Mit ‘Endzeitfilm’ getaggte Beiträge

Steuern wir auf den Untergang zu, weil wir zu bequem sind? Weil wir uns nicht oft genug selbst hinterfragen – oder, wenn wir es doch tun, den Antworten keine Konsequenzen folgen lassen? Lehnen wir uns nicht oft genug auf, ergeben wir uns zu oft freiwillig in die Rolle der willigen Vollstrecker von Mächten, die sich darauf verlassen können, dass wir das eingeübte Spiel immer weiter mitspielen? Steht am Anfang einer Wende zum Besseren nur ein einfaches, entschiedenes „Nein!“?

Als wir den Protagonisten von BUSANHAENG, einen Fondsmanager mit dem Namen Seok-woo (Yoo Gong), zum ersten Mal sehen, nimmt er einen Anruf eines Vorgesetzten entgegen. Wir hören nicht, was der sagt, sehen nur Seok-woos Reaktion: Unglauben, Verwunderung, Entsetzen. Auf seine Nachfrage folgt die erneute Bestätigung, die Aufforderung zum Gehorsam, auf die er nichts mehr zu entgegnen weiß. Das Spiel setzt sich eine Hierarchieebene tiefer fort: Seok-woo ruft einen Angestellten zu sich, fordert ihn auf, „alles zu verkaufen“. Die Gefahr eines Marktcrashes sei ihm bewusst, antwortet er, aber der Befehl kommt von oben. Da kann man nichts machen.

Am Ende des Films erspähen zwei Soldaten zwei Schatten, die sich durch einen Eisenbahntunnel nähern, wahrscheinlich eine Frau und ein Kind. Über Funk machen sie Meldung. Ob es sich um Infizierte handelt, will der Mann am anderen Ende wissen. Das sei auf die Distanz nicht zweifellos auszumachen, antwortet der Soldat. „Eliminieren!“, lautet der Befehl. Die beiden Soldaten legen ihre Gewehre an, aber sie zögern. Könnte es sich nicht doch um Überlebende handeln? Dann hätten sie Unschuldige auf dem Gewissen. Plötzlich hören die beiden ein Lied. Es ist das Kind, ein Mädchen, das zu singen begonnen hat. Bei den Schatten handelt es sich tatsächlich um Überlebende der Katastrophe. Sie leben, weil die beiden Schützen den entscheidenden Moment gezögert, den Befehl nicht blind ausgeführt haben.

BUSANHAENG, bis heute die sechsterfolgreichste südkoreanische Filmproduktion und der erste Real-Spielfilm des Animationsspezialisten Sang-ho Yeon, zeichnet wieder einmal das Bild einer Zombieapokalypse (der Begriff „Zombie“ fällt im ganzen Film nur einmal), für die hier wahrscheinlich das Leck in einer Chemiefabrik verantwortlich ist. Wenig später rennen infizierte Menschen blutgierig durch die Straßen und jeden, der von ihnen gebissen wird, ereilt binnen Sekunden oder auch Minuten das gleiche Schicksal. Protagonist Seok-woo befindet sich mit seiner Tochter Soo-an (Su-an Kim) in einem Zug, als die Katastrophe um sich greift. Sie hat Geburtstag und möchte zu ihrer getrennt lebenden Mutter nach Busan, weg vom erziehungsberechtigten Vater, der nur seinen Job im Kopf hat und sich nicht um sie kümmert. Er begleitet sie nur widerwillig, schließlich kann er sie nicht allein fahren lassen. Zuerst schnappen die beiden auf ihrer Reise nur einzelne, unverbundene Anzeichen des bevorstehenden Untergangs auf: Asche, die vom Himmel fällt, ein brennendes Hochhaus in der Ferne, einen Mann, der einen anderen anfällt. Doch nachdem der erste Infizierte an Bord des Zuges gelangt ist, beginnt schon kurze Zeit darauf ein verbissener und hoffnungslos scheinender Kampf einer kleinen Minderheit Überlebender gegen die zahlenmäßig weit überlegene Schar der tollwütigen Monster. Auch außerhalb des Zugs ist keine Hilfe zu erwarten, denn das ganze Land versinkt bereits im Chaos. Und zu allem Überfluss bilden auch die Überlebenden keine geschlossene Gemeinschaft.

