Mit ‘Michael J. Pollard’ getaggte Beiträge

Blonde Haare und breite, unter dem Schopf hervorlugende sideburns, zwischen goldenen Brusthaaren baumelt ein Amulett, braungebrannter Oberkörper, enge Jeans und dann dieses herausfordernde, unverschämt selbstbewusste Gewinnerlächeln, das zu sagen scheint: „Ich weiß, wie unglaublich gut ich aussehe. Sieh mich ruhig weiter an und sonne dich in meinem Glanz!“ Das ist Robert Redford in diesem Film von 1970, den er kurz nach seinem Durchbruch mit BAREFOOT IN THE PARK und BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID, aber auch noch vor den nächsten großen Titeln, JEREMIAH JOHNSON und THE STING, drehte. Es ist ein Film, der ganz und gar von der Strahlkraft seines Stars lebt – der, das muss man ja mal sagen, wirklich ein unglaublich geiler Typ war, dem das Etikett des Softies und Frauenschwarms, das man ihm gern anhängt. zumindest während dieser Zeit seiner Karriere nie gerecht wurde. Insofern ist LITTLE FAUSS AND BIG HALSY auch ein Film, den Redford ein paar Jahre später wahrscheinlich nicht mehr hätte machen können oder wollen. Sein Big Halsy Knox ist ein wahrlich unangenehmer Typ: ein Schnorrer, Profiteur, Wortbrecher, Lügner, ein Feigling und ein selbstverliebter Fatzke, der sich für den Mittelpunkt des Universums hält und erst ganz am Ende, in der allerletzten Einstellung des Films, zu einer Art Selbsterkenntnis zu kommen scheint.

Man liest, Redford selbst habe das Drehbuch von LITTLE FAUSS AND BIG HALSY als das beste bezeichnet, das er in seiner Karriere je erhalten habe, sei mit dem fertigen Film, der wenig beachtet wurde und heute nahezu vergessen ist, aber extrem unzufrieden gewesen. Und das ist zumindest nach der ersten Betrachtung durchaus nachvollziehbar. LITTLE FAUSS AND BIG HALSY handelt von der fragwürdigen Freundschaft zweier ungleicher Charaktere. Halsy Knox (Robert Redford) ist ein ehemaliger Motorrad-Profi, dem wegen Trunkenheit die Rennlizenz entzogen wurde und der nun an Amateurrennen teilnimmt, am Rande herumflaniert, seinen muskulösen Körper zur Schau stellt und willige Groupies abgreift. (Selbst sein etwas neurotischer Tick wirkt sexy: Immer, wenn die Spannung steigt, zieht er eine Zahnbürste aus seiner Arschtasche und putzt sich damit die Zähne.) Little Fauss (Michael J. Pollard) träumt vom großen Rennerfolg und vergöttert den blonden Adonis, der das komplette Gegenteil von ihm ist: gutaussehend, selbstbewusst, mit Schneid bei den Frauen. Aber weil sich Fauss mit Motoren auskennt und ein überaus williger, leicht zu manipulierender Gesell und natürlich keine Gefahr für ihn ist, tut sich Halsy mit ihm, dem knubbelnasigen Zwerg, zusammen. Er wittert seine Comeback-Chance: Wenn er unter Fauss‘ Namen fährt, kann er die ganz großen Preisgelder einstecken. Die „Partnerschaft“ – eigentlich nutzt Halsy den gutgläubigen Fauss gnadenlos aus – endet, als die schöne Rita (Lauren Hutton) zwischen die beiden tritt. Fauss trennt sich von Halsy, der ohne dessen Mechaniker-Künste aber keinen Stich mehr sieht …

