Mit ‘Herbert Lom’ getaggte Beiträge

Comfort Food für Geschmacksverirrte und Nostalgiekeule für Menschen, die diesen Film 1970 zum Kassenschlager machten (unter anderen auch mein werter Herr Papa). Warum es in den späten Sechzigern einen kurzen, aber heftigen Boom von Hexenfolterfilmen gab – Michael Reeves‘ WITCHFINDER GENERAL machte den Anfang, seinem Beispiel folgten dann unter anderem Franco mit DER HEXENTÖTER VON BLACKMOOR und eben Adrian Hoven, der auch noch eine Fortsetzung nachlegte -, dürfte schwer zu erklären sein, genauso wie man sich kaum vorstellen kann, dass ein Kracher solchen Titels damals Scharen deutscher Schaulustiger in die Kinos trieb. Schon die Tatsache, dass HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT über 20 Jahre später, bei seiner Videoveröffentlichung, eine Beschlagnahme einheimste, lässt erahnen, wie sich die Zeiten geändert haben und hatten und dass ein Phänomen wie dieses heute nicht mehr wiederholbar scheint.

Damals aber dachte Adrian Hoven, ehemaliger Frauenschwarm und Star des deutschen Heimatfilms, dass es eine Superidee sei, die historische Realität der Hexenverfolgung, -folterung und -verbrennung als Thema für einen Film zu wählen, der es mit der protokollarischen Schilderung jener vergangenen Zustände etwas weniger ernst nahm als mit der lüsternen Zurschaustellung weiblicher Pein – und er hatte ja Recht mit seiner Vermutung, wie oben erwähnt. HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT ist ein bizarrer Mischling: Der Film ist durchaus aufwändig gemacht, hochkarätig besetzt und sauber inszeniert, kein Vergleich mit dem Billigschrott, den findige Produzenten sonst so auf den Markt warfen und denen es  damit mitunter gelang, ein Mainstreampublikum zu ködern (sofern dieser Begriff vor 40, 50 Jahren überhaupt Sinn machte). Und zwischen all dem geilen Mummenschanz legt er auch die Inquisition als Werkzeug von Willkür, Machthunger und Misogynie unmissverständlich bloß. Wenn das letztlich auch bloß die gute alte Exploitationschule ist:Der gemeine (männliche) Kinogänger konnte damals in geiler Erwartung von nacktem Fleisch und Sadomasochismus in HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT stürzen und dann nach dem Besuch erzählen, er habe einen kritischen Film über die Leichen im Keller der katholischen Kirche gesehen. (Wobei ich bezweifle, dass jemand diese Ausrede wirklich anwendete: Die Menschen dürften damals deutlich weniger blöd und naiv gewesen sein als wir es ihnen zugutehalten.)

Der heutigen Freude tut das alles aber keinen Abbruch. Hovens Film ist einfach zum Liebhaben, eines nicht allzu vieler Beispiele wirklich perfekter deutscher Exploitation, krass, unverschämt, perfide, blutig, sexy, schmuddelig, aber auch wirklich schön anzuschauen. Der ganze Film ist einziger Schauwert, ob das nun die unverwechselbaren Antlitze der Herren Lom, Nalder, Fux und Kier sind, die üppigen Formen der weiblichen Protagonistin Vanessa (Christina Vuco), die fadenscheinigen, aber liebevollen Effekte oder die schönen österreichischen Kulissen. Am tollsten ist Herbert Fux als gut gelaunter Folterknecht, so toll, dass man sich ein Spin-off wünscht, das ihn durch den Arbeitsalltag begleitet. Wunderbar auch die Szene mit der Wasserfolter, bei der Adrian Hoven höchstselbst dem Wahnsinn anheimfällt. Steter Tropfen höhlt den Stein, sagt man, außer bei mir, denn ich fand HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT auch beim ersten Mal schon super und daran hat sich auch diesmal nichts geändert. Das Titelthema erinnert übrigens frappierend an jenes aus Deodatos CANNIBAL HOLOCAUST. Ob sich der gute Riz Ortolani hier inspirieren ließ?

lasetta1Michele Soavis dritter Spielfilm wurde damals in Deutschland schwerst misshandelt auf Video verramscht: Unmotivierte Handlungsschnitte und eine gruselige Pornosynchro setzten dem Werk ziemlich zu. Nach den beiden vorangegangenen, visuell zwar beeindruckenden, inhaltlich aber eher „einfachen“ DELIRIA und LA CHIESA zeigt LA SETTA, was sich da in näherer Zukunft anbahnen sollte. Mit DELLAMORTE DELLAMORE sollte Soavi nur weniger Jahre später ein absolutes Meisterwerk des europäischen Genrefilms vorlegen – und danach dem Niedergang des italienischen Kinos zum Opfer fallen. Der damals 36-Jährige drehte in den 20 darauffolgenden Jahren sage und schreibe zwei Kinofilme, arbeitete sonst ausschließlich fürs Fernsehen. Traurig.

