das ende

Veröffentlicht: November 9, 2020 in Film

Ich habe es gestern schon auf Social Media mitgeteilt, nun auch hier, an „offizieller“ Stelle: Ich werde dieses Blog nicht weiterführen. Dies hier wird mein letzter Eintrag sein.

Wer dieses Blog verfolgt, den wird das wahrscheinlich nicht sonderlich überraschen. Bereits vor ein paar Wochen hatte ich hier eine längere Auszeit angekündigt, die Zahl der Texte ist kontinuierlich gesunken, mein letzter Blogeintrag ist vier Wochen alt. Das Bloggen genießt keine Priorität mehr in meinem Leben – und das Filmeschauen auch nicht.

Das war mal anders. 12 Jahre lang – wenn man meine Filmforen-Zeit einrechnet, sogar 16 Jahre lang – habe ich über nahezu jeden Film geschrieben, den ich gesehen habe. Zu Hochzeiten gab es hier mehrere Texte am Tag und Monate mit 50 bis 60 neuen Einträgen. Es gab für mich kaum etwas Wichtigeres, als am Ende des Arbeitstages einen Film zu schauen und anschließend darüber zu schreiben und oft war es tatsächlich so, dass sich meine Filmauswahl danach richtete, worüber ich schreiben wollte. Es steckte viel Ehrgeiz in diesem Blog: Ich wollte der produktivste und beste deutsche Filmblogger sein, verfolgte meine Klickzahlen abwechselnd mit Stolz und Frustration, und genoss es, zu einer „Szene“ zu gehören, in der man mich kannte und mein Wort etwas zählte. Klar: Die Eitelkeit gehörte immer dazu.

Davon ist derzeit nicht mehr viel übrig. Mein Filmkonsum ist extrem gesunken – und ich vermisse erstaunlicherweise nichts. Weder das Schauen selbst noch das Schreiben darüber. Ich spüre nicht mehr das dringende Bedürfnis, meine Eindrücke mitzuteilen. Und ich möchte auch nicht mehr unbedingt zu dieser „Szene“ gehören, nur um alle 12 Monate wieder über Früh- und Spätwerk von Argento streiten oder die neue ultimative Bluray-Edition von DAWN OF THE DEAD feiern zu müssen. Die Diskussion über Filme langweilt mich mittlerweile – manchmal nervt sie mich sogar. Dass sich Überbieten-wollen mit Superlativen, dass Auftrumpfen mit Minderheitenmeinungen, das Ausgraben der noch rareren Perle, die man kennen muss. Es ist auf Dauer ganz schön anstrengend, diesen Habitus aufrechtzuerhalten – und ganz ehrlich: Es sind eben doch nur Filme. Und Meinungen. Nichts davon ist wirklich wichtig.

Ich überlege noch, was ich mit der gewonnenen Zeit anstellen soll. Aber ich habe keine Eile. Das Schreiben wird immer Teil meines Lebens sein und glücklicherweise ist es sogar Teil meines Berufs. Ich werde weiter Booklets und die Kolumne für das 35mm-Magazin schreiben. Gern würde ich mal wieder einen Audiokommentar aufnehmen. Ich bin nicht ganz weg. Vielleicht kommt auch irgendwann der Film, bei dem ich wieder das dringende Bedürfnis verspüre, mich dazu zu äußern. Dann werde ich das tun. Aber das Filmtagebuch, so wie ich es so viele Jahre lang geführt habe, wird es nicht mehr geben.

Ich danke euch, dass ihr hier mitgelesen, kommentiert und mich verlinkt habt. Das Archiv hier wird bestehen bleiben, ich schätze, das bietet Lesestoff für die nächsten Jahre.

Macht’s gut!

the fanatic (fred durst, usa 2019)

Veröffentlicht: Oktober 8, 2020 in Film

Schon sein Name lässt auf einen Trottel schließen: Damit aber gar kein Zweifel aufkommt, trägt der alterslose Moose (John Travolta) auch noch eine grauenhafte Frisur (kahl rasierte Seiten, Topfschnitt-Pony und Nackenspoiler), einen Rucksack, gruselige Hemden und Shorts. Sein hoppelnder Gang mit den schlaff hängenden Armen und der leiernde Duktus erinnern zudem an einen schüchternen 14-Jährigen, der von gleichaltrigen Jungs regelmäßig verprügelt und von den Mädchen ausgelacht wurde. Wie Moose eigentlich sein Geld verdient, bleibt unklar, denn hauptberuflich ist er Filmfan. Lediglich nachts agiert er als hilfloser Kleinkünstler auf dem Hollywood-Boulevard, aber auch dabei wird ihm vom prolligen Abzocker Todd (Jacob Grodnik) die Show gestohlen. Der Großteil von Moose‘ Zeit geht dafür drauf, Memorabilia im Comicladen zu kaufen, Autogramme zu sammeln und seinem großen Idol, dem zweitklassigen Actionstar Hunter Dunbar (Devon Sawa), nachzustellen. Als seine Zuneigung nicht auf Erwiderung des Schauspielers trifft, knallt bei dem Loser auch noch die letzte Sicherung raus.

Travolta hat sich im Laufe seiner wechselhaften Karriere mehrmals aus den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen, aber bis ein großer Regisseur ihm irgendwann noch einmal einen saftigen Bit Part gibt – so wie es Tarantino damals bereits einmal mit PULP FICTION tat und uns wieder an den einstigen SATURDAY NIGHT FEVER-Star erinnerte -, sieht es so aus, als sei das ehemalige Sexsymbol dazu verdammt, in schäbigen DTV-Vehikeln den Aushilfs-Seagal zu geben oder fragwürdigen Filmen wie THE FANATIC zu unverdienter Aufmerksamkeit zu verhelfen. Der zweite Spielfilm des ehemaligen Limp-Bizkit-Fronthampels beschreitet thematisch kein Neuland, sondern erzählt – wie zuvor etwa Scorsese in THE KING OF COMEDY, Tony Scott in THE FAN, Rob Reiner in der King-Verfilmung MISERY oder natürlich Eckhart Schmidt in DER FAN – vom fehlgeleiteten Fan, der seinem Idol zu nahe kommt und ihn mit seiner unerwiderten Liebe zu vernichten droht. Was THE FANATIC von den genannten Beiträgen unterscheidet, ist die unverhohlene Verachtung seines prominenten Urhebers für den „Fan“, der in seiner Zeichnung mehr als einmal an rassistische Karikaturen erinnert: Es reicht nicht, dass Moose offenkundig geistig zurückgeblieben ist, er muss auch so aussehen und zusätzlich einige weitere besonders abstoßende Verhaltensweisen an den Tag legen. Diese Strategie wirft nicht nur ein schlechtes Licht auf den „Künstler“ Fred Durst, für den Fans offensichtlich das allerletzte Geschmeiß sind, es unterminiert auch jede innere Spannung, die der Film vielleicht aufbauen könnte, raubt ihm dazu die Glaubwürdigkeit und lässt das Finale als billige Rachefantasie eines Halbstarken erscheinen, der im größten Hit seiner nach einem erschlafften Pillermann benannten Combo einst lautstark sang, dass er „alles fürs Bumsen“ tat. (Sollten Dursts Fans besonders lästig und unangenehm gewesen sein, sollte er sich vielleicht an die eigene Nase fassen: Was hat er bei dieser Scheißmusik denn anderes erwartet?)

