Mit ‘Robert Aldrich’ getaggte Beiträge

In meinem Eintrag zu THE CHOIRBOYS hatte ich es schon angedeutet: THE FRISCO KID war der Grund, warum ich meine Aldrich-Retro damals abgebrochen habe – zwei Filme vor Schluss. Ich hatte einfach kein allzu großes Interesse an einer Komödie, die in Deutschland mit dem alle Hoffnungen zerstörenden Titel EIN RABBI IM WLDEN WESTEN gestraft war. Der Film, den ich bei diesem Titel vor meinem geistigen Auge hatte, sah einfach furchtbar aus. Die nun endlich nachgeholte Sichtung ist dann aber mal wieder eine Beweis dafür, dass man sich nicht von seinen Vorurteilen leiten sollte: THE FRISCO KID ist ein wunderhübscher kleiner Film, der im Gesamtwerk des Meisters zwar keinen der ganz vorderen Plätze einnimmt, aber gut dazu geeignet ist, seine große Vielseitigkeit zu bestätigen – und das Klischee des Macho-Zynikers zu zerstreuen, das sich immer noch recht hartnäckig hält.

THE FRISCO KID ist eine Mischung aus Schelmenkomödie, Road Movie und Schöpfungsmythos: Aldrich erzählt die Geschichte des kleinen, verträumten polnischen Rabbis Avram Belinski (Gene Wilder), der nach Amerika geschickt wird, um dort eine Gemeinde zu übernehmen und nebenbei eine Frau zu heiraten. Doch vorher muss er einmal das gesamte Land durchqueren, von dem er rein gar nichts weiß. Natürlich fällt er gleich zu Beginn drei Halunken zum Opfer, die ihn ausrauben. Dann nimmt sich der Ganove Tommy (Harrison Ford) des Greenhorns an und gibt ihm Geleitschutz. Doch der vermeintlich wehrlose Rabbi weiß sich durchaus zu behaupten und so gelingt es dem ungleichen Paar Schneestürmen, Indianern und Banditen zu trotzen …

THE FRISCO KID ist zu allererst mal eins: unendlich liebenswert und süß. Die Gutmütigkeit und Unverdrossenheit Belinskis überwindet die hartnäckigsten Barrikaden, vereint unvereinbare Gegensätze, versöhnt unterschiedlichste Kulturen, erobert die Herzen all derer, die ihm begegnen und ist damit eine Art idealisierter Vater der Idee, auf der die USA einst gegründet wurden. Dabei verkommt der Film unter Aldrichs Regie aber weder zur klebrigen Schmonzette noch zum pathetisch-patriotischen Erbauungsfilm, vielmehr bewahrt er sich seine gewisse Verschrobenheit und den Off.Beat-Charakter. Wer angesichts des Titels eine typische Fish-out-of-water-Komödie mit ethnischem Humor erwartet hat, sieht sich positiv überrascht. Zwar gibt es einige Gags in diese Richtung, aber insgesamt bleibt das alles sehr dezent – Wilders Belinski ist keine Lachfigur, im Gegenteil. Wenn er auch mit einem mordgierigen Lynchmob im Nacken am Prinzip des Sabbath festhält und sich weigert aufs Pferd zu steigen, ist das natürlich zunächst mal eine lustige Idee, aber noch mehr ein Plädoyer für Prinzipientreue, für das Festhalten an Werten, die man für sich als richtig erkannt hat. Wunderschön auch die Begegnung des Juden mit einem Indianerstamm, denen er dann sogleich einen traditionellen Tanz beibringt. Diese Sequenz hat mich tatsächlich fast zu Tränen gerührt: Was in den Händen eines anderen Regisseurs zu grellem Slapstick geronnen wäre, wirkt trotz des märchenhaften Charakters von THE FRISCO KID geradezu authentisch. Nach jahrzehntelanger Darstellung von Indianern als bemalten Wilden scheint die Vorstellung zunächst seltsam, aber warum sollten sie denn eigentlich nicht mit einem Rabbi tanzen? Die ganze Szene ist eine Befreiung: Hier werden zementierte, schmerzhafte Klischees mit Freude zertrümmert.

THE FRISCO KID ist ein kleiner Film, aber was Aldrich mit ihm macht, ist alles andere als das. Ihm ist ein positives, hoffnungsvoll stimmendes Werk gelungen, ein Film, der uns daran erinnert, dass es keine Unterschiede zwischen den Menschen gibt, die nicht überwunden werden können. Es bedarf dafür keiner Waffen und auch keines genialen diplomatischen Plans, lediglich etwas Mutes und der Bereitschaft, die Waffen als erster zu Boden zu legen. Wir brauchen solche Filme heute mehr denn je.

