Archiv für Februar, 2012

Während Italien von einer rätselhaften Seuche heimgesucht wird, treffen sich bedeutende Gesellschaftsmitglieder aus Politik, Wirtschaft und Finanzwesen – darunter nicht zuletzt der amtierende Präsident M. (Gian Maria Volonté)  – in den unterirdischen Räumen des Klosters San Ignazio di Loyola, wo die Herrschenden sich traditionell seit dem 16. Jahrhundert einmal im Jahr zusammenfinden und unter Aufsicht der Kirche eine Art spiritueller und moralischer Fortbildung erfahren. Doch der verantwortliche Priester Don Gaetano (Marcello Mastroianni) müht sich vergeblich, den selbstsüchtigen, selbstgerechten Haufen zu Demut und Verantwortung zu mahnen: Die von Neid und Gier zerfressenen Heuchler haben nur ihren eigenen Vorteil im Sinn und so beginnt bald das große Sterben und die vergebliche Suche nach Mörder und Motiv …

TODO MODO – Elio Petris vorletzter Film – verbindet Einflüsse aus Politthriller, Satire, Horrorfilm, Giallo, Murder Mystery und Krimi, Sozialdystopie und Science Fiction bzw. Endzeitfilm zu einer höchst ungewöhnlich Mischung und einem schwierigen, aber ungemein beeindruckenden und vor allem bedrückenden Film. In Deutschland wurde TODO MODO gar nicht erst veröffentlicht, wahrscheinlich weil seine politische Kritik zu sehr auf konkrete italienische Verhältnisse und Personen bezogen und demzufolge für deutsche Kinogänger zu unverständlich war, in Italien nur zwei Jahre nach Erscheinen von der Realität eingeholt und in der Folge aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen: Der ehemalige Präsident Aldo Moro, dem der Protagonist M. eindeutig nachempfunden war, wurde 1978 von der „Brigate Rosse“, einer kommunistischen Untergrundorganisation, entführt und wenig später unter bis heute ungeklärten Umständen erschossen. Das Ende von TODO MODO musste rückblickend fast prophetisch erscheinen, sehr zum Nachteil von Petri, dessen bis dahin von zahllosen Erfolgen gesäumte Karriere damit einen unerwarteten Dämpfer erfuhr.

Man darf allerdings vermuten, dass es in Italien vielen Menschen sehr gelegen kam, einen Grund für die Verbannung des Films in die Giftschränke geliefert zu bekommen: Zielte Petri mit seinen Filmen zuvor noch auf anonyme Zustände und Systeme ab, so verleiht er diesen in TODO MODO zum ersten Mal ein Gesicht. Und das ist wenig schmeichelhaft: Die Granden, die sich da versammelt haben, sind allesamt unerträglich bigotte Gestalten, Lügner, Speichellecker und rücksichtslose Profiteure, denen es nicht darum geht, sich fortzubilden, sondern nur darum, möglichst gut wegzukommen. Präsident M. steht ihnen mit seiner servilen, devoten Verweichlichung in nichts nach, predigt mit dem sanften Blick des Büßers Enthaltsamkeit und Demut, während er sich in seiner Kammer an seiner Gattin vergreift, die er hat einschmuggeln lassen. Er ist ein Schwächling, ein willenloser Spielball der Kräfte. Aber auch Don Gaetano hat Dreck am Stecken: Die sich bis zum Ende des Films häufenden Morde haben möglicherweise etwas mit einem seinerseitigen Vergehen zu tun, von dem ein Erpresser Wind bekommen hat; Petri löst das bis zum Ende nicht auf, belässt es bei Andeutungen. Faktisch ist auch er nur ein machtloser Hampel, der aber im Gegensatz zu seinen „Schülern“ zu ahnen scheint, dass die Fortbildung nicht mehr als eine Farce, ein Lippenbekenntnis ist. Seine Mahnungen fallen umso schärfer aus, als er weiß, dass die Anwesenden ihre Zeit nur absitzen, an einer persönlichen Weiterentwicklung gar nicht interessiert sind. Und er ist auch nur eine Spielfigur in diesem Spiel.

Was an TODO MODO sofort heraussticht ist sein klaustrophobisches Setting: Es erinnert mit seinem schmucklosen Beton an eine Tiefgarage oder einen Bunker, nur die vertreut herumstehenden modernen Statuen und die in ihrer Kargheit der Umgebung angemessenen Kreuze, Altäre und Jesusfiguren lassen erkennen, um was für einen Ort es sich handelt. Einzelne grelle Lichtinseln unterbrechen die vorherrschende Dunkelheit und die in das Kloster integrierten Katakomben bieten eine Lesart für die Vorgänge an, die treffender erscheint, je mehr Menschen sterben: An diesem Ort wird die Zivilisation sehenden Auges zu Grabe getragen. Während draußen die Menschen einer mysteriösen Krankheit zum Opfer fallen, zerfleischen sich drinnen die Entscheidungsträger aus purer Eitelkeit und Egoismus. Auch die Kirche gebietet dem keinen Einhalt, ist froh, am Reigen der Mächtigen beteiligt zu sein und bildet sich etwas auf ihren Einfluss ein. Die Musik Morricones – in UN TRANQUILLO POSTO DI CAMPAGNA, INDAGINE SU UN CITTADINO AL DI SOPRA DI OGNI SOSPETTO und LA CLASSE OPERAIA VA IN PARADISO noch mechanisch-rhythmisch bis kakophonisch-dissonant – ist hier kaum noch vernehmbar, nicht mehr als ein beunruhigendes Klimpern und Brummen im Hintergrund, das aber dafür nie ganz zu verstummen scheint und die unangenehme, lebensfeindliche Atmosphäre des Films maßgeblich bestimmt.