LA SETTA beginnt in der Wüste, irgendwo in den USA. Vom Soundtrack erklingt Americas Evergreen „A Horse with no Name“, während sich ein paar Hippies um ein Wohnmobil scharen. Sie bekommen Besuch aus dem Nichts, ein bärtiger, ebenfalls langhaariger Mann in einem langen Kaftan bittet sie um Wasser, stellt sich als „Damon“ vor und zitiert „Sympathy for the Devil“ von den Rolling Stones. Am nächsten Morgen sind die Hippies tot, niedergemetzelt von den Schergen Damons. Der Film springt ins Frankfurt der Gegenwart: Ein Mann (Freunde des Italofilms erkennen ihn als Giovanni Lombardo Radice oder auch „John Morghen“) verfolgt eine Frau, überfällt sie in ihrem Haus und sticht sie brutal nieder. In der U-Bahn wird er mit ihrem herausgerissenen Herzen gestellt. Er jammert, im Auftrag einer Sekte gehandelt zu haben, dann entwendet er einem Polizeibeamten die Waffe und bläst sich das Gehirn weg. Wieder ein Szenenwechsel: Ein alter Mann (Herbert Lom) packt ein Päckchen und begibt sich auf eine Busreise. Als der Bus an einer Landstraße hält, blickt er verträumt in die Sonne. Eine Frau (Kelly Curtis) rast mit ihrem Wagen heran und kann gerade noch ausweichen. Der Mann stürzt, scheint aber unversehrt. Die Frau nimmt ihn mit nach Hause, damit er sich ausruhen kann. Und jetzt beginnt LA SETTA wirklich.

Der verschachtelte Anfang suggeriert einen komplizierten Plot mit vielen verschiedenen Schauplätzen und Parteien, aber so, wie da schon in den ersten 20 Minuten immer wieder Geschichten abgebrochen werden oder enden, bevor sie richtig begonnen haben, macht Soavi auch im weiteren Verlauf jede Hoffnung auf eine geradlinige Storyentwicklung zunichte. Die Frau – Miriam – ist das Opfer der Bemühungen einer satanischen Sekte, der alte Mann ein Bote, der sie mit dem Bösen infiziert und dann verstirbt, ihr Haus ein Tor zur Hölle. Das ist ungefähr die Handlung, die sich in einem stetigen Wegbröckeln der Ratio entspinnt, Fulcis LA PAURA NELLA CITTA DEI MORTI VIVENTI oder L’ALDILA nicht unähnlich, nur dass das hier alles weniger albtraumhaft und grotesk, sondern eher enigmatisch und rätselhaft daherkommt. Die Wirkung von LA SETTA ist nicht leicht zu beschreiben: Er zeichnet keine überspannten surrealen Tableaus und Soavi akzentuiert auch nicht den Realitätsverlust seiner Protagonistin durch grelle Effekte, vielmehr nimmt er ihre Perspektive ein und teilt ihren Wahn, der sich meist eher in Kleinigkeiten zeigt. Es lässt sich nicht mehr genau sagen, ob sich die unheimlichen Vorgänge wirklich ereignen oder ob sie nur Halluzinationen sind, die Miriam eingeimpft wurden. Es spielt auch keine Rolle: Der Film folgt seiner eigenen Logik – und tut sich dann auch schwer damit, ein sinnvolles Ende zu finden, anstatt, wie es wahrscheinlich richtig wäre, bloß aufzuhören. Noch nicht alles ist voll und ganz ausgereift – mit DELLAMORTE DELLAMORE gelang es Soavi deutlich besser, eine Welt zu zeichnen, die gleichermaßen innere wie äußere Apokalypse ist. Aber faszinierend ist LA SETTA in jedem Fall und bietet einige fantastische Bilder und Regieeinfälle. Allein diese Schnittfolge im Prolog, wenn John Morghen sein Opfer überfällt, ist reines Kino und zeigt, was für ein Wunderkind mit Soavi einer ungünstigen Marktlage zum Opfer fiel. Was hätte man von ihm noch erwarten dürfen?

Anlass dieses Textes ist übrigens eine anstehende deutsche Veröffentlichung, zu der ich etwas beisteuern darf, und mit der die Schmach der alten Videoveröffentlichung dann auch vergessen sein sollte. Ich empfehle schon jetzt: Zuschlagen!

tenlittleindiansAgatha Christies Roman „And then there were none“ von 1939 wurde etliche Male verfilmt: Die früheste Adaption datiert laut Wikipedia auf 1945 und wurde von René Clair inszeniert, selbst mehrere indische und tamilische Produktionen sind bekannt. Peter Collinsons Film von 1974 liegt ganz auf der Linie der im selben Jahr mit Sidney Lumets MURDER ON THE ORIENT EXPRESS gestarteten Poirot-Reihe: Beeindruckende Star-Ensembles wurden für gediegen-altmodische, leicht schwarzhumorige internationale Prestigeproduktionen vor der Kamera versammelt und für die nötigen Schauwerte an exotische Schausplätze verfrachtet. Im vorliegenden Fall sind es Oliver Reed, Richard Attenborough, Herbert Lom, Elke Sommer, Stephane Audran, Adolfo Celi, Gert Fröbe, Charles Aznavour, Maria Rohm und die Stimme von Orson Welles, die um die Gunst des Zuschauers buhlen. Leider bekommen sie vom Drehbuch nicht viel geliefert: Sie sagen brav ihre Dialogzeilen auf, geistern sonst aber ebenso verloren durch die pompöse Kulisse des Shah Abbas Hotels in Isfahan wie ihre Charaktere, die sich einem unbekannten, aus dem Dunkel zuschlagenden Mörder gegenübersehen. Ich meine, den Film als Kind gesehen und sehr beeindruckend gefunden zu haben, heute regierte eher die Langeweile, die nur von der Sympathie für solche in ihren Marketing-Mechanismen krass durchsichtigen und Mitte der Siebziger von der Zeit eigentlich längst überholten Vehikel etwas gemildert wird.