Mit THE CHOIRBOYS greife ich den vor einigen Jahren fallen gelassenen Faden meiner Robert-Aldrich-Werkschau wieder auf. Damals konnte ich dieses Films nicht habhaft werden und auf den nachfolgenden THE FRISCO KID hatte ich nicht so richtig Lust. Nun habe ich THE CHOIRBOYS endlich aufgetrieben und kann das Projekt zu seinem würdigen Ende bringen.

THE CHOIRBOYS gilt als einer der „misslungenen“ Filme in Aldrichs Filmografie: Bei seinem Kinoeinsatz wurde er von der Kritik zerrissen, das Publikum wollte ihr auch nicht widersprechen und zu alem Überfluss zog Joseph Wambaugh, Autor der autobiografisch angehauchten Romanvorlage und selbst Ex-Cop (auf sein Konto ging u. a. auch die Vorlage zu Fleischers THE NEW CENTURIONS) nach der Sichtung erbost seinen Namen zurück. Bis heute ist der Film nicht digital verfügbar, ein Schicksal, das noch nicht einmal Aldrichs anderen großen filmischen Stinkefinger, den ebenfalls viel gehassten THE LEGEND OF LYLAH CLARE ereilte. Und wie das mit solchen wüsten, missverstandenen, unter den Teppich gekehrten Filmen so ist: Ich mag ihn, wenngleich ich verstehe, warum ein Publikum, das Aldrich mit Hits wie THE DIRTY DOZEN assoziierte, mit ihm nicht warm wurde. THE CHOIRBOYS ist messy, außer Rand und Band wie seine Protagonisten, vulgär, handlungsarm und tonal all over the place. Ein Film kurz vor dem Nervenzusammenbruch.

Die „Chorknaben“, wie auch der deutsche Titel lautete, sind eine Gruppe von Streifenpolizisten in L. A.und mehr als mit der Verbrechensbekämpfung sind sie mit verständnis- und empathielosen Vorgesetzten und sich selbst beschäftigt. Sie benehmen sich beim täglichen Briefing wie Schulkinder, lassen sich nach Feierabend volllaufen, huren rum – und pflegen hinter der gut gelaunten Fassade manch schwere Neurose, die sich in der zweiten Hälfte des Films dann Bahn bricht und THE CHOIRBOYS heftig kippen lässt. Einen Vorgeschmack auf das blut- und tränenreiche Finale gibt es bereits zu Beginn, der die beiden Cops Sam Lyles (Don Stroud) und Harold Bloomguard (James Woods) in Vietnam zeigt, wo sie nur mit viel Glück dem Vietcong entkommen, weil sie sich in einem Tunnel verschanzen. Doch wie das so ist mit Traumata: Sie werden im Alltag hinter einer Fassade der Routine und des übertriebenen Selbstvertrauens mit wachsender Anstrengung verborgen, bis der Druck irgendwann zu groß wird und es heftig knallt. Man spürt, dass hinter den exzessiven Partys und dem infantilen Gehabe der Chorknaben die pure Verzweiflung steckt, eine sich als Lebensfreude tarnende Lebensmüdigkeit. Francis Tanaguchi (Clyde Kusatsu) verkleidet sich als Vampir, Dean Proust (Randy Quaid) besäuft sich bis zur Besinnungslosigkeit, Roscoe Rules (Tim McIntire) gefällt sich als rassistisches, sexistisches Arschloch, Saubermann Baxter Slate (Perry King) lässt sich von einer Domina misshandeln und Whalen (Charles Durning) hält den Job nur deshalb aus, weil er in ein paar Monaten in Ruhestand gehen wird.

Aldrich verbindet den resignierten Realismus des Siebzigerjahre-Copfilms mit dem Over-the-Top-Klamauk der KEYSTONE COPS (oder der später folgenden POLICE ACADEMY-Reihe) und sorgt mit diesem Schachzug für größte Desorientierung: Die groben Späße wirken verzweifelt, psychotisch, mit den aus dem Fernsehen entlehnten, immer wiederkehrenden Establishing Shots zeichnet er eine Welt, in der sich nichts mehr bewegt, höchstens abwärts. Die Welt von THE CHOIRBOYS ist aus den Fugen geraten, Cops benehmen sich wie Amokläufer, Verbrecher braucht es da gar nicht mehr. Der Zen-Buddhist, an dem all das abprallt, ist ausgerechnet der wie ein Penner aussehende Scuzzi (Burt Young), Chef des Sittendezernats, der stinkende, abgekaute Zigarren in seinen mit Hochprozentigem aufgebrezelten Kaffee tunkt und dem schwulen 18-jährigen Stricher mit der Empathie begegnet, die keiner mehr so recht für den anderen aufbringen kann, weil er zu sehr mit sich beschäftigt ist. Am Ende kommt es infolge des Selbstmords des gedemütigten Baxter zur Katastrophe, der Erschießung eines Unschuldigen durch den eine Panikattacke erleidenden Lyles. Der überfällige Selbsterkenntnisprozess setzt ein, doch der Obrigkeit in Form des Polizeichefs Riggs (Robert Webber) geht es nur darum, die Wahrheit zu vertuschen, auch wenn seine Leute dafür geopfert werden müssen. Es ist eine Scheißwelt, aber es gibt Hoffnung. So abgefuckt war Aldrich dann doch nicht, den Film ohne ein echtes, befreiendes Lachen zu beenden.