Die Schauspieler verzerren ihre Figuren mit Ausnahme von Mastroianni zu grotesken Karikaturen. Volonté liefert einmal mehr eine Jahrhundertvorstellung ab als rückgratloser, von inneren Zwängen bestimmter, weinerlich-weibischer Präsident. Seine körperlichen Deformationen, wenn er dem Lob von Parteigenossen ausweichen will, sich dann doch widerwillig auf den südländischen Bruderkuss einlässt, sind schmerzhaft mitanzusehen. Dann ist TODO MODO bei aller Härte aber auch wieder sehr komisch: Etwa, wenn M. von einem Polizisten aufgefordert wird, zu beschreiben, wo sich wer im Raum zum Zeitpunkt eines Mordes aufgehalten habe, und der an seiner Links-Rechts-Schwäche scheitert, die laut eigenem Bekunden schon für „manches Missverständnis“ während seiner politischen Laufbahn gesorgt habe. Wenn TODO MODO in solchen Momenten eindeutig als politische Satire zu identifizieren ist, so überschreitet er deren enge Grenzen im bizarren Finale, das von der konkreten politischen Situation Italiens wieder auf einer viel allgemeinere, universelle Kritik abhebt. Kafka scheint wie schon bei INDAGINE eine ganz gute Referenz zu sein für das, was Petri in TODO MODO macht. (Weitere Vergleiche, die sich mir aufdrängten, sind sowohl Romeros DAY OF THE DEAD, der mit Petris Film das unteriridische Setting und den Zusammenprall zweier Systeme teilt, und Cormans Poe-Adaption THE MASQUE OF THE RED DEATH, dessen Ausgangssituation der aus TODO MODO sehr ähnlich ist.) Wie dem auch sei: Ein vollkommen einzigartiger Film. Anstrengend und quälend, aber unglaublich reich und faszinierend, schillernd wie ein Edelstein, schroff wie Kubricks Monolith; dass Gesellschaftskritik keineswegs immer nüchtern und banal sein muss, beweist dieser Film.

Wer mehr über TODO MODO erfahren möchte, dem sei der Text von Bretzelburger empfohlen, der über deutlich mehr Hintergrundwissen über die politische Landschaft Italiens zu jener Zeit verfügt als ich und demzufolge noch einiges mehr zu Petris Film zu sagen weiß.

Lulu (Gian Maria Volonté) arbeitet als Akkordarbeiter in einer Fabrik und schuftet sich für ein karges Einkommen den Buckel krumm. Unter seinen Kollegen ist er nicht sonderlich beliebt, weil er mit seinem Ehrgeiz dafür sorgt, dass die Anforderungen der Direktion an die Arbeiter stetig ansteigen. Nachdem Lulu bei einem Arbeitsunfall einen Finger verliert, beginnt er umzudenken und schließt sich den studentischen Protestlern an, die die Fabrik belagern und von den Arbeitern fordern, zu streiken. Doch mit seinem Engagement handelt er sich bloß die Kündigung ein …

Wie der vorangegangene INDAGINE SU UN CITTADINO AL DI SOPRA DI OGNI SOSPETTO wirkt auch LA CLASSE OPERAIA VA IN PARADISO der ungemein harsch: Man fühlt sich danach wie ein geprügelter Hund. Doch während der Vorgänger im Verlauf seiner Spielzeit immer mehr in surreale Sphären entrückte, markiert dieser Film bis zum ernüchternden Finale eine Rückkehr zu Petris neorealistischen Wurzeln. Das Leben des Arbeiters Lulu wird in seiner ganzen tristen Ausweglosigkeit gezeigt: Die bedrückend enge Wohnung, in der Lulu mit seiner Freundin Lidia (Mariangela Melato) und deren Sohn zusammenlebt, ist vollgestellt mit allerlei hässlichem und kitschigem Tand, abends versammelt man sich im Flackern des Fernsehers in der Küche, weil das Wohnzimmer ordentlich bleiben soll für den Besuch, der nie kommt. Im Bett geht abends gar nichts mehr, weil Lulu zu erschöpft ist, und morgens, wenn er Lust verspürt, schläft Lidia noch. Der Weg zur Arbeit, in dem er im Strom der Kollegen versinkt, die wie Schlachtvieh blind geradeaus laufen, wird von den Parolen der kommunistischen Studenten begleitet, die daran erinnern, dass „die Sonne für euch heute nicht scheint“. Und in der Fabrikhalle werden schließlich alle von einer Lautsprecherstimme empfangen, die die Arbeiter dazu ermahnt „ihre Maschine zu lieben“, um den bestmöglichen Ertrag zu liefern – wofür auch immer. Welchem Zweck die Klein- und Kleinstteile dienen, die sie in geisttötender Manier tagein, tagaus, ohne Unterlass und Abwechslung produzieren, das erfahren sie nicht. Kein Wunder, dass Mancher über dieser Arbeit in der Klapsmühle landet, so wie Lulus ehemaliger Kollege Militina (Salvo Randone), ein alter, geistig wie körperlich gebrochener Mann. Das Bittere ist, dass auch das Aufbegehren zur hohlen Geste verkommen ist: Sich den Intellektuellen anzuschließen, die den Arbeitskampf mit aller Konsequenz propagieren, ruft nur die Staatsgewalt auf den Plan, die die Quertreiber rücksichtslos niederknüppelt. Und der Kompromiss, die Verhandlung mit den Arbeitgebern, bringt zwar kosmetische Korrekturen und kurzfritige Verbesserungen, besiegelt aber letztlich nur das Leid der Arbeiter, die das Entgegenkommen dankbar annehmen und sich wieder in die Arbeit stürzen, die sie ruiniert und ihren Vorgesetzten die Taschen vollmacht.

Der nach der gescheiterten Revolution in Ungarn in den Fünfzigerjahren aus der Kommunistischen Partei Italiens ausgetretene Petri macht keinen Hehl aus seiner Verachtung sowohl vor dem kapitalistischen System, das Arbeiter konsequent versklavt, als auch vor dem kaum weniger eigennützigen und vor allem blinden Streben der politischen Aktivisten. Die Studenten haben es leicht, große Reden zu schwingen: Sie sind auf die Arbeit ja nicht angewiesen wie Lulu, der arbeitet wie ein Irrer, nur um ein paar Lira mehr mit nach Hause bringen zu können. Und als er seinen Job verliert, weil er ihre weltfremden Forderungen in die Tat umgesetzt hat, da hilft ihm von denen, die zuvor noch von der Einigkeit der Studenten und Arbeiter gefaselt hatte, plötzlich niemand mehr. Das Ende des Films, ein fiebrige Einstellung, die den wieder eingestellten Lulu mit seinen Kollegen zeigt, die sich an ihren Maschinen in einen wahren Rausch hineinarbeiten, der sie als einziges ihre missliche Lage vergessen lässt, ihn von einem Traum erzählen lässt, in dem er mit den anderen Arbeitern die Mauer zum Paradies eingerissen habe, ist erschütternd: Die Knechtschaft funktioniert so gut, dass die Arbeiter sie schon fast als Belohnung begreifen, obwohl die bittere Wahrheit vor ihren Augen liegt.

