Alles richtig gemacht mit meiner kleinen Collet-Serra-Reihe: Nicht nur, dass ich mir die Filme des Spaniers überhaupt angeschaut habe, mit RUN ALL NIGHT habe ich mir den die anderen, auch schon tollen Neeson-Kollaborationen noch einmal überstrahlenden Titel für den krönenden Abschluss aufbewahrt. Der in New York angesiedelte Gangsterfilm fällt gegenüber den drei anderen – den doch sehr homogenen UNKNOWN, NON-STOP und THE COMMUTER – etwas aus dem Rahmen: Es handelt sich um ein melancholisches Vater-Sohn-Drama im Gewand eines harten NY-Gangsterfilms, das sich sehr schön in das beliebte Subgenre eingliedert und mich aufgrund der Präsenz des fantastischen Ed Harris sehr angenehm an Phil Joanous meisterlichen STATE OF GRACE erinnerte (den ich dringend mal wiedersehen muss).
Jimmy „The Gravedigger“ Conlon (Liam Neeson) verdingte sich einst als Killer des Gangsterbosses Shawn Maguire (Ed Harris), brachte über zehn Menschen um und verlor darüber seine Familie. Seit Maguire seine kriminellen Wurzeln gekappt hat und als „legitimer“ Geschäftsmann arbeitet, ist Conlon arbeitslos und versucht, die Geister der Toten, die ihn nachts heimsuchen, mit Schnaps auf Abstand zu halten. Als Shawns Sohn Danny (Boyd Holbrook), der seinem Vater nacheifert, einen albanischen Drogendealer ermordet und dabei zufällig von Jimmys Sohn Mike (Joel Kinnaman) beobachtet wird, landet der auf Dannys Abschussliste. Jimmy kann seinen Sohn in letzter Sekunde retten, doch weil Danny dabei sein Leben verliert, schwört nun seinerseits Shawn blutige Rache. Er setzt den Killer Price (Common) auf die Conlons an, doch der ist nicht der einzige, der sie sucht: Auch der Polizeibeamte John Hardin (Vincent D’Onofrio) will Jimmy endlich hinter Schloss und Riegel bringen. Auf der Flucht kommen sich Vater und Sohn, die sich seit Jahren nicht mehr gesehen haben, näher.
Es gibt sie noch, diese Filme, die ohne Firlefanz und Pillepopp auskommen, die einen daran erinnern, warum man vor 30, 40 Jahren Filmfan wurde und ein Tape nach dem anderen in den Rekorder schob: In RUN ALL NIGHT ist fast alles noch einmal so wie damals, Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre. Klar, technisch-visuell ist Collet-Serras Gangster-Thriller mit seinen supercrispen Bildern, den Zeitrafferflügen über Brooklyn und seinen Super-Slow-Mos ein Produkt unserer Zeit (ohne mit diesen Stilmitteln aber zu übertreiben), aber erzählerisch schlägt sein Herz für die Klassiker aus den Siebziger- und Achtzigerjahren. Langsam, aber unaufhaltsam fallen da die ersten Dominosteine, bis sie diese Kettenreaktion auslösen, an deren Ende Jimmy Conlon seinen Frieden finden wird: Der Aufbau der Geschichte ist meisterlich und eine Sequenz wie jene, in der der väterliche Shawn den jämmerlichen Jimmy wieder aufrichtet, der sich kurz zuvor als sturzbesoffener Weihnachtsmann unmöglich gemacht hatte, ist von jenem Einfühlungsvermögen geprägt, für das heutige Genrefilme gar keine Zeit mehr zu haben scheinen. RUN ALL NIGHT ist auch ein Film über den Zeitenwandel, darüber, dass die Zeit für die alten Haudegen langsam abläuft, kein Platz mehr für ihr überkommenes Ethos ist, und sie sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, was sie ihren Kindern eigentlich hinterlassen: ein gängiges Thema des Gangsterfilms, das hier aber sehr schön mit Leben gefüllt wird. Nachdem Jimmy seinem einstigen Boss die unvermeidliche Kugel verpasst hat, nimmt er den sterbenden Freund in den Arm, der ihm noch einmal den Kopf streichelt. Sie haben nur getan, was sie tun mussten. Aber RUN ALL NIGHT begeistert nicht zuletzt als visuell schillernder Nachtfilm, als Film, der seine Konflikte innerhalb kürzester Zeit auf den Siedepunkt treibt und dann schicksalhaft auflöst, sowie als packender Reißer mit perfekt choreografierten Actionsequenzen. Hier ist vor allem der Showdown in einem nebligen Wald zu nennen, bei dem der sterbende Jimmy seinen Sohn mit einem finalen Kraftakt und einem wohlplatzierten Kopfschuss für den gnadenlosen Price das Leben rettet: Wie Collet-Serra diesen Moment inszeniert, Conlon seinen Schießprügel noch einmal mit einem eleganten Schwung durchladen lässt, bevor er dann im letzten Augenblick den tödlichen Schuss abgibt, ist für die Ewigkeit, ein Instant Classic, bei dem der Actionfan einen imaginären (oder auch echten) Fistpump ausführt, all die aufgestaute Spannung sich innerhalb von zwei, drei perfekt komponierten Sekunden fulminant entlädt.
Ein weiteres Markenzeichen von Collet-Serras „Neeson-Zyklus“ sind die schlicht brillanten Besetzungscoups, die die Liebe des Spaniers zum Kino belegen: Hier ist es neben Ed Harris ein Auftritt des schlimm abgestürzten, fast völlig aus dem zeitgenössischen Kino verschwundenen Nick Nolte, der als abgerissener Bruder von Jimmy einen Gastauftritt absolviert, für den er gar nicht viel mehr machen muss, als seine in die Jahre gekommene, bärtige Charakterfresse ins Bild zu halten und diese von Whiskey und Kippen ramponierten Stimmbänder in Schwingung zu versetzen. All diese Eigenschaften machen RUN ALL NIGHT zu einem Kleinod, einem raren, schillerndern Juwel, das – ich muss das so deutlich sagen – in diesen unseren Zeiten nahezu konkurrenzlos ist. Ganz, ganz groß.