Wagen erschossen, was ihm ein Kennzeichen liefert. So gelangt er zu dem Gangsterboss Mr. Big, der seine Killer auf Bond ansetzt. Die Nachricht, dass Kananga zurück in seine Heimat geflogen ist, leitet die nächste Sequenz ein. So geht das weiter. Bis kurz vor Schluss bleibt unklar, worum es eigentlich geht, erst dann schafft Kananga selbst in einem erklärenden Monolog den Kontext, in den die zahlreichen Episödchen eingebettet sind. Es gibt demzufolge keine Suspense im herkömmlichen Sinne: Der Zuschauer weiß zwar, dass Kananga der Schurke ist, aber worin genau sein Plan besteht, sprich: was ihn eigentlich zum Schurken macht, wird nicht offenbart. Man ist gezwungen, Bonds Irrweg durch die set pieces mitzugehen. Weil es also kein nachvollziehbares Ziel gibt, auf das der Film zusteuern könnte – außer dem ganz allgemeinen „Bond muss Schurken bezwingen“ –, rückt der Weg selbst in den Fokus. Wie ihre Plakatmotive ab diesem Zeitpunkt nehmen die Filme immer mehr den Charakter von bunten Collagen an. Der ganze Film steht deutlich im Zeichen des damals vorherrschenden Blaxploitation-Booms, hat die afroamerikanische Schurkenschar, Ausflüge nach New York und New Orleans samt der typischen Settings, Statisten, Frisuren und Klamotten. Es gibt eine Bus- und eine Motorboot-Verfolgungsjagd sowie einen Drachenflug, Mordversuche mittels Schlangen, Krokodilen und Haien, eine abergläubische Doppelagentin (Gloria Hendry), einen tolpatschigen Südstaatensheriff (Clifton James), den diabolischen Baron Samedi (Geoffrey Holder) und Kanangas einarmigen Killer Tee Hee (Julius Harris), der Schurke verfügt über eine Doppelidentität und eine Geliebte mit seherischen Fähigkeiten (Jane Seymour), Ausflüge in die Voodoo-Kultur liefern ein fantastisches Element, das sowohl Kananga als auch den Filmemachern als Finte dient – natürlich hat alles einen ganz weltlichen Hintergrund.

Ich bin zum jetzigen Zeitpunkt noch unentschlossen, wie ich diese Entwicklung finde. Früher waren mir die Moore-Bonds gerade wegen ihrer comichaften Überdrehtheit am liebsten und LIVE AND LET DIE wegen seiner sanften Horrorfilm-Einflüsse ein Geheimfavorit. Heute hat er mir zwar viel, viel besser gefallen als der fruchtbar dröge DIAMONDS ARE FOREVER, aber dennoch wirkt er bei aller Überfülle seltsam leer. Das Hauptproblem scheint mir die Schurkenfigur zu sein, die eigentlich nur noch Chiffre ist, ein notwendiges Strukturelement, das gar nicht mehr wirklich mit Leben gefüllt wird. Dabei ist Yaphet Kotto in den wenigen Szenen, die er hat, wirklich großartig, versieht den Größenwahn seines Kananga mit einer Prise street swagger, die ihm Individualität und Persönlichkeit verleiht, während seine Story kaum mehr als der Not geschuldet ist. Wo GOLDFINGER in den gemeinsamen Szenen seiner beiden Rivalen vor unterschwelliger Aggression förmlich zu explodieren drohte, die Gestalt des Bösewichts allein schon ausreichte, um Spannung aufzubauen, ist der ganze Plot um Kananga völlig austauschbar, beliebiger Anlass für eine Reihe von Actionszenen, die eher durch eine visuelles „Thema“ bestimmt werden als durch ihre Funktion innerhalb der Handlung. Ähnliches gilt für das Bondgirl Solitaire: Ihre Geschichte – durch Sex mit Bond verliert sie ihre seherischen Fähigkeiten – ist potenziell interessant, wird aber lediglich als Gimmick behandelt. Hinterließen Filme wie FROM RUSSIA WITH LOVE, THUNDERBALL, YOU ONLY LIVE TWICE oder natürlich ON HER MAJESTY’S SECRET SERVICE gerade in ihren ruhigen romantischen Momenten nachhaltigen Eindruck, schufen sie dort inmitten des Tohuwabohus so etwas wie Poesie, ist Bonds vorgegebene Liebschaft mit Solitaire vor allem der Formel geschuldet. In der Haltung Bonds ihr gegenüber – er zieht sie mithilfe eines manipulierten Tarot-Spiels auf die Matratze – kommt zudem ein chauvinistischer Zynismus zum Ausdruck, der das hinter den Bondgirls stehende Konzept unverhohlen offenlegt. Dass Kalkül Bonds, sein skrupelloses Arschlochtum, wird durch Moores Spiel zum amüsanten Spleen, während es bei Connery noch „einfach so“ im Raum stand. Wir lassen Bond ab sofort damit davonkommen, weil wir mit jedem neuen Film gewissermaßen die Allgemeine Vertragsbedingung akzeptieren, ihn nicht als Realität zu betrachten. Die Moore-Bonds sind so gesehen Film-Filme, in einer Fantasiewelt angesiedelt, zu der selbst der Protagonist ein nurmehr distanziertes Verhältnis hat, eher als Reiseleiter und Moderator fungiert, denn als ein selbst in dieser Welt verankerter Charakter.