Damit Moose überhaupt ins Haus des Actionstars gelangen kann, erfindet Dursts Drehbuch (auch das noch!) die knuddelig-brave Paparazzi-Fotografin Leah (Ana Goljah), die aus unerfindlichen Gründen mit Moose befreundet ist und ihre eigene zweifelhafte Karriere damit aufs Spiel setzt, dass sie ihn bei seiner Jagd auf die Stars unterstützt (zu Beginn verschafft sie ihm Eintritt in eine exklusive Bar, in der sie arbeitet). Und auf seine Frage, wie man herausfindet, wo die Stars wohnen, führt sie ihm arglos eine entsprechende App vor, die sie selbst benutzt – und ist dann wenig später erschüttert darüber, dass er sie TATSÄCHLICH dazu verwendet hat, um bei Dunbar einzubrechen. Sie hätte sie ihm ja „nur so“ gezeigt, nicht, damit er sie benutzt. D’uh. Man muss sich über Dursts Menschenbild wundern: Es gibt keine einzige sympathische oder auch nur nachvollziehbar agierende Figur im ganzen Film, jeder hat Dreck am Stecken, ist egoistisch und kaltherzig: Dunbar versetzt seine Ex-Frau und seinen Sohn für eine Autogrammstunde, treibt es mit seiner mexikanischen Haushälterin und hasst seine Fans. Seine Ex-Frau macht ihm eine Riesenszene und holt ihn aus einem bestehenden Engagement, weil er einen Termin hat platzen lassen. Der Straßenkünstler Todd ist ein Bully, der die Menschen um sich herum ausnutzt oder quält, wenn er sie für unterlegen hält. Doch halt, da gibt es doch einen netten Menschen: einen alten Afroamerikaner, der auf Moose‘ Seite steht und eine öffentliche Toilette am Hollywood Boulevard reinigt – leider hatte Morgan Freeman keine Zeit. Was mich wieder zu Travolta führt, der offensichtlich immer noch viel zu viel Zeit hat, obwohl im Monatsrhythmus ein neuer Film von ihm erscheint, von dem man sich wünscht, er wäre lieber nicht entstanden. Seine schauspielerische Leistung ist beachtlich, aber in welchen Dienst stellt er sich hier? Er wirft sich in diesen Schrott, als ginge es darum, einen Oscar zu ergattern, und vergeudet seine Kraft an eine Figur und einen Film, die keinerlei positive Energie verbreiten, nur Hass, Verachtung, Spott, Ekel und Häme. Man nimmt nichts mit aus diesem Film, gewinnt keine Erkenntnis über Fankultur, die Beziehung zwischen Idolen und ihren Anhängern, die Promikultur, das Geschäft mit den Träumen oder auch nur über die Leidenschaft Moose‘. Immerhin weiß man am Ende, dass Durst als Filmemacher genauso unterbelichtet ist wie als Musiker. (Größter Cringe-Moment des Films: Als Hunter in seiner Karre einen Lima-Bizkit-Song anschmeißt und seinem Sohn erzählt, dass das sein shit in den Nineties gewesen sei. Yikes.)

In einer Szene referenziert Filmbuff Moose William Lustigs MANIAC, einen Film, von dem sich Durst offensichtlich beeinflusst sah, als er THE FANATIC erdachte (siehe auch die Rolle von Moose‘ Appartement und seine Freundschaft zu einer Frau). Der selbstbewusste Vergleich gereicht THE FANATIC natürlich nicht zum Vorteil: Ja, Travolta agiert ähnlich aufopferungsvoll wie Joe Spinell und niemand würde behaupten, dass MANIAC ein ausgesprochen positiver Film wäre, aber Lustig ließ seinem Titelhelden die Würde, zeigte dessen Gebrochenheit und vermittelte dem Zuschauer eine Ahnung von den Ursachen seines Wahns. Alles, woran Durst interessiert ist, ist die Bloßstellung eines lächerlichen Freaks. Ätzend.

CONVOI DE FEMMES darf sich ans Revers heften, unter den vielen Schundfilmen, die ich in meinem Leben gesehen habe, nur noch von DIE SEX-SPELUNKE VON BANGKOK übertroffen zu werden, wenn es um schiere schäbige Niedertracht und die Anzahl der Momente geht, in denen man die Hände vor die Augen schlägt und Stoßgebete ge Himmel schickt, dass es doch bald zu Ende sein möge. Aber nicht nur in dieser Hinsicht ist Chevaliers Eurocine-Hobel Exploitation der fragwürdigen Sonderklasse: Die Chuzpe, mit der die Produzenten hier trotz eines Budgets von schätzungsweise 23 Mark 50 und eines Casts aus alkoholkranken Pennbrüdern auf „Historienfilm“ machten, ließ mich mehr als einmal mit offenem Mund auf das Spektakel schauen, das sich da vor mir auf der Leinwand darbot. Damit das „Konzept“ auch nur halbwegs aufging, füllte man den Film zu gut 40 Prozent mit Material aus einem anderen, deutlich aufwändigeren Film auf, der wahrscheinlich ebenfalls der Eurocine-Schmiede entstammte – und möglicherweise back-to-back entstand. Jedenfalls turnt Franco-Regular Paul Muller in beiden herum und schafft es so, dass die Schweißnähte nicht ganz so auffällig sind.

CONVOI DE FEMMES spielt im 18. Jahrhundert, wie uns ein ellenlanger Fließtext zu Beginn erklärt, und handelt von den beiden französischen Frauen Aline (Anne Gladysek) und Nicole (Marianne Rémot), Ehefrau respektive Schwester eines hohe französischen Offiziers, der sich mit einem Schiff auf nach Amerika macht. Kaum ist er fort, werden die beiden Frauen von britischen Soldaten (?) entführt und als künftige Prostituierte in die Neue Welt geschafft (Chevalier lehnt sich an William A. Wellmans Western WESTWARD THE WOMEN an). Der Film entwickelt sich als „Gangrape-Komödie“, die immer mal wieder mit Versatzstücken des Abenteuerfilms auf Länge gebracht wurde und sich am Ende zum Kriegsfilm entwickelt. Das alles wurde gedreht im heimischen Forst, mit erbärmlichen Kostümen und den so typischen viel zu lang gehaltenen Einstellungen, unter anderem immer wieder auf die Ärsche zweier Pferde. Besonders eklig sind die zahlreichen Vergewaltigungs- und Sexszenen, die stets nach demselben Muster ablaufen und selbst vom größten Rapefetischisten unmöglich für anregend oder gar erotisch gehalten werden können. Die deutsche Synchro macht gute Miene zum bösen Spiel und garniert das Treiben mit flotten Sprüchen, damit es nicht ganz so erbärmlich und runterziehend wird. Dafür sorgt auch eine muntere Hure, die ihr trauriges Schicksal mit jeder Menge Humor nimmt: Dass sie da im Tagesrhythmus immer wieder für andere Kerle gegen ihren Willen die Beine breit machen muss, kommentiert sie nur mit „Öfter mal was Neues!“