Im Zombiezyklus George A. Romeros, vor allem in NIGHT OF THE LIVING DEAD, DAWN OF THE DEAD und DAY OF THE DEAD, der hier natürlich überlebensgroß Pate stand, ist das Auftreten der lebenden Toten nur eine extreme Begleiterscheinung – oder, auf hermeneutischer Ebene, ein Gleichnis – der überall um sich greifenden zwischenmenschlichen Verrohung. Angesichts gefräßiger Monster vor der Tür schlagen sich die verbarrikadierten Überlebenden in NIGHT bald gegenseitig die Köpfe ein, der Held wird am Schluss von den marodierenden Lynchmobs exekutiert, die gar nicht erst lang fragen; in DAWN sind es nicht die ziellos herumwandernden Untoten, die zur Eskalation führen, sondern eine Bande von Rockern, die plündernd durchs Land zieht; in DAY schließlich verhindert das Eindringen der Zombies in den von den verfeindeten Wissenschaftlern und Soldaten bewohnten unterirdischen Bunker eigentlich nur, dass die sich gegenseitig zerfleischen. Woher die Zombies kommen, bleibt ungeklärt, weil es nicht wichtig ist: Die Menschen haben sich schon vorher gegenseitig umgebracht – und zwar in vollem Bewusstsein ihres Tuns.

Sang-ho Yeon springt mit BUSANHAENG auf diesen Zug (hihi) auf, bleibt dabei aber enger bei seinen Figuren: Für Seok-woo bedeutet der Überlebenskampf in erster Linie, endlich seiner Verantwortung als Vater gerecht zu werden, die er viel zu lang vernachlässigt hat – bei Romero sind Eltern bzw. Kinder auffallend abwesend. Der den Erdball umspannenden Utopie eines harmonischen, von Mitgefühl, Verständnis, Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme geprägten Zusammenlebens geht in BUSANHAENG gewissermaßen die individuelle „Menschwerdung“ hinaus. So lernt Seok-woo etwa, dass seine Rolle als beschützender Vater ihn nicht zu blindem Egoismus berechtigt: Als er den anderen Überlebenden verschweigt, welches Schicksal sie am Ausgang des Bahnhofs erwartet und das Geheimnis des sicheren Wegs für sich behält, konfrontiert ihn Soo-an damit, dass er nur an sich selbst denke. Als sie später auf eine Gruppe von Menschen stoßen, die sie verjagen, weil sie um ihre eigene Sicherheit fürchten, beginnt das Mädchen zu weinen: Sie kann diesen Hass, das Misstrauen, die Selbstsucht nicht ertragen, sie verzweifelt angesichts einer Welt, in der der Mensch des Menschen Wolf ist. Vater zu sein bedeutet für Seok-woo mithin auch, ihr ein Vorbild zu sein und ihr zu zeigen, dass das Leben es überhaupt wert ist, gelebt zu werden. Niemand kann sich als Einzelgänger durchschlagen. Und wenn doch, so stirbt er einsam. Ohne Menschlichkeit ist das Überleben nichts wert.

