the big knife (robert aldrich, usa 1955)

Veröffentlicht: April 11, 2013 in Film
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Aus dem selben Jahr, in dem Aldrich den famosen, brachialen, markerschütternden KISS ME DEADLY inszenierte, stammt auch THE BIG KNIFE, die Verfilmung eines Stückes von Clifford Odets, der unter anderem die Vorlage zum fantastischen SWEET SMELL OF SUCCESS lieferte. Und auf dem Papier liest sich THE BIG KNIFE, eine scharfe Anklage des menschenverachtenden Geschäfts, das hinter der glamourösen Fassade Hollywoods betrieben wird, durchaus viel versprechend. Nur zu gut kann man sich den tobsüchtigen, expressiven Stil, den Aldrich in KISS ME DEADLY zeigte, in Verbindung mit Odets chirurgisch präziser Sezierung der Traumfabrik vorstellen. Doch leider verwirklicht sich diese Vorstellung nicht. Es scheint, als sei es Aldrich nicht möglich gewesen, gleich zwei ikonoklastische Werke im selben Jahr zu schaffen. Seine Regie kann sich gegen das wortreiche, aber nur wenig lebendige Script einfach nicht behaupten. Meine Meinung.

Charles Castle (Jack Palance) hat es geschafft: Unter dem Produzenten Stanley Shriner Hoff (Rod Steiger) ist er zu einem der größten Hollywood-Stars avanciert. Doch zu welchem Preis? Die zu Beginn seiner Laufbahn noch hochgehaltenen künstlerischen Ideale sind angesichts der anspruchslosen Kommerzware, der er seinen Ruhm verdankt, dem nackten Zynismus gewichen und seine Ehe mit Marion (Ida Lupino) steht kurz vor dem Aus. Der Versuch Castles, das Vertragsverhältnis mit Hoff zu beenden, scheitert daran, dass der ein dunkles Geheimnis Castles kennt: Der Star hatte nämlich im Suff ein Kind totgefahren und Fahrerflucht begangen. Als Hoff befürchtet, dass die geschwätzige, drittklassige Aktrice Dixie Evans (Shelley Winters), die von Charles‘ Tat weiß, das Geheimnis ausplaudern und seine Investition so gefährden könnte, legt er dem Schauspieler nahe, sie umzubringen …

Vielleicht ist es auch nur eine persönliche Prädisposition, die mir den Zugang zu THE BIG KNIFE verwehrt hat: Von Jahr zu Jahr kann ich weniger mit dieser speziellen Schule amerikanischer plays anfangen, in denen Menschen ihre schweren privaten und beruflichen Probleme in zähem verbalen Ringen, und meist auf den Raum ihres Heimes beschränkt, miteinander verhandeln (zuletzt erging es mir so mit WHO’S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF?). So sehr ich mich auch bemühe, die Charaktere zu begreifen, mit ihnen zu gehen: Irgendwann fühle ich mich wieder wie vor nunmehr zwei Jahrzehnten im Englischkurs, über ein schmuckloses Bändchen von Arthur Millers „Death of a Salesman“ gebeugt, über Wochen dazu gezwungen, Charakterisierungen zu verfassen, Wortäußerungen vom Kopf auf die Beine und zurück zu stellen, die größere gesellschaftliche Relevanz des Ganzen zu erklären und am Ende zu dem von Anfang an vorgezeichneten und deshalb wertlosen Ergebnis zu kommen, dass es sich bei dem vorliegenden Werk um große Literatur und Kunst handelt. Ich will den Wert solcher Literatur gar nicht per se anzweifeln: Aber den Brauch, für die Bühne geschriebene Stücke mit nur minimalen Veränderungen ins Medium Film zu übertragen, halte ich für frucht- bis leblos. Es gibt keine einzige Irritation in THE BIG KNIFE, keinen Exkurs, keine Öffnung des Blickes, nichts Überflüssiges, nichts, was nicht wie maßgeschneidert ins große Puzzle hineinpassen würde. Es gibt nichts zu entdecken, nichts, worin man sich verlieren könnte, keine Gelegenheit, den Blick schweifen zu lassen. Das ist natürlich so gewollt: Es ist ja auffällig, dass der Superstar Castle, dem die Welt eigentlich zu Füßen liegt, wie in einem teuren Gefängnis haust. Auffallend selten verlässt er sein ausladendes Wohnzimmer, das ihm aber auch keine Sicherheit bietet: Ständig wird er von ungebetenen Besuchern überrascht, denen er nicht ausweichen kann. Er ist das Schoßhünchen von Hoffs Gnaden, seine Willfährigkeit wird fürstlich entlohnt, aber die Freude am Leben in Überschwang ist längst verflogen. Die Bleischwere des Films hat also durchaus Sinn, aber auf die Lauflänge von 115 Minuten gedehnt, in der sie auf Dialog- und Handlungsebene noch einmal bestätigt wird, wirkt sie nur noch redundant. Dass alles auf den dramatischen Endpunkt hinkonstruiert ist, die Charaktere niemals einfach nur sie selbst sein dürfen, sondern vor allem als Bedeutungsträger im morality play funktionieren müssen, hält sie auf Distanz. Das Ende, das eigentlich niederschmetternd sein sollte, nimmt man so zur Kenntnis. Ich war vor allem froh, dass der Film zu Ende war.

