Mit ‘Fabio Testi’ getaggte Beiträge

Erstsichtung eines einerseits schwierigen, in seiner Kompliziertheit dann aber auch wieder sehr zugänglichen Films, der eine faszinierende Gratwanderung zwischen verkopftem Künstlerkino einerseits und Körperkino andererseits vollzieht.

Man ist natürlich geneigt, zuerst über die zauberhafte Romy Schneider in der Rolle der ausgebrannten Schauspielerin Nadine Chevalier zu schreiben, dann über den unvergleichlichen Klaus Kinski, der sich bemüht, alle darstellerischen Manierismen, die man ihm gemeinhin zuschreibt, in seine Darstellung des eitlen Karl-Heinz Zimmer zu stecken; vielleicht auch über Jacques Dutronc, der den mit Nadine verheirateten cinephilen Träumer Jacques verkörpert, einen Schelmencharakter, dessen Arglosigkeit geradezu rührend ist. Aber für mich scheint der Erfolg des Films ganz wesentlich mit Fabio Test verknüpft, dessen virile Anpackerqualitäten, erprobt in zahlreichen italienischen Polizotteschi, Galli und Actionfilmen, L’IMPORTANT C’EST D’AIMER überhaupt erst greifbar macht. Auch sein Charakter ist mit Untiefen ausgestattet, aber er erinnert in der recht freidrehenden Inszenierung von Zulawski ein bisschen an das zutreffende Bild, das die Herren Hahn/Jansen in ihrem unsterblichen „Das Lexikon des Horrorfilms“ von David Hemmings in Argento PROFONDO ROSSO zeichneten: Zwischen lauter Exzentrikern ist er der ruhende Pol, der „Normale“, der den Wahnsinn um sich herum mit der Stoik eines Cowboys zur Kenntnis nimmt.

Testi ist der Fotograf Servais Mont, der für den reichen Mafiosi Mazelli (Claude Dauphin) als Paparazzi und Pornofotograf unterwegs ist, um die Schulden seines Vaters zu begleichen. An einem Filmset begegnet er der Schauspielerin Nadine Chevalier, die mittlerweile ebenfalls in die Gefilde von Schundproduktionen abgestiegen ist, nachdem sie einst für ihre Kunst gefeiert wurde. Er ist sofort fasziniert von ihr, von ihrer Schönheit, aber auch von der tiefen Traurigkeit, die sie ausstrahlt, und sucht sie zu Hause auf, wo sie zusammen mit ihrem Ehemann Jacques lebt, einem kindlich anmutenden Sammler von Film-Memorabilia. Mont verliebt sich in Nadine und will sie erobern, indem er ihr aus der Krise hilft: Dafür leiht er sich bei Mazelli 10.000 Francs und initiiert ein Theaterstück unter der Regie des verrückten Messala (Guy Mairesse), in dem Nadine die Hauptrolle neben dem größenwahnsinnigen Zimmer spielen soll. Sie durchschaut seine Pläne jedoch  und nach dem grandiosen Flop des Stückes kommt es zur unausweichlichen zwischenmenschlichen Katastrophe …

Die inneren Prozesse von L’IMPORTANT C’EST D’AIMER sind für jemanden, der sich als relativ normal und unexzentrisch beschreiben würde, nur schwer durchschaubar – erst Recht beim ersten Durchgang. Die Beziehung zwischen Nadine und Jacques, aber auch das Hin-und-Her zwischen Servais und Nadine entsprechen ziemlich genau dem Bild, das gern in persiflierender Absicht vom französischen Beziehungsdrama gezeichnet wird: Es wird viel gelitten, geweint, gestritten und verziehen, es hängen da Menschen aneinander, deren Verbindung für Außenstehende einfach keinen Sinn ergibt, streben unentwegt zueinander, nur um sich wieder abzustoßen. Hinzu kommen die Regieeinfälle Zulawskis, der Jacques mit Mantel und Schuhen ins Bett gehen, den Regisseur Messala mit Theaterschminke und Narrenkostüm inszenieren lässt. Kinski dreht und windet sich als Zimmer in die Kamera, als wolle er seinen Aguirre noch einmal aufleben lassen und der Mafiosi Mazelli inszeniert pornografische Orgien für seine Kundschaft aus alten Vetteln, die aus einem Fellini-Film entsprungen scheinen. Romy Schneider bringt so viel Schönheit und Anmut mit, dass es schon einer ziemlichen suspension of disbelief bedarf, um zu akzeptieren, dass sie nicht nur einem Karriereknick anheimgefallen ist, sondern auch in solchen Epen wie „Nymphocula“ mitspielen muss.

L’IMPORTANT C’EST D’AIMER ist auch ein Film-Film: Nicht nur spielt der Film in der Branche, es wird auch ständig über Film und Theater gesprochen, vor allem wenn Jaques die Szenerie betritt. Aber es scheint doch sehr offenkundig, dass Zulawski von der Allgemeingültigkeit seines Werkes überzeugt ist. Wir sind alle Akteure auf einer großen Bühne, mehr oder weniger angekotzt von der Rolle, die uns das Schicksal zugedacht hat, und dazu verdammt, irgendwann aufs Abstellgleis geschoben zu werden. Dann wieder versteigt sich der Regisseur aber auch zu selbstmitleidigem Genöle, etwa wenn er den armen Messala eine geharnischte Kritik aus der Zeitung vorlesen und Zimmer nach dem Rudelbums mit zwei gesichtslosen Schönen nackt und weinend in den Regen vor seinem Schlafzimmer blicken lässt. Der Künstler hat es schwer, seine Aufopferung wird selten gewürdigt von den Bürokraten mit ihren 9-to-5-Jobs da draußen, die nie die Einblicke in die tiefen Mysterien des Lebens erlangen werden, wie sie ihm zuteil werden. L’IMPORTANT C’EST D’AIMER ist, wie schon erwähnt, nicht unproblematisch, nicht auf Anhieb zu durchschauen, aber er vermeidet bei aller Artifizialität die Fallstricke, die ähnlich gelagerte Filme oft zu Boden ziehen. Er hat eben nicht nur einen Darsteller aus dem Exploitationfilm als Identifikationsfigur, sondern auch die Seele, die Körperlichkeit und Rohheit dieser Spielart des Kinos – und das hindert ihn auch immer wieder daran, sich in allzu intellektuell-abstrakte Sphären hochzuschrauben. Auch wenn sich das Drama weitestgehend in den Köpfen seiner Protagonisten abspielt, setzt Zulawski mit L’IMPORTANT C’EST D’AIMER auf Griffigkeit, sei es eben durch das Spiel Testis und Kinskis, durch seine bizarren Einfälle, den Humor und die existenzielle Dunkelheit, die ihn durchzieht.