BUSANHAENG ist plakativ und vielleicht eine Spur zu simplizistisch, ganz klar auf den melodramatischen Überrumpelungseffekt aus. Im Finale, wenn der infizierte Seok-woo in den letzten Sekunden seines Daseins als Mensch endlich erkennt, welches Glück ihm zuteil wurde, als seine Tochter zur Welt kam, kommen Sang-ho Neons Ursprünge in der Animation deutlich zur Geltung. Man könnte den Vorwurf des Kitsches oder der Gefühlsduselei erheben und läge damit nicht komplett falsch, aber ich würde lügen, wenn ich sagte, BUSANHAENG sei spurlos an mir vorbeigegangen. Der Film ist erstklassig inszeniert, temporeich und spannend. Er nutzt das beengte Zugsetting optimal und zeigt einige Meisterschaft in der Choreografie seiner zahlreichen Suspense- und Actionszenen. Womit ich nicht so warm geworden bin, ist seine etwas flache Farbgebung. Aber andererseits bin ich auch wieder dankbar für jeden Film, der nicht den Grünschleier über alles legt, um den Anschein von edginess zu erwecken. Eins noch: Einige Rezensionisten verstiegen sich zu dem zwar naheliegenden, aber trotzdem blöden Vergleich von BUSANHAENG mit SNOWPIERCER. Klar, beide relativ neu, beide irgendwie gesellschaftskritisch, beide aus Korea, beide mit Zug drin und Leuten, die sich da durchkämpfen mssen. Ich würde eher sagen, BUSANHAENG ist wie MURDER IN THE ORIENT EXPRESS, nur ohne Mord und Mörder, ohne Hercule Poirot und ohne Verdächtige, dafür aber mit Zombies und kleinem Mädchen. Oder wie UNDER SIEGE 2: DARK TERRITORY mit einer Horde Zombies als Steven Seagal, einem Papa als Eric Bogosian und einem Mädchen als Atomrakete. Macht das Sinn?

 

 

New York im Jahr 2012: Nachdem eine Epidemie weite Teile der Menschheit ausgelöscht hat, versuchen ein paar Überlebende um den charismatischen Baron (Max von Sydow) eine neue Zivilisation aufzubauen. Einem der ihren ist es gelungen, Gemüse zu züchten, Barons Tochter ist schwanger. Doch die Vorräte gehen zur Neige, außerhalb des abgeriegelten Wohnblocks warten Kannibalen und die Gang um den fiesen Carrot (William Smith). Als Baron den Einzelgänger Carson (Yul Brynner) für sich gewinnen kann, fasst er neue Hoffnung. Er träumt davon, auf einer Insel vor North Carolina einen neuen Anfang zu wagen …

Da ist er endlich, ein weiterer wirklich guter Film von Robert Clouse. Die Parallelen zu dem ein Jahr zuvor entstandenen THE OMEGA MAN sind zwar kaum zu übersehen (wie Charlton Heston residiert Max von Sydow hier in einem Zimmer umgeben von geretteten Antiquitäten, Luxusgütern und Büchern), aber das tut dem Vergnügen keinen Abbruch, zumal jener bereits deutlich von Fleischers SOYLENT GREEN inspiriert gewesen sein dürfte. Ein paar Jahre später kam noch Richard Comptons THE RAVAGERS, der wiederum die Parallelen zu Clouses Film kaum verhehlen kann. Egal, die genannten Titel bilden ein schönes Quartett des angestaubten Siebzigerjahre-Endzeitfilms (mit stetig sinkenden Budgets), der zwar noch nicht mit selbstgebauten Panzerwagen oder wilden Verfolgungsjagden aufwartete, aber dafür mit viel echter baulicher Tristesse und der bleiernen Schwere der Watergate-Jahre.

THE ULTIMATE WARRIOR ist vor allem bitter: Die schöne Utopie Barons bröckelt immer mehr, bis sie mit ihm zusammenbricht, von den eigenen, aufgewiegelten Leuten zu einem blutigen Haufen zusammengedroschen. Aber schon vorher zeigt sich, dass man das Projekt „Menschheit“ vielleicht besser sterben lassen sollte: Ein des Lebensmitteldiebstahls Verdächtigter wird auf Geheiß von Baron aus der Gemeinschaft ausgestoßen, was gleichbedeutend mit dem Tod ist. Der Unglücksselige – wir wissen zudem, dass er unschuldig ist – wird nach wenigen Sekunden außerhalb der schützenden Mauern sofort umgebracht und seiner Habseligkeiten beraubt. Baron dreht nur enttäuscht ab, angewidert von der Lynchmob-Mentalität der eigenen Leute, die auch er nicht im Zaum halten kann. Er wird am Ende derselben Urgewalt zum Opfer fallen, in einer Szene, die man durchaus als Spiegelung begreifen kann. Clouse‘ Zeichnung einer Menschheit, die dem Untergang geweiht ist, weil ihre schlechten Eigenschaften in der äußersten Not noch potenziert zu Tage treten, erinnert durchaus auch etwas an Romeros DAWN OF THE DEAD. Keine schlechte Referenz.