Sidney J. Furies Film ist eine etwas unausgegorene Mischung aus New-Hollywood-Charakterdrama, Außenseiterkomödie und jener (zugegebenermaßen oft gebrochenen) Bikerromantik, wie sie das Exploitationkino damals gern in die Drive-ins hievte. Der Titelsong des exklusiven Johnny-Cash-Soundtracks besingt die beiden Helden und ihre Eskapaden, aber die Schmucklosigkeit der Lyrics lässt schon ein erstes Mal aufmerken: Cash kann kaum mehr als fünf Minuten Zeit in diese Texte investiert haben. In der noch eher munteren ersten Hälfte des Films wird das zwar entbehrungsreiche, aber doch auch irgendwie aufregende Leben der beiden verfolgt, ohne dass sich dies wirklich in einprägsamen Momenten niederschlüge oder auf den Zuschauer überspränge. Das größte Problem von LITTLE FAUSS AND BIG HALSY ist sicherlich, dass Redford und Pollard keine richtige Chemie entwickeln. Die Stile der beiden liegen denkbar weit auseinander und beide wirken immer, als agierten sie in unterschiedlichen Filmen, spielten ohne Beachtung ihres Gegenübers oder mit einem nur eingebildeten anderen Partner. Verstärkt wird das noch dadurch, dass das Drehbuch Pollard kaum etwas zu tun gibt und ihn bis kurz vor Schluss auch gar nicht mit einer echten Persönlichkeit ausstattet: Fauss ist nur ein Zuschauer, ein Spiegel für Halsys Selbstverliebtheit. Das ist kein echtes Manko per se, weil es eben auch das Thema des Films ist, trotzdem scheint mir Pollard, der mit seinem gnomenhaften Kindergesicht und dem bekifft-abwesenden Stammeln am besten in saftigen bit parts aufgehoben war (etwa in Michael Winners HANNIBAL BROOKS) hier gnadenlos fehlbesetzt. Oder vielleicht zu gut. Es gibt einfach keine echte Reibung.

Möglicherweise bin ich auch meiner eigenen Erwartungshaltung zum Opfer gefallen: Ich habe mir etwas ganz anderes vorgestellt, als das, was ich letztlich bekommen habe. Statt einer gutgelaunten Loserkomödie das Porträt eines feigen Egoisten, statt fetziger Motorradaction eine Aneinanderreihung austauschbarer Wüstenrennen, bei denen es eigentlich nie um den Sieg geht, statt großer Triumphe austauschbare Niederlagen, statt der Geschichte einer ungleichen Freundschaft eine über eine bittere Trennung zweier dann doch nur temporärer Weggefährten, deren Lebenswege auf denkbar unspektakuläre Art und Weise auseinanderlaufen. Vielleicht ist LITTLE FAUSS AND BIG HALSY gar nicht unausgegoren, sondern zu radikal, zu sehr auf den Punkt. Der Film ist im Kern tief deprimierend, aber er täuscht mit falscher, leerer Gutgelauntheit darüber hinweg. So wie sich sein Protagonist einredet, ein As zu sein, der nur das Quäntchen Glück braucht, um wieder ganz oben zu stehen, da wo er dem eigenen Empfinden nach hingehört, ohne zu bemerken, dass er ein Arschloch ist, der alle verprellt, den niemand wirklich liebt und der alle Chancen schon vor Jahren verpasst hat. Möglicherweise ist LITTLE FAUSS AND BIG HALSY brillant, aber Freude macht er nicht. Er lässt einen nie rein.

26772Initiiert durch den überraschenden Erfolg von Enzo Castellaris KEOMA, erlebte der Italowestern Mitte der Siebzigerjahre erlebte der Italowestern ein kurzes Revival, zu dem neben Castellaris KEOMA und Sergio Martinos MANNAJA auch Fulcis vorletzter Ausflug ins Genre zu zählen ist (ein paar Jahre später folgte noch der eher zahme SELLA D’ARGENTO). I QUATTRO DELL’APOCALISSE beginnt aber fast schon klassisch mit einem establishing shot, der das geschäftige Treiben in einer typischen Westernstadt zeigt, mit einfahrenden Kutschen und die Straße überquerenden Damen in feinen Ausgehkleidern. Lediglich ein Voice-over-Narrator kündigt an, dass das sich darbietende Idyll ein trügerisches ist: Der Sheriff der Stadt (Donal O’Brien) hat allem unliebsamen Gesindel den Kampf angesagt, und so landet der Falschspieler Stubby Preston (Fabio Testi) gleich nach der Ankunft in einer Zelle, die er mit der schwangeren Prostituierten Bunny (Lynne Frederick), dem Säufer Clem (Michael J. Pollard) und dem schwarzen simpleton Bud (Harry Baird) teilen darf. Die vier vom Schicksal Gebeutelten machen das Beste aus ihrer misslichen Lage und werden im Zuge einer kurzen Nacht zu Freunden. Dass sie mit ihrer Inhaftierung Glück im Unglück hatten, zeigt sich am nächsten Morgen, als sie erkennen, dass die Stadt in der Nacht Schauplatz eines wahren Massakers war. Weil es keinen Grund mehr gibt, die Vier festzuhalten, knöpft der Sheriff ihnen das letzte Geld ab, vermacht ihnen eine schäbige Kutsche und schickt sie auf die Reise. Im hoffnungsvoll benannten Sun City wollen sie ein besseres Leben beginnen, doch sie werden nie dort ankommen, denn es stellt sich ihnen Chaco (Tomas Milian) in den Weg, selbst Opfer von Gewalt, der nun erbarmungslos gegen alles und jeden zurückschlägt …