Es war gewiss nicht das letzte Mal, das ich diesen Film gesehen habe. Und ich bin froh, dass ich mit Erstsichtung so lange gewartet habe, bis ich ihn im Kino sehen konnte.

Wenn selbst ein vermeintliches Liebhaberprojekt wie ELECTRIC BOOGALOO: THE WILD, UNTOLD STORY OF CANNON FILMS lediglich die tausendfach gehörte (und also keinesfalls „unerzählte“) Geschichte von den israelischen Bonzen mit dem miesen Geschmack erzählt, dann muss man sich wohl keine Illusionen darüber machen, dass die Produktionsfrma Cannon irgendwann einmal die Rehabilitation erfährt, die sie verdient hat. Möglicherweise ist das einfach zuviel verlangt: Dass eine Welt, die ein schnödes Langweilerprdoukt wie THE SHAWASHANK REDEMPTION ernsthaft für den besten Film aller Zeiten hält, die Schönheit eines TOUGH GUYS DON’T DANCE nicht erkennt, ist kaum verwunderlich. THE AMBASSADOR, Rock Hudsons letzter Film, bevor er an Aids starb, dauert noch keine zehn Minuten, da steht schon zum ersten Mal der Mund offen. Mal ganz von der unglaublichen Besetzung abgesehen: Welches große Studio hätte im Jahr 1984 sonst die Traute gehabt, eine Sexszene mit der barbusigen, damals bereits 52-jährigen Ellen Burstyn in die ersten zehn Minuten ihres Eventfilms zu packen?

Leider gibt es über THE AMBASSADOR sonst nicht viel Positives zu berichten. Zugegeben, das Ende ist schon ziemlich unglaublich, aber leider nicht auf die gute Art. Der Film setzt sich mit dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern bzw. der PLO auseinander, erläutert seine Hintergründe zu Beginn in einem ausladenden Text und widmet sich den Bemühungen des amerikanischen Botschafters Peter Hacker (Robert Mitchum) als diplomatischer Vermittler zwischen den verfeindeten Parteien und als Friedensstifter zu fungieren. Seine Bemühungen kulminierem in einem übersteuerten Finale, in dem er israelische Studenten und Vertreter der PLO zusammenbringt und sie miteinander diskutieren lässt. Doch kaum hat eine Annäherung stattgefunden, skandieren die jungen Leute gemeinsam „Peace“, kommen auch schon die Terroristen mit den rotweißen Schals und ballern alle über den Haufen. Das Blutbad ist schockierend, doch die gelegte Saat geht dennoch auf. Nur wenige Stunden später gibt es vor dem Haus des Botschafter eine große Kundgebung und die mit Kerzen ausgestatteten Teilnehmer fordern erneut lautstark „Peace“. Hacker steht gerührt auf seinem Balkon: Sein Werk ist getan, er kann jetzt abreisen.

Das mag gut gemeint sein, aber mal davon abgesehen, dass die Darstellung unangenehm kitschig und naiv ist, stößt es schon etwas sauer auf, dass es lediglich die warmen Worte eines gütigen Amerikaners bedarf, um einen seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt zu beenden. Es ist der größte, wenn auch nicht der einzige Fehltritt von Thompsons Film, der mit seiner Starbesetzung, den Originalschauplätzen und seinem aktuellen Thema den Eindruck großen Kinos erwecken möchte, aber nur eine ziemlich lahmarschige, durch krude Details zudem reichlich holprige Politschmonzette auf den Weg bringt. So hat Hackers Gattin Alex (Ellen Burstyn), die sich von ihrem Gatten vernachlässigt fühlt, eine Affäre mit dem Antiquitätenhändler Hashimi (Fabio Testi), der sich dann als wichtiger PLO-Mann entpuppt. Das gemeinsame Schäferstündchen wird von den Terroristen aufgezeichnet und Hacker damit erpresst, dass man den Film an die internationale Presse weitergeben will. Rock Hudson gibt Hackers Berater und Leibwächter Frank Stevenson, dessen Aufgabe es ist, seinen Chef zur Vorsicht zu mahnen oder Maulschellen an Finsterlinge zu verteilen. Aber richtig aus den Pötten kommt der Film nicht: Die Geschichte entwickelt sich zu einer Suche nach dem kompromittierenden Filmmaterial, aber ein nahe des Wachkomas agierender Mitchum erstickt mit seiner Indifferenz jedes Aufkommen von Spannung im Keim. Hier und da gibt es mal etwas, was über das bloß routinierte Formelkino hinausgeht, etwa die Dialoge zwischen Hacker und seiner Ehefrau, die die jahrzehntelange Vertrautheit der beiden Partner sehr schön einfängt, aber insgesamt ist THE AMBASSADOR vor allem betulich und öde. Schade, denn der Anfang lässt durchaus noch auf einen spannenden Politthriller mit aktuellem Bezug hoffen. So bleibt es nur ein weiterer der vielen irgendwie fehlgeleiteten Filme der Cannon, den zu verteidigen eine Aufgabe ist, der ich mich jetzt nicht stellen möchte. Für Trivialisten: Donald Pleasence wirkt als israelischer Minister Eretz mit, unter den Einheimische befinden sich unter anderem Zachi Noy und Jesse Katzur. Außerdem meine ich, Spiros Focás, bekannt als Rambos afghanischer Sidekick in RAMBO III, entdeckt zu haben, aber die IMDb möchte das nicht verifizieren.