Wenn ich zu Beginn geschrieben hatte, LA CLASSE OPERAIA VA IN PARADISO verzichte auf surreale Anwandlungen, dann ist das etwas unpräzise: Petris Einsatz von Bild und Ton steht zwar im Dienste einer möglichst wirksamen Übersetzung der Lebenswirklichkeit ins Medium Film, doch greift er dabei durchaus zu sehr expressiven Stilmitteln: Seinen Stammkameramann Luigi Kuveiller lässt er mit der Kamera teilweise so nah ans Geschehen herangehen, dass die Bilder den Zuschauer fast zu überwältigen drohen, und der Soundtrack von Morricone steigert sich unter dem Einsatz von Maschinengeräuschen zu einer beängstigenden Kakophonie. Der ganze Film ist von einer fast mit den Händen greifbaren Unmittelbarkeit, er entwickelt seine Vision einer gesellschaftlichen Apokalypse mit einer solchen Unausweichlichkeit, dass er einen körperlich beinahe genauso in Mitleidenschaft zieht, wie die Arbeit Lulu und seine Kollegen. Kaum zu überschätzen ist auch die Leistung Gian Maria Volontés, den ich nach seinen Filmen mit Petri als einen der größten und wandelbarsten Schauspieler überhaupt bezeichnen muss: Vergleichbares leistet heute niemand mehr. Nach dem verzärtelten intellektuellen Zauderer in A CIASCUNO IL SUO und dem brutalen Karrieristen und Faschisten in INDAGINE verkörpert er hier den einfältigen, aber gutmütigen Fabrikarbeiter Lulu mit einer Glaubwürdigkeit und körperlichen Präsenz, die Ehrfurcht gebietet. LA CLASSE OPERAIA VA IN PARADISO ist ohne Volonté überhaupt nicht vorstellbar. Kann man einem Schauspeiler ein größeres Lob aussprechen? Für diesen Film gilt mithin wie für die vorangegangenen: ein berauschendes Meisterwerk von einem einzigartigen Regisseur, der dringend eine Wiederentdeckung verdient hat.

Für die Filmgazette habe ich den indischen Independentfilm GANDU rezensiert, der dieser Tage unter dem Titel GANDU – WICHSER auf DVD via Bildstörung erscheint. Nicht hundertprozentig meine Tasse Tee, aber für Freunde des ungewöhnlichen Films definitiv empfehlenswert; nicht zuletzt wiel Bildstörung jede Unterstützung verdient hat. Hier kann man meinen Text lesen.

Für Hard Sensations habe ich mal wieder zwei Vertreter des CGI-Monsterhorrors geschaut und rezensiert: Den TREMORS-Nachklapp MONGOLIAN DEATH WORMS, der kürzlich bei uns als MONSTER WORMS auf DVD erschienen ist, und das von Roger Corman produzierte Sequel zu SUPERGATOR namens DINOCROC VS. SUPERGATOR, das es schon etwas länger bei uns zu kaufen gibt. Hier geht’s lang.

Michael Gold (Brandon Lee) wird vom CIA in einen von den Sowjets geführten fiktiven afrikanischen Staat geschickt, um den dort arbeitenden Wissenschaftler Prof. Braun (Ernest Borgnine) abzuwerben. Zunächst kommt ihm jedoch der Auftraggeber Brauns, der schurkische Eckhard (Werner Pochath), in die Quere und sorgt für Golds Inhaftierung. Der kann zwar fliehen, doch Braun ist erst einmal verschwunden: Gold wird zurückgeschickt und erhält den Auftrag, den Forscher gemeinsam mit Brauns Tochter Alissa (Debi Monahan) ausfindig zu machen …

They don’t make ‚em like this anymore und seriöse Filmfreunde könnten dies ausnahmsweise durchaus als Zeichen einer positiven Entwicklung betrachten. Selbst wenn man wie ich ein problematisches Verhältnis zum Begriff „Trash“ hat, fallen nur wenig Gründe ein, warum man Beau Davis‘ Film nicht mit diesem Label versehen sollte: Die Geschichte ist wirklich haarsträubend blöd und Gleiches gilt für die Dialoge, die deutlichster Ausdruck des gescheiterten Bemühens sind, mit LASER MISSION ein Rundum-Sorglos-Paket in Sachen großes Entertainment beim Zuschauer abzuliefern. Hinter jeder Ecke lauert entweder ein Statist, den es umzunieten gilt, oder aber ein flacher Wortwitz und das Ganze ist filmisch so unbedarft und so sehr in seiner Zeit verhaftet, dass es heute schwerfällt, sich die Welt vorzustellen, in der LASER MISSION produziert werden konnte. Ein Film, der wieder mal auf den bösen Kommies rumhackt, mag zwar ein unpassender Anlass für die Feststellung sein, dass die späten Achtzigerjahre irgendwie eine unschuldigere Zeit waren, aber heute wäre ein solches der Fantasie eines Achtjährigen entsprungenen und mit dessen Gemüt inszenierten Werks absolut undenkbar. Dazu kommen dieser künstliche Look und der Jahrmarktscharakter des Films, dessen Macher sich seiner narrativen und technischen Unzulänglichkeiten offensichtlich völlig unbewusst war: Der Wille zählt. So darf Debi Monahan, die aussieht, als sei sie beim Casting von DREI DAMEN VOM GRILL gegen die attraktivere Brigitte Mira ausgeschieden, hier das heiße Love Interest von Brandon Lee geben, der es zwar wie ein Profi nahm, aber bis zu seinem Tod wahrscheinlich jede Nacht schreiend aus Albträumen erwachte, iund dann dem Himmel auf Knien für seine Hollywoodkarriere dankte, die ihn vor solchen Härtetests bewahrte.