Man sieht das Potenzial an allen Ecken und Enden: Die Fotografie ist fantastisch, ein Italiener hätte mit den zur Verfügung stehenden Mitteln vermutlich einen wunderbar psychedelischen Giallo gezaubert. So saß aber der Brite Collinson auf dem Regiestuhl: TEN LITTLE INDIANS ist weitgehend spaßfrei, knochentrocken und von seiner eigenen Bedeutung als großes Entertainment allzu sehr überzeugt. Die strukturelle Herausforderung, einen Film ohne Mörder zu drehen, bekommen weder er noch das Drehbuch in den Griff, manchmal nimmt der Film geradezu unverzeihliche Abkürzungen: Die „Durchsuchung“ des in den Totalen als monumentaler Komplex erkennbaren Hotels dauert gerade mal fünf Minuten, nach denen die Figuren wahrhaftig der festen Überzeugung sind, jeden Winkel durchkämmt zu haben. Die meiste Zeit gucken sie demnach trüb in die Gegen und überlegen, wer der Bösewicht sein könnte, bevor einer in rätselhafter Geistesabwesenheit die Gruppe verlässt und ebenso offscreen wie  unspektakulär sein Leben aushaucht. Spannung kommt auch nicht auf, als die Verbliebenen beginnen sich gegenseitig zu verdächtigen, wohl auch, weil keiner von ihnen echtes Profil über sein berühmtes Antlitz hinaus entwickeln darf. Erst der Schlussgag sorgt dann für ein wenig Stimmung und jenes wohlige Frösteln, das TEN LITTLE INDIANS eigentlich während seiner kompletten Laufzeit hätte hervorrufen sollen. Kein richtiger Reinfall, aber doch eher ernüchternd.

Während meines Germanistikstudiums musst ich mich zwangsläufig auch mit der sogenannten „Älteren“ beschäftigen, wie der Bereich der älteren deutschen Literaturwissenschaft abkürzend genannt wurde. Die „Ältere“ umfasste nicht nur die Auseinandersetzung mit der damaligen Dichtung, sondern auch mit der mittelhochdeutschen Sprache. Logischerweise kam man dabei um das germanische Versepos „Die Nibelungen“ kaum herum. Da ich Versepen bis heute allerdings zum Weglaufen anstrengend finde, bin ich über höchst rudimentäre Kenntnisse des Stoffes nicht hinausgekommen. Inwiefern Harald Reinls Verfilmung, von Artur Brauners Produktionsgesellschaft CCC in Auftrag gegeben und finanziert, eine „werkgetreue“ Umsetzung darstellt, darüber kann ich bestenfalls Mutmaßungen anstellen oder Wikipedia konsultieren. Der Eindruck, den das in zwei Teile à ca. 90 Minuten gesplittete Werk macht, ist aber durchaus ein seriöser, und man merkt der Inszenierung jederzeit das Bemühen an, der historischen Bedeutung des zugrundeliegenden Stoffes gerecht zu werden. Natürlich schwelgt DIE NIBELUNGEN, wie es für das populäre deutsche Kino (repräsentiert etwa durch die Karl-May-Filme, für die ja nicht zuletzt eben auch Harald Reinl verantwortlich zeichnete) jener Tage typisch ist, reichlich in farbenprächtigen Bildern, bietet im Stile des US-amerikanischen oder auch italienischen Monumentalkinos große Schauwerte, aufwändige Kostüme, beeindruckende Bauten sowie wuselige Massen- und Schlachtenszenen (letztere vor allem im zweiten Teil), und kommt den sonst unerreichbar scheinenden Vorbildern dabei sehr nah. Reinls Zweiteiler verkommt dabei jedoch niemals zum bloß bunten Märchenschinken, sondern bewahrt eine literarische, fast avantgardistische Qualität sowie die seltsame Fremdheit der Vorlage, anstatt diese zu bezähmen.

