Mit ‘Robert Redford’ getaggte Beiträge

Blonde Haare und breite, unter dem Schopf hervorlugende sideburns, zwischen goldenen Brusthaaren baumelt ein Amulett, braungebrannter Oberkörper, enge Jeans und dann dieses herausfordernde, unverschämt selbstbewusste Gewinnerlächeln, das zu sagen scheint: „Ich weiß, wie unglaublich gut ich aussehe. Sieh mich ruhig weiter an und sonne dich in meinem Glanz!“ Das ist Robert Redford in diesem Film von 1970, den er kurz nach seinem Durchbruch mit BAREFOOT IN THE PARK und BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID, aber auch noch vor den nächsten großen Titeln, JEREMIAH JOHNSON und THE STING, drehte. Es ist ein Film, der ganz und gar von der Strahlkraft seines Stars lebt – der, das muss man ja mal sagen, wirklich ein unglaublich geiler Typ war, dem das Etikett des Softies und Frauenschwarms, das man ihm gern anhängt. zumindest während dieser Zeit seiner Karriere nie gerecht wurde. Insofern ist LITTLE FAUSS AND BIG HALSY auch ein Film, den Redford ein paar Jahre später wahrscheinlich nicht mehr hätte machen können oder wollen. Sein Big Halsy Knox ist ein wahrlich unangenehmer Typ: ein Schnorrer, Profiteur, Wortbrecher, Lügner, ein Feigling und ein selbstverliebter Fatzke, der sich für den Mittelpunkt des Universums hält und erst ganz am Ende, in der allerletzten Einstellung des Films, zu einer Art Selbsterkenntnis zu kommen scheint.

Man liest, Redford selbst habe das Drehbuch von LITTLE FAUSS AND BIG HALSY als das beste bezeichnet, das er in seiner Karriere je erhalten habe, sei mit dem fertigen Film, der wenig beachtet wurde und heute nahezu vergessen ist, aber extrem unzufrieden gewesen. Und das ist zumindest nach der ersten Betrachtung durchaus nachvollziehbar. LITTLE FAUSS AND BIG HALSY handelt von der fragwürdigen Freundschaft zweier ungleicher Charaktere. Halsy Knox (Robert Redford) ist ein ehemaliger Motorrad-Profi, dem wegen Trunkenheit die Rennlizenz entzogen wurde und der nun an Amateurrennen teilnimmt, am Rande herumflaniert, seinen muskulösen Körper zur Schau stellt und willige Groupies abgreift. (Selbst sein etwas neurotischer Tick wirkt sexy: Immer, wenn die Spannung steigt, zieht er eine Zahnbürste aus seiner Arschtasche und putzt sich damit die Zähne.) Little Fauss (Michael J. Pollard) träumt vom großen Rennerfolg und vergöttert den blonden Adonis, der das komplette Gegenteil von ihm ist: gutaussehend, selbstbewusst, mit Schneid bei den Frauen. Aber weil sich Fauss mit Motoren auskennt und ein überaus williger, leicht zu manipulierender Gesell und natürlich keine Gefahr für ihn ist, tut sich Halsy mit ihm, dem knubbelnasigen Zwerg, zusammen. Er wittert seine Comeback-Chance: Wenn er unter Fauss‘ Namen fährt, kann er die ganz großen Preisgelder einstecken. Die „Partnerschaft“ – eigentlich nutzt Halsy den gutgläubigen Fauss gnadenlos aus – endet, als die schöne Rita (Lauren Hutton) zwischen die beiden tritt. Fauss trennt sich von Halsy, der ohne dessen Mechaniker-Künste aber keinen Stich mehr sieht …