Auch sonst gibt es einiges zu bestaunen, beklatschen und belachen: Der Titelsong namens „Mercenary Man“ ist genau jene Art von AOR-Softrock mit treibendem Beat und Reibeisenstimme, die ich heute schmerzlich vermisse, der afrikanische Staat gönnt sich neben den sowjetrussischen Besatzern die Amtssprache Spanisch (?) und die obligatorische Liebesszene zwischen den Protagonisten wird erzählerisch sinnvoll direkt nach einem tagelangen Fußmarsch durch die Wüste platziert. Die Comic Reliefs Pierre Knoessen und Maureen Lahoud sind besonders sinnlos und unwitzig, dafür rührt das Finale, in dem alle nochmal freudestrahlend vereint werden, fast zu Tränen (NOT!). Wer den Film sehen möchte, sollte die deutsche Fassung meiden: Die verfügt zwar über eine das Geschehen angemessen dämlich unterstützende Synchro, unterschlägt dafür aber auch ein paar Gewaltspitzen, darunter auch den Tod des Oberbösewichts Eckhard. Vielleicht hat sich Pochath aber auch einfach nur vom Acker gemacht, bevor man sein Ende drehen konnte …

Ein gepflegter Mann (Gian Maria Volonté) macht sich mit entschlossenem Blick ausgehfertig: Die Haare sind streng frisiert und akkurat gekämmt, der cremefarbene Anzug setzt der Frisur eine gewisse mediterrane Lockherheit entgegen, die hellblaue Krawatte suggeriert eine Empfindsamkeit, die man in dem steinernen, fast brutalen Gesicht vergeblich sucht. Er besucht seine Geliebte (Florinda Bolkan), eine sinnlich aussehende Frau mit langen dunklen Haaren, ebensolchen Augen und einem freizügig geschnittenen Kleid, die Einrichtung ihrer Wohnung weist sie als Freigeist aus. „Wie wirst du mich heute umbringen?“, fragt sie den Mann im Scherz. „Ich schneide dir die Kehle durch.“, antwortet der todernst. Beide ziehen sich aus, gleiten dann unter die schwarze Seidendecke. Das Liebesspiel beginnt, bis die oben liegende Frau plötzlich erstarrt. Der Mann schiebt sie zur Seite, leblos rutscht sie von ihm herunter. Blut bedeckt seine Brust. Er steht auf, duscht sich, trinkt einen Schnaps. Er zieht sich an und beginnt dann eine Reihe von Spuren zu hinterlassen: einen Faden seiner  Krawatte unter einem Fingernagel der Toten, blutige Fußspuren, Fingerabdrücke. Er wickelt ein paar Schmuckstücke der Frau in ein Taschentuch, das er in seine Jacketttasche steckt, ruft bei der Polizei an, um einen Mord zu melden, öffnet den Kühlschrank, nimmt zwei Flaschen Champagner heraus, verlässt die Wohnung und fährt zur Arbeit. Dort wird er von seinen Kollegen bereits erwartet: Es ist sein letzter Tag als Chef des Morddezernats. Er hat die nächste Karrierestufe erklommen und wird ab sofort wird er für die innere Sicherheit verantwortlich sein. Doch zunächst muss er die Ermittlungen im Mord an einer jungen Frau anstoßen, der Frau, die er kurz zuvor eigenhändig umgebracht hat …

So beginnt Elio Petris Film und der Schock, den dieser Beginn beim Zuschauer auslöst, wird über die gesamte Spielzeit von 110 Minuten eine geradezu versteinernde, lähmende Wirkung entwickeln: Zeichnete Peri zuvor schon äußerst pessimistische Gesellschaftsbilder, so kann man INDAGINE SU UN CITTADINO AL DI SOPRA DI OGNI SOSPETTO nur noch als fatalistisch bezeichnen. Dieser Eindruck wird dadurch verschärft, dass der Zuschauer zum ersten Mal in Petris Filmen (bzw.: zum ersten Mal in den von mir gesehenen Filmen des Regisseurs) dazu gezwungen wird, sich mit dem Gegner zu identifizieren. Der „Dottore“, wie Volontés Protagonist von allen genannt wird (erst in der letzten Szene des Films bekommt er einen Namen), verkörpert den rücksichts- und skrupellosen Machtmenschen, dem einzig an Erhalt und Vergrößerung dieser Macht gelegen ist und der exemplarisch ist für jenen Typus, der im Kapitalismus die Geschicke der Staaten lenkt. Zuvor hatte Petri dem Zuschauer noch Menschen zur Seite gestellt, die bei aller Chancenlosigkeit doch noch Hoffnung machten, allein mit ihrer Existenz: Alfredo in L’ASSASSINO, einen zwar moralisch fragwürdigen Charakter, aber eben doch auch einen weitestgehend harmlosen Bürger mit dem Potenzial zur Besserung; Caroline und Marcello in LA DECIMA VITTIMA, die sich dem System entzogen und ironischerweise ausgerechnet in die Ehe flüchteten; den Akademiker Paolo in A CIASCUNO IL SUO, einen integren Idealisten, dem seine politische Naivität zum Verhängnis wurde; oder Leonardo, den Künstler aus UN TRANQUILLO POSTO DI CAMPAGNA, den seine Geliebte gnadenlos auf Linie brachte. Der Widerstand, den sie noch leisteten, wird hier bereits im Keim vom „Dottore“ und seinem unbarmherzigen autoritären Auftreten erstickt. Die Vehemenz, mit der der das Primat des Staates (und damit der Mächtigen) verabsolutiert und verteidigt, macht einem tatsächlich angst und bange: Ein kritischer, demokratischer Diskurs ist nicht gewünscht, vielmehr ist das reibungslose Funktionieren des Apparats mit allen Mitteln sicherzustellen. Menschenrechte sind dazu da, gebrochen zu werden, schon die falsche Adresse, der falsche Haarschnitt oder die falschen Freunde können Grund für die staatliche Überwachung sein. Und der „Dottore“ kann diese totalitären Ansichten sogar mit der Verteidigung der Werte der Demokratie zusammenbringen, ohne dass es ihm als Widerspruch erscheint.