I QUATTRO DELL’APOCALISSE offenbart seinen biblischen Charakter schon im Titel, der sich natürlich auf die vier apokalyptischen Reiter bezieht, von denen in der Offenbarung des Johannes die Rede ist und die dort als Sendboten des jüngsten Gerichts fungieren. Dieses jüngste Gericht ist in Fulcis Film bereits in vollem Gange: Menschen werden grundlos abgeschlachtet, ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht, sintflutartige Regengüsse gehen auf die Erde hernieder und in einem verschneiten Bergdorf wartet die nur noch aus Männern bestehende Bevölkerung auf das unausweichliche Ende. Die vier Protagonisten sind aber keineswegs diejenigen, die Tod und Verderben bringen, vielmehr hilflose Zeugen eines Untergangs, der ihnen auf Schritt und Tritt folgt oder nur kurz vor ihnen seine Schneise der Verwüstung zieht. Mehr oder weniger passiv beschreiten Stubby und seine Gefährten ihren Weg, der in eine zunehmend desolatere Ödnis führt, nicht in das gelobte Land namens Sun City, sondern immer tiefer in die Verzweiflung, bis am Ende ein neues Leben das Licht der Welt erblickt und einen kleinen Hoffnungsschimmer mit sich führen darf. Mehr als einmal fühlte ich mich während I QUATTRO DELL’APOCALISSE an Fulcis apokalyptischen Horrorfilm L’ALDILA erinnert, der eine Art fantastisch-metaphysischer Variante derselben Geschichte ist: Ein Mann und eine Frau stemmen sich dem unabwendbaren Einbruch des Wahnsinn entgegen, nur um am Ende von diesem geschluckt zu werden und sich im wasteland der Ratio wiederzufinden. APOCALISSE bleibt im Unterschied zum Zombieklassiker mit einem Bein im irdischen Hier und Jetzt und lässt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zumindest für einen seiner Charaktere bestehen, aber die Parallelen sind trotzdem unverkennbar.

Ich hatte Fulcis Spätwestern jetzt schon etliche Jahre nicht mehr gesehen und war überrascht, welch ruhige Gangart er einschlägt, ohne die Handschrift des Meisters dabei jedoch zu verleugnen. I QUATTRO DELL’APOCALISSE wirkt schon wie ein frühes Resümee, ein Abschiedsfilm, ohne Groll und Zorn, durchaus auf einer Note der Versöhnung schließend, aber doch wie das Werk eines Mannes, der sich keine großen Illusionen über das Wesen des Menschen und den Zustand der Erde mehr macht. Der folkige Score, dessen melancholischen Songs an Simon & Garfunkel denken lassen, unterstreicht noch den Eindruck, dass I QUATTRO DELL’APOCALISSE so etwas wie der Hangover nach dem Rausch der Sechziger mit seiner Utopie einer in Liebe und Frieden vereinten Welt ist. Auch Milians Aussage, seinen Chaco nach dem Vorbild Charles Mansons modelliert zu haben, passt dazu. Trotzdem ist Fulcis Film niemals kalt, im Gegenteil: Das Schicksal von Stubby und Bunny lässt wohl nur den Abgebrühtesten kalt und wenn die Männer am Ende voller Freude der Aufgabe entgegensehen, ein Baby aufziehen zu dürfen, ist das geradezu herzzerreißend schön. Ein toller, absolut ungewöhnlicher Film und ein weiterer Beleg dafür, was für ein herausragender Filmemacher Lucio Fulci war.

