die einsteiger (siggi götz, deutschland 1985)

Veröffentlicht: Februar 10, 2015 in Film
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Die_Einsteiger_DVD_(de)-FrontThomas Groh nennt diesen Film gern „die deutsche Antwort auf VIDEODROME“ und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Nachdem die Supernasen Thommy und Mike in PIRATENSENDER POWERPLAY unter Siggi Götz‘ Regie noch die bevorstehende Privatisierung des Rundfunks antizipiert hatten, widmen sie sich nun der medientechnischen Revolution namens „Heimvideo“. Der Tüftler und Videofan Mike hat einen „Video-Integrator“ gebastelt, mit dessen Hilfe man sich direkt in einen Film seiner Wahl hineinbeamen kann, sofern man die dazugehörige Fernbedienung besitzt. Fortan vertreiben und sein Kumpel und Mitbewohner Thommy die Zeit, indem sie in Italowestern, Indiana-Jones-Filme, Polanskis TANZ DER VAMPIRE, ROCKY und andere Werke aus Mikes umfangreicher VHS-Sammlung „einsteigen“ und dort echte Abenteuer und Heldentaten erleben, die eine willkommene Abwechslung zu ihrem tristen Alltag sind. Natürlich bekommt ein japanischer Elektronikhersteller Wind von der Erfindung und versucht, das Gerät an sich zu bringen. Außerdem bahnt sich eine sanfte Liebesgeschichte zwischen Thommy und der schönen Linda (Anja Kruse) an, die ihren Ex-Gatten, den Firmenchef Kapellusch (Gerd Baltus), dazu bringen will ein Testament zugunsten des gemeinsamen Sohnes aufzusetzen. Aber die Handlung von DIE EINSTEIGER ist eigentlich nur mäßig interessant und raubt dem Film gerade in der zweiten Hälfte einiges von dem Drive, mit dem er aus den Startlöchern kommt und die Enttäuschung über den schwachen ZWEI NASEN TANKEN SUPER sofort vergessen macht. DIE EINSTEIGER ist ganz bei sich, wenn er Filmwelten rekonstruiert und von zwei deutschen Humorterroristen überfallen lässt: Da zeigt sich eine nicht von Ehrfurcht, sondern Partizipation geprägte Liebe für das Kino, die typisch ist für das Videozeitalter.

Interessant ist überdies, welches Verständnis von Film hier zugrundeliegt: Wer „einsteigt“, nimmt nicht als eine Art embedded viewer am Film teil, sondern tatsächlich als handelnder und im Stile des Films ausstaffierter Charakter. Im Italowestern sollen Mike und Thommy sogleich gehängt werden, im Indiana-Jones-Film teilen sie sich die Protagonistenrolle als ungleiches Duo, im Boxfilm steigt Mike in den Ring, während Thommy als Trainer außen vor bleibt, und im Südseeinsel-Setting verwandelt sich Mike einmal gar in einen Menschenaffen. Die anderen Handelnden merken nicht, dass da plötzlich neues Personal mitwirkt und das Drehbuch ändert, alle passen sich ganz selbstverständlich den neuen Gegebenheiten an. Firmenboss Kapellusch und Polizeikommissar Gierke (Werner Kreindl) beschließen bei Anblick des Inselidylls gar, ihr Leben in der Realität ganz aufzugeben und „im Film“ zu bleiben, und als die beiden Helden im Ringen mit den Vampiren um Graf Frackstein (Udo Kier) in Bedrängnis geraten, nimmt Thommy aus Versehen eine Vampirin statt Mike mit zurück. Das alles suggeriert, dass Film nichts Statisches ist, sondern eine ganze, mit vollwertigen Individuen bewohnte Welt enthält, deren Abmessungen weit über das hinausreichen, was Kamera und Regie einfangen. Der Fernsehschirm ist so gesehen nur das viel zitierte „Fenster“, durch das man nur einen kleinen Ausschnitt vom Ganzen erhaschen kann, der dann die Fantasie zum weiteren Ausschmücken und Weiterspinnen der Geschichten anregt. Der Demokratisierungsaspekt, der bereits in PIRATENSENDER POWERPLAY eine so wichtige Rolle spielte, kommt auch hier wieder zum Tragen: durch die einfache Existenz des Videorekorders, der seinen Besitzer – eine entsprechende Videosammlung vorausgesetzt – zum selbstbestimmten Programmdirektor macht, und dann, als nächste Evolutionsstufe, durch den Integrator, der die durch den Bildschirm gegebene physische Grenze durchlässig werden lässt. Letztlich ist Mikes Erfindung aber nur eine pointierte Übersteigerung des Segens, den die Erfindung des Videorekorders dem Filmfan brachte: sich 24 Stunden lang vom heimischen Sofa aus auf Traumreise durch seine Liebelingswelten zu begeben, ohne also das Haus verlassen und eine Kinokarte lösen zu müssen. DIE EINSTEIGER externalisiert, was sich sonst nur im Kopf des Filmsehers abspielt.

Gegenüber den vorangegangenen beiden Filmen, die unter der zweckmäßigen, aber auch biederen Regie von Dieter Pröttel entstanden waren, zeigt DIE EINSTEIGER seinem Sujet angemessen wieder mehr inszenatorisches Profil. Die Film-im-Film-Szenen sind den Vorbildern liebevoll nachempfunden und schön launisch, der Titelsong von Oliver Onions gibt dem ganzen den nötigen Schwung, kleine quirks, wie Jochen Busses wunderbar dadaistischer Gastauftritt, und außergewöhnliche Kameraeinstellungen verleihen Profil und sorgen dafür, dass DIE EINSTEIGER nicht allzu weit hinter seinen Referenzen zurückfällt. Die Albernheiten des Hauptdarstellerduos wurden zugunsten der Handlung deutlich zurückgefahren, was dem Film ebenfalls gut zu Gesicht steht. Das Ende ist gar eine handfeste Überraschung: Siggi Götz empfiehlt sich auf einmal als deutscher Giallo-Regisseur, wartet zu den atmosphärischen Klängen des goblinesken Soundtracks mit einer Bildfolge spannungssteigernder Detailaufnahmen auf und liefert eine Paraphrase zu Bavas REAZIONE A CATENA, die man in jedem Film erwartet hätte, aber gewiss nicht hier.

Kommentare
  1. […] Filme, die Oliver Nöding auf Remember It For Later bespricht, die Gottschalk/Krüger-Komödie „Die Einsteiger“ und das Mike-Krüger-Solo-Abenteuer „Geld oder Leber“, welches Oliver schwer begeistert […]

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