 

Meinen letzten Text über Fulcis Film einen „Verriss“ zu nennen, wäre zu viel gesagt; Fakt ist aber, dass ich mit LUCA IL CONTRABBANDIERE damals überhaupt nicht warm geworden bin. Ganz anders gestern, als ich ihn in deutscher Version als DAS SYNDIKAT DES GRAUENS auf großer Leinwand erleben durfte. Was für ein Brett!

Die Diskrepanz zwischen dieser und der vergangenen Sichtung beweist mir mal wieder, dass ich italienische Filme nicht vorschnell aburteilen sollte, wenn ich diese nur mit englischer Synchro genossen habe. Viele der Vorwürfe, die ich beim letzten Mal gegen LUCA IL CONTRABBANDIERE erhob, lassen sich meines Erachtens nur auf die Leb- und Variantenlosigkeit zurückführen, die englische Synchros fast immer „auszeichnet“. Dass einem die Figuren fremd blieben, kann ich nach der gestrigen Sichtung jedenfalls nicht mehr behaupten. Und Sprüche wie „Das ist Ursel aus Frankfurt, sie ist deutsch bis aufs Knochenmark“ knallen einfach wie Peitschenhiebe. Dazu kommt noch, dass Fulcis Inszenierung wirklich erst auf der Leinwand ihre volle Wirkung entfaltet. LUCA IL CONTRABANDDIERE hat einen etwas unscheinbaren Look, der Film ist trüb und farbarm, psychedelische Effektsequenzen wie in seinen Horrorfilmen darf man natürlich auch nicht erwarten, trotzdem ist er eine Augenweide. Die Kamera schwebt immer wieder sanft um die Figuren herum, oft blendet Gegenlicht und belegt das Geschehen kurz mit einem unwirklichen Schleier. Eine frühe Discosequenz, die komplett im Stroboskopgewitter spielt, dürfte für mich ewig weitergehen und Fabio Testi liefert unter der Anleitung Fulcis eine seiner besten Leistungen ab.

Dann ist da natürlich die Gewalt. Die Bunsenbrennerszene brennt sich wahrlich ins Gedächtnis, Dutzende explodierender Köpfe, Brustkörbe und Bäuche lassen einem die Kinnlade herunterklappen. Richtig harter Tobak ist aber eindie ausgedehnte Vergewaltigungssequenz, die im Kinosessel zur wahren Zerreißprobe wird. Die sich zur Kakophonie steigernden Schreie des Opfers und Lucas hilfloser Blick am anderen Ende des Telefons: Das vergisst man nie wieder. Lassen sich viele der in den Siebzigerjahren in Italien entstandene Gangster- und Polizeifilme als chauvinistischer Unfug mit Partycharakter titulieren, wirft LUCA IL CONTRABBANDIERE einen besonders desillusionierten Blick auf das finstere Treiben der Mafia. Lucio Fulci ist eh nicht als großer Spaßvogel bekannt, dieser Film darf als einer seiner trostlosesten angesehen werden.

Ich bin froh, den Film noch einmal in dieser Form gesehen und hier außerdem die Gelegenheit zu haben, vergangene Fehler wiedergutzumachen. LUCA IL CONTRABBANDIERE ist einer von Fulcis besten Filmen.

22434Bei DER GORILLA, wie Tonino Valeriis Film in Deutschland hieß, handelte es sich um das große Bonbon im Programm des diesjährigen Forentreffens von Deliria Italiano: Der Film erlebte an diesem Wochenende in Düsseldorf 41 Jahre nach seinem Entstehen seine deutsche Kinopremiere. Insofern ein kurioses Phänomen, als es tatsächlich eine deutsche 35-mm-Kopie gibt, von der dann die Videofassung „gezogen“ wurde. Der Liebesdienst, den die verspätete Aufführung darstellte, wurde leider durch die Nachricht des Todes von Valerii nur zwei Tage vorher getrübt: Immerhin erweist sich die Planung eines Valerii-Double-Features damit im Nachhinein fast als seherischer Akt.

Meine Neugier war groß auf den mir gänzlich unbekannten Film, Bekannte, die ihn schon gesehen hatten, waren voll des Lobes. Ich empfand VAI GORILLA allerdings als ausgesprochen zähe Angelegenheit. Tonino Valerii erzählt die Geschichte des „Gorillas“ Marco Sartori (Fabio Testi), der sich den Job als Leibwächter des zwielichtigen Bauunternehmers Sampioni (Renzo Palmer) erschleicht, indem er mit einigen Halunken einen Überfall auf ihn initiiert und ihn so von seiner Schutzbedürftigkeit überzeugt. Nach kurzer Zeit ist er bereits angewidert von seiner Aufgabe und seinem Chef, beschließt außerdem seinen Betrug widergutzumachen, indem er ihm gegen einige nun echte Verbrecher beisteht.