Sidney J. Furies Film ist eine etwas unausgegorene Mischung aus New-Hollywood-Charakterdrama, Außenseiterkomödie und jener (zugegebenermaßen oft gebrochenen) Bikerromantik, wie sie das Exploitationkino damals gern in die Drive-ins hievte. Der Titelsong des exklusiven Johnny-Cash-Soundtracks besingt die beiden Helden und ihre Eskapaden, aber die Schmucklosigkeit der Lyrics lässt schon ein erstes Mal aufmerken: Cash kann kaum mehr als fünf Minuten Zeit in diese Texte investiert haben. In der noch eher munteren ersten Hälfte des Films wird das zwar entbehrungsreiche, aber doch auch irgendwie aufregende Leben der beiden verfolgt, ohne dass sich dies wirklich in einprägsamen Momenten niederschlüge oder auf den Zuschauer überspränge. Das größte Problem von LITTLE FAUSS AND BIG HALSY ist sicherlich, dass Redford und Pollard keine richtige Chemie entwickeln. Die Stile der beiden liegen denkbar weit auseinander und beide wirken immer, als agierten sie in unterschiedlichen Filmen, spielten ohne Beachtung ihres Gegenübers oder mit einem nur eingebildeten anderen Partner. Verstärkt wird das noch dadurch, dass das Drehbuch Pollard kaum etwas zu tun gibt und ihn bis kurz vor Schluss auch gar nicht mit einer echten Persönlichkeit ausstattet: Fauss ist nur ein Zuschauer, ein Spiegel für Halsys Selbstverliebtheit. Das ist kein echtes Manko per se, weil es eben auch das Thema des Films ist, trotzdem scheint mir Pollard, der mit seinem gnomenhaften Kindergesicht und dem bekifft-abwesenden Stammeln am besten in saftigen bit parts aufgehoben war (etwa in Michael Winners HANNIBAL BROOKS) hier gnadenlos fehlbesetzt. Oder vielleicht zu gut. Es gibt einfach keine echte Reibung.

Möglicherweise bin ich auch meiner eigenen Erwartungshaltung zum Opfer gefallen: Ich habe mir etwas ganz anderes vorgestellt, als das, was ich letztlich bekommen habe. Statt einer gutgelaunten Loserkomödie das Porträt eines feigen Egoisten, statt fetziger Motorradaction eine Aneinanderreihung austauschbarer Wüstenrennen, bei denen es eigentlich nie um den Sieg geht, statt großer Triumphe austauschbare Niederlagen, statt der Geschichte einer ungleichen Freundschaft eine über eine bittere Trennung zweier dann doch nur temporärer Weggefährten, deren Lebenswege auf denkbar unspektakuläre Art und Weise auseinanderlaufen. Vielleicht ist LITTLE FAUSS AND BIG HALSY gar nicht unausgegoren, sondern zu radikal, zu sehr auf den Punkt. Der Film ist im Kern tief deprimierend, aber er täuscht mit falscher, leerer Gutgelauntheit darüber hinweg. So wie sich sein Protagonist einredet, ein As zu sein, der nur das Quäntchen Glück braucht, um wieder ganz oben zu stehen, da wo er dem eigenen Empfinden nach hingehört, ohne zu bemerken, dass er ein Arschloch ist, der alle verprellt, den niemand wirklich liebt und der alle Chancen schon vor Jahren verpasst hat. Möglicherweise ist LITTLE FAUSS AND BIG HALSY brillant, aber Freude macht er nicht. Er lässt einen nie rein.

Ein Fest! Hinter dem grausam generischen deutschen Titel VIER SCHRÄGE VÖGEL verbirgt sich eine wunderbare, dazu sehr originelle und herrlich trockene Gaunerkomödie mit fantastisch aufgelegten Darstellern und einer ultrapräzisen Regie, die man von Yates nach BULLITT erwarten konnte. Für den Regisseur stellte THE HOT ROCK eine Rückkehr zum Sujet von ROBBERY dar, dem britischen Film, dem er sein US-Debüt verdankte. Er ließ den nicht minder brillanten, aber tonal völlig anders gelagerten THE FRIENDS OF EDDIE COYLE folgen.