So abstoßend der Film in seinem Gesamtentwurf und in seinen Sexszenen auch ist: So richtig böse sein kann man ihm nicht, dafür ist das alles viel zu lachhaft. Man begegnet CONVOI DE FEMMES dann eher mit der Nachsicht und dem Mitleid, die man besonders dummen, aber letztlich harmlosen Menschen entgegenbringt. Die Pannen sind wirklich kaum zu zählen: die lachhaften Kostüme und die armseligen Settings sind ja nur die Spitze des Eisbergs. Da gibt es den Trapper mit den albernen Stiefelapplikationen aus Plastik, den die Kamera gleich zweimal dabei einfängt, wie er Äste fürs Lagerfeuer abbricht. Den Wachmann, der seinem Dienst so geschäftig nachgeht, dass er die Frauen, die in zwei Meter Entfernung an ihm vorbeischleicht, gar nicht bemerkt. Den indianischen Späher „Schneller Adler“, einen mitleiderregenden Spargelatarzan, der seinen bedeutungsschwanger eingeleiteten Auftritt nach zwei Minuten Gerenne durchs Birkenwäldchen mit einem Speer im Rücken beendet. Überhaupt die Indianer, die sich die verfilzten Langhaarperücken mit Lumpen auf dem Quadratschädel festbinden müssen, damit sie dort halten. Oder die tolle Szene, in der Aline – die mitten im Film ohne jede Vorwarnung zur Powerfrau mutiert, nachdem sie zuvor lediglich ein Häufchen wimmerndes Elend war – mit dem Zeigefinger den Himmel absucht, um herauszufinden, wo Westen sein könnte. Gekrönt wird das von einer Dialogzeile, mit der der französische General die Ankunft der Prostituierten im Fort kommentiert: „Wichsen ist für alle Männer ab sofort offiziell verboten!“ Man kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.

Ein echtes Wunder ist auch Paul Muller: Der verkörpert in einem Meer aus Tristesse und Inkompetenz nicht nur ein einsames Zeichen der Professionalität, er lässt sich auch zu keiner Sekunde etwas anmerken. Und er muss doch gewusst haben, dass er hier auf einem absoluten Seelenverkäufer angeheuert hatte. Pierre Chevalier war hingegen voll in seinem Element: Dass sich in seiner Filmografie nicht nur eine KARAWANE DER NACKTEN FRAUEN, sondern auch noch ein CONVOI DE FILLES findet, lässt einen echten Überzeugungstäter vermuten.

Die schöne Britin Greta Franklin (Barbara Bouchet) reist nach Venedig, um dort die vakante Sekretärinnenstelle im Haus des Schriftstellers Richard Stuart (Fraley Granger) einzunehmen: Ihre Vorgängerin Sally (Patrizia Viotti) ist unter mysteriösen Umständen verschwunden. Wie sich später herausstellt, ist Greta nicht nur eine ehemalige Kollegin Sallys, sie unterhielt zu der jungen Frau auch eine Art Liebesbeziehung – und sie vermutet, dass diese keineswegs einfach abgereist ist, wie Stuart behauptet, sondern von ihm umgebracht wurde. Der macht sich eh verdächtig: Nicht nur mit den freizügigen Parties, die er gemeinsam mit seiner Gespielin Eleanora (Rosalba Neri) abhält, sondern auch mit seinen Fantasien um den „perfekten Mord“ …

Silvio Amadio, der im Spätherbst seiner Karriere einen zweiten Frühling mit erotischen Filmen um Sofsex-Star Gloria Guida erlebte (siehe QUELLA ETÀ MALIZIOSA oder LA MINORENNE) erlebte, inszenierte mit ALLA RICERCA DEL PIACERE (zu Deutsch etwa: „Auf der Suche nach Vergnügen“) einen Giallo, dessen Verwandtschaft mit den gediegenen Mysterythrillern und klassischen Whodunits allenfalls durch die damals typischen Erotik-Einschübe aufgebrochen wird. Granger ist als amoralischer Mordapologet natürlich mit seinem Auftritt in Hitchcocks STRANGERS ON A TRAIN im Hinterkopf besetzt worden, auch wenn er damals das ahnungslose Opfer gab. (Granger hatte zu jener Zeit ein Refugium in Italien gefund, wie so viele Schauspieler, die in der Heimat auf dem Abstellgleis landet waren, und war unter anderem auch in LO CHIAMAVANO TRINITÀ, Monteros RIVELAZIONI DI UN MANIACO SESSUALE AL CAPO DELLA SQUADRA MOBILE oder natürlich Dallamanos LA POLIZIA CHIEDE AIUTO zu sehen.) Mit den postmodernen Dekonstruktionen, die die „avancierteren“ Giallos, allen voran natürlich die Filme Argentos, damals lancierten, hat ALLA RICERCA DEL PIACERE nicht viel gemeinsam: Schon der Handlungsort Venedig verweist auf die Verankerung im Gothic Thriller, Wasser in allen erdenklichen Formen zieht sich leitmotivisch durch den Film und repräsentiert sowohl Gretas fehlende charakterliche Festigkeit wie es die Flexibilität und Vergänglichkeit moralischer Wertzuschreibungen symbolisiert. 

Amadio geht ein eher gemächliches Tempo, in dem die wenigen Suspense-Szenen schon fast den Charakter von Störfeuern annehmen. Ein bisschen hat mich sein Film an Francos EUGENIE (den mit Christopher Lee) erinnert: Auch hier geht es vor allem darum, dass die junge Frau mit ihrem Engagement bei Stuart und seiner Eleanora plötzlich in eine Welt der entfesselten Leidenschaft und der zügellosen Selbstverwirklichung eintaucht. Aber während Francos philosophische Interessen und seine improvisatorische Neugier ihn davon freimachten, Genremechanismen zu bedienen, bleibt Amadio ihnen letztlich treu. ALLA RICERCA DEL PIACERE kommt über den ästhetisch ansprechenden, aber letztlich „nur“ unterhaltsamen Giallo nicht hinaus. Daran ändert auch die Anwesenheit der beiden Schönheiten Bouchet und Neri nichts, die sich in einer schönen Sexszene in Zeitlupe miteinander vergnügen.  