 

 

 

hannibal_brooksIch habe erst vor kurzem erfahren, dass Oliver Reed und Michael Winner eine tiefe Freundschaft verband, der britische Schauspiel- und Tresengigant Reed dem kontrovers diskutierten Regisseur zudem die (turbulent verlaufene) Karriere verdankte. Dem jungen Reed mangelte es nicht an Selbstbewusstsein und auch nicht an schauspielerischem Talent, trotzdem schien er zu Beginn der Sechzigerjahre, als er in mehreren Hammer-Filmen den Psychopathen oder das Monster mimte, in einer Schublade gelandet zu sein, aus der es nur schwer war, wieder herauszukommen. Es war Michael Winner, der das in Reed schlummernde Potenzial erkannte, ihm 1964 die Hauptrolle in dem Gesellschaftsdrama THE SYSTEM gab und ihn so bekannt machte. Es folgten die weiteren Kollaborationen THE JOKERS (1967), I’LL NEVER FORGET WHAT’S ‚IS NAME (1967) und dann schließlich HANNIBAL BROOKS, ein breit angelegter Kriegs- und Abenteuerfilm mit einer Titelrolle, für die sich manche Hollywoodgröße wahrscheinlich die Hand abgehackt hätte. (1978 folgte dann noch THE BIG SLEEP, das Remake des gleichnamigen Noir-Klassikers).

HANNIBAL BROOKS, so viel schicke ich mal voraus, hat bei mir gestern voll ins Schwarze getroffen: Es ist ein Film, der eigentlich nicht funktionieren dürfte, der in anderen Händen mit großer Gewissheit zum oberpeinlichen Rührstück von disneyhafter Klebrigkeit verkommen wäre, in den Händen Winners, der nun nicht gerade für Sentimentalitäten bekannt geworden ist, aber ganz ohne durchsichtige Zuschauermanipulationen seine emotionale Kraft entfalten kann. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: HANNIBAL BROOKS erzählt von dem britischen Soldaten Stephen Brooks (Oliver Reed), einem ganz und gar nicht martialisch gesonnenem Schelm, der im Zweiten Weltkrieg in deutsche Kriegsgefangenschaft gerät und im Zoo zum Schaufeln von Elefantenscheiße verdonnert wird. Während seine Kameraden sich bei der neuen Tätigkeit schnell langweilen, enntwickelt Brooks hingegen ungeahnten Enthusiasmus und freundet sich rasch mit dem Elefantenweibchen Lucy an. Als der Zoo bei einem Bombenangriff verwüstet wird, nimmt er die Aufgabe auf sich, das Tier über die Alpen in die  Innsbrucker Zoo und die sichere Schweiz zu bringen. Ihm zur Seite stellt man den fiesen Nazi Kurt (Peter Carsten), den freundlichen Willi (Helmuth Lohner) und die polnische Tierpflegerin Vronia (Karin Baal). Es kommt bald zur Auseinandersetzung mit Kurt, bei der Brooks den Mann umbringt: Von nun an ist er auf der Flucht und mit dem Dickhäuter im Schlepptau natürlich eine gute Zielscheibe. Doch Brooks lässt sich nicht beirren. Auf dem Weg kommt ihm immer wieder der amerikanische GI Packy (Michael J. Pollard) zu Hilfe, der in den Alpen eine Art Partisanenkrieg gegen die Truppen des schurkischen von Haller (Wolfgang Preiss) führt.