Kaum aus dem Knast, wird der Berufsverbrecher Dortmunder (Robert Redford) von seinem Schwager und ehemaligem Partner Kelp (George Segal) abgeholt – in einem geklauten Auto natürlich. Eigentlich will sich Dormunder fortan als Klempner verdingen, aber das Angebot Kelps bei einem neuen Ding mitzumachen, kann er dann doch nicht abschlagen: Für den afrikanischen Politiker Amusa (Moses Gunn) sollen sie einen in seinem Heimatland ideologisch aufgeladenen Diamanten aus dem Brooklyn Museum entwenden. Der Raub gelingt nur halb: Zwar können Dortmunder, Kelp und ihr Fahrer Murch (Ron Leibman) entkommen, aber ihr Partner Greenberg (Paul Sand) wird festgesetzt und ist dazu gezwungen, den eben entwendeten Edelstein zu schlucken. Es steht also die Aufgabe an, ihn aus dem Gefängnis zu befreien, um an die Beute zu kommen …

Der Film bringt zwei eigentlich unvereinbare Aspekte des Heist- und Gangsterfilm auf geniale Art zusammen: das eiskalte Profitum und die Freude über wie eine geölte Maschine ablaufende Pläne einerseits, die Unzuverlässigkeit des Menschen und die damit einhergehende schicksalhafte Verkettung von Pannen andererseits. Für ersteres ist vor allem Robert Redford zuständig: Es werden gemessen an seinem einstigen Status ja nur selten Hohelieder auf ihn angestimmt, sein gutes Aussehen wird immer ein wenig gegen ihn verwendet, als hätte er dafür etwas gekonnt, aber den coolen, intelligenten und abgebrühten badass hatte er mindestens genauso gut drauf wie seine damaligen Konkurrenten McQueen, Eastwood und Bronson. Er verkauft seinen Monolog zu Beginn des Films, wenn er seinem etwas gutgläubigen Schwager innerhalb weniger genau auf den Punkt formulierter Sätze den gesamten Coup darlegt, sodass der kaum mitkommt, wie der Profi, den er da spielt, und bleibt auch sonst der ruhende Pol, der die dringend benötigte Erdung für den Film bedeutet. Seine Coolness strahlt auch auf die anderen ab: Man könnte das Drehbuch von THE HOT ROCK, der die Protagonisten zu immer neuen Coups zwingt, als albern bezeichnen und sich leicht eine Slapstickvariante im Stile von Kramers IT’S A MAD, MAD, MAD, MAD WORLD vorstellen: Aber der Film wird bei aller Komik nie völlig absurd, sondern bleibt tonal immer der Realität verpflichtet. Es ist denkbar, dass alles genauso passiert und die „vier schrägen Vögel“ sind echten Berufsverbrechern wahrscheinlich ähnlicher als die eiskalten Supertypen, die einem sonst in Filmen vorgesetzt werden. Klar, man hat es hier mit einer ziemlich skurrilen Häufung von Pannen zu tun, aber jede für sich scheint durchaus glaubwürdig; wie auch die Tatsache, dass die Kumpels immer wieder durchkommen. Die Staatsbeamten sind schließlich auch nur Menschen.