Der kleine, in einer eingeschlafenen Ehe gefangene Angestellte Fabio Santamaria (Enzo Cerusico) wird bei einem Angelauflug Zeuge eines Mordes: Er ertappt den Universitätsprofessor Ranieri (Riccardo Cucciola) auf frischer Tat, als dieser eine Prostituierte mit einem Knüppel zu Tode prügelt. Panisch ergeift Santamaria die Flucht: Anstatt jedoch die Polizei aufzusuchen und eine Aussage zu machen, verkriecht er sich zu Hause. Schließlich kommt ihm Ranieri zuvor: Der Professor dreht den Spieß um, meldet sich selbst als Zeuge und Santamaria als Mörder. Der in die Enge Getriebene begeht in der Folge einen Fehler nach dem anderen …

Das italienische cinema di dinuncia kritisierte in den späten Sechziger- und Siebzigerjahren den Korruptionsfilz, der in Italien die Verhältnisse zementierte: Mafia, Politik und Wirtschaft hielten zusammen und machten sich auf Kosten der Steuerzahler die Taschen voll. Das Genre brachte einige hoch brisante, intelligente und eiskalte Filme hervor, bevor der ihm inhärente Zorn als Treibstoff für den bauchzentrieren Poliziottesco diente, der die komplexen Betrachtungen auf eine einfache, als reaktionär zu bezeichnende Formel herunterbrach: Die Reichen sind Schweine, die Armen meist die Gelackmeierten. NO IL CASO È FELICEMENTE RISOLTO steht zwischen den Extremen: In seinem ruhigen Spannungsaufbau und dem Druck, den er kontinuierlich erhöht, äußert sich seine Nähe zum intelligenten, reflektierten cinema di dinuncia, aber an der Zahl der Unwahrscheinlichkeiten, die er sich erlaubt, um seine Geschichte zu ihrem bitteren Ende zu bringen, erkennt man den Exploiter, der es mit der Wahl seiner Mittel nicht allzu genau nimmt: Hauptsache er hämmert seine Message ins empörte Volk.

Diese erzählerischen Schwächen betreffen fast allesamt die Charakterzeichnung des Protagonisten, den Enzo Cerusico als etwas selbstgerechten Waschlappen interpretiert. Sein ursprüngliches Vorhaben, den Mord zu melden, scheitert daran, dass er vom Mörder verfolgt wird – sowie an hinzukommenden ungünstigen Umständen. Irgendwann ist der richtige Zeitpunkt einfach vorbei und Santamaria verkriecht sich und ergeht sich in Selbstmitleid. Ich halte das nicht für gänzlich falsch, aber so wie es im Film umgesetzt wird, scheint es mir nur bedingt glaubwürdig. Ein Beispiel: Seinen Versuch, einem Verkehrspolizisten von dem Mord zu berichten, unterbricht Santamaria, weil die Autos hinter ihm zu hupen anfangen. Er reagiert darauf, in dem er einsteigt, von seinem Plan ablässt und schimpfend weiterfährt – obwohl er ja auch sehr bequem auf dem gut erkennbaren Seitenstreifen hätte parken können. Später dann, als Phantombilder und Beschreibungen seines Wagens von ihm kursieren, ergreift er allerhand Maßnahmen um seine Spuren zu vertuschen, die am Ende, wenn er sich schließlich doch bei der Polizei meldet, negativ auf ihn zurückfallen. Warum er nicht die Hilfe eines Anwalts in Anspruch nimmt, bleibt unklar. Ihm muss bewusst sein, wie seine Geschichte auf die Polizeibeamten wirkt. Und Salerno lässt seinen Protagonisten noch zusätzlich dumm aussehen, weil er Cerusico nicht richtig an die Zügel nimmt. Man könnte sagen, dass diese Hauptfigur es dem Drehbuch zu leicht macht: Santamaria ist zu waschlappig, zu dumm, zu wankelmütig, zu gutgläubig, zu weich. Das wird zum Problem für den Film, der Systemkritik üben möchte, dafür aber einen Charakter konstruiert, der nicht in der Lage ist, auch nur zwei Schritte vorauszudenken. Da kann man den Polizisten fast keinen Vorwurf mehr machen.

Richtig stark ist allerdings der Anfang des Films, seine fast gialloeske Inszenierung des Mordes im Schilf und der nächtliche Leichenfund durch die Polizei, bei der das geschundenen Opfer für Sekunden vom Blitzlicht der Fotoapparate aus der Schwärze der Nacht geschält wird. Cucciola ist exzellent als kontrollierter Frauenmörder, Cerusico als nervöser Angsthase gut, aber die Story hätte eben eine Figur mit etwas mehr Rückgrat gebraucht, wie Franco Nero sie in ähnlichen Filmen idealtypisch verkörperte. In einer Nebenrolle tritt außerdem Enrico Maria Salerno als Zeitungsmann auf, der ahnt, dass an der ganzen Geschichte um den sauberen Professor etwas faul ist, ohne dass dieser Subplot wirklich irgendwohin führte. Vielleicht hätte ich mir für eine fairere Beurteilung des Films noch das eigentlich vorgesehene, aber nicht zum Einsatz gekommene Ende anschauen sollen, das auf der schönen Blu-ray von Cinema Obscura enthalten ist. So fand ich den Film lediglich unterhaltsam und handwerklich ordentlich, halte ihn aber keinesfalls für das vergessene Meisterwerk, zu dem er von Teilen der italofixierten Filmschreiberszene gemacht wurde. Aber da habe ich mittlerweile eh oft den EIndruck, dass es mehr ums Prinzip als um eine gerechte Einschätzung geht.

 

Freddie Mercury hatte eine einzigartige, voluminöse und vielseitige Stimme, mit der er sowohl geradlinige Pop- und Rocksongs, Pianoballaden und opernhafte, theatralische Stücke intonieren konnte. Zudem war er „Frontmann“ und Rampensau, dem das Publikum aus der Hand fraß und für den das klischeehafte Wort „charismatisch“ viel zu klein war. Er war Gesicht einer Band, deren Sound bis heute so einflussreich wie unverwechselbar ist, die ein breites stilistisches Spektrum abdeckte und den Spagat zwischen kompositorischem und musikalischem Anspruch und Pop-Appeal meisterhaft schaffte, mit ihrer visuellen Selbstinszenierung zudem ihrer Zeit weit voraus war. (For the record: Ich mag Queen nicht besonders.) Er war außerdem eine Ikone der Schwulenbewegung, versteckte seine sexuellen Vorlieben nicht, sondern rieb sie den Menschen mit seinem Schnurrbart geradezu lustvoll unter die Nase – und er war natürlich das vielleicht prominenteste AIDS-Opfer zu einer Zeit, als die Krankheit noch Angst und Schrecken verbreitet. BOHEMIAN RHAPSODY, inszeniert von Bryan Singer, macht daraus ein Biopic, das um die wirklich spannenden Aspekte seiner Biografie einen unwürdigen Eiertanz vollzieht, jederzeit durchschaubare Formeln aus dem Drehbuch-Lehrgang abspult und die Frage aufwirft, warum man eigentlich die Biografie eines Weltstars benötigt, wenn man am Ende durch Abhaken fauler Plot Points doch nur wieder dieselbe Geschichte erzählt, die auch schon hundert vergleichbare Filme davor erzählt haben.