Der „ultimative Krieger“ Carson ist zu diesem Zeitpunkt bereits mit der Schwangeren auf dem Weg durch die U-Bahn-Tunnel New Yorks, um einen Weg aus der Stadt zu finden, die Schergen von Carrot auf den Fersen. Der Showdown ist wirklich geil, auch weil er gar nicht schnell oder rasant inszeniert ist, sondern eher langsam und trocken daherkommt. Nichts ist triumphal an Carsons Sieg. Yul Brynner ist der Ultra-Badass in diesem Film, aber seine weibliche Partnerin steht ihm in nichts nach, im Gegenteil: Sie bringt ein Kind zur Welt, ohne einen Laut von sich zu geben, weil sie die Verfolger nicht auf sich aufmerksam machen will. Yul Brynner muss sich da schon eine Hand abhacken, um halbwegs mithalten zu können.

TURBO KID verzückte in diesem Jahr u. a. sowohl die Besucher des Sundance Festivals als auch die des hiesigen Fantasy Filmfests und verleitete sie zu Bemerkungen wie „TURBO KID is hands down the most entertaining film that screened at Sundance this year.  I had a ridiculous amount of fun watching this movie, and it one [sic!] I know that a lot of you would like as well. Everything about this movie exploded with pure awesomeness in the most nostalgic and extreme ways. In meiner Facebook-Timeline bin ich gar auf euphorisierte Urteile gestoßen, es hier mit einem echten Meisterwerk zu tun zu haben. Wenn ich so etwas lese und dann nach eigener Sichtung feststelle, doch milde underwhelmed zu sein, weiß ich nicht, worüber ich mich mehr ärgern soll: Über solche völlig übertriebenen Meinungsäußerungen, die zu nichts weiter beitragen, als die eigene Erwartungshaltung übermäßig anschwellen zu lassen und dem Werk selbst nicht mehr unvoreingenommen gegenübertreten zu können, oder darüber, dass es Zuschauer gibt, die jede soliden Film mittlerweile abfeiern, als gebe es kein Morgen, weil sie sich daran gewöhnt haben, sonst nur Dreck verabreicht zu bekommen.

Ich gebe zu: Vor 15, 20 Jahren hätte ich TURBO KID mindestens für das Beste seit der Erfindung von geschnittenem Brot gehalten, ihn wahrscheinlich jeden Tag einmal geguckt und Kumpels die besten Splatterszenen vorgeführt. Der Film ist durchaus liebenswert, keine Frage, trägt sein Herz auf dem rechten Fleck, zeugt von sympathischem Humor und einigem handwerklichen Können. Er verfügt zudem über einen absolut begeisternden, erfolgreich auf Eighties getrimmten Soundtrack (m. E. das beste am Film), zauberhafte „handgemachte“, also im besten Sinne altmodische Effekte und der kleine Kniff, ihn „in der Zukunft des Jahres 1997“ anzusiedeln, ist schlicht famos. TURBO KID ist ein Fanboy-Film, für den man sich endlich mal nicht schämen muss, den zu mögen einen nicht von vornherein zum infantilen Nerd mit fragwürdigem Geschmack stempelt. Aber er ist eben trotzdem immer noch ein Fanboy-Film, der jede Substanz vermissen lässt, sich mit zunehmender Spielzeit immer mehr auf (mich) ermüdende Vordergründigkeiten kapriziert (spätestens beim dritten mit einer Blutfontäne explodierenden Menschen ist der Witz weg und hier fliegen schätzungsweise 20 in die Luft) und darüber hinaus durch und durch derivativ ist. TURBO KID ist reines Zitatekino, zugegebenermaßen recht geschmackvoll und zurückhaltend mit seinen Referenzen, aber dann eben doch nur ein Film, der sich damit begnügt, positiv an Vergangenes zu erinnern. Was mich am meisten genervt hat: Jedesmal, wenn sich da echte Emotionen zu entfalten drohen, kann man sicher sein, dass ein Witz kommt, damit auch bloß alles in einem angenehm lauwarmen Bereich bleibt, wo man nicht wirklich berührt wird, alles auf so einem kirmesmäßigen Erregungsniveau lustig und unterhaltsam finden kann. Dasselbe gilt für die Gewalt, die so dermaßen over the top ist, dass damit schon früh jede Spannung flöten geht. (Das ist übrigens typisch für die Neunziger und keinesfalls für die Achtziger, da wir schon beim Thema sind.) TURBO KID bleibt in jeder Sekunde erkennbarer Kintopp, der sich beharrlich weigert, „wahr“ zu werden. Dabei geben die Figuren, allen voran die goldige Androidin Apple (Laurence Leboeuf), durchaus etwas her. Schade, dass sich die Macher damit begnügen, lediglich reue- und konsequenzlosen Fun abzuliefern, der fünf Minuten nach Filmende bereits wieder verflogen ist.