Diese Konstellation aus sympathischen, galubwürdigen Charakteren und einem cleveren, pointierten Drehbuch allein macht THE HOT ROCK schon zu einem Vergnügen, aber Yates gelingen dann auch immer wieder kleinere Kniffe, die ihm auch noch den letzten Kick geben: Wer sich auch schon immer gefragt hat, warum Todesdrohungen in Filmen immer wieder Wirkung zeigen, warum die so in die Ecke Gedrängten nie deren tatsächliche Umsetzung infrage stellen, auch wenn es doch durchaus Anlass dazu gibt, der findet hier eine Szene, die genau dies aufgreift. „You don’t have it in you“, sagt der betrügerische Anwalt Abe Greenberg (Zero Mostel) nur, die Drohungen der Helden damit ins Leere laufen lassend. Und er hat Recht, was auch der sonst so coole Dortmunder einfach eingestehen muss, als er sich niedergeschlagen abwendet. Wie sich die Szene im weiteren Verlauf dann abspielt, möchte ich nicht vorwegnehmen, aber es folgt einer der Momente, die den Film für mich auszeichnen: Immer, wenn man denkt, THE HOT ROCK sei am Gipfel angelangt oder habe den Bogen gar überspannt, überrascht er einen aufs Neue. Der komische Höhepunkt ist sicher die Inszenierung eines Riots in einem kleinen Polizeirevier, die den befehlshabenden Beamten zu patriotischen Reden veranlasst. „I’m not gonna be the first police officer to lose his precinct!“ Und wenn am Ende auch noch eine Hypnotiseurin sowie die Zauberformel „Afghanistan, Bananistan“ ins Spiel kommen, kann Yates längst einen echten Kantersieg verzeichnen. Super!

 

Wie seine titelgebenden Protagonisten nimmt BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID einen fast legendär zu nennenden Ruf für sich in Anspruch. 2003 wurde der Film von der US-amerikanischen Library of Congress als „culturally, historically or aesthetically significant“ in die United States Film Registry aufgenommen. Er war der größte Kassenerfolg des Jahres 1969 und rangiert derzeit immerhin auf Rang 34 der erfolgreichsten Filme aller Zeiten (nach Inflationsbereinigung). Besondere Auszeichnung erhielt das Originaldrehbuch von William Goldman, das seinerzeit zu einem von den Studios heiß begehrten Stück avancierte und schließlich von 20th Century Fox für 400.000 Dollar gekauft wurde. Es wurde dann auch mehrfach ausgezeichnet, wie der Film überhaupt zahlreiche Trophäen sammelte, unter anderem den Academy Award für „Best Cinematography“ für Conrad Hall, „Best Score for a Motion Picture (not a Musical)“ für Burt Bacharach und für den besten Song („Raindrops keep falling on my head“). Für Robert Redford bedeutete die Rolle als Sundance Kid den endgültigen Durchbruch zum gefragten Star. Und das Finale, mit dem in einem Freeze Frame eingefrorenen Schussgefecht zwischen den in der Falle sitzenden Helden und der bolivianischen Armee, zählt zu den großen, ikonischen Szenen der Filmgeschichte und wurde etliche Male zitiert oder referenziert.

Warum ich das alles aufzähle? Weil BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID für einen Film mit diesem großen Erbe geradezu aufreizend leicht und flockig daherkommt – und überdies über eine recht ungewöhnliche Dramaturgie verfügt. George Roy Hills Film platziert sich sehr selbstbewusst an der Kreuzungslinie des traditionellen Hollywood-Abenteuerkinos und des gerade aufblühenden New Hollywoods mit seinen Alltagshelden und -geschichten. Es handelt sich bei BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID um einen Spätwestern, der sein Thema der Zeitenwende aber nicht mit bitterer Resignation behandelt, wie das etwa Sam Peckinpah in THE WILD BUNCH getan hatte, sondern mit lakonischem Humor und milder Melancholie. Wie Pike Bishop und seine Männer stürzen sich auch Butch Cassidy und Sundance Kid sehenden Auges in den Tod, aber ihre Haltung ist eine andere. Während das „Wild Bunch“ erkennt, dass es in dieser Welt keinen Platz mehr hat, und gemeinsam beschließt, sich mit einem lauten Knall zu verabschieden, sehen die Helden von Hills Film die Lage deutlich weniger dramatisch. Sie sind halt in eine Scheißsituation geraten – ein Risiko, das ihr Beruf mit sich bringt. Ihnen fehlt die Einsicht in die größeren Sinnzusammenhänge: nicht, weil sie dafür zu dumm wären, sondern weil sie die Welt generell einfach weniger ernst und wichtig nehmen. Jeder Weg ist irgendwann einmal zu Ende, das ist der normale Lauf der Dinge. Kein Grund, darüber in Verzweiflung zu geraten.

BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID ist eigentlich eine Schelmenkomödie und seine Protagonisten sind weniger zupackende Helden, als vielmehr vom Schicksal lange Zeit über Gebühr begünstigte Glückspilze, die allein kraft ihrer Unverzagtheit und grenzenloser Lebenslust so lange durchhalten, wie sie das tun. Während eines nicht unerheblichen Teils des Films sind sie passive Figuren und auf der Flucht: vor dem Gesetz, das durch einige sich in der Ferne abzeichnende Reiter verkörpert wird, mehr aber noch vor der Zeit, die für Outlaws, wie sie es sind, langsam, aber sicher abläuft. Die Frage, ob die beiden mit der Vermutung, bei ihren Verfolgern handle es sich um den gefürchteten indianischen Fährtenleser „Lord Baltimore“ und den gnadenlosen Gesetzeshüter Lefors, Recht haben, wird im Film weder beantwortet noch bekommt man die Verfolger überhaupt einmal aus der Nähe zu Gesicht. Sie bleiben eine anonyme, fast metaphysische Größe, eine nackte Manifestation des nahenden Endes, dem Butch und Sundance auch auf einem anderen Kontinent nicht entrinnen können. Auch in Bolivien, das Butch Cassidy sich als Schlaraffenland für Gauner erträumt, wird scharf geschossen, weiß die Polizei, was sie mit Dieben anzufangen hat. Einen Ausweg gibt es für die beiden Helden nicht, da liegt Hills Film ganz auf Linie der existenzialistischen Western Peckinpahs: Ausgerechnet der Versuch, sich durch ehrliche Arbeit Geld zu verdienen, endet damit, dass Butch seinen ersten Mord begeht, weil die beiden ihrerseits von Dieben überfallen werden. Sie können nichts anderes, als Banken auszurauben, und sie akzeptieren, dass dies die Tätigkeit ist, die für sie bestimmt ist. Auch wenn sie irgendwann unweigerlich in den Tod führt.

BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID ist ein auch heute noch ungewöhnlicher Film: Ungewöhnlich in seiner Verbindung von Elementen und Motiven des Westerns, des Historien- und Abenteuerfilms und der Komödie. Ungewöhnlich in seiner heiteren Stimmung, die auch durch den Tod seiner Helden nicht wirklich getrübt wird, weil die sich selbst die Laune nicht durch ihr nahendes Ende verderben lassen. Ungewöhnlich in seinem Handlungsverlauf, der über weite Strecken ihre Unbekümmertheit und in gewisser Hinsicht auch Blindheit in den Vordergrund rückt, statt ihrer tollkühnen Leistungen. Ungewöhnlich natürlich in seinem beschwingten Easy-Listening-Score, der nicht die Weite der Landschaft oder das Abenteuer betont, sondern die Geisteshaltung der Protagonisten, die in gewisser Hinsicht typisch für die Sechzigerjahre war. Auch wenn BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID im Kern eine traurige Geschichte erzählt, ist es ein positiver, hoffnungsfroher Film. Wenn man den Weg geht, den man gehen will, ist es egal, wohin er einen führt.

