dirty harry (don siegel, usa 1971)

Veröffentlicht: März 20, 2008 in Film
Schlagwörter:, , , ,

Ein Killer, der sich „Scorpio“ nennt (Andrew Robinson), schießt in San Francisco wahllos Leute über den Haufen und erpresst die Stadt: Wenn sie auf seine Geldforderungen nicht eingehen, sollen weitere Menschen sterben. Inspector Harry Callahan wird auf den Fall angesetzt, ein unbequemer Cop, dessen Vorstellungen von Recht und Ordnung sich nicht mit denen seiner Vorgesetzten decken. Als alle Versuche, es dem Mörder recht zu machen, scheitern, schlägt Callahan eine härtere Gangart ein …

Selten schien es mir so sinnlos etwas über einen Film zu schreiben wie jetzt im Fall von Siegels wahrscheinlich bekanntestem Werk, dem wohl prägendsten Copfilm der letzten 50 Jahre. Ihm etwas Neues abzuringen dürfte ähnlich schwierig sein wie auch nur zusammenzufassen, was in den vergangenen rund 40 Jahren bereits über ihn gesagt wurde, Stichwort: Zodiac, Pauline Kael, Vigilantentum, Rechtskonservativismus, Eastwood/Siegel, New Hollywood?, Copfilm. Das gilt aber für viele andere Filme auch, bei denen die Scheu nicht so groß war. Was hebt DIRTY HARRY von diesen ab?

dirty-harry.gifFür mich ist Siegels Film ein makelloser Block spiegelglatten und doch schroffen Granits, ein Werk so aus einem Guss, so völlig in sich geschlossen, dass es kaum noch „gemacht“ wirkt. Oder vielmehr: Es macht den Eindruck als habe sein Urheber ein ganzes Leben lang gebraucht, um dieses Werk aus dem Stein zu meißeln, ja, als wäre dieses Leben nur der Weg zu diesem Film gewesen. In jeder Einstellung, in jedem Schnitt, in jeder Bewegung seiner archetypischen Hauptfigur erkennt man ja die Handschrift Siegels und die Ursprünge in der langen Geschichte der Mythen und Filme, die die Vorgeschichte für DIRTY HARRY bilden, der wiederum wie eine Bestandsaufnahme wirkt, wie ein Resümee, um einen neuen Anfang zu wagen. Schon die erste Einstellung, ein durch das Weitwinkelobjektiv verzerrter Blick auf den hinter der Mündung seines Gewehrs versteckten Killer Scorpio, erinnert an das Bild von Lee Marvins Tod in THE KILLERS – hier ist es ein Anfang; die folgende Montage, die die Seelenverwandtschaft Harrys mit dem Monster Scorpio ebenso thematisiert wie seine Verankerung im Mythos – die Rauchschwaden, die gigantischen Ventilatoren –, verdichtet das Hauptmotiv des Actionfilms – den Ursprung der Potenz des Helden in seinem Anders-Sein – auf makellos-unmissverständliche Art und Weise; die zahlreichen Verweise auf christliche Mythologie, mit denen Siegel Callahan zu einem Messias der Gewalt stilisiert, sorgen in Verbindung mit der Nie-ganz-Erfüllung reaktionärer Triebe für den intellektuellen Kitzel, der DIRTY HARRY von zahlreichen anderen ähnlich gelagerten Filmen abhebt. Hier und da erkennt man noch Spuren von MADIGAN, von einem dem Kern des Polizistendaseins nachspürenden police procedural, aber das ist letztlich eine Illusion, derer uns Siegel aufs Drastischste beraubt – vielleicht hat er sich selbst am meisten vor seinem Film erschrocken. Scorpio kann noch so sehr als perverses Schwein gezeichnet werden (und Siegel geht die sprichwörtlichen whole nine yards um ihn zum Un(ter)menschen zu machen), diese eine unfassbare Szene im Football-Stadion, in der Callahan dem winselnden, jämmerlichen Killer die Schuhspitze in die klaffende Wunde bohrt und die Kamera in einer schwindelerregenden Fahrt so weit zurück fliegt, bis das Grün des Rasens in der Nacht verschwindet, vergällt dem nach Gerechtigkeit schreienden Zuschauer jeden Spaß.