Das Problem, das ich mit VAI GORILLA hatte: Der Film ist sehr sauber inszeniert, sauberer als das Gros vergleichbarer italienischer Krimis, mit deutlich mehr Konzentration auf seinen Protagonisten als auf eine möglichst lückenlose Aneinanderreihung von Actionszenen. Er steht den ernsthaften Mafiafilmen des cinema di dinuncia noch deutlich näher als den wüsten Selbstjustizreißern, in denen Maurizio Merli die italienischen Großstädte vom Abschaum befreite, oder Umberto Lenzi Tomas Milian losschickte. Die Geschichte wird geduldig entwickelt, erst im letzten Akt kommt es zu einer Häufung der Gewaltakte und einem rasant-rabiaten Showdown, bevor VAI GORILLA mit einem naiv anmutenden Happy End schließt. Nur trägt diese Geschichte, so wie sie erzählt ist, den Film nicht: Seine Figuren sind Pappkameraden, deren psychologische Motivationen fragwürdig bleiben, und die dann zwischendurch auch einfach mal für 30 Minuten verschwinden. Subplots wie eine eher unerhebliche Liebesgeschichte erwecken den Eindruck, dass hier nach Checkliste gescriptet wurde. Ich habe irgendwann ziemlich gelitten, weil ich die erwähnte Geduld, mit der Valerii seinen 08/15-Plot abwickelt, schon fast als unverschämt empfunden habe. Nicht falsch verstehen, ich habe absolut nix gegen Klischees, ganz im Gegenteil, aber dann doch bitte mit Drive und Tempo serviert. So ist VAI GORILLA irgendwie nix Halbes und nix Ganzes: Für einen Actioner zu lahm, für einen packenden Thriller zu vorhersehbar.

300px-delladrogaHongkong bei Nacht, Neonlichter. Fabio (Fabio Testi) im Späthippie-Schmuddellook mit Cap, fransigen Haaren, Fünftagebart, Jeansjacke, Jeanshosen, Stiefeln. Enzo G. Castellari als Straßendealer mit Schiebermütze, wild diskutierend und gestikulierend. Hongkong bei Tag, Fabio auf einer Dschunke, das ausgezogene T-Shirt um den Hals gelegt, zwei Holzketten baumeln um die starke männliche Brust. Carthagena, Kolumbien: Ein dubioser, gutsituierter Herr ergreift die Flucht aus seinem Luxushotel, als drei uniformierte Herren auftauchen. Amsterdam, Keilerei zwischen Drogenhändlern, ein Mann im Anzug schreitet mit einer Waffe ein. New York: In einem Wolkenkratzer unterbricht die Sekretärin das Gespräch zweier Geschäftsleute, ein wichtiger Anruf sei eingegangen. Schließlich Rom: Der Interpol-Beamte Hamilton (David Hemmings) ereifert sich gegenüber sienem italienischen Kollegen über die miese Absteige, in der sie seine zur Zerschlagung eines international agierenden Drogenhändlerrings formierte Spezialeinheit untergebracht haben. Wenig später landen Fabio und der Pistolenmann aus Amsterdam am Flughafen und während in Fabios Gepäck mehrere Kilo Heroin gefunden werden, kann der andere unbemerkt durch den Zoll schlüpfen.
Die Anfangssequenz von LA VIA DELLA DROGA veranschaulicht nicht nur, welcher Aufwand für Castellaris Drogenkrimi betrieben wurde, er weist auch den Weg für die folgenden 90 Minuten. Auf welchen Bahnen die Verbrecher da ihre Drogen auf die Reise um den Erdball schicken, wer mit wem kollaboriert und wie der Undercover-Cop Fabio gedenkt, die Organisation von innen heraus zu zersetzen, geht für den braven Zuschauer im Trubel der Ereignisse weitestgehend unter. Wie der zuletzt besprochene IL GRANDE RACKET ist LA DELLA DROGA eine eineinhalbstündige Achterbahnfahrt, bei der die grobe Richtung – steil abwärts und immer nach vorn – zwar irgendwie klar ist, alles andere aber im Geschwindigkeitsrausch verschwimmt. Anders als im genannten Film macht das hier aber insgesamt mehr Sinn, weil nicht Einzelschicksale im Mittelpunkt stehen, sondern der Film nur ein Schlaglicht auf das Tagesgeschäft längst weltumspannend agierender Organisationen wirft, in der Individuen völlig austauschbar geworden sind. Es dauert 40 Minuten, bis man erfährt, wer dieser Fabio eigentlich ist, von dem man sonst nichts weiß, außer dass er aus ungeklärten Gründen unsere Identifikationsfigur sein soll. Wie bei seinem späteren Kollegen Sonny Crockett ist man sich aber nie ganz klar, ob er der Verlockung des großen Geldes und des ständigen Nervenkitzels nicht doch erliegt und die Seiten wechselt oder schon jetzt ein gerissenes Doppelspiel spielt. Und Hamilton, sowas wie das Gewissen und der gesunde Menschenverstand des Films, tritt in dessen zweiter Hälfte weit in den Hintergrund: Er ist eben doch nur ein kleines Licht, ein hilfloser Bauer in einer Schachpartie, bei der ein unsichtbar bleibender Großmeister die Figuren zieht.

Zum treibenden Score von Goblin – meines Erachtens eine ihrer besten Arbeiten – verwickeln sich die einzelnen Fäden so hoffnungslos, bis nur noch der radikale Einsatz einer Schere Abhilfe schaffen kann. Der Showdown des Films, der zu Fuß und auf dem Motorrad über die Etagen eines im Bau befindlichen Hochhauses, durch eine ebenfalls noch unfertige U-Bahn-Station, auf die riesige Bühne eines imposanten Freilichttheaters und schließlich in einen Hangar führt, von wo aus sich die Konfliktparteien zum Schluss dann in die Lüfte erhebt – einfach geil, wie Fabio kurzentschlossen in den Flieger steigt, und beschließt, das Ding selbst zu fliegen: Kann so schwer ja nicht sein -, ist eine einzige Actionorgie, wie sie in Italien nur Castellari mit dieser Rasanz und Konsequenz zu verstehen wusste. Wenn der letzte (?) Schurke mit seiner Cessna an einem Brückenpfeiler zerschellt, ist dann auch alles gesagt, großes Gesäusel ist danach überflüssig. Wer erwartet, von einem Actioner menschlich involviert oder gar berührt zu werden, der ist bei LA VIA DELLA DROGA fehl am Platze. Wer aber gern mal wieder ordentlich durchgepustet werden will, liegt hier goldrichtig.