Kürzlich habe ich einen sehr dummen Artikel gelesen(Cracked.com mag ich eigentlich sehr gern, aber die Filmtexte fallen mir immer häufiger negativ auf), in dem die Geschäftsstrategie der Marvel-Konkurrenten DC (Superman, Batman etc.) hinsichtlich ihrer Filme genüsslich auseinandergenommen wurde. Die Grundthese des hingeschluderten Textes lautete, dass die Verantwortlichen für die filmische Umsetzung der DC-Comics nicht in der Lage seien, ihre Lehren aus den immens erfolgreichen Marvel-Vorbildern zu ziehen. Als ein wichtiges Beispiel für die seiner Meinung nach verfehlte Konzeption führte der Autor an, dass die DC-Filme überwiegend auf Düsternis setzten, wo doch Marvel gerade mit dem überwältigenden Erfolg von GUARDIANS OF THE GALAXY bewiesen habe, dass das Publikum das genaue Gegenteil sehen wolle. Mal ganz davon abgesehen, dass die Kritik an sich idiotisch ist – Wer sagt, dass nicht zwei unterschiedliche „Produkte“ Erfolg haben können? Wer bräuchte DC-Verfilmungen, wenn sie ein bloßer Abklatsch der Marvel-Filme wären? Und was schriebe wohl ein ideenloser Nerd, wenn DC das Erfolgskonzept des Konkurrenten 1:1 übernähme? –: Sie ist schlicht falsch. Denn wenn CAPTAIN AMERICA: THE WINTER SOLDIER kein düsterer und grimmiger Superheldenfilm ist, dann weiß ich es auch nicht. Nachdem Joe Johnstons Vorgänger, der mir auch schon ganz ausgezeichnet gemundet hatte, sich weitestgehend einer nostalgischen Reanimation des in Zeiten des Zweiten Weltkriegs die Werte der freien Welt gegen die Nazis verteidigenden dienstältesten Marvel-Helden verschrieben hatte, befassen sich Anthony und Joe Russo mit der Frage, welche Funktion eine solch anachronistische Figur heute noch übernehmen könnte. Die Antworten, die sie finden, drohen in ihrer konsequentesten Lesart nicht nur, dass Konzept des „Superhelden“ gänzlich zu erodieren, sie machen CAPTAIN AMERICA: THE WINTER SOLDIER auch zum bislang mit Abstand ernstesten und erwachsensten  der grassierenden Marvel-Verfilmungen.

Die Organisation S.H.I.E.L.D., unter deren Schirmherrschaft Steve Rogers (Chris Evans) als Supersoldat Captain America und zahlreiche andere Superhelden ihren Dienst zum Schutz der USA versehen, entpuppt sich zu Beginn des Films als zu bedrohlicher Macht angewachsener Popanz. Ein Konflikt zwischen dem braven Diener und seinem Vorgesetzten Nick Fury (Samuel L. Jackson) bahnt sich schon früh an, als letzterer seinen Untergebenen in das neueste Projekt von S.H.I.E.L.D. einweiht: Wissenschaftliche Forschung hat es ermöglicht, zukünftige Verbrecher zu ermitteln und die Organisation so in die Lage versetzt, sie à la MINORITY REPORT präventiv zu bestrafen. Rogers ist von diesem Plan alles andere als angetan, sieht die eindeutig totalitaristischen Tendenzen hinter einem solchen Vorhaben und beginnt somit auch an der Legitimation seines Arbeitgebers und der Rechtmäßigkeit seiner eigenen Missionen zu zweifeln. Auch der S.H.I.E.L.D.-Offizielle Alexander Pierce (Robert Redford) will sich nicht länger damit begnügen, Verbrecher zu jagen und nach ihrer Festsetzung zu bestrafen. Er sieht sich als „Realist“ und seine Überzeugung fasst er mit dem Satz „to build a better world sometimes means having to tear the old one down“ zusammen. Mit dem Niederreißen dieser alten Welt anzufangen, kann er kaum erwarten. CAPTAIN AMERICA: THE WINTER SOLDIER befasst sich unverkennbar mit der Entwicklung, die die so genannte freie Welt seit 9/11 immer näher an einen nun möglicherweise kurz bevorstehenden Wendepunkt geführt haben: den Moment, in dem das ins Extrem getriebene Sicherheitsbedürfnis der Wohlstandsnationen droht, sie in totalitäre Regime zu verwandeln, die ihren Bürgern schon bei bloßem Verdacht mit drastischen Repressalien drohen. Siehe alle politischen Vorstöße zur Überwachung und „Terrorismusbekämpfung“.

