der schatz im silbersee (harald reinl, deutschland/jugoslawien/frankreich 1962)

Veröffentlicht: April 3, 2014 in Film
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Schatz_im_SilberseeDeutsche Filmgeschichte: Die Bedeutung dieses Films, der den Startschuss für eine ganze Reihe erfolgreicher Verfilmungen markierte, kann man gar nicht hoch genug einschätzen – weder für die deutsche Populär- noch für die Gesamtkultur. Noch in meiner Kindheit, zwei Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen, wurden mir die Karl-May-Filme von meinem Vater ans Herz gelegt, der sie wiederum in seiner Kindheit gesehen hatte, als sie aktuell waren, und die Kraft, mit der sie mein Jungenherz eroberten, lässt erahnen, wie sie auf jemanden gewirkt haben mussten, der dabei war, als sich in den Sechzigerjahren der Kinovorhang öffnete und Martin Böttchers unvergessliche, unvergleichliche Melodie ertönte (man vergisst sie tatsächlich nie wieder). Winnetou wurde in der Darstellung von Pierre Brice zu einer einheitsstiftenden Figur und prägte unser Bild vom edlen Wilden mehr als jeder US-amerikanische Indianer. Sehr wahrscheinlich hat der enorme Einfluss der Karl-May-Filme auf die Jugend in den vergangenen beiden Jahrzehnten nachgelassen, aber wer wie ich noch in den Achtzigerjahren aufwuchs, für den haben sie eine ungebrochene, nahezu mythische Kraft. Dass sie von Menschen nach einem Plan finanziert und gemacht wurden, dass da Schauspieler Drehbuchzeilen vor einer Kamera aufsagten, am Ende alles abgebaut und die Garderobe abgelegt und gegen normale Straßenkleidung ausgetauscht wurde, alle in ein Flugzeug stiegen und wieder nach Hause flogen, ist für mich nahezu unvorstellbar, so sehr habe ich bei der Betrachtung das Gefühl, sie waren schon immer da.

Das hat natürlich etwas mit ihrem Alter zu tun, damit, dass ich gewissermaßen mit ihnen aufwuchs, ihnen zu einer Zeit begegnete, in der man Film noch sehr naiv gegenübersteht, dazu bereit, alles, was man sieht, für bare Münze zu nehmen. Aber die Filme bringen diese Qualität auch von sich aus mit, und zwar ironischerweise gerade aufgrund jener Beschaffenheit, die ihnen die seriöse Kritik immer wieder schadenfroh vorgehalten hat. Lange Zeit wurden die Karl-May-Filme für ihre Naivität verlacht, als typisches Beispiel für die bemühten und bemitleidenswerten deutschen Versuche, großes Unterhaltungskino nach amerikanischem Vorbild zu schaffen, kritisiert (etwas, dass sie mit ihren literarischen Vorlagen teilen). Erst in den letzten Jahren hat sich das Blatt etwas gewendet: Man erkennt in den Karl-May-Filmen heute nicht nur die filmische Meisterschaft, die in ihnen zum Ausdruck kommt, ihre Bildgewalt und epische Größe – wann ist deutsches Kino heute noch jemals so unverblümt bombastisch und unverstellt romantisch? –, man hat auch gelernt, ihre Naivität, den Wilden Westen am Balkan aufzubauen und die Apachen von einem Franzosen anführen zu lassen, als Wert an sich zu begreifen. Man könnte sagen, dass sich in dieser Naivität der Zauber und die Magie, die Film im besten Fall entfalten, ungefiltert, unverdünnt zeigt. Die deutschen Karl-May-Filme, die das damals anscheinend unfehlbare Produzentengenie Horst Wendlandt initiierte, sind bildgewordene Sehnsucht, in ihnen erträumt sich das von Nachkriegshangover, Fritz-Walter-Wetter und Bonner Republik gebeutelte bundesdeutsche Kollektivunterbewusstsein eine bessere Welt voller Klarheit, Edelmut, Heldentum und Naturidyll. Es ist quasi Heimatfilm abzüglich des Biedermeier, dafür mit einem Schub Adrenalin.

Es ist gar nicht entscheidend, dass DER SCHATZ IM SILBERSEE erzählerisch noch nicht ganz aus dem Vollen schöpft – und mit 110 Minuten zudem ganz schön lang geraten ist. An die Stelle einer echten Handlung tritt ein erster Erkundungsritt durch den Wilden Westen am Balkan: Der Zuschauer schlüpft in die Rolle des aufbrausenden Grünschnabels Fred Engel (Götz George) oder der schönen Ellen Patterson (Karin Dor). Zum Schutz steht ihm der tapfere Reiseleiter Old Shatterhand (Lex Barker) zur Seite, der ihn mit der Geografie vertraut macht. Sam Hawkens (Ralf Wolter) und Gunstick Uncle (Mirko Boman) sorgen dafür, dass die gute Stimmung nicht verfliegt, Lord Castlepool (Eddi Arent) hat als verweichlichter, linkischer Europäer die Aufgabe, den Wilden Westen als noch wilder erscheinen zu lassen. Und Winnetou (Pierre Brice)? Der fliegt wie ein Geist durch den Film und rückt umso mehr ins Zentrum, je erfolgreicher sich dem Zugriff entzieht. Er ist hier ein Mysterium, eine fast metaphysische Präsens, ein Instrument, das zwischen Inhalts- und formaler Ebene beliebig hin und her springen kann, sich auf Geheiß Reinls immer wieder materialisiert, wenn Not am Mann ist, wie bei der Belagerung von Mrs. Butlers Farm, oder aber abrupt verschwindet, weil die anderen Figuren Luft zum Atmen brauchen. Man weiß am Ende gar nicht mehr so genau, ob er wirklich da gewesen ist oder ob man nur von ihm geträumt hat. Dass Reinl der Figur (und Brice) mehr Dialog verweigerte, macht sie noch enigmatischer als sie ohnehin schon ist. In der Figur Winnetous kommt DER SCHATZ IM SILBERSEE gewissermaßen ganz zu sich, der Apachenhäuptling steht paradigmatisch für das Wesen von DER SCHATZ IM SILBERSEE als reines Bild, das im Moment schmerzhaftester Schönheit gleichzeitig immer mitverkündet, dass es nur Illusion ist.

Mehr als das Gebalge um die zwei Hälften einer Schatzkarte, das Hin-und-Her der Verfolgten und Verfolger, die Pausen an ökonomisch platzierten Rastplätzen, an denen dann neue Probleme warten, bleiben diese Bilder im Gedächtnis. Wie die Kamera zu Beginn auf Kniehöhe über die Hauptstraße der Westernstadt Tulsa gleitet; das endlose Tal, in dem Mrs. Butler ihre Ranch aufgebaut hat; die weißen Felsen auf sattgrünen Wiesen; der türkisfarbene Silbersee, der wie ein verlorener Edelstein inmitten der smaragdgrünen Landschaft liegt. Reinl reiht diese Bilder aneinander, erklärt gewissermaßen den Raum, den die Figuren dann in den kommenden Jahren erneut durchmessen werden, von deutscher Sehnsucht und Martin Böttchers Musik getrieben.

 

 

Kommentare
  1. […] – In den nächsten Tagen geht hier eine Buchrezenssion über einen Lex-Barker-Bildband online. Wer sich schon mal einstimmen möchte, kann dies bei Oliver Nöding auf Remember It For Later, der nach Jerry Cotton und Edgar Wallace nun bei Karl May angekommen ist und über die Verfilmungen, die 1962 mit „Der Schatz im Silbersee“ starteten, wie immer sehr lesenwert schreibt. […]

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