DIE NIBELUNGEN, 1. TEIL: SIEGFRIED VON XANTEN etabliert zunächst den Barden Volker von Alzey (Hans von Borsody) als Erzähler, der dem Zuschauer zur Einführung und später, wann immer es gilt größere narrative Bögen zu spannen, mit seinen Reimen erklärend zur Seite steht. (Der Reim, mit dem DIE NIBELUNGEN, 2. TEIL: KRIEMHILDS RACHE abschließt – „hier hat die Geschichte ein Ende: das ist der Nibelungen Not“ – basiert auf der dem Original angeblich am nächsten kommenden Fassung, was meine obige Seriositätsunterstellung stützen würde.) Das schafft eine gewisse Distanz, die Reinl niemals aufgibt, sondern in seiner ganzen Inszenierung bewahrt. Den wahrscheinlich berühmtesten Teil des Epos, Siegfrieds (Uwe Beyer) Kampf gegen den Drachen und sein anschließendes Bad im Drachenblut, verlagert er, wie in der Vorlage, in die Vorvergangenheit seiner Geschichte und entzieht ihm damit jede Spannung – eigentlich entgegen der Unterhaltungsfilm geltenden Logik (eine moderne Verfilmung des Stoffes würde Siegfrieds Abenteuer wahrscheinlich ganz in den Mittelpunkt rücken). Die Entscheidung, den Handlungsort Worms nach Jugoslawien zu verlegen, bewirkt einer Verfremdung, die den ganzen Film trägt und noch vergrößert wird, wenn schließlich der Sprung in die Kargheit Islands gemacht wird. Dort erweckt Siegfried Königin Brunhild (Karin Dor) mit einem Ring aus ihrem tiefen Schlaf und gewinnt so ihre Liebe für sich, was schließlich der Ausgangspunkt der folgenden Tragödie ist. Während Karin Dor – in einem sich vor dem graublauen, die schroffen Felsen darunter fast verschlingenden Himmelspanorama grell abzeichnenden roten Umhang – ganz unterkühltes Beben ist, ihr Gesicht bis auf ein dramatisches Vibrieren ihrer sinnlichen Lippen stets steinern bleibt, agiert der ehemalige Hammerwerfer Beyer (Bronzemedaillengewinner bei den Olympischen Spielen 1964 in Tokio) mit dem ungebremsten Enthusiasmus und der knubbelnasigen Schlitzohrigkeit eines jugendlichen Springinsfeld. Er ist vielleicht das einzige Bindeglied zwischen Reinls Film und dem in den Sechzigerjahren bereits seinem Ende entgegentaumelnden italienischen Peplums, seine Besetzung sicherlich ein Zugeständnis an die damalige Gegenwartskultur, aber in seiner Amateurhaftigkeit ist er eine Idealbesetzung: Für ihn kann es zwischen all diesen innerlich zerfressenen Ehrgeizlingen, Intriganten, Mitläufern und Machtmenschen keine Zukunft geben und schon gar keine Ehe mit der ihre Gebärmutter abschottenden Brunhild. Wie Siegfried vom fiesen Hagen von Tronje (Siegfried Wischnewski) übertölpelt wird, wird dank Beyer gänzlich nachvollziehbar. Auch Rolf Henniger ist als König Gunther eine solche wirkungsvolle Fehlbesetzung: Er war damals knapp 40 Jahre alt und scheint mit seiner feschen Ted-Frisur, in die ein paar wenig überzeugende graue Strähnchen hineingefärbt wurden, zu jugendlich für einen König. Er strahlt rein optisch zumindest im ersten Teil keinerlei natürliche Autorität aus, was natürlich zu seiner Rolle perfekt passt: Er benötigt die Hilfe seines übermenschlich starken (und mit einer Tarnkappe getarnten) Freundes erst, um Brunhild im Kampf zu besiegen und sie so gegen ihren eigentlichen Willen zu seiner Frau zu machen, und dann noch einmal, als er sie beschlafen und einen Erben zeugen will (sie schützt sich gegen ihn mit einem magischen Gürtel, den Siegfried ihr heimlich entwendet). Inhaltlich ist dieser erste Teil eigentlich der undankbarere: Siegfrieds Heldentaten werden, wie erwähnt, in einer Rückblende relativ schnell abgehandelt (der Kampf gegen den Pappdrachen wurde wohl auch aus Selbstschutz kurz gehalten) und der Rest ist eigentlich lediglich ein In-Stellung-Bringen der einzelnen Figuren für die Verwerfungen des zweiten Teils. Aber Reinl weiß das geradezu brillant zu nutzen: Die immer wiederkehrenden Bilder der sich vor gewaltigen Naturkulissen verlierenden Helden erzeugen jene Ahnung von Größe, die den Stoff auszeichnet, mehr als dies mit akribisch ausgetüftelten und ausgedehnten Set Pieces möglich wäre. Bei aller Bildgewalt ist DIE NIBELUNGEN, 1. TEIL: SIEGFRIED VON XANTEN intim, fast kammerspielartig: Im Zentrum stehen weniger Taten als Gesichter und die sich in ihnen abzeichnenden Gefühle, nicht ihre Handlungsmacht, sondern ihre Ohnmacht gegenüber schicksalhaft waltenden Kräften, die größer sind als sie.