Klar, das Leben mag die besten Geschichten bereithalten, aber sie sind halt nicht so schön dreiaktig aufbereitet, mit einem sich durchziehenden Leitmotiv, dem großen Konflikt und der Versöhnung rechtzeitig zum dramatischen Happy End. BOHEMIAN RHAPSODY ist nach Lehrbuch gescriptet, sauberes Handwerk, aber leider auch bar jeder Inspiration, die eigentlich das Kerngeschäft eines Films um einen außergewöhnlichen Künstler sein sollte. Freddie ist der Loser mit den Immigranten-Eltern und dem putzigen Überbiss, der jedoch ganz entgegen seinem Aussehen über ein riesiges Selbstbewusstsein und eine Jahrhundertstimme verfügt, mit der er seine Bandkollegen in spe auf dem Parkplatz des schäbigen Schuppens wegbläst, in dem sie eben noch aufgetreten sind. Er hat die Visionen von Rockopern, die Ideen für die spektakulären Outfits, er weiß, wie die Songs und Gitarrensoli klingen müssen, er treibt die Band, die weitestgehend aus langweiligen Spießern besteht, zu Höchstleistungen, und macht sie zu Superstars. Wenn da nur sein ausschweifender Lebensstil nicht wäre: Dann hätte er seine one true love Mary (Lucy Boynton) nicht verloren, die Bandkumpels nicht verprellt, sich nicht mit der Schurkenschwuchtel Paul (Allen Leech) eingelassen und sich auch kein Aids eingefangen. Zum Glück kommt er rechtzeitig zum großen Finale noch zur Besinnung, entschuldigt sich für seine Egotrips und Ausbrüche und entsagt dem wilden Lebenswandel, sonst wäre der Welt der Auftritt bei Band Aid durch die Lappen gegangen und Bob Geldof jede Menge Geld. Denn erst als Queen die Bühne des Wembley Stadiums entern, klingeln die Telefone und die Zuschauer spenden Geld für die dritte Welt. Ich fühlte mich gegen Ende des Films wie bei „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“. Es fehlte eigentlich nur der weggelaufene Hund, der dann an Heiligabend von einem freundlichen Unbekannten unerwartet wieder zurück gebracht wird.

Auch Oberhack Bryan Singer kann BOHEMIAN RHAPSODY nicht komplett vergeigen, auch wenn er sich alle Mühe gibt: Immer wenn die Songs erklingen, reißt das auch die triste Soap Opera raus, aber es ist schon beeindruckend, wie scheiße ein Film aussehen kann, der sich um eine der visuell aufregendsten Bands des letzten Jahrhunderts rankt. Selbst bei Szenen in Londoner Vororten hat man den Eindruck, da wäre der Greenscreen aufgebaut worden, und so gut die Bandmitglieder auch gecastet sind, der Film wirkt einfach wie lustiger Mummenschanz auf Omas Dachboden. Rami Malek, den ich mir in der Hauptrolle ehrlich zugegeben gar nicht vorstellen konnte, gibt eine überzeugende Vorstellung, aber sein Kampf mit der Zahnprothese erinnert trotzdem mehr als einmal an den seligen Dieter Krebs oder Loriot – und mal ganz davon abgesehen muss ich einfach noch einmal festhalten: Wenn sich Film darauf beschränkt, Wirklichkeit imitieren zu wollen, ist irgendwas schiefgegangen. Den Film in einer rund 15-minütigen Simulation des Live-Aid-Gigs enden zu lassen, ist eine kreative Bankrotterklärung, ganz egal, wie authentisch das Original da nachgestellt wurde.

Das größte Ärgernis sind aber die schon angesprochenen Verrenkungen, die BOHEMIAN RHAPSODY vollführt, um sich bloß nicht zu sehr mit Mercurys Sexualität beschäftigen zu müssen. Die eine jugendfreie Sexszene des Films hat Mercury mit seiner Gattin, und auch sonst wird seine Homosexualität behandelt wie eine ärgerliche Laune des Schicksals, ein Laster, dem der Mann einfach nicht entsagen kann. Sein Freund Paul übernimmt die Rolle eines manipulierenden, die Band entzweienden und Mercury weiter in die gayness treibenden Schurken und wird bar jeder positiven Eigenschaften gezeichnet. Jim Hutton (Aaron McCusker), Mercurys langjähriger Lebensgefährte, ist dagegen ein braver, etwas biederer Gentleman, der mit dem Star wahrscheinlich eine rein platonische Beziehung eingeht. Das Drehbuch arrangiert sich mit Mercurys Sexulität ungefähr so wie dessen Filmeltern. Sie nehmen es hin. Es ist halt ihr Sohn und Hauptsache, er ist glücklich. Es ist traurig, das mitansehen zu müssen.

 


 

Ein photogeshoppter Nicolas Cage vor Stockfoto-Collage auf einer DTV-Premiere, daneben ein aufgeblähter Laurence Fishburne, dessen Gesichtsausdruck „Paycheck“ sagt: Man kann nicht behaupten, dass die Erwartungen durch die Decke gingen, wenn man RUNNING WITH THE DEVIL in den Player wirft. Und er ist auch irgendwie typische Media-Markt-Wühltisch-Ware: Irgendwie seltsam anonym, unpersönlich, ziellos und unfertig, aber dann auch nicht ganz ohne Charme. Hinter seinem unspektakulär-routinierten Professionalismus verbergen sich ein paar gute Ideen und die Abgründe der Sparte, die manchmal den Eindruck erweckt, als bestünde sie nur aus zusammengeklebtem Schnittmüll mit Stand-ins abgetakelter Stars, werden ebenfalls vermieden.

Nicolas Cage ist „The Cook“, ein liebender Familienvater und Betreiber eines Familienrestaurants in Seattle, in dessen Küche er höchstselbst den Kochlöffel schwingt und Pizzateig knetet. Aber er hat noch eine zweite Identität: Für „The Boss“ (Barry Pepper) fungiert er in großem Stil als Drogendealer. Das Business läuft so gut, dass er mit dem operativen Geschäft eigentlich nichts mehr zu tun hat, es sei denn, etwas geht schief, so wie am Anfang von RUNNING WITH THE DEVIL: Ware wird abgezweigt, verschnitten und führt so zu mehreren Drogentoten. Betroffen ist unter anderem die DEA-Beamtin „Agent in Charge“, deren Schwester an einer Überdosis stirbt und die deshalb Jagd auf die Urheber macht. Ein armseliger Kleindealer (Adam Goldberg) wird zu „The Snitch“ und führt sie auf die richtige Spur, derweil „The Cook“ und „The Man“ (Laurence Fishburne) sich nach Kolumbien begeben, um die Spur des Stoffs nachzuvollziehen und herauszufinden, wo die Lücke ist.

