rio bravo (howard hawks, usa 1959)

Veröffentlicht: Januar 9, 2015 in Film
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Einer der größten amerikanischen Filmklassiker des vergangenen Jahrhunderts, Inspirationsquelle für zahllose Regisseure und Filme (mir ist z. B. jetzt erst aufgefallen, wie viele Details aus diesem Film sich in Barbonis LO CHIAMAVANO TRINITÀ wiederfinden) nimmt RIO BRAVO mittlerweile längst selbst den Status jener Mythen ein, von denen der Western zu erzählen pflegt. Es ist ein Film, der trotz seines vergleichsweise jungen Alters so sehr mit der Geschichte des amerikanischen Kinos verwoben ist, dass man sich eine Welt ohne ihn kaum vorstellen kann. RIO BRAVO war wahrscheinlich schon immer da, Howard Hawks hat ihn nur sichtbar gemacht, ihn aus dem Wüstensand geborgen, die Knochen freigeschaufelt, gereinigt und wieder zusammengesetzt. Eine Ikone, die bei Betrachtung ein ganzes Universum eröffnet.

Dabei wurde RIO BRAVO mit einem ganz konkreten Vorhaben im Sinn erdacht und realisiert, wenn man den Chronisten Glauben schenken darf. Gemeinsam mit seinem Star John Wayne wollte Hawks – der gerade eine vierjährige Schaffenspause hinter sich hatte, an argen Selbstzweifeln litt und noch nicht ahnen konnte, was für ein fulminantes Comeback seine neuster Film bedeuten würde – das Gegenstück zu Zinnemanns HIGH NOON drehen, einen Film, den der „Duke“ angeblich als „unamerikanisch“ verachtete. („What a piece of you-know-what that was,“ he [John Wayne; Anm. v. mir]  told me [Roger Ebert; Anm. v. mir]. „I think it was popular because of the music. Think about it this way. Here’s a town full of people who have ridden in covered wagons all the way across the plains, fightin’ off Indians and drought and wild animals in order to settle down and make themselves a homestead. And then when three no-good bad guys walk into town and the marshal asks for a little help, everybody in town gets shy. If I’d been the marshal, I would have been so goddamned disgusted with those chicken-livered yellow sons of bitches that I would have just taken my wife and saddled up and rode out of there.“) Die Geschichte um den aufgrund der Feigheit seiner Mitmenschen allein einer Verbrecherschar entgegentretenden Sheriff bedurfte einer Revision, die den amerikanischen Gemeinsinn beschwor. So entstand, basierend auf einer gleichnamigen Kurzgeschichte, RIO BRAVO, ein Film um eine Stadt im Belagerungszustand, mehr aber noch über die Freundschaft fünf äußerst ungleicher, in ihrem Pflichtbewusstsein und ihrer grenzenlosen Loyalität allerdings seelenverwandter Charaktere. Und das ist auch das eigentlich Spannende an RIO BRAVO, das, was den Zuschauer, der heute kaum noch unvorbelastet an ihn herantreten kann, weil Hawks‘ Film die Populärkultur durchdrungen hat wie die Zehn Gebote die westlichen Zivilisationen, überrascht, verblüfft, fasziniert: Dieser Western ist nur ganz am Rande Pferdeoper, nur ganz am Rande an Schießereien und markigen Sprüchen interessiert, sein Rahmen ist im Grunde willkürlich, nicht notwendig für sein Gelingen. Es handelt sich um ein Drama, einen Film über diese fünf Menschen und die Beziehung, die sie zueinander haben, über ihre Freundschaft und ihre Kämpfe, über gegenseitigen Respekt und Treue, aber auch um den Zeitpunkt, an dem man diese Treue im Sinne der Freundschaft entziehen muss. Es ist ein Film über die Vergangenheit, die ihre Schatten auf das Heute wirft, und darüber, wie man sich ihrer entledigt, um das Morgen erleben zu können. Dieses universale, mythische Element steckt natürlich im Kern jedes Westerns, aber dieser sticht dadurch heraus, dass er den Kern weitestgehend freilegt. Wenn sich Chance (John Wayne), Dude (Dean Martin), Colorado (Ricky Nelson) und Stumpy (Walter Brennan) im Finale den Schurken stellen, dann ist das eigentlich nur ein Nachgedanke. RIO BRAVO ist geradezu frappierend modern für einen Western, mit dem John Wayne den Amerikanismus retten wollte.