INDAGINE SU UN CITTADINO endet mit einem Kafka-Zitat, macht damit explizit, was in L’ASSASSINO noch in den Bildern verborgen lag: Politik und Rechtsprechung sind ganz und gar hermetische Systeme geworden, die vor allem mit ihrer Selbsterhaltung beschäftigt sind. Keiner der bewusst begangenen Fehler des „Dottore“ kann ihn zur Strecke bringen, weil er kraft seines Amtes immun schon gegen den bloßen Verdacht geworden ist. Es ist der ultimative männliche Omnipotenzwahn, der ihn und seine Genossen antreibt, letztlich aber von einer sadomasochistischen Sehnsucht nach Unterwerfung bestimmt ist: Wer alles darf, alles kann, der sucht sich denjenigen, der noch mächtiger ist als er selbst. Dieses männliche Machtstreben hat in INDAGINE SU UN CITTADINO wie in den vorangegangenen Filmen Petris auch eine sexuelle Konnotation: Es ist die Unabhängigkeit der ihm insofern überlegenen Frau, die den „Dottore“ antreibt, ihn dazu bringt vom Baum der Machterkenntnis zu naschen, sich so ihres Respekts und ihrer Anerkennung zu versichern. Letztlich fehlt im die Kraft dazu, ein ganz und gar unabhängiges Individuum zu sein: Verängstigt und eingeschüchtert von den sich bietenden Möglichkeiten, der Abwesenheit von Regeln und einer ihn richtenden Instanz gesteht er sein Verbrechen, fleht um die Bestrafung, die das System, an das er glaubt, wiederherstellt. Doch er ist dieser Sphäre längst entwachsen: Er ist kein normaler Bürger mehr, sondern Mitglied der herrschenden Klasse, eines Kultes, der seine eigenen Riten der Bestrafung und Belohnung hat.

INDAGINE SU UN CITTADINO scheint nach dem Quasi-Horrorfilm UN TRANQUILLO POSTO DI CAMPAGNA zunächst eine Rückkehr zum Politthriller italienischer Prägung zu sein: Sachlich-analytisch schildert Petri das Vorgehen seines Protagonisten, suggeriert, wie ein Krimi mit umgedrehten Vorzeichen an der Auflösung des Mordfalles interessiert zu sein. Doch je länger der Film dauert, umso mehr verwandelt er sich vom Polit- und Polizeithriller zum Psychogramm und dann zur politischen Farce. Mit dem Finale verabschiedet sich Petri endgültig von der Realität, nähert sich den okkulten Verschwörungstheorien des Horrorfilms an, wenn sein „Dottore“ den Honorationen gegenübertritt um den Urteilsspruch oder aaber die Absolution zu empfangen. Getragen wird der Film, der wieder einmal elegant Fantasien, Träume und Erinnerungen seiner Hauptfigur in seine Erzählung einwebt und den „klaren“ Gang der Ereignisse so mehr und mehr verwischt, von Gian Maria Volonté: Was der hier leistet, ist eigentlich erst wirklich einzuschätzen, wenn man ihn in A CIASCUNO IL SUO in einer dem „Dottore“ diametral entgegengesetzten Rolle gesehen hat. War er dort sensibel, verzärtelt, unsicher und linkisch, so tritt er hier arrogant und selbstherrlich auf, bellt seine Dialogzeilen in einem durch Mark und Bein gehenden Befehlston und lässt keine einzige menschliche Regung durchscheinen. Ein Mann, der nur aus einer undurchdringlichen Fassade besteht. In einer Szene doziert er über die richtige Taktik beim Verhör, spricht darüber, wie wichtig es ist, den Verdächtigen zum Kind zu degradieren, das sich förmlich danach sehnt, sich dem „Vater“ zu offenbaren: Das ist genau die Rolle, in die sich auch der Zuschauer gedrängt fühlt. INDAGINE SU UN CITTADINO AL DI SOPRADI OGNI SOSPETTA ist weniger Film als körperliche Grenzerfahrung. Ein Ausnahmewerk, das 1971 mit dem Oscar als Bester ausländischer Film ausgezeichnet wurde. Wahrscheinlich, weil die Academy Angst hatte …

Der Maler Leonardo Ferri (Franco Nero) steckt in einer Krise: Seit Monaten hat er kein Bild mehr fertiggestellt. Von seiner Geliebten Flavia (Vanessa Redgrave), die auch als seine Agentin fungiert, wohlhabend ist und über gute Kontakte zur Oberklasse verfügt, fühlt er sich unter Druck gesetzt, träumt, dass sie ihn umbringen will. Als er ein altes, leerstehendes Landhaus entdeckt, wird seine brachliegende Kreativität wieder geweckt: Er überredet Flavia, ihm das Haus zu mieten, und zieht voller Tatendrang ein. Doch in dem Haus scheint der Geist eines jungen Mädchens herumzuspuken, dass dort im Zweiten Weltkrieg bei einem Fliegerangriff erschossen wurde. Und es beginnt einen unheimlichen Einfluss auf Leonardo auszuüben …