RUNNING WITH THE DEVIL ist in seiner ganzen Anlage irgendwie rätselhaft: Für einen DTV-Film ist er erstaunlich ambitioniert und aufwändig, orientiert sich inhaltlich etwas an Soderberghs TRAFFIC und nutzt seine Crime-Story wie dieser, um die wirtschaftlichen Verstrickungen hinter dem Drogengeschäft bloßzulegen, andererseits greift er dabei auf Stilmittel zurück, die diese Ambitionen krass unterwandern. Die Masche, den handelnden Figuren keine Namen zu geben, sondern sie nur nach ihrer Funktion zu benennen und diese Bezeichnungen dann in Freeze Frames reinzustempeln, ist schon vor gut 20 Jahren zum Klischee geronnen, wie auch der ebenfalls in PULP FICTION popularisierte „Gag“, nervige Nebenfiguren zum Opfer plötzlicher Gewaltausbrüche werden zu lassen. Cabell scheint nicht so recht zu wissen, was er wollte – oder aber man drehte seinen Film in der Postproduktion auf links: ernstes Thrillerkino mit quasidokumentarischen Untertönen oder grelle Gewaltkomödie? Diese eigentlich unvereinbaren Ansätze unter einen Hut zu bringe, wäre auch für das größte Regiegenie eine Herausforderung gewesen, ein unbeschriebenes Blatt wie Cabell ist damit hoffnungslos überfordert.

Aber auch wenn RUNNING WITH THE DEVIL gnadenlos uneinheitlich ist und am Ende die Antwort auf die Frage „Was soll das eigentlich?“ schuldig bleibt, so gelingt es ihm immerhin, das Interesse über die Laufzeit von 100 Minuten wachzuhalten. Langweilig ist der Film nicht, es ist immer was los und worauf das alles hinausläuft, lässt sich kaum antizipieren. Bezeichnenderweise ging er noch gut 20 Minuten lang, als ich dachte, dass er jetzt zu Ende sei. Richtig schön fand ich die Szenen um das einfache kolumbianische Ehepaar, das in den Bergen des Landes eine kleine Cocaplantage hat und am bescheidenen Anfang einer Verwertungskette steht, an deren Ende Millionen verdient werden. Da ermöglicht der Film dann tatsächlich Einsichten, die er mit seiner schwarzhumorigen Klischeehuberei ansonsten eher verbaut. Kann man sich durchaus mal angucken, wenn auch nur, um die DAZED & CONFUSED-Homies Hauser und Goldberg mal wieder zu sehen.

 

VIDEODROME zwingt den Betrachter fast dazu, ihn zu decodieren – zumindest legt er ihm diese Rezeptionshaltung sehr nahe. Nicht nur, um intradiegetische Realität von den Halluzination unterscheiden zu können, denen der Protagonist, TV-Senderchef Max Renn (James Woods) im Laufe des Films immer häufiger erliegt, sondern auch, um zu verstehen, was Regisseur Cronenberg eigentlich sagen möchte. VIDEODROME ist weniger ein handlungs- denn ein ideengetriebener Film, dessen Plot umso rätselhafter wird, je weiter er voranschreitet. Es geht um Snuff, Porno und Gewalt im Fernsehen, um das neue Medium Video, darum, wie der Mensch nach dem Verbotenen strebt und sich mit dem Fernsehen neue Möglichkeiten bieten, ihn dieses Bedürfnis zu erfüllen, um den Raum, den das TV-Gerät im Leben einnimmt und dabei Veränderungen bewirkt: psychisch, aber auch physisch. Es liegt nahe, Cronenbergs Film mit dem Begriff der „Medienkritik“ zu Leibe zu rücken: Die Welt, die er zeichnet, ist keine schöne und die Bilder, die sich Renn auf der Jagd nach dem neuesten Kick zu Gemüte führt, verursachen erhebliche Schäden. Viele Texte, die man zu VIDEODROME findet, handeln von Cronenbergs angeblicher Kritik an kommerziellem Fernsehen und Videos: davon wie der Kanadier Gewalt und Pornografie verurteilt, wie er eine Welt antizipiert, in der wir alle TV-Junkies sind, abhängig vom nächsten Fix, der natürlich stärker sein muss als der vorangegangene. Aber ich glaube, dass man dem Film damit nicht gerecht wird. Erstens weil Cronenberg sich selbst mit Horrorfilmen einen Namen machte und eher nicht dem Kreis medienverurteilender Moralapostel angehört, zweitens, weil die Welt, die er zeichnet, viel zu komplex ist für einfache Gut-Böse-Schemata. Und medial aufbereitete Gewalt und Pornografie natürlich viel zu interessant, um sie rundheraus zu verdammen. Was auch VIDEODROME belegt.

Max Renn betreibt also den kleinen privaten Fernsehsender Civic-TV. Um mit den Großen konkurrieren zu können, muss er seinen Zuschauern für kleines Geld etwas bieten, was der Wettbewerb nicht im Angebot hat: Sex und Gewalt sind die Marktlücke, in die er vorstößt, je abseitiger und perverser, umso besser. Sein Techniker Harlan (Peter Dvorsky) macht nichts anderes, als Fernsehsignale aus aller Welt aufzufangen und die nächste große Sensation für Renn zu suchen. Er findet sie in einem Programm namens „Videodrome“: billig produzierte, aber immens reale und verstörende Folter- und Mordszenarios ohne jede Handlung. Renn ist fasziniert und will mehr über das Programm und seine Macher erfahren. Bei seinen Nachforschungen kommt er einer Verschwörung auf die Schliche: Mit dem Programm wird ein Signal versendet, das Gehirntumore und Halluzinationen verursacht. Oder bildet Renn sich das alles nur ein?

Der Schluss, VIDEODROME wende sich gegen mediale Moral- und Sittlichkeitsverstöße liegt zunächst einmal nahe: Max Renn ist ein kapitalistischer Zyniker, der jedem, der seine Werte hinterfragt, antwortet, er reagiere ja nur auf ein bestehendes Bedürfnis. Womit er allerdings Recht hat: Der Mensch, nicht nur in VIDEODROME, ist ein triebgesteuertes Wesen. Die Manipulatoren, denen Renn auf die Schliche zu kommen meint, sind gesichtslose Konzerne, die diese Nachfrage nutzen, um ihre Saat zu streuen. Sex und Gewalt sind das Vehikel für sie und die Menschen werden geradezu abhängig nach dem Stoff, der ihnen dargeboten wird. Die Welt von VIDEODROME wäre wahrscheinlich besser, wenn es das Programm, um das es geht, nicht gäbe. Auf der anderen Seite sind weder die gezeigte Gewalt noch der gezeigte Sex schädlich. Es ist das hinter ihnen versteckte Signal, das körperliche und psychische Reaktionen hervorruft, und für das sie lediglich als attraktives Vehikel dienen. Klar ist aber auch: Die Macht von Fernsehbildern ist groß und es gilt, einen reflektierten Umgang mit ihnen zu erlernen.