 

il-grande-racket-1976Geschäfts- und Restaurantbesitzer Roms werden von einer Bande, die unter dem Befehl des mafiösen Rudy (GIanluigi Loffredo) steht, mit Schutzgelderpressung und Gewaltandrohung in Angst und Schrecken versetzt. Der Kriminalbeamte Nico (Fabio Testi) ermittelt gemeinsam mit seinem Partner Velasci (Salvatore Borghese), muss jedoch immer wieder die Freilassung der Schurken beklagen, erreicht mit seinen zunehmend aggressiven Methoden nicht mehr als eine Eskalation der eh schon fragilen Situation. Als er schließlich aus dem Dienst entlassen wird, schließt er sich mit einigen Opfern der Gangster zusammen, um mit ihnen kurzen Prozess zu machen …

IL GRANDE RACKET ist ein guter, aber keiner der großen Filme Castellaris, ich denke dabei vor allem an LA POLIZIA INCRIMINA LA LEGGE ASSOLVE, für mich immer noch der vielleicht ultimative Poliziottesco, den poetischen Spät-Italowestern KEOMA oder, mit leichten Abstrichen, den todtraurigen IL CITTADINO SI RIBELLA und das Endzeit-Popmusical 1990: I GUERRIERI DEL BRONX. Castellaris Cop-Actioner erreicht weder die emotionale Durchschlagskraft seiner Filme mit Franco Nero noch den visuellen Einfallsreichtum seiner WARRIORS-meets-ESCAPE FROM NEW YORK-Pop-Pastiche. Dabei scheitert es nicht an seinen Ambitionen: IL GRANDE RACKET besteht aus etlichen miteinander verbundenen Episoden und führt ebenso viele Charaktere ein, ist also bis zum Bersten mit Handlung vollgestopft und gönnt sich auf dem Weg ins von Kurosawas SHICHININ NO SAMURAI oder Sturges‘ THE MAGNIFICENT SEVEN inspirierte Finale kaum eine Atempause. Eine Actionszene reiht sich an die nächste und der Bodycount ist am Ende des 106-Minüters kaum noch zu zählen. Das Problem: Es berührt einen kaum.

IL GRANDE RACKET ist immens unterhaltsam und temporeich, gut besetzt und gespielt und, wie man es von Castellari zu seiner Hochzeit erwarten kann, kompetent und schwungvoll inszeniert. Das Problem scheint mir vor allem das Script zu sein, das viel zu unfokussiert ist und einem kaum eine Gelegenheit gönnt, sich zum Gezeigten in Beziehung zu setzen. Während es also ständig etwas zu gucken gibt, Protagonist Nico sich nie über Beschäftigungslosigkeit beklagen kann, bleibt der Plot in der gesamten ersten Stunde des Films ohne klar definiertes Ziel. Die Nebenfiguren verschwinden fast ebenso schnell wie sie eingeführt wurden und erst wenn Nico nach rund einer Stunde seine „Posse“ mit ihnen formiert, wird ihre Funktion überhaupt klar. Ein gutes Beispiel ist Rossetti (Orso Maria Guerrini), ein Zivilbürger und Sportschütze, der durch Zufall in einen Shootout zwischen Nico und den Schurken verwickelt wird und ihm mit seiner Waffe zu Hilfe kommt. Die beiden Männer freunden sich an, einig in ihrem Wunsch, die Straßen vom Gesindel zu säubern, doch schon in der nächsten Szene wird Rossetti wieder aus dem Film genommen und es dauert eine gute halbe Stunde, bis zu seinem nächsten Auftritt im Showdown des Films. IL GRANDE RACKET ist maßlos in seiner Anhäufung von Leid und Opfern: In POLIZIA INCRIMINA LA LEGGE ASSOLVE reichte ein Schicksalsschlag, ein Zusammenbruch des Protagonisten, um einen als Zuschauer unrettbar auf seine Seite zu ziehen und für das Großreinemachen einzunorden, hier stellt sich diese Wirkung nicht ein, weil gar keine Zeit bleibt, die Dinge sinken und wirken zu lassen. Das eine Unglück ist kaum vorbei, da bahnt sich schon das nächste an.

Wenn diese Methode sich auch als dramaturgisch kontraproduktiv erweist, so ist sie doch überaus vielsagend: Die mittleren Siebzigerjahre waren in Italien gesellschaftlich überaus turbulent, wirtschaftlich ging es bergab, die Rechte erlebte einen starken Zulauf, das Verbrechen nahm überhand, der „einfache Bürger“ musste anscheinend nicht nur um seinen finanziellen Fortbestand, sondern auch um seine körperliche Unversehrtheit oder gar sein Leben fürchten. Andere Regisseure antworteten auf diesen Notstand, in dem sie einen gutbürgerlichen Amokläufer wie Maurizio Merli in die Schlacht warfen, Castellari zeichnet eben ein Rom, in dem sich die Opfer die Klinke in die Hand geben können. Das Ergebnis ist ähnlich: Man sitzt davor, nicht mehr schockiert, nur noch betäubt von dem Orkan an Niedertracht und Gewalt.

