das rätsel der roten orchidee (helmut ashley, deutschland 1962)

Veröffentlicht: Dezember 16, 2013 in Film
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Der Chicagoer Gangsterboss Kerkie Minelli (Eric Pohlmann) wird wegen Steuerhinterziehung aus den USA ausgewiesen: Die Hinrichtung der Konkurrenzbande von O’Connor konnte man ihm nicht nachweisen. Er lässt sich in London nieder, wo auch „der schöne Steve“ (Klaus Kinski), O’Connors einstige rechte Hand, eine neue Heimat gefunden hat. Bald liegen die Organisationen der beiden erneut im Clinch: Sie versenden Erpresserschreiben an die wohlhabenden Bürger Londons und ermorden jeden, der auf ihre Forderungen nicht eingeht. Scotland-Yard-Inspector Weston (Adrian Hoven) zieht angesichts der sich häufenden Todesfälle den FBI-Mann Allerman (Christopher Lee) hinzu. Während ihrer Ermittlungen machen sie Bekanntschaft mit der schönen Lilian Ranger (Marisa Mell), die als Sekretärin in den Diensten des ermordeten Tanners (Fritz Rasp) stand und erfährt, dass er sie seinem Neffen, dem Orchideenforscher Edwin (Pinkas Braun), als Erbe vorzieht. Damit ist die Schöne natürlich selbst ein potenzieller Erpressungskandidat …

Um an dieser Stelle mit einem kurzen Zwischenfazit einzusteigen: Ich bin überrascht, wie divers die Edgar-Wallace-Filme der Rialto bislang sind, ganz entgegen der landläufigen Meinung, sie seien allesamt nach demselben steifen Schema gestrickt. Doch von einer lückenlos perfektionierten Schablone ist wenigstens bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht allzu viel zu merken, wenn man einmal von einigen Details absieht: Meistens gibt es einen Scotland-Yard-Protagonisten und ein weibliches Opfer, das es zu beschützen gilt, meist ist Eddie Arent als Comic Relief anwesend, sind die Kriminalfälle verschlungen und ist die Lösung erst nach zahlreichen Todesfällen in Sicht. Vor allem tonal decken die Filme eine große Bandbreite ab, reichen von straighten Gangster- und Quasi-Actionfilmen wie DER FROSCH MIT DER MASKE über Mystery-Krimis wie DER GRÜNE BOGENSCHÜTZE, DIE BANDE DES SCHRECKENS und DIE SELTSAME GRÄFIN bis hin zum Proto-Giallo DAS GEHEIMNIS DER GELBEN NARZISSEN, dem Pulp-Horror von DIE TOTEN AUGEN VON LONDON oder dem gediegenen Whodunit der Marke DER FÄLSCHER VON LONDON. DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE knüpft mit seiner Geschichte um zwei verfeindete Syndikate an Reinls ruppigen Einstand mit DER FROSCH MIT DER MASKE an, verquickt den Gangsterfilm-Stoff jedoch mit den komischen, selbstreflexiven Elementen, die vor allem Jürgen Roland in die Reihe einführte. Ashleys Gangsterfilm ist der bislang temporeichste und humorvollste Film der Reihe, funktioniert bisweilen fast als Persiflage und steckt voller schöner Regieeinfälle, die ihn zur kleinen Pulp-Perle machen.

Eddi Arent hat seine bislang witzigste Rolle als „Todesbutler“, der seinen Namen der Tatsache verdankt, dass seine Arbeitgeber stets kurz nach seiner Einstellung den Anschlägen der Erpresser zum Opfer fallen. Anstatt sich aufgrund dieser Schicksalsschläge jedoch selbst als verflucht oder zumindest vom Pech verfolgt zu begreifen und die Todesfälle bei seinen Bewerbungen geheim zu halten, begreift er sie gerade als seine besondere Qualifikation. Und alle lassen sie sich von ihm überzeugen, nur um kurze Zeit später dann doch ins Gras zu beißen. Seine Bemühungen, seine Arbeitgeber in Sicherheit zu bringen, nehmen teilweise bizarre Formen an: Die alte Mrs. Moore (Sigrid von Richthofen) schickt er mitten in einer Regennacht mit dem Auto nach Schottland, wo ihr nichts passieren könne, den Abenteurer und Soldaten Oberst Drood (Herbert A. E. Böhme) unterstützt er mit Stahlhelm und Gewehr bei der Verteidigung seines Schlosses vor heranrauschenden Flugzeugen. Aber er ist nur das herausstechendste komische Merkmal in einem Film, der enorm viel Witz schon durch sein Erzähltempo und seinen Schnitt erzeugt. Als plötzlich ein und dieselbe Person zwei verschiedene Erpresserbriefe – jeweils eines von jeder Bande – erhält, kommentiert Weston dieses Vorkommnis mit der Vermutung, dass sich nun beide Banden an einen Tisch begeben und eine Abmachung über eine künftige Zusammenarbeit treffen müssen. Nach einem Schnitt passiert genau das: Die beiden Gruppen sitzen an einem langen Tisch und palavern über ihre künftige Partnerschaft und die Aufteilung ihres Vermögens. London wird mittels einer vertikalen Linie auf dem Stadtplan kurzerhand in zwei Reviere geteilt, so einfach kann das gehen. Urkomisch ist auch die Szene, in der der greisenhafte Tanner seine Sekretärin Ms. Ranger zu sich ruft: Er gesteht ihr, dass er sich um ihre Zukunft sorge und sicherstellen wolle, dass es ihr an nichts im Leben fehle. Und dann kulminieren seine Worte in dem alles andere als zärtlich herausgebellten Satz: „Wollen Sie mich heiraten?“, der weniger eine Frage als vielmehr eine Aufforderung darstellt und das ganze Unbehagen des alten Mannes zum Ausdruck bringt.