Richtig gelesen: HANNIBAL BROOKS handelt von der durch nichts aufzulösenden Freundschaft zwischen einem britischen Soldaten und einem Elefanten, und Winner legt sie als eine Art modernes Update der berühmten historischen Geschichte des khartagischen Feldherrn Hannibal an, der mit seiner Elefantenherde über die Alpen ritt, um sich mit den Römern zu balgen. Brooks‘ Intention ist dieser natürlich genau entgegengesetzt, ebenso wie seine Wegrichtung: Er will mit dem Elefanten dem Krieg entkommen und setzt so inmitten der tosenden Unmenschlichkeit ein Zeichen der Fürsorge und Freundschaft. Dass das nicht zum kitschigen „Tiere sind die besseren Menschen“-Quark verkommt, liegt zu allererst an Reed, der hier eindrucksvoll beweist, zu was er wirklich in der Lage war. Viel zu selten durfte er diese Seite zeigen. Man kauft ihm die tiefe Verbundenheit zu dem Tier in jeder Sekunde ab, leidet mit ihm, wenn er den Elefanten zwischendurch verliert oder dieser erkrankt, merkt, dass der oft als schwierig, mürrisch oder gar gewalttätig beschriebene Schauspieler in dieser Rolle wirklich aufging: Der Bund zwischen Mensch und Tier ist echt, die Basis für den Erfolg von HANNIBAL BROOKS. Dann natürlich diese Bilder: Der Reiz, Reed mit dem grauen Koloss vor der beeindruckenden Alpenkulisse zu sehen, trägt fast allein über die 100 Minuten, aber Winner (der das Drehbuch nach eigener Idee mitverfasste) verlässt sich nicht darauf. Im Stile eines Road Movies oder, treffender, einer antiken Heldensage, gliedert er den Weg in kleinere Aufgaben und Abenteuer, sodass niemals Langeweile aufkommt. Da wird der in einem verlassenen Alpendorf nach Proviant suchende Brooks von zwei Nazis überrascht, muss er einen Tierarzt (Ralf Wolter) ausfindig machen, hilft er mit, einen Waffenzug entgleisen zu lassen, oder gerät er in die Hände Hallers. Wenn man von WInner sonst nur zynische Thriller gesehen hat, ist man mehr als erstaunt, wie gut gelaunt und beschwingt er erzählen kann.

Für das Quäntchen Merkwürdigkeit, das den Film endgültig in andere Sphären katapultiert, ist vor allem Michael J. Pollard zuständig. Der spiddelige Nuschler mit dem Gnomengesicht spielt den wahrscheinlich unwahrscheinlichsten Soldaten der Filmgeschichte, läuft als menschgewordener Deus ex machina durch den Film, der Brooks immer genau dann den Hintern rettet, wenn der endgültig in der TInte zu sitzen scheint, und wäre in jedem anderen Film in dieser Rolle zur reinen Lachnummer verkommen. HIer vervollkommnet Pollards unorthodoxes, manisches Spiel noch den Charakter des Films, der insgesamt nicht nur ein humanistisches Manifest gegen den Krieg und für die Völkerverständigung, sondern eben auch für die gesunde Spinnerei, den idealistischen Traum, den Kampf gegen die Windmühlen, die Andersartigkeit ist. Ich ließ mich gestern voller Freude über meine Entdeckung zu der Aussage hinreißen, dass HANNIBAL BROOKS einer der schönsten Filme sei, die ich je gesehen habe. Das ist möglicherweise übertrieben, aber es passt dann doch wieder perfekt zu diesem Film, der förmlich dazu herausfordert, die Welt zu umarmen und einen tanzenden Stern zu gebären. Ein Wunderwerk, wie es nur alle Jubeljahre mal entsteht, und eine Schande, dass er so unbekannt ist.

511jYUgLbNL._SS500_Gleich zu Beginn wird der Bulle Jack (Wings Hauser) mit seiner Partnerin, einer dicken Schwarzen, in einem Fall häuslicher Gewalt um Hilfe gerufen. Ein redneckiger Typ verdrischt seine Frau, geht sogleich auf Jack los, als der sich Zutritt zu dessen Wohnung verschafft. Die Partnerin befreit Jack aus seiner misslichen Lage, packt den Angreifer bei den Eiern und bekommt dafür von dessen ihre Liebe wiederentdeckenden Frau ein Messer ins Kreuz. Jack handelt sofort und reißt die Frau weg, die daraufhin allerdings aus dem Fenster und zu Tode stürzt. Wenn man mehr als einen Copfilm gesehen hat, ahnt man, was jetzt kommt: Suspendierung wegen Totschlags, Alkoholsucht, Bruchlandung in der Gosse. Es ist nur das erste Zeichen für den seltsamen, Konventionen zersetzenden und ganze eigene Wege gehende Film Hausers, dass dem nicht so ist. Jack darf einfach weitermachen, die ganze Geschichte hat kein böses Nachspiel für ihn. Im Folgenden bekommt er es mit einem Serienmörder zu tun, der junge naive Starlets, denen er den „großen Durchbruch“ verspricht, in berühmten Todesszenen inszeniert und sie dann on camera umbringt. Doch Hauser erzählt diese Story mit sehr lockerer Hand, so wie er auch seinen Bullen Jack spielt. Als freundlich-schnoddrigen street worker, der schon alles gesehen hat, sich keine Illusionen mehr macht, aber sich genauso wenig runterziehen lässt.

