juice (ernest dickerson, usa 1992)

Veröffentlicht: Januar 21, 2016 in Film
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MPW-16164JUICE gehört wie BOYZ N THE HOOD, MENACE II SOCIETY oder NEW JACK CITY zur Welle von Filmen mit spezifisch afroamerikanischen Themen, die zu Anfang der Neunzigerjahre in die Kinos schwappte und markiert außerdem das Schauspieldebüt des damals gerade 20 Jahre alten Tupac Shakur. Er war zu jenem Zeitpunkt noch ein Unbekannter, doch zeigt er hier bereits das immense Charisma und Talent, die ihn in den folgenden Jahren bis zu seinem frühzeitigen Tod im Jahr 1996 zum Superstar machen sollten. JUICE ist „nur“ ein guter Film, der hierzulande unter zudem nur auf Video veröffentlicht wurde, aber wenn man eine Ahnung davon haben will, was Shakur zum auch heute noch vermissten Idol machte, kommt man an ihm nicht vorbei.

JUICE ist auch das Regiedebüt von Ernest Dickerson, der seine Karriere als Kameramann bei „schwarzen“ Filmen wie John Sayles‘ THE BROTHER FROM ANOTHER PLANET, KRUSH GROOVE oder EDDIE MURPHY: RAW begann und dann lange Jahre zum Stab von Spike Lee gehörte, für den er SHE’S GOTTA HAVE IT, DO THE RIGHT THING, MO‘ BETTER BLUES, JUNGLE FEVER und MALCOLM X ablichtete. Als Regisseur konnte Dickerson nie wirklich ein eigenes Profil entwickeln, inszenierte meistens formelhafte, oft mit Rappern besetzte Genrefilme wie SURVIVING THE GAME (mit Ice-T), den frühen Sandler-Film BULLETPROOF, BONES (mit Snoop Dogg) oder NEVER DIE ALONE (mit DMX). Sein größter Hit war wahrscheinlich der TALES FROM THE CRYPT-Kinofilm DEMON KNIGHT, den in Deutschland schwachsinnigerweise gar eine Beschlagnahmung ereilte. Heute arbeitet er fast ausschließlich fürs Fernsehen. Dass Dickerson durchaus ambitioniert war, zeigt JUICE, aber eben auch, dass es ihm nicht wirklich gelang, Schwächen des Drehbuchs auszugleichen.

In JUICE geht es um vier Freunde – den angehenden DJ Q (Omar Epps), Raheem (Khalil Kain), Steel (Jermaine Hopkins) und Bishop (Tupac Shakur) -, die lieber die Straßen von Harlem unsicher machen, als die Schulbank zu drücken. Sie hängen rum, machen Blödsinn, rennen vor den Cops davon. Aber Bishop ist das bald nicht mehr genug: Er will etwas machen aus seinem Leben, will nicht länger weglaufen, sondern den „Respekt“ seiner Mitmenschen. Er überredet die Kumpels zu einem Überfall, der fürchterlich schiefgeht: Erst erschießt er ohne Not den Ladenbesitzer, dann Raheem, der ihn zur Rede stellt. Q und Steel stehen nun vor einer schwierigen Entscheidung: Sollen sie den Tod ihres besten Freundes ungesühnt lassen oder zur Polizei gehen und so auch ihr eigenes Schicksal besiegeln? Und Bishop weiß natürlich, dass die Mitwisser eine Bedrohung für ihn darstellen, solange sie am Leben sind.

Die erste Hälfte des Films ist stark, fängt sehr überzeugend diese Unbeschwertheit der Jugend ein, die noch keine Konsequenz, nur Leichtigkeit und Spaß kennt. JUICE beginnt mit einer tollen Parallelmontage, die die vier Protagonisten bei ihrem Start in den Tag zeigt, schlägt dann einen gleichermaßen beschwingten wie gemütlichen Rhythmus an: Der Zuschauer folgt den Freunden bei ihrem ziellosen Weg durch ihr Viertel, hört ihnen zu, lernt sie mit ihren unterschiedlichen Stimmen, Ansichten, Gewohnheiten und Manierismen kennen. Ich liebe Filme, die nicht so sehr durch eine Handlung strukturiert werden, sondern eher durch einen Ort, den man erkundet wie ein Tourist in der Obhut eines Fremdenführers, der nicht Sehenswürdigkeiten abklappert, sondern einem tatsächlich Einblick in das lokale Leben gewährt. JUICE ist so ein Film und ich hätte mich mit ihm gern noch tiefer nach Harlem begeben. Aber zur Hälfte setzt dann eben der Plot ein, der alle Figuren einschnürt, wo sie vorher einfach sein durften. Bishop wird zum machtgeilen, augenrollenden Psychopathen, der keine Freunde und kein Mitgefühl mehr kennt, und in einem actionreichen Showdown natürlich seiner gerechten Filmstrafe zugeführt werden muss. Mehr als an andere Filme, die sich seinerzeit mit dem Leben junger Afroamerikaner und ihrer Konfrontation mit institutionellem Rassismus auseinandersetzten, erinnerte mich JUICE in dieser zweiten Hälfte an die bürgerlich-konservativen Home-Invasion-Thriller, die ebenfalls zu jener Zeit reüssierten (eine interessante Koinzidenz übrigens), in denen brave Ehepaare sich plötzlich einem Irren gegenüber sehen, der alle ihre Werte infrage stellt. Dickerson macht sich leider keine Mühe, Bishops Motivation nachvollziehbar zu machen: Der Bruch im Film ist unübersehbar. Diese erste, bärenstarke Hälfte nimmt ihm allerdings niemand weg.

 

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