Ich glaube ganz ehrlich, dass die Zeit für solche Filme vorbei ist. Auf jeden Fall gehöre ich nicht mehr zu ihrer Zielgruppe. Da schaue ich doch lieber zum xten Mal BAD TASTE, einen Film, der TURBO KID ideell recht nahesteht, aber meiner Meinung nach hundertmal kreativer, absurder, witziger und wilder ist. Aber wahrscheinlich würde der 16-Jährige, der heute sein Blog mit Lobeshymnen auf TURBO KID vollschreibt, das ganz anders sehen. Und das ist ja auch irgendwie OK.

Als WORLD WAR Z diesen Sommer in die Kinos kam, da konnte man überall noch einmal von der bewegten Produktionsgeschichte des Films lesen, die alle Elemente legendärer Hollywood-Desaster beinhaltete: Neben den üblichen größeren und kleineren Pannen waren Rewrites des Drehbuchs von neu hinzugezogenen und dann erneut ausgetauschten Autoren ebenso nötig wie daraus folgende Re-Shoots, die wiederum die Streichung oder Kürzung der Rollen namhafter Schauspieler zur Folge hatten. Das alles schlug sich in einem überzogenen Budget, einem arg improvisierten Ende und dem Fahrenlassen aller Hoffnung in das Potenzial des einstmals so ambitionierten Projekts nieder. Die Horrormeldungen und Pannenberichte wurde nicht ohne jene gewisse Häme ausgebreitet, die man erwarten darf, wenn die sonst fehlerlos laufende Maschine einmal versagt. Doch WORLD WAR Z reihte sich eben nicht ein in die Reihe der Totgeburten, die niemals ihr Publikum fanden, von vornherein zum Scheitern verurteilt waren, sondern avancierte aller offenkundiger Mängel zum Trotz zum Box-Office-Hit, sodass nun doch wieder ein Sequel im Raum steht. Wie die Menschheit am Schluss des Films, bekommt auch WORLD WAR Z eine neue Chance. Und ich finde, die hat er sich redlich verdient. Zwar merkt man dem Film die massiven Probleme an, endet WORLD WAR Z nach zwei beeindruckenden, bildgewaltigen Dritteln, die einen höchst lebendigen Eindruck von einer möglichen Zombie-Apokalypse vermitteln, auf einer irgendwie unpassenden, unbefriedigenden, minimalistisch-improvisierten Note – weil nämlich alles Geld schon verbraten war –, doch wahrt er auch dabei sein Gesicht.