Und noch nicht einmal Callahan kann sich noch an seiner schmutzigen Arbeit erfreuen. Warum er diesen Job überhaupt noch macht, der doch so vollkommen sinn- und vor allem endlos ist, er weiß es nicht. Wie Scorpio ist er ein Krüppel, der eine Mission zu erfüllen hat: Deren Ursprung bleibt unbekannt, eine Schimäre. Harry Callahan ist aus den Tiefen des Mythos emporgestiegen, weder Feuer noch Wasser können ihn aufhalten. Wehe, wenn er dir begegnet. Es bleibt dann nur noch zu fragen: „Do I feel lucky?“

Siegels Meisterwerk. Viel mehr kann Film nicht leisten.

Kommentare
  1. […] in vielerlei Hinsicht die Blaupause für den modernen Copfilm, der er dann drei Jahre später mit DIRTY HARRY die dazugehörige Dekonstruktion folgen ließ, die ihrerseits wieder Blaupause wurde. In MADIGAN […]

  2. […] ausgesprochen schonungsloser Film, der darin selbst den immer auch leicht comichaft anmutenden DIRTY HARRY in den Schatten stellt. Wenn man etwa gezwungen wird, den Schmerzensschreien von Tarrants Sohn […]

  3. […] der Sechziger- und Siebzigerjahre assoziiert: BULLITT, MADIGAN, THE FRENCH CONNECTION, SERPICO, DIRTY HARRY, um nur einige zu nennen, haben Klassikerstatus inne und die Filmgeschichte auch über die Grenzen […]

  4. […] Eastwood die für ihn eher trist verlaufenen Achtzigerjahre abschließt. Für Abgesänge wie DIRTY HARRY war unter Reagan einfach kein Platz und für den amerikanischen Helden war Eastwood schon zu alt. […]

  5. […] können, braucht es reichlich Spachtelmasse. Meisterwerke wie THE FRENCH CONNECTION, MADIGAN oder DIRTY HARRY liefern zwar einen Rohbau, eine Vorstellung davon, was man als „Polizeifilm“ […]

  6. […] sprich: desillusionierter, Polizeifilme der Siebzigerjahre (man denke an DIRTY HARRY oder FRENCH CONNECTION).Wie groß dieser Film ist, merkt man auch daran, wie schwierig es ist, […]

  7. Thomas Hemsley sagt:

    „Messias der Gewalt“ – sehr schön. Ich hab den Film leider zu selten und zu lange her gesehen, aber hab jetzt Lust bekommen! Diese unfassbare Kamerafahrt hat sich natürlich in mein Gedächtnis gebrannt, geht ja gar nicht anders. Ich glaube – wie so oft – hab ich den Film gesehen nachdem ich einiges darüber gelesen habe, und saß dann fassungslos da, als diese Szene kam: Haben all die, die dem Film „faschistoides Gedankengut“ oder was auch immer vorwerfen diese Szene nicht gesehen, oder gedacht, dass das halt ne nette Kamerafahrt ist???
    Aber was ist die Szene, wenn Harry tatsächlich der „Messias der Gewalt“ ist? Seine Passion ist wohl die Folter durch Scorpio, nicht? Dann ist diese Szene das Gefühl der Gottesverlassenheit, der Garten, der Kelch, der an ihm vorüber gehen soll, die endgültige Aufnahme der Sünden einer gewalttätigen Gesellschaft?
    Ich glaube, man kann über den Film dann doch noch schreiben, mit dieser Bezeichnung als „Messias der Gewalt“ (deine eigene?) hast du nur den Anfang gemacht. Vielleicht kommst du auf „Hard Sensations“ nochmal darauf und auf diese unfassbare Szene zurück. Das ist schließlich eine der Szenen, für die das Kino erfunden worden zu sein scheint (ohje, deutche Grammatik verträgt sich nicht mit Übernächtigung;-).
    Grüße aus Kölle
    Thomas

    • Oliver sagt:

      In dem Zusammenhang war die Formulierung wohl von mir, ja. Aber so weit wie du habe ich dabei dann wohl doch nicht gedacht. 🙂 „Gottesverlassenheit“ ist vielleicht ein gutes Stichwort. Wobei mir eher Harry Callahan etwas aufzugeben scheint, als dass er aufgegeben würde. Das ist auf jeden Fall die Szene, die seinen Bruch mit der Gesellschaft markiert. Wenn er am Schluss seine Marke wegwirft, ist das eigentlich nur noch ein rein bürokratischer Akt.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..