26772Initiiert durch den überraschenden Erfolg von Enzo Castellaris KEOMA, erlebte der Italowestern Mitte der Siebzigerjahre erlebte der Italowestern ein kurzes Revival, zu dem neben Castellaris KEOMA und Sergio Martinos MANNAJA auch Fulcis vorletzter Ausflug ins Genre zu zählen ist (ein paar Jahre später folgte noch der eher zahme SELLA D’ARGENTO). I QUATTRO DELL’APOCALISSE beginnt aber fast schon klassisch mit einem establishing shot, der das geschäftige Treiben in einer typischen Westernstadt zeigt, mit einfahrenden Kutschen und die Straße überquerenden Damen in feinen Ausgehkleidern. Lediglich ein Voice-over-Narrator kündigt an, dass das sich darbietende Idyll ein trügerisches ist: Der Sheriff der Stadt (Donal O’Brien) hat allem unliebsamen Gesindel den Kampf angesagt, und so landet der Falschspieler Stubby Preston (Fabio Testi) gleich nach der Ankunft in einer Zelle, die er mit der schwangeren Prostituierten Bunny (Lynne Frederick), dem Säufer Clem (Michael J. Pollard) und dem schwarzen simpleton Bud (Harry Baird) teilen darf. Die vier vom Schicksal Gebeutelten machen das Beste aus ihrer misslichen Lage und werden im Zuge einer kurzen Nacht zu Freunden. Dass sie mit ihrer Inhaftierung Glück im Unglück hatten, zeigt sich am nächsten Morgen, als sie erkennen, dass die Stadt in der Nacht Schauplatz eines wahren Massakers war. Weil es keinen Grund mehr gibt, die Vier festzuhalten, knöpft der Sheriff ihnen das letzte Geld ab, vermacht ihnen eine schäbige Kutsche und schickt sie auf die Reise. Im hoffnungsvoll benannten Sun City wollen sie ein besseres Leben beginnen, doch sie werden nie dort ankommen, denn es stellt sich ihnen Chaco (Tomas Milian) in den Weg, selbst Opfer von Gewalt, der nun erbarmungslos gegen alles und jeden zurückschlägt …

I QUATTRO DELL’APOCALISSE offenbart seinen biblischen Charakter schon im Titel, der sich natürlich auf die vier apokalyptischen Reiter bezieht, von denen in der Offenbarung des Johannes die Rede ist und die dort als Sendboten des jüngsten Gerichts fungieren. Dieses jüngste Gericht ist in Fulcis Film bereits in vollem Gange: Menschen werden grundlos abgeschlachtet, ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht, sintflutartige Regengüsse gehen auf die Erde hernieder und in einem verschneiten Bergdorf wartet die nur noch aus Männern bestehende Bevölkerung auf das unausweichliche Ende. Die vier Protagonisten sind aber keineswegs diejenigen, die Tod und Verderben bringen, vielmehr hilflose Zeugen eines Untergangs, der ihnen auf Schritt und Tritt folgt oder nur kurz vor ihnen seine Schneise der Verwüstung zieht. Mehr oder weniger passiv beschreiten Stubby und seine Gefährten ihren Weg, der in eine zunehmend desolatere Ödnis führt, nicht in das gelobte Land namens Sun City, sondern immer tiefer in die Verzweiflung, bis am Ende ein neues Leben das Licht der Welt erblickt und einen kleinen Hoffnungsschimmer mit sich führen darf. Mehr als einmal fühlte ich mich während I QUATTRO DELL’APOCALISSE an Fulcis apokalyptischen Horrorfilm L’ALDILA erinnert, der eine Art fantastisch-metaphysischer Variante derselben Geschichte ist: Ein Mann und eine Frau stemmen sich dem unabwendbaren Einbruch des Wahnsinn entgegen, nur um am Ende von diesem geschluckt zu werden und sich im wasteland der Ratio wiederzufinden. APOCALISSE bleibt im Unterschied zum Zombieklassiker mit einem Bein im irdischen Hier und Jetzt und lässt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zumindest für einen seiner Charaktere bestehen, aber die Parallelen sind trotzdem unverkennbar.

Ich hatte Fulcis Spätwestern jetzt schon etliche Jahre nicht mehr gesehen und war überrascht, welch ruhige Gangart er einschlägt, ohne die Handschrift des Meisters dabei jedoch zu verleugnen. I QUATTRO DELL’APOCALISSE wirkt schon wie ein frühes Resümee, ein Abschiedsfilm, ohne Groll und Zorn, durchaus auf einer Note der Versöhnung schließend, aber doch wie das Werk eines Mannes, der sich keine großen Illusionen über das Wesen des Menschen und den Zustand der Erde mehr macht. Der folkige Score, dessen melancholischen Songs an Simon & Garfunkel denken lassen, unterstreicht noch den Eindruck, dass I QUATTRO DELL’APOCALISSE so etwas wie der Hangover nach dem Rausch der Sechziger mit seiner Utopie einer in Liebe und Frieden vereinten Welt ist. Auch Milians Aussage, seinen Chaco nach dem Vorbild Charles Mansons modelliert zu haben, passt dazu. Trotzdem ist Fulcis Film niemals kalt, im Gegenteil: Das Schicksal von Stubby und Bunny lässt wohl nur den Abgebrühtesten kalt und wenn die Männer am Ende voller Freude der Aufgabe entgegensehen, ein Baby aufziehen zu dürfen, ist das geradezu herzzerreißend schön. Ein toller, absolut ungewöhnlicher Film und ein weiterer Beleg dafür, was für ein herausragender Filmemacher Lucio Fulci war.

 

 

 

Ich wusste gar nicht mehr, wie toll dieser Film des Ausnahmeregisseurs Sergio Sollima ist. Die deutsche DVD, die dieser Tage erschienen ist, hat mich wieder daran erinnert. Oliver Reed ist brillant, Fabio Testi schafft das Unglaubliche und hält mit. Auf Hard Sensations habe ich eine Rezension geschrieben, die ihr hier lesen könnt. Und danach kauft ihr euch die Scheibe, bitte. Ihr werdet es nicht bereuen.