Nach dem doch eher ruhigen, gediegenen A CIASCUNO IL SUO kommt UN TRANQUILLO POSTO DI CAMPAGNA gleich doppelt heftig: Als sei der karge und kalte futuristische Chic von Flavias großzügiger Wohnung nach den dekorativ verfallenen sizilianischen Häusern des Vorgängers nicht schon Tapetenwechsel genug, wird der Zuschauer auch noch von Morricones dissonantem Score und heftig springenden Schnitten attackiert, aus der Sicherheit der Beobachterperspketive direkt in Leonardos Kopf gezogen, in dem einiges durcheinandergeraten ist. Und auch wenn sich der Film nach dem Schauplatzwechsel zumindest räumlich A CIASCUNO IL SUO annähert, so trennen beide Filme zumindest vordergründig doch Welten. Kameramann Luigi Kuveiller macht ausgiebigen Gebrauch von der Handkamera, raubt dem Zuschauer so jede Möglichkeit der Orientierung und macht ihn zum seelischen Leidensgenossen Leonardos. Der ist wiederum ein typischer Petri-Protagonist: in den Kreisen, in denen sich Flavia bewegt, ein krasser Außenseiter, unfähig, sich so zu vermarkten, wie es wohl nötig ist, um von seiner Kunst leben zu können. Minderwertigkeitskomplexe nagen an ihm, die Spielchen, die zu spielen er gezwungen wird, liegen ihm überhaupt nicht. Sein künstlerisch heilsamer Wahn – wie im Rausch stellt er innerhalb kürzester Zeit mehrere Bilder fertig – führt aber auch zum Bruch mit Flavia und dem System, das sie repräsentiert: Wenn ein Künstler zum bl0ßen Produzenten degradiert wird, kommt das einer Kastration gleich, gegen die er sich zur Wehr setzen muss. Aber – das kennt man ja schon aus A CIASCUNO IL SUO – das System ist stärker und weiß sich ebenfalls zu helfen.

Das Ende von UN TRANQUILLO POSTO DI CAMPAGNA ist – wie eigentlich der ganze Film – ziemlich starker Tobak. Die sanfte Melancholie, die einem beim Vorgänger noch half, die bittere Pille zu schlucken, ist hier schmerzhaft abwesend: Petri hat einen bei aller Stilsicherheit und Geschliffenheit brutal hässlichen Film gedreht, nach dem man sich wie gerädert fühlt. Inhaltlich fühlte ich mich etwas an Kubricks THE SHINING erinnert, der den Wahnsinn seines Protagonisten ja auch an ein verfluchtes Haus koppelt, doch Petri verfolgt natürlich eine eindeutig politische Agenda, die sich hier sehr viel stärker als zuvor auch in der Form niederschlägt. Stille, heimliche Indoktrination war gestern: UN TRANQUILLO POSTO DI CAMPAGNA ist ein harter Schlag, sein Effekt in etwa vergleichbar mit dem Schock, den Neo in THE MATRIX erleiden muss, als man ihm zeigt, dass seine Realität eine Simulation ist.  Jetzt wüsste ich nur noch gern, warum es in Petris Filmen so oft die Frauen sind, die es geschafft haben, sich so gut mit dem System zu arrangieren …

In der Nähe eines sizilianischen Dorfes werden bei einem Jagdausflug zwei Männer erschossen: Der eine ist der angesehene Augenarzt Dr. Rosico, der mit der attraktiven Luisa (Irene Papas) verheiratet ist, der andere ist Manno (Luigi Pistilli), der Apotheker des Ortes, der in den Wochen zuvor insgesamt sechs anonyme Morddrohungen per Post erhalten hat – wahrscheinlich von einem eifersüchtigen Ehemann, denn Manno ist für seine Vielweiberei bekannt. Tatsächlich nimmt die Polizei bald schon drei einfache Bauern fest, Brüder und Vater von Mannos erst 15-jähriger Geliebter. Doch der Akademiker Prof. Paolo Laurana (Gian Maria Volonté) findet heraus, dass die Drohbriefe aus Versatzstücken bestehen, die aus einer Zeitung für Priester ausgeschnitten wurden; einer Zeitung, die einfache Leute niemals lesen würden. Im Zuge seiner Nachforschungen erfährt er, dass Roscio offensichtlich Beweise für die kriminellen Machenschaften eines angesehenen Mannes in der Hand hatte und diese öffentlich machen wollte. Gemeinsam mit der Witwe Luisa versucht Paolo diseser Beweise habhaft zu werden – und verliebt sich dabei in die Witwe. Wenig später erhält auch er die erste Morddrohung …

In seinem fünften Film überträgt Petri seine Gesellschaftskritik auf die Schablone des Mafiafilms und steht somit in der Tradition etwa der Filme Damiano Damianis, die ebenfalls vom hoffnungslosen Kampf eines einsamen Aufrechten gegen das organisierte Verbrechen und dessen bis in oberste Staatsämter reichenden Einfluss erzählen. Doch während Damianis Filme eher kalt und zornig erscheinen, ist IL CIASCUNO IL SUO von milder Resignation geprägt, von einer unerschütterlichen Einsicht in das unabänderliche Wesen der Dinge, das von Petri nur noch mit einem wissenden Lächeln quittiert werden kann. Und diese amüsierte Resignation kann man schon am Titel des Films ablesen: „Jedem das Seine“. Die Linke ist einfach zu dumm und naiv, um den Kapitalisten, die das Land im Griff haben, das Wasser reichen zu können. Sie muss sich damit abfinden, auf der Verliererseite zu stehen. Petris Protagonist, der linkische Akademiker Paolo, ein ehemaliger Kommunist, der sich – wahrscheinlich wegen diffuser Minderwertigkeitsgefühle – aus dem gesellschaftlichen Leben weitestgehend zurückgezogen hat und während des Sommers bei seiner Mutter lebt, ist ein Paradebeispiel für diesen netten, moralisch aufrechten Naivling. „Paolino“ wie er von seinem Freund, dem Anwalt und einflussreichen Bürger Rossello (Gabriele Ferzetti) herablassend genannt wird, lässt sich von dessen hochrangigen Freunden loben wie ein besonders artiges Hündchen, wird von der Aussicht auf eine Liebesbeziehung zur schönen Luisa geblendet, und erkennt nicht, in welche Gefahr er sich begibt, dass der Feind am längeren Hebel sitzt. Es gibt eine Szene, in der er einen Studenten bei einer Prüfung tadelt, weil dieser nicht im Bilde ist über einen Mönch, der für seine Kritik an den Obrigkeiten auf dem Scheiterhaufen landete: Doch das ist genau das Schicksal, das auch ihm blüht. (Hier tun sich auch Parallelen zu den Giallos von Argento auf, deren Protagonisten daran scheitern, dass sie zur Verfügung stehendes Wissen nicht abrufen können.) Nicht einmal fällt in Petris der Begriff „Mafia“, „organisiertes Verbrechen“ oder „Cosa Nostra“: Die Welt von A CIASCUNO IL SUO wird nicht von einer monströsen achtarmigen Krake beherrscht und kontrolliert, das Böse ist nichts, das von außen über das eigentlich Gute übergestülpt würde. Die Welt ist einfach so. Bei einem Besuch Paolos in Palermo fliegt auf einem öffentlichen Platz einfach so ein Auto in die Luft. Niemand regt sich wirklich darüber auf, Zwischenfälle wie dieser gehören längst zum Alltag. Die Männer mit dem großen Geld spielen ihr Spiel, alle anderen müssen zuschauen.