DIE NIBELUNGEN, 2. TEIL: KRIEMHILDS RACHE ist dann zumindest teilweise von anderem Kaliber. Gleich zu Beginn sieht man zum ersten Mal das Volk, das im ersten Teil noch gänzlich abwesend war, und so den Eindruck erweckte, die Herrscherfamilie um König Gunther lebe allein in der Wormser Ödnis. Der Film wirkt zunächst gewissermaßen „naturalistischer“ und „historischer“, steigert sich dann jedoch zum Ende hin immer mehr, ohne jedoch ganz in den sich andeutenden orgiastisch-orgasmischen Rausch zu verfallen. Wir befinden uns immerhin in der deutschen Verfilmung eines deutschen Werkes und die Maske der Gefasstheit wird natürlich niemals abgeworfen. Was sich darunter abspielt, ist hingegen wieder eine ganze andere Frage. Kurz für all diejenigen, die mit dem Stoff nicht vertraut sind: Die mit Siegfried verheiratete und auf Brunhild eifersüchtige Kriemhild (Maria Marlow) gesteht der Königin von Gunthers und Siegfrieds Hinterlist, die ursächlich für ihre Schwangerschaft war. Brunhild, erbost über Siegfrieds Verrat, beauftragt Hagen mit der Ermordung. Der, hinterlistiges Schwein, das er ist, bringt Kriemhild höchstselbst dazu, ihm Siegfrieds verwundbare Stelle zu verraten und tötet den vermeintlich unbezwingbaren durch einen gezielten Speerwurf. Kriemhild ist außer sich vor Wut und Zorn und dient sich mit Rachegedanken im Hinterkopf schließlich dem Hunnenkönig Etzel (Herbert Lom) als Eheweib an. Die Burgunder ahnen, was ihnen bevorsteht, als sie eine Einladung Etzels erhalten, doch treten sie dennoch die Reise an. An Etzels Hof vollzieht sich Kriemhilds Rache an den Mördern ihres Gatten in einem wilden Gemetzel, das nur Volker von Alzey überlebt, um die Geschichte weiterzutragen. DIE NIBELUNGEN, 2. TEIL: KRIEMHILDS RACHE beginnt nach der Ermordung Siegfrieds und widmet einen Großteil der Spielzeit der Reise der Burgunder zu Etzels Hof und ihrem Aufenthalt dort, der erst in eine Art Belagerungszustand und dann schließlich in einen Kampf übergeht. Ging es im ersten Teil um das Verbergen aller verräterischen Emotion, vermittelte Reinl stets den Eindruck ungesunder Repression, so überragt Kriemhilds rasender Zorn diese Fortsetzung. Es geht um die Eskalation, die der Repression unweigerlich folgt. Noch nicht einmal der aus glühenden Kohleaugen blickende Hunnenkönig hat der Furie Kriemhild, deren Hass alles verschlingt, noch etwas entgegenzusetzen – ja, nicht einmal Kriemhild selbst kann ihm widerstehen. So brodeln die Ereignisse ihrem unausweichlichen Höhepunkt entgegen. Die zunehmend dezimierten Burgunder verschanzen sich vor den geduldig auf den Angriffsbefehl wartenden Hunnen. Dann gibt es das nächste Scharmützel und einen erneuten Rückzug. Auch hier verzichtet Reinl auf ein allzu grafisches Ausmalen der Metzeleien, stattdessen schwenkt er zunehmend weg oder legt gar eine Schwarzblende über das Geschehen. Dunkelheit übermannt den Film und mit ihr werden auch die Figuren lebendig. Rolf Henniger entwickelt plötzlich, in der Verzweiflung des Augenblicks, jene Kraft und Statur, die er im ersten Teil vermissen ließ: Er steht plötzlich wie selbstverständlich immer im Zentrum des Bildes, wie in einer Umlaufbahn ordnen sich alle anderen um ihn herum, sogar der sonst wie ein Turm über alle ragende Wischnewski. Ernst W. Kalinkes Kamera durchmisst den ihm nun nicht mehr bloß Unendlichkeit entgegenhaltenden Raum, dabei hilflos nach Nähe suchend, doch die Figuren haben ihre Autonomie längst selbst gefunden und sich für den Blick von außen verschlossen. Während um sie herum die Welt brennt, kommen sie endlich zu sich. Auch die Schauspieler scheinen vergessen zu haben, dass sie in einem Film mitwirken. Das ist alles auf so beunruhigende Art und Weise deutsch und dabei so ungemein andeutungsreich und ahnungsvoll, so opulent künstlerisch und verstörend wie es ein wahrscheinlich als crowd-/(kraut)pleasend gedachter Kostümschinken nur sein kann. Reinl hat viele, viele Filme gemacht, von denen ich zwar nun schon einige, aber doch nur einen Bruchteil gesehen habe: Soweit ich es also bislang beurteilen kann, ist das hier seine Meisterleistung. Und die Blu-ray sollte in jedem Schrank stehen.

 

Schatz_im_SilberseeDeutsche Filmgeschichte: Die Bedeutung dieses Films, der den Startschuss für eine ganze Reihe erfolgreicher Verfilmungen markierte, kann man gar nicht hoch genug einschätzen – weder für die deutsche Populär- noch für die Gesamtkultur. Noch in meiner Kindheit, zwei Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen, wurden mir die Karl-May-Filme von meinem Vater ans Herz gelegt, der sie wiederum in seiner Kindheit gesehen hatte, als sie aktuell waren, und die Kraft, mit der sie mein Jungenherz eroberten, lässt erahnen, wie sie auf jemanden gewirkt haben mussten, der dabei war, als sich in den Sechzigerjahren der Kinovorhang öffnete und Martin Böttchers unvergessliche, unvergleichliche Melodie ertönte (man vergisst sie tatsächlich nie wieder). Winnetou wurde in der Darstellung von Pierre Brice zu einer einheitsstiftenden Figur und prägte unser Bild vom edlen Wilden mehr als jeder US-amerikanische Indianer. Sehr wahrscheinlich hat der enorme Einfluss der Karl-May-Filme auf die Jugend in den vergangenen beiden Jahrzehnten nachgelassen, aber wer wie ich noch in den Achtzigerjahren aufwuchs, für den haben sie eine ungebrochene, nahezu mythische Kraft. Dass sie von Menschen nach einem Plan finanziert und gemacht wurden, dass da Schauspieler Drehbuchzeilen vor einer Kamera aufsagten, am Ende alles abgebaut und die Garderobe abgelegt und gegen normale Straßenkleidung ausgetauscht wurde, alle in ein Flugzeug stiegen und wieder nach Hause flogen, ist für mich nahezu unvorstellbar, so sehr habe ich bei der Betrachtung das Gefühl, sie waren schon immer da.