THE ART OF DYING hat einen angenehm konversationellen Tonfall. Er ist keine gut geölt laufende Thrillmaschine, sondern ein Film, der so gemütlich ist wie eine 15 Jahre alte, ausgebeulte Jogginghose. Nur dass eine solche Hose selten Überraschungen wie dieser Film bereithält. Michael J. Pollard, einer der seltsamsten Typen, die Hollywood je hervorgebracht hat, darf einen Kollegen und Kumpel Jacks spielen, und er gibt sich nicht die geringste Mühe, seine immer etwas manische Art dafür zu zügeln. (Einen Gastauftritt absolviert ein anderer Hollywood-Freak, nämlich Sidney Lassick, den man als Cheswick aus ONE FLEW OVER THE CUCKOO’S NEST kennt.) Ein wichtiger Subplot dreht sich um die Beziehung Jacks zu der mysteriösen Holly (Kathleen Kinmont): Bei ihrem ersten Auftritt erwartet sie Jack mit einer Waffe und droht ihn umzubringen, aus Rache für den Selbstmord des Bruders, den Jack einst in den Knast gebracht hatte. Jack reagiert, wie ein Bulle seiner Gattung das zu tun pflegt: „Na komm, dann leg mich um, ich hatte eh einen Scheißtag.“ Sie drückt tatsächlich ab, doch die Waffe ist nicht geladen, die beiden küssen sich und alles entpuppt sich für den Zuschauer als höchst seltsame Interpretation des  Rollenspiels, mit dem gelangweilte Ehepaare ihr Sexleben aufzupeppen pflegen. Später kommt man dann noch in den Genuss einer von 9 1/2 WEEKS inspirierten Sexszene zwischen Wings Hauser und der Bride of Re-Animator Kinmont: Doch weil Hauser kein Bonvivant wie einst Mickey Rourke ist, füttert er seine Angebetete nicht mit Träubchen und Käsehäppchen, sondern gießt ihr Milch aus einem Gallonen-Kanister über die eindrucksvoll wogenden Hupen.

So wie ZERO TOLERANCE enorm vom Schauplatz Las Vegas profitierte, profitiert THE ART OF DYING vom nächtlichen Hollywood, dessen eher heruntergekommenen Ecken der Film sucht, findet und gnadenlos festhält. Dazu orgelt schwül-rauchiger Smooth Jazz von der Tonspur und Wings Hauser bewegt sich mit einer Selbstverständlichkeit, die er sich wahrscheinlich einst bei Gary Shermans meisterlichem VICE SQUAD angeeignet hatte. Er ist eine Schau, wie er durch diesen Film scharwenzelt und noch die abseitigsten Ideen und krassesten Dialogzeilen verkauft wie Wasser an einen Verdurstenden. Einmal lockt ihn Holly mit der Aussicht auf ein geiles Fesselspiel und er, mehr als nur etwas ermüdet und genervt vom nie versiegenden Einfallsreichtum seiner Freundin, antwortet: „No cuffs! I mean can’t we just have straight sex like normal people? Look, I have an idea: I’l be on top, how’s that?“ Wings Hauser ist ein Meister jene Art von Schauspiel, das nicht wie Schauspiel aussieht, und er ist sich nicht zu schade, dahin zu gehen, wo’s weh tut.

Mit THE ART OF DYING ist Hauser ein kleines, schmuddeliges Juwel gelungen, das zweite nach dem ebenfalls für PM Entertainment gedrehten LIVING TO DIE, und es bestätigt mir wieder einmal, dass er das Zeug zum Schauspielstar hatte, der er in einer gerechten Welt auch geworden wäre. So mancher hochbezahlte Langweiler würde sich freuen, hätte er nur halb so viel Charisma wie Wings. So landete der leider nicht in den großen Publikumsschlagern, sondern irgendwann beim DTV-Film, worüber wir uns angesichts solcher absolut eigenständigen, sympathisch abgerissenen Neo Noirs aber mehr als glücklich schätzen dürfen.