A CIASCUNO IL SUO ist ein bittersüßes Erlebnis. Alles agitatorische Potenzial ist längst geronnen, man kann eigentlich nur noch zusehen, sich mit den Verhältnissen irgendwie arrangieren und hoffen, dass es irgendwann besser wird. Wie tragisch, dass man dem organisierten Verbrechen in Szilien, in dessen schroffer Schönheit es sich doch so gut aushalten ließe, so nah ist. Von einem überiridischen goldenen Licht umfangen, verlieren die Konflikte ihre Schärfe, es scheint als befände sich alles in einem paradiesischen Urzustand. „Ich liebe Sizilien zu dieser Zeit“, sagt Dr. Roscio kurz bevor er erschossen wird. „Du meinst, weil dann so wenig Sizilianer da sind“, lautet die Antwort. Links, rechts, Kommunist, Faschist: Das sind auch nur die zwei Seiten einer insgesamt defizitären Menschheit, der Petri mit diesem Film ein gleichermaßen wunderschönes wie todtrauriges Denkmal geschaffen hat.

 

Eines Morgens klopft die Polizei beim Antiquitätenhändler Alfredo Martelli (Marcello Mastroianni) an die Tür und bittet ihn ohne weitere Erklärungen mit aufs Revier zu kommen. Nach einigen Stunden des Wartens sieht er sich endlich mit einem konkreten Vorwurf konfrontiert: Er soll seine ehemalige Geliebte umgebracht zu haben, die einige Jahre ältere, wohlhabende Adalgisa De Matteis (Micheline Presle), die ihn auch finanziell immer unterstützt hat. Die Fragen des ermittelnden Kommissars (Salvo Randone) lassen den jungen Mann in sich gehen und seine Beziehung zu Adalgisa und bis zur Trennung Revue passieren. Ist er wirklich so unschuldig wie er glaubt?

Die Ausgangssituation von Elio Petris erstem Spielfilm ließ mich gestern unweigerlich an Franz Kafkas „Der Proceß“ denken: Hier wie dort bekommt ein Mann aus heiterem Himmel Besuch von der Polizei und wird festgenommen, ohne dass ihm Gründe dafür genannt werden. Das Problem von K., dem Protagonisten von Kafkas Roman, besteht darin, dass es diese Gründe gar nicht gibt: Seine Suche nach Antworten führt ihn auf eine Odysse durch die absurd verschachtelte Bürokratie seiner Stadt, an deren Ende seine Hinrichtung steht, die er resigniert hinnehmen muss. Auch wenn es in L’ASSASSINO einen konkreten Vorwurf gegen Alfredo gibt, seine Unschuld am Ende bewiesen wird und Petris Film zudem mit beiden Füßen fest in der italienischen Realität der frühen Sechzigerjahre steht, so gibt es dennoch eine weitere Parallele zwischen beiden Werken: Denn wie K. erweist sich auch Alfredo als wenig sympathischer Zeitgenosse, der andere manipuliert, betrügt und ausnutzt, wo es nur geht. Seine vorübergehende Inhaftierung stößt zwar die Selbstreflexion bei ihm an, doch eine grundlegende Änderung seines Wesens kann man von ihm nicht mehr erwarten. Für ihn geht es nur darum, heil aus der Sache rauszukommen, um schließlich genauso weitermachen zu können wie zuvor.

Elio Petri näherte sich dem Film zunächst als Kritiker, so wie seine französischen Kollegen der Nouvelle Vague, bevor er dann zum Regieassistenten von Giuseppe De Santis wurde, einem der Protagonisten des italienischen Neorealismus. Politisch stand er als aktives Parteimitglied der KPI weit links und so verwundert auch die Stoßrichtung seines Films nicht. Alfredo hat die im Kapitalismus vorherrschende Mentalität gut verinnerlicht. In jeder Beziehung geht es ihm in erster Linie um den Profit, den er daraus ziehen kann. Nächstenliebe oder Mitgefühl sind ihm fremd: Die zwei alten Männer, die in einer unbeheizten Baracke am Stadtrand hausen und ihm ein paar Fundstücke anbieten, speist er mit einem lächerlichen Bruchteil des Geldes ab, dass er später dafür verlangen und bekommen wird und das obwohl einer der beiden dringend ärztliche Behandlung bräuchte. Und so verhält er sich auch in der Beziehung zu Adalgisa: Er spannt sie einem Bekannte aus, weil es sich gerade anbietet, er nimmt gern ihr Geld an, als es darum geht, sein Geschäft zu eröffnen, lässt sie aber fallen, als sich ihm die jüngere Antonella (Cristina Gaioni) anbietet, die ebenfalls aus wohlhabendem Hause kommt. Auch seine Reflexion ist rein oberflächlich. Sie bricht in dem Moment ab, als der wahre Täter gefasst wird, ihm also dämmert, dass er keinerlei Sanktionen zu befürchten hat. Kaum ist er zu Hause, macht er da weiter, wo er zuvor aufgehört hat. Der Tod seiner Freundin ist längst vergessen.