Leena fragte mich nach der Sichtung, ob man sagen könne, dass WORLD WAR Z der erste echte Mainstream-Zombiefilm sei: Es spricht tatsächlich einiges dafür, das so zu sehen, auch wenn der Begriff „Mainstream“ den Kern nicht ganz trifft. Auch Filme wie der einst immens einflussreiche, vielleicht die Initialzündung für den „neuen“ Zombiefilm bedeutende 28 DAYS LATER – heute fast schon wieder vergessen –, Romeros Comeback mit LAND OF THE DEAD, der erste RESIDENT EVIL-Film oder Snyders DAWN OF THE DEAD-Remake, um nur ein paar zu nennen, waren für ein großes Publikum gedreht und erhielten einen breiten Kinostart. Aber diese Werke blieben dennoch fest in ihrem Genre verwurzelt, richteten sich im weitesten Sinne an Horrorfreunde. WORLD WAR Z ist sehr viel näher dran am effektreichen, breit angelegten Katastrophenfilm, bietet mit Brad Pitt einen Hauptdarsteller mit Massenappeal und verzichtet auf die für den Zombiefilm typischen Splattereffekte, um sich keine 18er-Freigabe (respektive ihr US-Äquivalent) einzuhandeln. Ihm deshalb Weichspülerei vorzuwerfen, halte ich dennoch für falsch: Marc Forster inszeniert den Ausbruch der Apokalypse mit einiger Durchschlagskraft, was die Zombieangriffe an blutigen Details vermissen lassen, machen sie durch tollwütige Brachialität wieder wett. Und zum wirklich allerersten Mal wird die ganze Tragweite einer solchen Seuche bildlich angemessen dargestellt: Hier sind es nicht mehr länger ein paar angemalte Statisten, die durchs Bild wanken, sondern rasende Tausendschaften, die mit der sprichwörtlichen Urgewalt einer Flutwelle über die Opfer hineinbrechen. Um diese Zombiearmeen und ihre Massenbewegungen einzufangen, wird im Verlaufe des Films immer häufiger die Vogelperspektive eingenommen. Das markiert eine wesentliche inhaltliche Veränderung gegenüber bisherigen Vertretern des Subgenres; eine, die den Film zur Zielscheibe der Ideologiekritik macht. Vor allem Romero, auf den das gesamte moderne Zombiefilm-Genre zurückgeht, etablierte ja die Froschperspektive, die zu seiner Sympathieverteilung passte. Der wahre Protagonist seiner Filme, das machte allerspätestens LAND OF THE DEAD deutlich, war der entmündigte, entrechtete Zombie, das Opfer einer rücksichtslosen, entmenschlichten kapitalistischen Konsumgesellschaft. Der Zombieaufstand, das war eben auch der Aufstand derer, die in dem herrschenden System unter die Räder gekommen waren, und richtete sich immer stärker gegen die Mächtigen, Begüterten, Privilegierten. Er war nicht nur nicht aufzuhalten: Sein Sieg war hochgradig erwünscht. Mit WORLD WAR Z wird das zumindest auf den ersten Blick auf den Kopf gestellt. Mit Pitts Gerry Lane, einem ehemaligen UN-Inspektor, wird eben einer jener Privilegierten zum Protagonisten gemacht, dessen einstiger Rang ihm und seiner Familie dann auch einen Platz in Sicherheit vor der Seuche auf einem Militärschiff einträgt (hier erinnert Forsters Film etwas an Emmerichs 2012 mit seiner modernen Arche Noah). Das Chaos, das in das Leben einbricht, es binnen Sekundenbruchteilen in seinen Grundfesten erschüttert, besucht Lane in der zweiten Hälfte des Films wie ein Tourist: Der Überlebenskampf auf den Straßen betrifft ihn nicht mehr unmittelbar. Statt kratzend und beißend um das eigene Überleben und das seiner Familie zu kämpfen, muss er nun ein Mittel suchen, die Zombies zu bekämpfen. WORLD WAR Z nimmt den Blick des Staatsapparats ein, der um Wiederherstellung bemüht ist. Der Zombie, er ist kein Symbol mehr für das Aufbegehren der Unterdrückten, sondern nur noch die gesichtslose Gefahr, die möglichst draußen zu bleiben hat. Im Falle der langen Israel-Sequenz ganz wortwörtlich: Da hat sich ein ganzes Land hinter einer riesigen Mauer verschanzt, vor dessen Tore die Menschen nun um Einlass betteln.