Man kann sich darüber streiten, ob Adrian Hoven ein guter Ersatz für Joachim Fuchsberger ist: Ich finde den Österreicher etwas zu glatt, zu schmierig, zu selbstzufrieden und vor allem zu unbeweglich, um als Actionheld zu funktionieren. Er ist annehmbar in seiner Rolle, scheint sich aber selbst nicht richtig wohl zu fühlen und bleibt somit der einsame Schwachpunkt einer sonst kongenialen Besetzungsliste: Christopher Lee ist gewohnt ehrfurchtgebietend (er spricht sich auch in der deutschen Fassung selbst), Marisa Mell umwerfend und deutlich weniger hilflos als ihre Vorgängerinnen, Pinkas Braun angemessen diabolisch, ohne allzu offensichtlich böse zu sein. Die besten Rollen haben aber Klaus Kinski und Eric Pohlmann abbekommen; gerade letzterer überzeugt mit herrlichem Ösi-Akzent als italoamerikanischer Gangster, der nur halb so gewissenlos ist, wie er tut. Es ist nicht so leicht, die Qualitäten von DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE auf den Punkt zu bringen: Ich würde sagen, er überzeugt, weil er großes Gewicht auf stimmige Details legt, weil er randvoll und dicht ist und somit auch dann glaubwürdig und echt wirkt, wenn er den größten Blödsinn veranstaltet. Relativ zu Beginn wohnt man einem Einsatz der Polizeibeamten auf einer Großbaustelle bei: Sowohl Allerman als auch Weston sind wie ihre Kollegen als Bauarbeiter verkleidet, treiben sich auf dem Gelände herum, bis es schließlich zur Sache geht: Da fühlt man sich fast in ein Roland’sches Police Procedural versetzt, scheint Ashleys Film plötzlich deutlich realistischer und moderner als alle anderen Wallace-Filme vor ihm, nur um den Realismus im Anschluss dann gleich wieder zu unterlaufen. Es passiert einfach unglaublich viel in DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE, es kommt niemals Langweile auf. Vielleicht bietet er als erster Film der Reihe einen Ausblick darauf, wie sich die Wallace-Reihe im Speziellen und das Exploitationkino im Allgemeinen in den kommenden Jahren verändern sollten. Aber auch wenn man lieber vorsichtig sein möchte mit allzu vollmundigen Zuschreibungen: Dieser Film hat eine ganze Menge zu bieten. Und – das sollte auch mal erwähnt werden – er macht saumäßig Spaß.

Die Edgar-Wallace-Checkliste:

Personal: Eddi Arent (8. Wallace-Film),  Fritz Rasp (5.), Klaus Kinski und Ernst Fritz Fürbringer (4.), Sigrid von Richthofen (3.), Christopher Lee, Hans Paetsch, Horst Breitkreuz, Peter Frank, Benno Gellenbeck, Kurt A. Jung, Charles Palent und Friedrich G. Beckhaus (2.), Pinkas Braun und Frank Straass (1.). Regie: Helmut Ashley, Drehbuch: Egon Eis (als Trygve Larsen) (5.), Kamera: Franz X. Lederle, Musik: Peter Thomas (3.), Schnitt: Herbert Taschner (2.), Produktion: Horst Wendlandt (5.). 
Schauplatz: Chicago, London, Scotland Yard, diverse Büros und Wohnsitze, eine Bank, ein Tabaklädchen. London, Hamburg und Cuxhaven.
Titel: Bezieht sich auf die Identität des Erpressers. Im Grunde genommen ist der Titel ein Spoiler, weil erst er überhaupt suggeriert, dass an dem Orchideenforscher Edwin etwas „rätselhaft“ ist. Zum vierten Mal ist ein Farbwort enthalten (zum zweiten Mal „rot“), zum zweiten Mal eine Blume.
Protagonisten: Scotland-Yard-Inspektor Weston, FBI-Mann Captain Allerman und Damsel in Distress Lilian Ranger.
Schurke: Die Gangsterbosse Kerkie Minelli und „der schöne Steve“, diverse ihrer Killer und ein mysteriöse Mann im Hintergrund.
Gewalt: Diverse Erschießungen und Erstechungen, ein Rasiermessermord, Tod durch einen auf der Landstraße aufgestellten Spiegel und durch Autobombe.
Selbstreflexion: Cora Minelli liest das Goldmann-Taschenbuch von Wallace‘ „Die toten Augen von London“, Eddie Arent wendet sich direkt ans Publikum.
Kommentare
  1. Wortman sagt:

    Ich liebe die Wallace – Filme. Allerdings muss man sagen, wären sie ohne einen genialen Kinski niemals so gut geworden. 🙂

    • Oliver sagt:

      Naja, er spielt ja längst nicht in allen mit, in manchen hat er nur kleine Rollen und die, die ganz ohne ihn auskommen müssen, sind trotzdem gut. Ich würde dir also vehement widersprechen. 🙂

      • Wortman sagt:

        Du darfst gerne widersprechen 😉
        Gut sind die Wallacefilme sowieso. Auch ohne ihn 🙂 Die kann ich mir immer wieder ansehen. Das sind noch richtige Krimis.

  2. Ghijath Naddaf sagt:

    Ich persönlich freue mich eigentlich immer am meisten über Siegfried Schürenberg´s „Sir John“.
    Wo bleibt der eigentlich ?
    Ich werde den Verdacht nicht los, das der Pate stand, für den trotteligen Polizeichef in Luc Besson´s
    lebenswerten Taxi Filmen.

  3. Ghijath Naddaf sagt:

    Soll heissen „Liebenswerten“.

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