L’ASSASSINO markiert den beachtlichen Beginn von Petris Karriere: Kompositorisch ist er deutlich ausgereifter und ambitionierter als das, was man von einem Debüt gemeinhin erwartet. Der Schnitt, mit dem Petri teilweise nahtlos von der Gegenwart in die Erinnerungen Alfredos springt, ist sogar als spektakulär zu bezeichnen, Fotografie, Schauspielführung und Score runden den Film perfekt ab. Wirklich herausstechend ist aber der Ton des Films: Trotz seiner pessimistischen, ja sogar zynischen Weltsicht, mutet L’ASSASSINO nie wie eine Predigt von hoher Kanzel herab an, wie das für gesellschaftskritische Filme durchaus nicht selbstverständlich ist. Ein ganz feiner Humor durchzieht Petris Film, der auch seine Zukunftsdystopie LA DECIMA VITTIMA auszeichnet: Er philosophiert nicht mit dem Hammer, sondern indoktriniert den Zuschauer ganz sanft, sodass der gar nicht richtig bemerkt, was ihm da soeben verabreicht worden ist. Einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass L’ASSASSINO so funktioniert wie er funktioniert, hat Mastroianni, dem es tatsächlich gelingt, Sympathie für seinen aalglatten Egoisten beim Zuschauer zu wecken. Umso erschreckender wirken schließlich seine Missetaten. Aber Petri gibt sich keinen Illsuionen hin: Wir sind eben alle kleine Sünderlein. Er würde sich davon wahrscheinlich nicht ausnehmen.

 

Sechs Personen – der Motorradfahrer Fred (Andres Resino) und seine Beifahrerin Laura (Lisa Leonardi), die Millionärstochter Elsa (Analía Gadé), ihr Anwaltspärchen Mr. und Mrs. Tremont (Eduardo Fajardo & Yelena Samarina) sowie der Unternehmer Mr. Porter (Franco Fantasia) – verfahren sich auf ihrem Weg im Nebel und finden Unterschlupf im Landhaus von Martha Clinton (Evelyn Stewart). Deren herzerwärmende Geschichte, dass ihre Mutter angeblich eine Hexe war und  bei einem Autounfall gemeinsam mit ihrem treuen Chauffeur verstarb, beunruhigt die Anwesenden vor allem deshalb, weil die beiden vermeintlich Toten kurz zuvor auf dem benachbarten Friedhof  einen quicklebendigen Eindruck gemacht haben …

Auch wenn die profane Auflösung der schaurigen Vorgänge – die man allerdings schon von Weitem kommen sieht – am Ende ein bisschen enttäuscht: Die Welt braucht mehr spanischen Gothic Horror wie LA MANSIÓN DE LA NIEBLA! Nirgendwo sonst, die altehrwürdigen Universal-Horrorschinken aus den Dreißigerjahren und die Hammerfilme der Fünfziger- und Sechzigerjahre eingeschlossen, ist Gothic Horror mit dieser den Nagel auf den Kopf treffenden kitschig übersteuerten Farbpracht abgelichtet, die in seinem Kern schlummernde melodramatische Gefühlsduselei besser zum Vorschein gebracht, die Gratwanderung zwischen wohligem Schauer und krawallig-infantiler Geisterbahnstimmung besser umgesetzt worden als in Filmen wie diesem hier (oder dem berühmteren EL JOROBADO DE LA MORGUE). Das nebenstehende Plakatmotiv fasst die visuellen Qualitäten von LA MANSIÒN DE LA NIEBLA tatsächlich sehr gut zusammen: Ich fühlte mich bei der Betrachtung ständig an die alten Horrorcomics à lan „Gespenster Geschichten“ oder „Spuk Geschichten“ erinnert, mit denen ich mir meine Kindheit versüßt habe. Alles sieht nach Pappmaché aus, zu sehr nach Märchenbuch, erinnert in seiner Ausstattung an eine verstaubte Requisitenkammer. Zwar gilt das auch etwa für Cormans Poe-Adaptionen, doch werden diese durch die disziplinierten, zurückgenommen agierenden Darsteller und die an der literarischen Vorlage orientierten Strenge des Stils gewissermaßen geerdet: In LA MANSIÓN DE LA NIEBLA ist hingegen alles hoffnungslos übersteuert. Wenn amerikanischer Gothic Horror ein unheilvolles Wispern ist und britischer das Knarren einer Tür, dann ist ihr spanischer Kompagnon das ohrenbetäubende Krachen im wurmstichigen Gebälk.

Die Worte, die mein Interesse an diesem mir zuvor völlig unbekannten Film sofort geweckt waren, besagten, man sehe ihn sich am besten spät in der Nacht an. Das habe ich zwar nicht gemacht, aber es stimmt wohl: Vom Sujet mal ganz abgesehen, dessen Wirkung bei Tageslicht einfach verpuffen muss, wird LA MANSIÓN DE LA NIEBLA am besten genossen, wenn die Sinne nicht mehr ganz so geschärft sind, wenn die feinen Zwischentöne an einem vorbeisausen würden, die große Emotion und die große Geste aber dafür umso stärkeren Eindruck machen, weil man die Deckung schon etwas hängen lässt. Dann brandet dieser Film über einen hinweg wie eine Welle an einer unwegsamen Steilküste. Wenn die großartige Analía Gadé hier dekorativ, inbrünstig und hemmungslos vor sich hin leidet, unter der Last der Ereignisse zerbricht, ihr schwarzer Kajalstift um ihre Augen zu schwimmen beginnt, ihre Frisur mehr und mehr in Auflösung gerät, ihr romantisches Wallewalle-Nachthemdchen angesichts ihrer voranschreitenden mentalen Zerrüttung wie ein Hohn erscheint und ihr Leid von der Tonspur von entrücktem Klagegesang begleitet wird, gibt es auch für den Zuschauer kein Halten mehr. Spanischer Gothic Horror, das ist ein bisschen wie Musical ohne ätzende Songs und Tanzeinlagen, wie Gruselhöspielkassetten mit Bildern, wie eine Geisterbahn ohne Augenzwinkern. Wo Figuren mit allergrößter Selbstverständlichkeit Namen tragen wie „Tremont“, „Porter“ und „Clinton“ und trotzdem in Spanien leben. Ein besserer Ort für eine bessere Welt. Ein Gnadenhammer, dieser Film.