Ich habe mich hier im Blog schon mehrfach als Fan, Bewunderer und Bestauner des „normannischen Kleiderschranks“ Curd Jürgens zu erkennen gegeben. Er ist für mich einfach ein Faszinosum: einer der wenigen echten deutschen Weltstars, die wir im 20. Jahrhundert hatten, ein großer Schauspieler und Entertainer, dazu ein echter Kosmopolit und einer der letzten Vertreter jener ausgestorbenen Gattung, die mit dem so nüchtern klingenden Begriff „Großbürger“ nur sehr unzureichend beschrieben sind. Mitten im Ersten Weltkrieg als Sohn eines wohlhabenden Hamburger Kaufmanns und einer französischen Mutter geboren, genoss er neben materiellem Luxus auch den einer humanistischen Bildung und erlebte den Zweiten Weltkrieg als Wiener Exilant und Theaterschauspieler, bevor es ihn zum Film verschlug. Jürgens war aber auch ein teilweise die Peinlichkeitsgrenze überschreitender Selbstdarsteller und Erotomane, wie man seiner Autobiografie „Und kein bisschen weise“ unschwer entnehmen kann, eine Eigenschaft, die auch seine Rollen immer wieder infiltrierte. Kritiker mögen nicht zu Unrecht monieren, dass Jürgens weniger andere Charaktere verkörperte, als er diese als Alter egos seiner selbst entwarf. Aber es ist ja auch diese entwaffnende Selbstentblößung noch in den banalsten Filmen – man denke nur an seine schier unglaublichen Darbietungen in Rolf Olsens St. Pauli-Filmen (etwa in KÄPT’N RAUHBEIN AUF ST. PAULI , DAS STUNDEN-HOTEL VON ST. PAULI oder AUF DER REEPERBAHN NACHTS UM HALB EINS) -, in denen er mit einer entgrenzten Inbrunst agiert, als gelte es, der Filmkunst ein unsterbliches Denkmal zu errichten. Jürgens war ein unrettbarer Sentimentalist und Romantiker, und oft genug meint man, er sei von seinem eigenen Spiel selbst am ergriffensten gewesen. Dann werden seine Augen feucht und seine Stimme wird noch ein bisschen weicher und tiefer. Dann sieht man in ihm den gütigen Onkel, in dessen kräftigen Armen man von allem Unbill der Welt sicher und geborgen ist.
Curd Jürgens hätte heute seinen 100. Geburtstag gefeiert. Zu diesem Anlass hat das Deutsche Filminstitut eine große Online-Ausstellung über Curd Jürgens ins Leben gerufen. Zahlreiche Fotos, Filmausschnitte, Tonaufnahmen und Dokumente laden zum ausgiebigen Stöbern und zur Inspiration für die weitere Beschäftigung mit dem Schauspieler ein, dessen Filme leider ein bisschen in Vergessenheit geraten sind. Ich werde in den nächsten Tagen gewiss das ein oder andere mal dort aufschlagen und meinen imaginären Filmwunschzettel um einen großzügigen Abschnitt mit Curd-Jürgens-Filmen ergänzen. Und ihr solltet das auch tun.
(Das oben verlinkte Foto stammt von Helmut Neuper.)