VIDEODROME ist ein Paradebeispiel dafür, wie man mit vergleichsweise geringen Mitteln große Wirkung erzielt und was ihn so faszinierend macht ist neben seinem Thema das einzigartige World Building. Dafür braucht Cronenberg keine detaillierten Greenscreen-Backgrounds, keine aufwändigen Sets. Vielmehr spielt VIDEODROME überwiegend in kleinen Innenräumen, die auf eine eher unauffällige, aber sehr effektive Art und Weise designt sind. Renns Appartment etwa ist unaufgeräumt und dunkel, statt Fenstern dienen Glasbausteine neben der Eingangstür als Lichtquelle. Hier lebt ein Nachtmensch, ein Junkie, jemand, der es gewohnt ist, vor dem Fernseher einzuschlafen, der 99 Prozent seines Lebens ausmacht. Das sieht man an dem kurzen Blick auf seine wie ein lästiges Provisorium gestaltete Küche. Wenn sich der Film dann doch einmal nach draußen bewegt, zeigt sich eine Welt, die durch die audiovisuelle Revolution in eine Art Dickens’sche Vormoderne zurückgeworfen wurde: TV-Junkies mit eingefallenen Gesichtern und groben Mänteln stürmen in die kargen Räume der „Cathode Ray Mission“, einer Art Obdachlosenheim, in der es statt Eintopf Fernsehen für die Hungrigen gibt. Skandalöse Fernsehshows werden von dekadenten Geschäftsleuten gedealt wie Opium aus Fernost. Dass VIDEODROME in den kanadischen Metropolen Toronto und Montreal statt in New York oder Los Angeles gedreht wurde, trägt ebenfalls zum Gesamteindruck bei: Cronenbergs erstes echtes Masterpiece ist immer gerade so weit off, dass man die Desorientierung nicht auf eine einzelne Ursache zurückführen kann bzw. dass man gar nicht wirklich merkt, desorientiert zu sein. Aber es ist diese sensible Störung, die das wesentlichste Element des Films ist, indem es dem Regisseur gelingt, den Zustand Renns auf de Zuschauer zu übertragen. Man fragt sich mehrfach, ob man jetzt etwas verpasst habe (etwa weil man kurz eingeschlafen sei), fühlt sich durch die Bilder des Films unangenehm bedrängt, auf eine rätselhafte Art und Weise stimuliert. Zu Cronenbergs hier zum ersten Mal explizierter Philosophie des „Neuen Fleischs“ passt es auch, dass VIDEODROME gleichermaßen Kopffilm wie extrem körperlich ist. Die Szenen um die eingebildete Vagina-artige Öffnung in Renns Bauch lassen sich durchaus als pornografisch beschreiben. Oft möchte man wegschauen, hat das Gefühl, die Bilder kommen einem zu nah, aber wie unter Hypnose schaut man dann doch hin.

Ich denke, dass es das ist, worum es Cronenberg ging: darum, die Kraft des Mediums zu bebildern, das Welten vor einem erschafft und über diesen Prozess Gefühle und körperliche Zustände hervorruft, die echt sind. Ob diese Kraft gut oder böse ist, hängt davon ab, was man mit ihr macht. Allerdings lassen sich diese beiden Seiten auch nicht immer klar voneinander trennen. So bin immer ich auch noch nicht ganz dahinter gekommen, ob VIDEODROME mich nun intelligenter gemacht oder einfach nur extrem verstört hat. Was ich weiß ist, dass seine Kraft unerschöpflich ist. Mit jeder Sichtung trifft er mich wieder bis ins Mark und aktiviert etwas in mir, das ich nicht beschreiben kann. Ist das das Neue Fleisch?

 

Der deutsche Pauschaltourist und Spießer ist seit je her eine beliebte Zielscheibe ätzender Satire und Kabarettisten und Gerhard Polt einer derjenigen, die sich auf diesen Typus – laut, dumm, chauvinistisch, bayrisch und plump – spezialisiert hatten. Unvergessen natürlich sein Fernsehsketch um „Mai-ling“, die asiatische Katalogbraut, die stumm und devot im Kimono neben Polts bayrischem Urviech sitzt, der ihren Fleiß und ihren Gehorsam preist, als handele es sich bei ihr um ein besonders folgsames Haustier. Die dreiköpfige Löffler-Familie aus MAN SPRICHT DEUTSH – Papa Erwin (Gerhard Polt), Mama Irmgard (Gisela Schneeberger) und Sohn Heinz Rüdiger (Thomas Geier) – ist deutlich weniger hassenswert angelegt: Polt, der das Drehbuch zusammen mit Regisseur Müller schrieb, hält sich zwar nicht zurück, was das Bloßstellen deutscher Herablassung angeht, aber letzten Endes sind die Löfflers und ihre deutschen Strandnachbarn ja auch Opfer des tristen Mittelklasse-Daseins mit Bild-Zeitung, Pauschalurlaub an italienischen Albtraum-Stränden und dem Mangel an jedweder Bildung und Kultur. Ein bisschen können sie einem auch leid tun, in ihrer Borniertheit, die ihnen die höheren Weihen des Daseins gnadenlos versperrt, auch wenn sie schrecklich dumm und vulgär sind.

MAN SPRICHT DEUTSH hat keine richtige Handlung, keinen Plot nach klassischem Verständnis: Er spielt während der letzten Urlaubsstunden der Löfflers am Strand des italienischen Touri-Ortes, den sie anscheinend jedes Jahr aufs Neue beehren, und läuft in kleinen Vignetten und Gags ab. Die Familienkutsche steht vollgepackt auf dem Parkplatz und muss bewacht werden, schließlich klauen die Italiener wie die Raben. Wie praktisch, dass in Erwins Blickschneise das vollbusige Fräulein Häberle (Isa Haller) liegt. Gleich nebenan hat es sich das Ehepaar Endress (Siegfried Mahler & Elisabeth Welz) aus dem Frankenland gemütlich gemacht und sogar ein paar Flaschen kühles deutsches Pils dabei, schließlich kann man die italienische Plörre nicht trinken. Gemeinsam bestätigt man sich in seinen Vorurteilen, motzt über die Italiener, lauscht Bayern3 im Radio und ärgert sich über die anderen Urlauber, die die eigene Ruhe empfindlich stören. Ein Dr. Wilms (Michael Gahr) hängt die ganze Zeit am Münzfernsprecher des Strandkiosks und versucht verzweifelt, seine Mutter in Deutschland zu erreichen. Sohn Heinz Rüdiger schleppt ständig irgendwelchen Unrat aus dem Meer an und wird von den Eltern gemaßregelt. Zwischendurch fallen Erwin und Irmgard in kleine Tagträume, die von der Flucht aus ihrem armseligen Leben handeln. Dieter Hildebrandt feiert einen Auftritt als neureicher Immobilienhai Eigenbrodt, der Irmgard in ihrem Traum in seine vor Sicherheitsgimmicks und schrillen Alarmanlagen nur so strotzende Traumvilla entführt. Erwin geht hingegen mit der italienischen Schönheit Violetta (Pamela Prati) in ein Luxusrestaurant, wo er sich darüber beschwert, dass es keine Pizza „mit allem“ gibt, sodass er stattdessen Spaghetti Bolognese bestellt, schließlich ist man ja in Italien. In einem anderen Traum verfolgt er den kleinen Straßenjungen, der von Autodieben als Ablenkung eingesetzt wurde, und wird in den Gassen des Städtchens von aufgebrachten Einwohnenern und den Carabinieri gestellt. Als er aufwacht, händigt ihm der Junge den Autoschlüssel aus, den die Löfflers zuvor verloren hatten. Zwischendurch geht es zum Essen ins Strandlokal „Schwarzwald-Grotte“ und weil es der letzte Tag ist, gönnen die Löfflers sich die Meeresfrüchte-Platte, lässt sie aber wieder zurückgehen, weil ein Hummer dann halt doch keine Schweinshaxe ist.