Beim Tête-à-Tête mit ihrem Lehrer Prof. Rosseni (Fabio Testi) beobachtet die Schülerin Elizabeth (Cristina Galbó) den Mord an einer Klassenkameradin. Weitere Morde an Schulmädchen folgen. Rosseni begibt sich selbst auf Spurensuche und bietet sich damit nicht nur  dem ermittelnden Scotland-Yard-Inspector Barth (Joachim Fuchsberger) als Tatverdächtiger an, er riskiert auch, dass seine Ehefrau, die Deutschlehrerin Herta (Karin Baal) von seiner Affäre erfährt …

Die geistige Verwandtschaft italienischer Giallos mit den bundesdeutschen Mysterykrimis der Edgar-Wallace-Reihe ist längst nicht nur produktionstechnischen Überschneidungen geschuldet. In beiden Genres wurde der eher bürokratische Aspekt von kriminalistischer Arbeit zugunsten der Darstellung garstiger Gräueltaten, der Betonung menschlicher Abgründe und der Anknüpfung an gothische Schauerwelten vernachlässigt, wenn nicht gar ganz verworfen. Die Filme, die dabei entstanden, hatten eher selten etwas mit der Realität zu tun, entsprachen eher dem Wunsch des Publikums nach Sex and Crime. COSA AVETE FATTO A SOLANGE?, der unter dem Titel DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL als später Beitrag zur deutschen Erfolgsreihe entstand, ist sowas wie der direkte Kreuzungspunkt beider Genres, aber eigentlich viel zu seriös, ambitioniert und stilvoll, um ihnen einverleibt zu werden. Der Fan der staubigen Edgar-Wallace-Filme, die immer wieder mit augenrollenden Psychopathen, nebligen Londoner Seitenstraßen und nervigen Comic Reliefs aufwarteten, wird von Regisseur Massimo Dallamano allenfalls noch mit der Anwesenheit Joachim Fuchsbergers und den Grundzügen des Plots angesprochen, dürfte von der recht ernsten und düsteren Geschichte um eine Abtreibung und ihre tragischen Folgen dann aber nur noch wenig anzufangen wissen. (Behaupte ich jetzt mal, denn die Verbindung zur Erfolgsreihe bleibt einem als Zuschauer der englischen Synchronfassung weitestgehend verborgen.) Aber auch der Vergleich mit den ihm vielleicht näher stehenden Giallos, wie sie in überwiegend in Südeuropa entstanden, hinkt, selbst wenn er die wichtigsten Zutaten mit diesen teilt: eine rätselhafte Mordserie eines wenig zimperlichen Mörders, die von einem eifrigen Kriminalisten und einem selbst unter Verdacht stehenden Zivilbürger aufgeklärt werden muss, und eine Handlungsentwicklung, die immer wieder durch die Unzuverlässigkeit der Wahrnehmung ihrer Protagonisten beeinflusst wird.

Massimo Dallamano, dem für die Kameraarbeit für Leones PER UN PUGNO DI DOLLARI und PER QUALCHE DOLLARO IN PIÙ ein Platz in der Filmgeschichte sicher ist und dessen spätere Regielaufbahn leider durch einen tödlichen Autounfall jäh beendet wurde, erzählt sein Geschichte mit traumwandlerischer Sicherheit, unterstützt durch die famose Kameraarbeit Aristode Massaccesis (deren Qualität in keinem Verhältnis zu seinen streitbaren inszenatorischen Fähigkeiten steht) und einen wie immer albtraumhaft schönen Score von Ennio Morricone: Allein der kurze Moment, indem seine dissonant-sirenenhaft wimmernden Streicher für einen kurzen Augenblick tatsächlich mit der diegetischen Sirene eines Notarztwagens verschmelzen, lohnt schon das Ansehen. Was COSA AVETE FATTO A SOLANGE? jedoch am meisten auszeichnet: Bei aller Zielorientierung, die einen Krimi nun einmal prägt, überieht Dallamano nie, dass diesem singulären Verbrechen gesamtgesellschaftliche Tendenzen zugrunde liegen, die mit der Aufklärung eines Falls längst noch nicht behoben sind. Zwischen Eltern- und Kindergeneration klafft ein tiefer Graben, in ihrem fortgeschrittenen sexuellen Selbstverständnis finden die Teeniemädchen keinen Orientierungspunkt mehr, sind gänzlich auf sich allein gestellt und die Erwachsenen scheinen sich um ein Verständnis dieser neuen Probleme ihrer Kinder gar nicht zu bemühen. Wie verfahren die Situation ist, erkennt man daran, dass den Mädchen ausgerechnet der kirchliche Beichtstuhl als Rückzugsort einfällt: Das kann ja nur böse enden. Und auch der Held des Films, der schöne Prof. Rosseni, ist wenn schon nicht direkt, so doch mindestens indirekt an den Problemen beteiligt, wenn er sich als verheirateter Mann – noch dazu als Lehrer! – mit einer 18-Jährigen einlässt.