Passend zu dieser Thematik werfen die Russos fast allen pubertären Zierrat über Bord und gestalten ihr Sequel in Struktur, Ton und Dramaturgie nach dem Vorbild der unterkühlten Spionage- und Politthriller der Siebzigerjahre. (Die Besetzung von Redford, der in zwei der wichtigsten Vertreter jenes Genres mitwirkte – Pakulas ALL THE PRESIDENT’S MEN und Pollacks THREE DAYS OF THE CONDOR –, ist ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl.) CAPTAIN AMERICA: THE WINTER SOLDIER befasst sich zunächst mit der langsamen Entfremdung Rogers‘ von seinem Arbeitgeber, den Verdachtsmomenten und stärker werdenden Zweifeln, um den Spieß dann in der zweiten Hälfte, nach einem unerwarteten, als Zäsur wirkenden Ereignis umzudrehen. Der bisherige Vorkämpfer für die Werte der Demokratie ist nun der Abtrünnige und Landesverräter, der seine Unschuld nur dann beweisen kann, wenn er den Drahtzieher des Komplotts ausschaltet. Passend dazu fallen die Actionszenen hier eine ganze Spur weniger exaltiert, dafür aber erheblich ruppiger aus als zuvor. Ein Einsatz Rogers‘ auf einem von Terroristen gekaperten Schiff ist eine Studie in Sachen Geschwindigkeit und brachialer Effizienz, und auch die weiteren Actionsequenzen betonen eher die zerstörerische Gewalt als dass sie jugendliche Omnipotenzträume und Bewegungsfreude bebilderten. Es ist letztens der Vorlage geschuldet, dass CAPTAIN AMEIRCA: THE WINTER SOLDIER nicht zur deprimierenden Dystopie wird. Am Ende ist es eben doch kein inhärentes systemisches Problem, das den Sündenfall von der humanistisch gesinnten Polizeiorganisation zum Terrorherrscher begründet, sondern die Infiltration durch die Abkömmlinge der Nazivereinigung Hydra, die Rogers glaubte, im vorangegangenen Film zerschlagen zu haben. Genretypisch ufert das Sequel zum Showdown hin in eine ausgedehnte, aber selten wirklich innovative oder gar begeisternde Material- und Effektschlacht aus, die nach den vorangegangenen Ereignissen durchaus etwas befremdlich und inkonsequent anmutet, aber den rundum positiven Gesamteindruck kann dieser verzeihbare Schönheitsfehler auch nicht schmälern. Auf die weitere Entwicklung in den kommenden Marvel-Filmen bin ich überaus gespannt, was ich nach den letzten Installationen nicht gerade sagen konnte.

Viel erfährt man nicht über den persönlichen Hintergrund von Jeremiah Johnson (Robert Redford), der Mitte des 19. Jahrhunderts in die Rocky Mountains aufbricht, um ein „Mountain Man“ zu werden: Seine Militäruniform gibt vielleicht einen kleinen Hinweis darauf, was es mit seinem Wunsch, ein Einsiedlerdasein zu führen, auf sich haben könnte. Jeremiah selbst äußert sich während des Films nicht zu seinen Beweggründen und Regisseur Pollack verzichtet darauf, hartnäckig nachzubohren. Eine Zeile der über den Film gestreckten Folkballade, die von Jeremiahs „Flucht“ spricht, bleibt wohl der deutlichste Versuch, seine Motivation in Worte zu kleiden: Es ist bezeichnenderweise die letzte Zeile des Songs, mit der der Film dann auch endet.