Das hat natürlich etwas mit ihrem Alter zu tun, damit, dass ich gewissermaßen mit ihnen aufwuchs, ihnen zu einer Zeit begegnete, in der man Film noch sehr naiv gegenübersteht, dazu bereit, alles, was man sieht, für bare Münze zu nehmen. Aber die Filme bringen diese Qualität auch von sich aus mit, und zwar ironischerweise gerade aufgrund jener Beschaffenheit, die ihnen die seriöse Kritik immer wieder schadenfroh vorgehalten hat. Lange Zeit wurden die Karl-May-Filme für ihre Naivität verlacht, als typisches Beispiel für die bemühten und bemitleidenswerten deutschen Versuche, großes Unterhaltungskino nach amerikanischem Vorbild zu schaffen, kritisiert (etwas, dass sie mit ihren literarischen Vorlagen teilen). Erst in den letzten Jahren hat sich das Blatt etwas gewendet: Man erkennt in den Karl-May-Filmen heute nicht nur die filmische Meisterschaft, die in ihnen zum Ausdruck kommt, ihre Bildgewalt und epische Größe – wann ist deutsches Kino heute noch jemals so unverblümt bombastisch und unverstellt romantisch? –, man hat auch gelernt, ihre Naivität, den Wilden Westen am Balkan aufzubauen und die Apachen von einem Franzosen anführen zu lassen, als Wert an sich zu begreifen. Man könnte sagen, dass sich in dieser Naivität der Zauber und die Magie, die Film im besten Fall entfalten, ungefiltert, unverdünnt zeigt. Die deutschen Karl-May-Filme, die das damals anscheinend unfehlbare Produzentengenie Horst Wendlandt initiierte, sind bildgewordene Sehnsucht, in ihnen erträumt sich das von Nachkriegshangover, Fritz-Walter-Wetter und Bonner Republik gebeutelte bundesdeutsche Kollektivunterbewusstsein eine bessere Welt voller Klarheit, Edelmut, Heldentum und Naturidyll. Es ist quasi Heimatfilm abzüglich des Biedermeier, dafür mit einem Schub Adrenalin.

Es ist gar nicht entscheidend, dass DER SCHATZ IM SILBERSEE erzählerisch noch nicht ganz aus dem Vollen schöpft – und mit 110 Minuten zudem ganz schön lang geraten ist. An die Stelle einer echten Handlung tritt ein erster Erkundungsritt durch den Wilden Westen am Balkan: Der Zuschauer schlüpft in die Rolle des aufbrausenden Grünschnabels Fred Engel (Götz George) oder der schönen Ellen Patterson (Karin Dor). Zum Schutz steht ihm der tapfere Reiseleiter Old Shatterhand (Lex Barker) zur Seite, der ihn mit der Geografie vertraut macht. Sam Hawkens (Ralf Wolter) und Gunstick Uncle (Mirko Boman) sorgen dafür, dass die gute Stimmung nicht verfliegt, Lord Castlepool (Eddi Arent) hat als verweichlichter, linkischer Europäer die Aufgabe, den Wilden Westen als noch wilder erscheinen zu lassen. Und Winnetou (Pierre Brice)? Der fliegt wie ein Geist durch den Film und rückt umso mehr ins Zentrum, je erfolgreicher sich dem Zugriff entzieht. Er ist hier ein Mysterium, eine fast metaphysische Präsens, ein Instrument, das zwischen Inhalts- und formaler Ebene beliebig hin und her springen kann, sich auf Geheiß Reinls immer wieder materialisiert, wenn Not am Mann ist, wie bei der Belagerung von Mrs. Butlers Farm, oder aber abrupt verschwindet, weil die anderen Figuren Luft zum Atmen brauchen. Man weiß am Ende gar nicht mehr so genau, ob er wirklich da gewesen ist oder ob man nur von ihm geträumt hat. Dass Reinl der Figur (und Brice) mehr Dialog verweigerte, macht sie noch enigmatischer als sie ohnehin schon ist. In der Figur Winnetous kommt DER SCHATZ IM SILBERSEE gewissermaßen ganz zu sich, der Apachenhäuptling steht paradigmatisch für das Wesen von DER SCHATZ IM SILBERSEE als reines Bild, das im Moment schmerzhaftester Schönheit gleichzeitig immer mitverkündet, dass es nur Illusion ist.

Mehr als das Gebalge um die zwei Hälften einer Schatzkarte, das Hin-und-Her der Verfolgten und Verfolger, die Pausen an ökonomisch platzierten Rastplätzen, an denen dann neue Probleme warten, bleiben diese Bilder im Gedächtnis. Wie die Kamera zu Beginn auf Kniehöhe über die Hauptstraße der Westernstadt Tulsa gleitet; das endlose Tal, in dem Mrs. Butler ihre Ranch aufgebaut hat; die weißen Felsen auf sattgrünen Wiesen; der türkisfarbene Silbersee, der wie ein verlorener Edelstein inmitten der smaragdgrünen Landschaft liegt. Reinl reiht diese Bilder aneinander, erklärt gewissermaßen den Raum, den die Figuren dann in den kommenden Jahren erneut durchmessen werden, von deutscher Sehnsucht und Martin Böttchers Musik getrieben.