Billy Colton (Derek Rydall) gilt in seiner Schule als Störenfried und notorischer Lügner. Folglich glaubt ihm auch niemand, als er erzählt, dass er gesehen habe, wie seine Nachbarin, die Prostituierte Lisa (Shannon Tweed), von seinem Geschichtslehrer Mr. Willard (Allen Garfield) erdolcht worden sei. Bei diesem handelt es sich jedoch tatsächlich um einen praktizierenden Satanisten, der dem Gehörnten gemeinsam mit seinem zurückgebliebenen Bruder Stanley (Michael J. Pollard) eine ganze Reihe von weiblichen Opfern dargebracht hat. Weil Billy in Lebensgefahr schwebt und keine Hilfe von der Polizei zu erwarten hat, wendet er sich in seiner Verzweiflung an den ehemaligen Polizisten Ron Devereaux (Elliott Gould) …

Ein Film über einen satanischen Nuttenmörder, der von einem Schuljungen auf frischer Tat ertappt wird. Was hätte man daraus machen können! NIGHT VISITOR beginnt dann auch zunächst als durchaus muntere Variation auf Filme wie Hitchcocks REAR WINDOW oder auf dessen bereits exploitativ gebrochene Adaptionen wie De Palmas  BODY DOUBLE oder Tom Hollands FRIGHT NIGHT. Hitzig baut seine Geschichte sorgfältig auf, führt erst seinen Protagonisten ein, dessen Charaktereigenschaften für den Konflikt des Films von zentraler Bedeutung sind, und kann zudem auf eine recht illustre Besetzung zurückgreifen. Schon hier kommt NIGHT VISITOR letztlich zwar nicht über belangloses Entertainment hinaus, doch zumindest das gelingt ihm: Und der Achtzigerjahre-Zeitkolorit trägt – für mich – nicht unerheblich dazu bei. Doch leider gelingt es Hitzig danach einfach nicht, das Tempo zu forcieren. Der Film plätschert endlos vor sich hin, ohne dass er sich vorwärts bewegen oder auch nur die Bedrohung für die Hauptfigur plausibel und spürbar machen würde. Nur ein einziges Mal hat man den Eindruck, dass Billy wirklich in Gefahr schwebt, und das ist dann auch gleich die beste Szene des gesamten Films. Und Elliott Gould, der in den Credits als Hauptdarsteller geführt wird, taucht nach seinem ersten Auftritt, der endlich einen Fortschritt der Handlung verspricht, wieder für eine ganze Weile ab, bis er sich dann irgendwann doch noch daran erinnert, in entscheidender Funktion mitwirken zu müssen. Das ist alles umso ärgerlicher, als NIGHT VISITOR niemals so richtig schlecht ist. Inszenatorisch ist er zwar höchstens bieder, aber immerhin sauber, und die Besetzung verleiht dem Stoff ein Profil, das Hitzig niemals für sich arbeiten zu lassen weiß. Der größte Fehler, den er aber begeht, ist der völlige Verzicht auf exploitative Elemente (mit Ausnahme ein paar entblößter Brüste), sodass es einfach nichts gibt, was aus der Langeweile herausstechen und das einmal erloschene Interesse wieder wachrufen würde. Und für einen ernst gemeinten Thriller, der Hitzig wohl vorschwebte, sind sowohl die Geschichte zu blöd als auch Hitzigs inszenatorisches Geschick zu wenig ausgeprägt. Und wenn man dann am Ende auch noch zwei völlig sinnlose Minuten lang der poprockunterlegten Harmonie zwischen Billy und seiner Flamme beiwohnen muss, denen ein putziger Pudel bedeppert nachschaut, weiß man endgültig: Das war leider gar nix. Und ich werde als nächstes THE TOXIC AVENGER schauen, weil ich nach diesem grauen Anzug von einem Film das dringende Bedürfnis nach saftigem Fleisch habe.