Aber THE BIG KNIFE ist kein schlechter Film. Die Fotografie ist herausragend, vor allem, wenn man bedenkt, dass sie immer dasselbe Setting und dieselben Menschen ablichtet. Jack Palance und Rod Steiger sind fantastisch und lassen vergessen, dass sie mit spitzer Feder und größter Akribie verfasste Dialogzeilen aufsagen, die so nur den wenigsten Menschen von Fleisch und Blut über die Lippen kämen. Palance, den man sonst als kantigen Brummbären und Rauhbein kennt, brilliert in einer Rolle, in der er ganz gegen seine Persona zerbrechlich, unsicher, kindlich wirkt. Wie er sich in der Diskussion mit Hoff windet, versucht, sich der Autorität des Produzenten zu entziehen und man seinem Körper förmlich ansieht, wie sein Widerstand mehr und mehr nachgibt, ist ganz große Schauspielkunst. Und Steiger bekommt eine Rolle, in der ihm die gefährliche Gratwanderung am Rande des Overactings, die sein Spiel auszeichnet, zum größten Vorteil gereicht. Seine beiden Auftritte sind die Höhepunkte von THE BIG KNIFE. Man ahnt, welche Last es bedeuten muss, in der Schuld dieses Mannes zu stehen. Ja, THE BIG KNIFE ist ein Schauspielerfilm. Im Zentrum stehen Gesichter, Blicke, Körpersprache, die Bewegung im Raum, Stimmen. Aber mit der Leinwand/dem Bildschirm dazwischen entfalten sie nur einen Bruchteil der Kraft, die sie auf der Bühne möglicherweise entfalten könnten. Möglich, dass Aldrich genau das nach KISS ME DEADLY als große Herausforderung angesehen hat. Ob er sie gemeistert hat, beurteilen am besten andere. Denn THE BIG KNIFE ist ganz einfach nicht meine Sorte Film. Schade.

Kommentare
  1. Die Kritik kann ich nachvollziehen. Die Schablonenhaftigkeit zeigt sich vielleicht am stärksten gegen Schluss, als ein Bus oder LKW wie ein deus ex machina eine Person plattmacht, die überflüssig geworden ist. Da dachte ich mir beim Ansehen schon vorher „die Person stört jetzt, die muss weg“. Und – plopp – schon war es passiert.

    Aber anscheinend komme ich mit solchen Filmen besser zurecht als Du (ich finde auch VIRGINIA WOOLF ganz groß). Jedenfalls hat mich die Theaterhaftigkeit des Films nicht so gestört. Und Rod Steigers überkandidelte Performance fand ich auch so toll wie Du. In einem anderen Film kann sowas alles ruinieren. Aber hier, wo eh alles Theater ist, hat es wunderbar gepasst. Außer vielleicht TOD IN HOLLYWOOD kenne ich keinen anderen Film, in dem sich Steiger so ungeniert austoben durfte.

    • Oliver sagt:

      VIRGINIA WOOLF würde ich auch höher einschätzen als THE BIG KNIFE. Er ist dramatischer, zwingender und verfügt zudem über einen gelungenen Spannungsaufbau. Bei THE BIG KNIFE gibt es eigentlich keine echte Entladung der aufgebauten Spannung. Er endet einfach. Nichols Film ist insgesamt dichter. Auch da störte mich aber die mitkommunizierte Wichtigkeit und Bedeutsamkeit: „Hey, wir machen hier große Kunst, deswegen gibt es auch keine Verfolgungsjagd, sondern nur Menschen, die sich unterhalten.“ Und Schauspieler wie Richard Burton und die Taylor fressen sich dann durch die Szenerie und beweisen schlimmstenfalls noch den berühmten Mut zur Hässlichkeit. Mir fehlt da oftmals einfach eine gewisse Leichtigkeit, aber das sagte ich ja schon. 🙂

      Rod Steiger hat ja durchaus mehrere solcher Auftritte auf Lager. Wenn du ihn auf dem Gipfel seiner Overacting-Kraft sehen willst, solltest du mal THE SPECIALIST mit Stallone einwerfen. Aber ich schätze, der interessiert dich nicht so brennend. 😉 Putzig ist er auch in AMERICAN GOTHIC oder im sonst vergessenswerten LOVE & BULLETS.

      • Huch! Wenn das David wüsste, was Du da über THE SPECIALIST geschrieben hast … :-Þ

      • Oliver sagt:

        Wäre das gut oder schlecht für mich? Für ein Meisterwerk halte ich THE SPECIALIST zwar nicht, aber immerhin für einen ungewöhnlich ungewöhnlichen US-Mainstream-Actioner. US-Sleaze, wenn man so will …

      • Na ja, „für einen ungewöhnlich ungewöhnlichen US-Mainstream-Actioner“ klingt jetzt positiver als „Dieser Versuch ging ziemlich in die Hose“, „Hier kämpfen leblose Statuen darum, lebendig zu werden – ohne Erfolg“ oder „krampfhaft versucht, großes Starkino zu sein, in seiner Vordergründigkeit und Schmierigkeit aber letztlich doch nur wie ein aufgeblasener B-Film wirkt“. Während er für David eben ein „verkanntes Meisterwerk“ ist. Aber keine Angst – meines Wissens neigt er nicht dazu, deshalb jemanden in die Luft zu sprengen …

  2. Oliver sagt:

    Hihi, ich habe meinen Text jetzt gar nicht mehr gelesen. Aber das, was ich schreibe, passt schon zu meiner Wahrnehmung des Films. Vielleicht würde ich heute auch positiver formulieren, ich habe den seit damals nicht mehr geguckt. AUf jeden Fall ist er mir als Sleazebolzen in Erinnerung geblieben. 🙂

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