 

 

Als der Lehrer Johnny Smith (Christopher Walken) nach einem Autounfall aus dem fünfjährigen Koma erwacht, ist nichts mehr wie vorher: Seine Partnerin Sarah (Brooke Adams) hat ihn verlassen, er muss erst wieder lernen zu laufen und außerdem hat er eine neue Fähigkeit: Er kann in die Zukunft der Menschen schauen, wenn er ihnen die Hand reicht. Doch mit dieser Gabe geht auch eine große Verantwortung einher: Was soll man tun, wenn man weiß, dass der Politiker Greg Stillson (Martin Sheen), der sich derzeit anschickt, Senator zu werden, in der Zukunft den Dritten Weltkrieg auslösen wird? Für Johnny gibt es nur eine Antwort auf diese Frage …

Mit seiner Verfilmung des Stephen-King-Bestsellers – seiner ersten Studioproduktion, die einen wichtigen Karriereschritt bedeutete – reiht sich Cronenberg in die nicht allzu große Riege von Filmemachern ein, denen die Umsetzung eines Romans des Meisters auf die Leinwand ohne Abstriche gelang. THE DEAD ZONE gehört meiner Meinung nach zu den drei mit einigem Abstand besten King-Adaptionen (zusammen mit CARRIE und THE SHINING) und das ist ohne Zweifel der inszenatorischen Klasse Cronenbergs zuzuschreiben – auch wenn der hier als auteur etwas in den Hintergrund tritt, sich dem Stoff unterordnet. Im Zentrum des Films steht ganz eindeutig Christopher Walken als Johnny: Vom für ihn ungewohnten Typ „Schwiegermutters Liebling“ der ersten Minuten verwandelt er sich im weiteren Verlauf ganz allmählich in den grüblerischen, charismatischen, geheimnsivollen, körperlich enorm raumgreifenden Charakter, den man von ihm gewohnt ist und es ist eine Freude, ihm dabei zuschauen zu dürfen. Wenn er als Johnny mit dem Gehstock spazierengeht, seine enorme Schrittlänge dabei deutlich macht, wie sehr er die Krücke wegschleudern möchte, wie sehr er versucht, sie einfach zu vergessen, dann ist das genau jener tänzerische, verspielte Walken, der einem mit seiner Elvis-Impression in Ferraras KING OF NEW YORK fast zur Homosexualität bekehrt hätte. Es ist sein Verdienst, dass das Schicksal Johnnys einen so enormen emotionalen Nachhall findet.THE DEAD ZONE ist niederschmetternd.

Cronenberg ist nicht unbedingt für besonders warme oder gar liebevolle Filme berühmt geworden. Wie er die Neurosen seiner Protagonisten seziert, das hat immer auch etwas Mitleidlos-Wissenschaftliches. Den wenigsten von ihnen hat er ein glückliches Ende geschenkt und auch für Johnny darf man sich keine allzu großen Hoffnungen machen, das ist schon recht früh klar. THE DEAD ZONE, das ist auch eine Erlösergeschichte: Da opfert sich jemand, damit die Menschheit weiter bestehen kann. Cronenberg inszeniert diese Geschichte erwartungsgemäß ohne großes Pathos, ohne Tearjerking und tränenreiche Abschiede. Bewegend ist sein Film trotzdem, weil seine Sachlichkeit klar macht, dass hier jemand eine Verantwortung aufgebürdet bekommt, die er zwar nicht tragen will, zu der er aber trotzdemvollkommen bekennt. Kings Roman beschäftigt sich mit philosophischen Fragestellungen um Schicksal, Vorhersehung, Determinismus und den moralischen Folgen, die daraus erwachsen, aber Cronenberg streift diese Fragen allenfalls, er verhandelt sie nicht. Ihm geht es vor allem um die Konsequenzen, die Johnnys Begabung für ihn ganz persönlich hat. Kein Wunder also, dass THE DEAD ZONE ambivalent bleibt: Zwar hat Johnny dank seiner Fähigkeiten die Welt vor dem Nuklearkrieg bewahren können, doch für ihn selbst kann es keine Rettung mehr geben.Es ist auch diese utilitaristische Strenge, die den Film so schockierend macht.

Dominik Graf hat in seinem prächtigen Text zu THE DEAD ZONE, der in dem Buch „David Cronenberg“ von Bertz & Fischer erschienen ist (zu dem ich ja auch etwas beisteuern durfte), die großartige Besetzung des Filmes hervorgehoben, deren Leistungen Cronenberg durch seine episodische Inszenierung noch unterstreicht: Herbert Lom ist wunderbar als väterlich-fürsorglicher Arzt, Tom Skerritt leidet als Sheriff sichtbar darunter, einen Serienmörder nicht fassen zu können, Anthony Zerbes wachsam funkelnde Augen brennen sich durch den Bildschirm hindurch und Martin Sheen lässt einem als reaktionär-krimineller Politiker die Galle hochkochen. In der Abfolge dieser Episoden erweckt Cronenberg tatsächlich den Eindruck, einem Leben zu folgen: Gesichter tauchen auf und verschwinden wieder. Jeder ist für einen kurzen Moment ein wichtiger Begleiter Johnnys, bevor das Leben ihn weiterzieht, dem unausweichlichen Ende entgegen. Insofern ist Johnny Smith – das sagt ja schon sein Name – ein ganz normaler Mensch: Er mag eine besondere Begabung haben, doch wichtig sind vor allem die die Entscheidungen, die er trifft, die Konsequenzen, die er zieht und das Schicksal, das er wählt. Die spannende und beängstigende Frage, die der Film aufwirft: Würden wir auch so handeln wie er?