Der Anfang ist natürlich legendär, perfektes Beispiel dafür, wie man einen Film beginnen sollte: Der abgerissen aussehende, mit einem Deputystern ausgestattete Dude wankt in einen Saloon, blickt sich die Lippen leckend um, sieht überall Männer, die köstlichen Whiskey in sich hineinkippen. Aber er hat kein Geld und niemand ist bereit, ihm welches zu geben. Nur Joe (Claude Akins) wendet sich ihm zu, nimmt einen Dollar aus der Tasche und wirft ihn voller Schadenfreude in einen Spucknapf, der auf dem Boden steht. Ein teuflisches Grinsen huscht über sein breites Gesicht. Dude ist nur anscheinend hin- und hergerissen. Er weiß, dass er den Dollar aus dem Rotz herausangeln wird, um sich den ersehnten Drink kaufen zu können, egal wie lange er mit sich hadert, weiß, dass ihn die Aussicht auf das Gelächter, den Hohn und Spott, den er unweigerlich ernten wird, genausowenig vom Griff nach dem Almosen abhalten werden, wie die Erkenntnis, ganz am Boden angelangt zu sein. Dude beugt sich zum Napf, da tritt ein Stiefel ihn weg. Es ist der Stiefel von Chance, seines Zeichens Sheriff und Freund des traurigen Säufers. Es kommt zur Keilerei, bei der erst Dude seinem alten Freund einen kräftigen Schlag verpasst, dann ein unschuldiger Schlichter von Joe erschossen wird. Joe wechselt den Saloon, und wenig später erscheint dort ein wankender, blutender Chance, um den Mörder zu verhaften. Einer seiner Kompagnons will den Sheriff umlegen, doch da erscheint Dude wieder auf der Bildfläche und rettet Chance mit einem gezielten Schuss das Leben. Joe, der Bruder des örtlichen schwerreichen und kriminellen Viehbarons Nathan Burdette (John Russell), wird verhaftet, das Unheil nimmt seinen Lauf.

Die wichtigsten Handlungselemente des Films sind in dieser kurzen, nahezu wortlosen Exposition enthalten: Sie etabliert den Alkoholismus Dudes, die ehrliche, wenn auch nicht immer harmonische Freundschaft zwischen ihm und Chance und natürlich den Grundkonflikt, der den Film in den folgenden zwei Stunden seinem unweigerlichen Showdown entgegentreibt. RIO BRAVO zeichnet ein Belagerungsszenario, wie es dank gelehriger Schüler wie George A. Romero (NIGHT OF THE LIVING DEAD) oder John Carpenter (ASSAULT ON PRECINCT 13) zu einem Standard des Thrillerkinos wurde: Die Helden warten in einem abgeschlossenen Raum (extern das Kaff Rio Bravo, intern das Sheriffbüro samt Gefängnis) auf Hilfe durch den Marshall, von der sie wissen, dass sie zu spät kommen wird, und auf den Angriff der Schurken. Anders als etwa bei Carpenter wird dieses Warten bei Hawks aber nicht zur nervenzerfetzenden Zerreißprobe. Die fünf Freunde – den Männern gesellt sich noch Feathers (Angie Dickinson) hinzu, die mit Chance anbändelt – nutzen die Zeit, um alte und neue Probleme zu lösen oder aber sich kennenzulernen. Die bevorstehende Aufgabe schweißt sie zusammen, sofern sie nicht eh schon Brüder im Geiste sind. Natürlich schwingt dabei auch die Idee mit, das eigene Leben in Ordnung zu bringen, bevor das Ende naht, aber RIO BRAVO wird niemals düster oder deprimierend. Seine Protagonisten kennen ihren Platz im Leben, wissen, dass sie sich nichts vorzuwerfen haben, aber auch, welchen Weg sie gewählt haben. Wenn sie am Ende in die Schlacht ziehen, hat das deshalb auch nichts von jener Todessehnsucht, die Peckinpahs Wild Bunch befällt, vielmehr mit der Unlust, sich länger in die Passivität drängen zu lassen. Es steckt noch zu viel Energie in ihnen, sei sie entfacht durch eine entflammte Liebe wie bei Chance, die abgelehnte Sucht bei Dude oder den Ehrgeiz, in die Ahnengalerie der Helden einzutreten wie bei Colorado. RIO BRAVO ist ein Charakterfilm, auch wenn eine genaue formale Analyse genug inszenatorische Winkelzüge für ein ganzes Buch offenbaren dürfte (er kommt angeblich mit ganzen vier Nahaufnahmen aus), und wird getragen von seinen Dialogen – die vor allem in den Szenen mit Wayne und Dickinson an die berühmten Austäusche von Bogart und Bacall erinnern – und der Präsenz seiner Darsteller. Dean Martin war wahrscheinlich nie so gut und bewegend wie hier, John Wayne dominiert paradoxerweise mit respekteinflößender Zurückhaltung und Angie Dickinson steht als Frau ihren Mann, ohne dabei die Klischees bedienen zu müssen. Hier fügt sich alles wie ein Puzzle zusammen, und wenn man sich den Film anschaut, dann weiß man, dass das keine Fügung glücklicher Zufälle war, sondern Meisterhandwerk, wie es heute verdammt selten geworden ist.

Kommentare
  1. Ghijath Naddaf sagt:

    Rio Bravo, wie auch El Dorado, sind fester Bestandteil meines Lebens. Sie haben mich von der
    Kindheit an begleitet. Chance, Cole Thornton, Dude, J.P.,Stumpy, Mississippi, Feathers und wie
    sie alle heissen wurden mir mit den Jahren gute Freunde. Und wenn mich dieser ganze Scheiss
    hippe Zynismus von heute mal so richtig ankotzt, gebe ich mir einen der beiden.
    Spätestens bei „My Rifle,my Pony and me“ wird meine Laune dann deutlich besser.

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