Dallamano löst alle unterschwellig brodelnden Konflikte niemals auf: Wenn auch Rossenis Geliebte dem Mörder zum Opfer fällt, sich später dann aber herausstellt, dass diese noch Jungfrau war, nehmen er und seine Gattin das Eheleben fast erleichtert und in dem Bemühen wieder auf, so zu tun, als sei nichts gewesen. Doch ihre gemeinsamen Szenen sind ab diesem Zeitpunkt noch um ein Vielfaches unangenehmer als vorher, wo sie einen unbeholfenen Eiertanz aufführten, um das heikle Thema „Ehebruch“ bloß nicht ansprechen zu müssen. Mit sichtbarer Abscheu voreinander oder schmerzhaft anzusehender Selbstverleugnung tauschen sie banale Freundlich- und Zärtlichkeiten aus, anstatt die offene Aussprache zu suchen. Diese Gesellschaft, so versteht man, ist perfekt darin, Probleme zu leugnen, sich selbst zu belügen und heile Welt vorzugaukeln. Zurück bleiben Leichen und zerstörte Seelen wie Solange. Was hat man ihr bloß angetan?

syndikat_des_grauens_dasNeapel: Luca Di Angelo (Fabio Testi), dem erweiterten Kreis der Mafia zugehörig, verdient sich seine Brötchen mit dem Schmuggeln, meist von Zigaretten – ein Beruf, der ihm und seiner Familie einigen Wohlstand beschert hat, aber vor allem aus der Armut der neapolitanischen Bevölkerung heraus geboren ist. Als Lucas Bruder Micky (Enrico Maisto) erschossen wird, vermutet er zunächst den Lokalrivalen Scherino (Ferdinando Murolo) hinter der Tat, doch bald stellt sich heraus, dass die Bedrohung von außerhalb kommt: Der Marsigliese (Marcel Bozzuffi) will Neapel an sich reißen, um die Stadt mit seinen Drogen zu überfluten, und dabei sind ihm die konservativen Kräfte der Stadt im Weg …

Lucio Fulci hat in rund 30 Jahren mehr als 50 Filme gedreht, in der kollektiven Erinnerung wird er wahrscheinlich für einen Bruchteil seines Schaffens bleiben: seine Zombie- und Splatterfilme, vielleicht einige seiner Italowestern. Dass LUCA IL CONTRABBANDIERE auch zu jenem erlauchten Kreis gehört, kann man vor allem an einem Begriff festmachen: Bunsenbrenner. Die Szene, in der der Marsigliese einer Frau, die ihn betrügen will, mit eben jenem Gerät zu Leibe oder vielmehr zu Gesichte rückt, bleibt nachhaltig im Gedächtnis und wirkt auf den gesamten Film zurück, der dadurch eine Schärfe und Drastik erhält, die der merkwürdig lax erzählte Film sonst kaum aufwiese. Aber auch das kennt man ja von Fulci, dessen Splatterepen sich aller grafischen Härte zum Totz vor allem über eine traumgleiche, ätherische Qualität definieren, die es dem Zuschauer nahezu unmöglich macht, das Gesehene im Anschluss kohärent wiederzugeben. Was an ZOMBI 2, PAURA NELLA CITTÀ DEI MORTI VIVENTI oder L’ALDILÀ wortwörtlich greifbar ist, sind seine spektakulär blutigen (oder einfach nur durchgeknallten) Set Pieces: Haifischzombie, Augensplitter, Gedärmekotzen, Hirnquetschen, Spinnenattacke, Säuregesicht – alles andere ist menschlicher Logik enthobener Rausch, der Triumph der Akausalität, der sich dem sprachlichen Zugriff konsequent widersetzt. (Meines Erachtens nach übrigens noch mehr als bei Argento, dessen Bilder sich ja immer in den Kontext der Kunstgeschichte eingliedern, sich also rational begreifen lassen.)

Und diese Eigenschaft macht dann auch LUCA IL CONTRABBANDIERE, der unmittelbar auf den phänomenalen Erfolg von ZOMBI 2 folgte, zu etwas Besonderem: Nicht, dass der Gangster- oder Mafiafilm nicht schon vorher über seine dem Sujet geschuldeten Härten verfügt hätte, aber wie Fulci seinen Film etwa ab der Hälfte immer wieder heftig Richtung Splatterfilm kippen lässt, ist schon beachtlich. Es lässt sich nicht genau sagen, ob Fulci seiner Gangwar-Geschichte über diese Szenen die Schärfe und Dringlichkeit einimpfen wollte, die der Film sonst vermissen lässt, oder ob der Rückgriff auf diese Splattereffekte aus kommerziellen Erwägungen erfolgte und eine funktionierende Struktur aufweichte.  Die strukturellen wie auch dramaturgischen Mängel des Films sind jedenfalls offenkundig: Es gibt zu viele handelnde Personen, die fremd bleiben müssen und deren Ableben demzufolge keinerlei Spuren hinterlässt, und in der für diese Art von Geschichten so wichtigen Inszenierung des Raumes bzw. der Stadt Neapel (als gesellschaftlichem Raum) muss man Fulci fast Versagen attestieren: Es gelingt ihm einfach nicht, das Bild einer verschworenen Gemeinschaft zu malen, in die jemand mit aller Macht eindringen will, um sie zu zerstören. (Es gibt etwa kaum Establishing Shots der Stadt, nie hat man das Gefühl, als Zuschauer einen „Überblick“ zu haben.)

Was sich wie ein Verriss anhört, soll keiner sein: LUCA IL CONTRABANDDIERE ist ein merkwürdiger Grenzgänger, ein Film, der einerseits noch vom Spirit des italienischen Polizei- und Gangsterfilms der Siebzigerjahre beseelt ist, aber bereits zu neuen Mitteln greift. Jede blutreich zelebrierte Exekution zerreißt den bekannten Flow, strebt die Emanzipation vom Ganzen an und fragmentiert den Film schließlich in einen „klassisch“ erzählerischen Teil und viele kleine geschmacklose Vignetten, die sich unweigerlich ins Gedächtnis brennen. Ja, das könnte man Dekonstruktion nennen.

EDIT: Ich habe den Film noch einmal gesehen, im Kino, und bin zu einem gänzlich anderen Ergebnis gekommen als hier. Bitte also auch diesen Text lesen!