Wenn man sich darauf einlassen kann und hinnimmt, dass die Charakteristika der Connery-Ära nur noch oberflächlich vertreten sind, ist LIVE AND LET DIE ein ordentlicher Auftakt für die neue Zeitrechnung. Visuell ist Hamiltons Film nach dem enttäuschenden DIAMONDS ARE FOREVER deutlich aufregender: Es gibt viel zu gucken, um es mal platt auszudrücken, und mit dem rohen Siebzigerjahre-Großstadtkolorit bekommt man mich fast immer. Grandios etwa die Szene, in der Bond in einem vollkommen ruinösen Harlem-Hinterhofszenario von Schurken bedrängt wird, und eine extreme Totale die grauen, verwitterten Backsteinfassaden in eine impressionistische Bleistiftzeichnung verwandelt. Schade, dass man aus dem Kontrast der urbanen und der eher ländlichen Settings nicht mehr gemacht hat: Beide stehen so nebeneinander, ohne wirklich zueinander in Beziehung zu treten, dabei hätte sich eine Verfolgungsjagd durch den New Yorker „Großstadtdschungel“ doch wirklich angeboten. Das ist ein generelles Problem des Filmes: Er schafft die Grundlagen, macht dann aber zu wenig aus diesen, gibt sich stattdessen mit vordergründigem Kokolores zufrieden. Als Idealbeispiel für diese These fungiert die Figur des mysteriösen, als Skelett geschminkten Baron Samedi: Als es endlich zur Auseinandersetzung mit ihm und Bond kommt, entpuppt er sich binnen Sekunden als Witzfigur, wird durch einen einzigen Schubser beseitigt. Und die Zerstörung von Kanangas Heroinplantagen erfolgt in läppischen Inserts. Überhaupt meint man am Ende, dass nicht mehr genug Zeit war für einen dem Status des Schurken angemessenen Kampf. (Kanangas Tod dürfte aber einer der skurrilsten der ganzen Serie sein.) Das komische Element, das im Vorgänger mit den homosexuellen Killern Mr. Wint und Mr. Kidd eingeführt wurde, wird durch Inklusion des dickleibigen Sheriff Pepper aufgegriffen: Er kam beim Publikum offensichtlich so gut an, dass er in THE MAN WITH THE GOLDEN GUN erneut mit von der Partie sein sollte. Ich finde die Anwesenheit dieser nicht wirklich unsympathischen Rassisten-Karikatur in einem Bondfilm mit ausschließlich schwarzen Antagonisten durchaus etwas problematisch: Er wirkt fast ein wenig wie eine Entschuldigung für ein rechtes weißes Publikum, das sich durch zu viele Afroamerikaner ästhetisch beleidigt fühlte. Die Bond-Filme sollten zu diesem Zeitpunkt wirklich jedem gefallen und niemanden verprellen. Das gelang, aber die Folgen sind unübersehbar. So schwer ich mich mit einer abschließenden Zuneigungsbekundung tue: Völlig unzweifelhaft ist immerhin, dass LIVE AND LET DIE einen der stärksten Themesongs der Reihe überhaupt hat.

 

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..