Müllers Film krankt ein bisschen an seiner Episoden- und Kabaretthaftigkeit. Zur Hochform läuft er immer dann auf, wenn er seinen Karikaturen aufs Maul schaut, die ganze Bräsigkeit ihres Urlaubs abbildet und die kleinen Banalitäten so authentisch einfängt, z. B. wie der präpubertär-ungelenke Heinz Rüdiger sein Eis in den Sand fallen lässt, kaum dass er dessen Papierverpackung abgezogen hat, oder wie er mit Teerflecken an der Babyspeckplauze aus dem Wasser stapft. Unvergessen die Momentaufnahme der an der Kamera vorbeitreibenden Kackwurst oder des Klopapierfetzens, der Erwin nach seinem Tauchgang am Rücken klebt. Die Hauptdarsteller sind allesamt großartig und eigentlich wäre es vollkommen ausreichend, einfach nur 80 bis 90 Minuten lang draufzuhalten aufs biedere Deutschsein. Offensichtlich glaubte man aber nicht, dass das ein über die volle Länge tragfähiges Konzept sei, und erdachte den erzählerischen Kniff mit den Traumsequenzen. Diese bringen den Film aber nicht wirklich weiter. Die verbindende Idee hinter ihnen ist der Wunsch seiner Protagonisten, ihrem jämmerlichen Dasein zu entfliehen, doch ihre Fantasie entpuppt sich immer wieder als noch größerer Albtraum. Diese Strategie trägt sicher dazu bei, die Figuren sympathischer zu machen: Sie haben eine Ahnung davon, dass ihr eigenes Leben flach und armselig ist, sie sind noch nicht vollkommen abgestumpft, auch wenn diese Ahnung bisher noch in ihrem Unterbewusstsein schlummert. Aber erzählerisch bringen diese Episoden nichts und sie unterwandern mit ihrem grellen Witz auch den stumpfen Realismus des Films, der seine wahre Stärke ist.

 

Nach FEMALE PRISONER #701: SCORPION, FEMALE PRISONER 701: JAILHOUSE und FEMALE PRISONER #701: BEAST STABLE markiert FEMALE PRISONER #701: GRUDGE SONG den vierten und letzten Teil der von Regisseur Shunja Itô ins Leben gerufenen Original-Filmreihe. Auf dem Regiestuhl nahm diesmal jedoch nicht mehr Itô Platz, sondern Yasuharu Hasebe, der mit Star Meiko Kaji bereits mehrere Filme der Pinku-Serie NORA-NEKU ROKKU inszeniert hatte, die international unter dem Titel ALLEYCAT ROCK bzw. STRAY CAT ROCK bekannt ist. Berüchtigt ist Hasebe aber vor allem für die Pinkus, die er kurz nach seinem FEMALE PRISONER-Beitrag drehen sollte: Die Pinkus OKASU! (Englisch: RAPE!), BOKO KIRISAKU JAKKU (Englisch: ASSAULT! JACK THE RIPPER) und RAPE! 25-JI BOKAN (Englisch: RAPE! 13TH HOUR) gelten gleichermaßen als Klassiker und derbe Gipfelpunkte des japanischen Filmgenres, das Gewalt und Sex explosiv vereinte. Der Abschluss der FEMALE PRISONER-Serie ist vergleichsweise zahm und kann, wie schon Itôs Vorgänger nicht an die ersten beiden Teile anknüpfen, die sich durch ihre expressive Bildsprache auszeichneten. Wie schon BEAST STABLE ist GRUDGE SONG ein roher, schmutziger Film, der sich im Wesentlichen der Aufgabe verschrieben hat, die Geschichte der schweigsamen Rächerin, Staatsfeindin und Männermörderin Nami Matsushima zum Ende zu bringen. Das gelingt letztlich vor allem deshalb, weil er in der zweiten Hälfte in den Frauenknast zurückkehrt, den die Reihe im zweiten Teil verlassen hatte.

Nami gelingt zunächst die Flucht vor den fanatischen Polizisten, die sie einsperren und der Todesstrafe zuführen wollen, und sie findet Unterschlupf beim Sonderling Kudo (Masakazu Tamura), der in einem Sexclub arbeitet und in einem schäbigen Verschlag haust. Die beiden gehen eine dieser typischen Außenseiter-Freundschaften ein und begehen sogar einen Mord zusammen, wobei es sich eher um einen Unfall handelt. Später wird Kudo geschnappt und er verpfeift Nami, weil er ein Schwächling ist, wofür sie sich später, nachdem sie erneut aus dem Gefängnis ausgebrochen ist, an ihm rächt. Im Knast kommt es zu einer Revolte und einer nächtlichen Schlacht, die Hasebe in einer wunderschönen Studiokulisse samt gemaltem Sonnenuntergang realisiert – hier knüpft der Film dann noch einmal an den visuellen Einfallsreichtum der ersten beiden Teile an.

Insgesamt ist GRUDGE SONG wieder etwas besser als der direkte Vorgänger BEAST STABLE, und wer diesen unverwechselbaren Seventies-Grit sowie japanische Exploitation aus jener Zeit mag, wird mit diesem vierten Teil gewiss seinen Frieden machen, aber die Luft ist dennoch ein bisschen raus. Der Charakter der Nami ist zu eindimensional, um noch ein echtes Interesse hervorzurufen, ihre Entwicklung ist zu diesem Zeitpunkt bereits seit zwei Filmen völlig abgeschlossen und der Film demzufolge wenig mehr als ein routiniertes going through the motions. Das könnte sicher noch deutlich langweiliger ausfallen, aber es ist dann doch ganz gut, dass nach diesem vierten Teil vorerst Schluss war.