Es ist die Frage, ob man nach Jeremiahs Gründen wirklich suchen muss oder ob sie nicht vielmehr auf der Hand liegen: in den atemberaubenden Bildern, die Kameramann Duke Callaghan in den endlosen Bergwelten Utahs eingefangen hat. Fernab jeder Zivilisation, der Gnade der Natur und dem eigenen Geschick ausgeliefert, ist das Leben von einer erschreckenden Einfachheit: Es gibt nur noch Leben oder Sterben. Das Dasein in den Bergen erfordert großen Mut, große Entbehrungen – nicht jeder ist dafür gemacht –, aber es belohnt die Mountain Men mit reichen Eindrücken und dem Wissen, einer kleinen Gemeinde Tapferer anzugehören. Neid mag sich beim Zuschauer trotzdem nicht einstellen: Jeremiah lebt in ständiger Bedrohung, der Tod ist bald sein treuester Begleiter, wem auch immer er begegnet, er muss sich darauf einstellen, bald wieder allein zu sein. Wenn nicht wilde Tiere oder die Witterung zuschlagen, dann sind es die Indianer, die gnadenlos über die wenigen Siedler herfallen, die versuchen, sich in der Wildnis eine Existenz aufzubauen. Und wie Jeremiah da durch Schicksalsschläge erst eine Familie gewinnt und dann wieder verliert, wie er aus Rache zum gefürchteten „Crow-Killer“ wird, zum berüchtigten Erzfeind der Indianer, erhärtet sich der Verdacht, dass er sich für vergangene Sünden bestrafen will. Es scheint aller erhabenen Schönheit der Natur zum Trotz keinen vernünftigen Grund dafür zu geben, sich diesem Leben auszusetzen, wenn man es nicht unbedingt muss.

Die Abwesenheit jeder Vernunft, jeden Mitgefühls der Menschen füreinander, ihre Zurückgeworfenheit auf nacktes darwinistisches Überleben, macht Pollacks Film dann auch zu einer ziemlich unheimlichen, unangenehmen Erfahrung für den Zuschauer. Jeremiahs Weg in die Berge ist ja nicht nur eine geografische Reise: Je weiter er vordringt, umso mehr lässt er auch seine menschliche Sozialisation hinter sich. Am Ende hat er Dutzende von Indianern im Zweikampf getötet und ist dabei in den Augen seiner Feinde tatsächlich zu einer Art Gottheit herangewachsen, die man einerseits fürchtet, deren Feindschaft aber auch Kraft und Ehre bedeutet. Wenn Jeremiah ganz am Schluss dem Häuptling der Crow gegenübersteht und beide sich mit einem wortlosen Gruß ihres gegenseitigen Respekts versichern, fällt es schwer, die beiden noch als Menschen zu betrachten. Ihre Rivalität hat die rein biologische Ebene längst verlassen. Eine Rückkehr ist für Jeremiah längst undenkbar.

Mit New-Age-Selbstfindungs-Kitsch und Zurück-zur-Natur-Regression hat JEREMIAH JOHNSON entgegen seiner Thematik demnach herzlich wenig zu tun. Den Lebensentwurf des Protagonisten oder auch seiner vorübergehenden Freunde Bear Claw (Will Geer) und Del Gue (Stefan Gierasch) kann man respektieren, aber er wird einem alles andere als schmackhaft gemacht. Der Drehbuchentwurf von John Milius, der das den Erzählunge nach kannibalistische Treiben des realen Jeremiah Johnson in den Mittelpunkt rückte, wurde von Pollack zwar so weit abgemildert, dass Jeremiah so eben noch als Heldenfigur funktionieren konnte: Aber gerade weil  diese letzte Grenzüberschreitung ausbleibt, JEREMIAH JOHNSON in einem höchst instabilen Schwebezustand verharrt, wirkt er so eindrucksvoll auf den Betrachter. Das Grauen es ist erahn-, aber eben nicht benennbar. Es hat seine Wurzeln nicht nur im Menschen, sondern ebenso in einer Natur, die dem Leben gleichgültig gegenübersteht.