Der Frauenknast auf der sinnig benannten Isla del Muerte wird mit eiserner Hand geführt: Die psychotisch-nervöse Wärterin Thelma Diaz (Mercedes McCambridge) bestraft das kleinste Vergehen mit Kerkerhaft, ihr Vorgesetzter, der Gouverneur Santos (Herbert Lom), gibt sich nicht allzu viel Mühe, sie in Zaum zu halten. Die neu angekommene Insassin (Maria Rohm), nach ihrer Häftlingsnummer nur Nr. 99 genannt, muss gleich am eigenen Leib erfahren, was auf sie zukommt: Als sie um Hilfe für eine unter Entzugsschmerzen leidende Zellengenossin ruft, handelt sie sich eine schöne Strafe ein. Die Häufung von mysteriösen Todesfällen ruft allerdings die Regierung auf den Plan, die die Beamtin Leonie Carroll (Maria Schell) zur Untersuchung der vorherrschenden Zustände schickt. Ihre Versuche, bessere Bedingungen für die Häftlinge zu schaffen, werden aber schließlich von der Flucht dreier Damen, darunter auch Nr. 99, unterwandert …

DER HEISSE TOD gilt als Startschuss für die neue Welle von Frauenknastfilmen, die vor allem in den Siebzigerjahren über die Bahnhofskinos schwappte und dem so entstandenen Subgenre sogar ein eigenes Kürzel bescherte: WiP – Women in Prison. Etwas zu Unrecht werden die WiP-Filme meist mit schlimmstem Schmuddelkram assoziiert, dabei sind die frühen Vertreter jener Welle, wie etwa dieser hier, CAGED HEAT, THE BIG DOLL HOUSE oder auch THE BIG BIRD CAGE, durchaus respektabel; exploitativ zwar, sicherlich, aber deutlich weniger niederträchtig, billig und schäbig als das, was da etwas später, etwa unter der Regie von Mattei und Konsorten, das Licht der Welt erblicken und den Frauenknastfilm als eine besonders ekelhafte Form von Gewaltpornografie abstempeln sollte. Auch DER HEISSE TOD ist, wie eigentlich alle in jener Zeit vom Briten Harry Alan Towers produzierten Filme des Spaniers, gediegen inszeniert, gut besetzt und geschmackvoll ausgestattet, deutlich näher dran am großen, bunten und gutgelaunten Abenteuerkino der Sechzigerjahre als an der dreckigen, wütenden und hässlichen Exploitation des Folgejahrzehnts. Natürlich sind alle Zutaten, die den Frauenknastfilm auch später noch definieren sollten, schon drin: schöne Frauen (neben den bereits genannten noch Luciana Paluzzi und die tolle Rosalba Neri, die hier die ganze Zeit ganz fasziniert von ihren eigenen bestrumpften Beinen ist), Lesbensex, eine sadistische Wärterin, ein nazihafter Politiker in Militäruniform und eine Portion Sadismus. Auch die Handlungsstruktur – auf den harten Knastalltag folgt irgendwann die Flucht, die meist jedoch scheitert – wurde in späteren Filmen nur noch milde variiert. In DER HEISSE TOD ist also alles noch eine ganze Spur zahmer und gesitteter – der Sex (sehr psychedelisch meist in disorientierenden Close-ups gefilmt, die mehr andeuten als zeigen), die Gewalt (eigentlich immer offscreen) – und mit dem Einsatz von Maria Schell als stets besorgt dreinblickender Pädagogin gelingt es Franco manchmal fast, einen davon zu überzeugen, hier eines ernsthaften Human-Interest-Dramas um unmenschliche Haftbedingungen ansichtig zu werden (zumindest scheint er Maria Schell davon überzeugt zu haben, in einem solchen mitzuspielen).

Wer mit Jess Franco bislang nichts anfangen konnte, wem seine Filme immer zu billig, zu krude, zu dusselig oder zu schlampig waren, der hat mit den in Kollaboration mit Towers entstandenen Filmen – z. B. THE BLOOD OF FU MANCHU, MARQUIS DE SADE: JUSTINE, IL TRONO DI FUOCO oder EUGENIE – vielleicht eine Chance, doch noch mit dem Werk des umtriebigen Spaniers warm zu werden. Ich bin da hin- und hergerissen: EUGENIE halte ich bislang für den stärksten Film Francos, DER HEISSE TOD jedoch ist mir eine Spur zu langweilig geraten. Da würde ich dann den weniger aufwändigen, dafür aber völlig wahnsinnigen SADOMANIA jederzeit vorziehen. Kommt wohl drauf an, was man will: Die Towers-Francos sind handwerklich besser, haben bessere Production Values und sind insgesamt etwas „gebügelter“ als die anderen Francos. Ich bin mittlerweile soweit, dass ich seine Filme gerade wegen ihrer Idiosynkrasien zu schätzen weiß.