Aber WORLD WAR Z ist dabei kein gewissenloser oder gar unmenschlicher Film. Lane reflektiert das moralische Dilemma, in das ihn seine Position versetzt. Aber wie sollte er sich anders entscheiden können, als dafür, seine Familie zu retten? Das erste Drittel des Films – der mitreißend inszenierte Ausbruch der Seuche auf den Straßen Philadelphias, der erbitterte Kampf ums Überleben, den Gerry, seine Frau und Töchter zu kämpfen haben – vermittelt durchaus Empathie für die Opfer, allein der Film interessiert sich im Weiteren nicht mehr wirklich dafür, geht stattdessen einen anderen Weg. WORLD WAR Z erinnert eher an die Katastrophenfilme der Siebzigerjahre, das Schreckensszenario ist nur die Ausgangsbasis für eine Geschichte über die Tapferkeit des Einzelnen, die Widerstandsfähigkeit der Menschheit, ihren Überlebensgeist und ihre Moral. Das ist möglicherweise weniger interessant, garantiert weniger herausfordernd und mutet in unserer Zeit mehr als nur ein wenig reaktionär an, ist aber durchaus legitim. Es zeigt, wie sehr der Zombiefilm tatsächlich zum allgemeinen Kulturgut geworden ist, dass er auch diese Verdrehung der ursprünglichen Ausgangslage ermöglicht. Dumm ist, dass Forster nicht mehr dazu kommt, seine Geschichte zu Ende zu erzählen, und den großen Triumph auf das Sequel verschieben muss. Strukturell mutet der Film jetzt wie eine Reise in die Vergangenheit des Zombiefilms an: Er beginnt mit Hollywood’scher Megalomanie und Effekt-Overkill, der finanzstarken Adaption von Romeros Ideen, und endet einerseits dann doch wieder in der Klaustrophobie eines NIGHT OF THE LIVING DEAD, mit der das Genre vor über 40 Jahren seine Geburt erlebte, in der dystopischen Warteschleife von Boyles 28 DAYS LATER und lustigerweise auch im Exploitation-Käse eines RESIDENT EVIL mit seinen klinischen, vom Zombies infizierten Laborgängen (und Moritz Bleibtreu statt Heike Makatsch). Dass diese Zusammenziehung des Fokus vom Großen zum Kleinen, vom Lauten zum Leisen durchaus richtig und wirksam sein kann, hat man in diesem Sommer im Videospiel „The Last of Us“ gesehen (an das WORLD WAR Z mehr als einmal erinnert), aber hier riecht sie dann eben doch nach Scheitern, auch wenn Forster seine Haltung bewahrt. Hat sich am Ende vielleicht doch die aufrührerische Kraft des Zombies gegen das Kapital durchgesetzt?

Egal, wie man diese Frage beantworten mag: WORLD WAR Z ist über weite Strecken effektives Spannungskino, das vor allem zu Beginn neue Maßstäbe in der Inszenierung des Chaos setzt. Besonders stark ist der Moment, in dem Lane in einem zur Plünderung freigegebenen Supermarkt in Notwehr einen menschlichen Angreifer erschießt und angesichts des heraneilenden Polizisten sofort die Arme hebt. Doch der Polizist ist gar nicht an ihm, sondern wie Lane nur noch an seinem eigenen Überleben interessiert: Er peilt nicht den Protagonisten an, sondern das Regal neben ihm, in dem der Proviant liegt, den er benötigt. Seine Uniform ist schon jetzt ein leeres Symbol. Die Verwunderung aufseiten des Zuschauers ist genauso groß wie die von Lane: Ganz plötzlich wird klar, was es bedeutet, wenn die Zivilisation zusammenbricht. Wenn Lane und seine Familie erst einmal in Sicherheit sind, beginnt auch der Film uninteressanter zu werden. Die Spurensuche nach dem Ausgangspunkt der Seuche ist eher uninteressant, erinnert an Adventures mit nur minimalen Entfaltungsmöglichkeiten. Spannend wird es immer, wenn Lane mit dem sich in Sekundenschnelle ausbreitenden Virus und den aggressiven Zombiehorden zu tun bekommt, die sich auch schon einmal wie Kamikazeflieger von Häuserdächern stürzen, in blinder Gier nach ihren Opfern. Hier offenbart WORLD WAR Z auch für künftige Teile noch einiges Potenzial für spannende Unterhaltung. Den Mangel an Tiefgang verzeihe ich da gern.