THE CHOIRBOYS ist kein Vergnügen. Er ist kompliziert, schmutzig und überdreht, episodisch und orientierungslos. Vieles läuft ins Leere und die erste Hälfte, einer Aneinanderreihung furchtbar alberner, dabei aber auffallend humorloser Szenen, stellt die Geduld auf eine harte Probe. Wie beim genannten THE LEGEND OF LYLAH CLARE merkt man ihm an, dass Aldrich kein Interesse daran hatte, auf sein Publikum zuzugehen. Es scheint, als hätte er die Kontrolle ganz bewusst aufgegeben, die Chorknaben das Ruder übernehmen lassen. Die Dramaturgie des Films erinnert dann auch eher an einen führerlosen Bus, der einen Abhang hinunterrast, nachdem er die Leitplanke durchbrochen hat, während seine besoffenen Passagiere den ultimativen Kick feiern, in augenrollender Todesverachtung. Der Aufprall kommt ja sowieso.

760247-b8aec28a-e530-11e3-aae6-8a781d1cd6731Martin Compart, deutscher Crime-Experte und bekennender Bronson-Fan, hat mich zu einem generationsübergreifenden Bronson-Special eingeladen. Bei Interesse hier entlang.

O! say can you see
by the dawn’s early light,
What so proudly we hailed
at the twilight’s last gleaming,
Whose broad stripes and bright stars
through the perilous fight,
O’er the ramparts we watched,
were so gallantly streaming?
And the rockets’ red glare,
the bombs bursting in air,
Gave proof through the night
that our flag was still there;
O! say does that star-spangled
banner yet wave,
O’er the land of the free
and the home of the brave?

So lautet die erste Strophe der US-amerikanischen Nationalhymne, „The Star-Spangled Banner“, die Thomas Scott Key im Jahre 1814 verfasste. Bei den Kriegshandlungen, die er mit so seltsam blumigen Worten beschreibt, handelt es sich um den Britisch-Amerikanischen Krieg, der von 1812 bis 1814 tobte. Genauer bezieht er sich auf die Nacht vom 13. auf den 14. September, als die britische Marine Fort McHenry im Hafen Baltimores unter schweren Beschuss nahm. Seine Ode an die amerikanische Flagge, jenen Star-spangled Banner eben, drückt die Freude des Dichters darüber aus, dass eben jene am Morgen nach den beschriebenen Angriffen noch immer über dem Fort wehte, die USA also nicht vor den Briten kapituliert hatten. Die Formulierung „Twilight’s last gleaming“, der Aldrichs Film seinen Titel verdakt, bezieht sich im Kontext der Hymne zunächst auf nichts anderes als den vorangegangenen Abend: Am Vorabend wehte die Flagge noch, aber auch im Morgengrauen („The dawn’s early light“) ist sie noch zu sehen. Als Titel von Aldrichs Film nimmt sie natürlich eine weitere, apokalyptischere Ebene an: Nicht bloß die vergangene Dämmerung ist gemeint, jene Dämmerung also, in der mit den USA noch alles in bester Ordnung war, seine Werte noch Bestand hatten, noch kein Fremder sie korrumpiert hatte, sondern tatsächlich die letzte Dämmerung, in der also die Welt, so wie wir sie kennen, untergehen wird. Beide Lesarten verschränken sich in Aldrichs Film zu einer wenig freudigen Bestandsaufnahme.

Der in Ungnade gefallene Ex-General Lawrence Dell (Burt Lancaster) bricht mit drei Häftlingen aus dem Gefängnis aus und erobert ein Atomraketensilo in Montana, an dessen Konstruktion er selbst beteiligt war. Er bringt die Raketen, die allesamt auf Ziele in der Sowjetunion gerichtet sind, in seine Gewalt und wendet sich mit seinen Forderungen an den US-Präsidenten Stevens (Charles Durning), einen volksnahen Mann. Er will nicht nur 10 Millionen Dollar, sondern auch die Veröffentlichung von Geheiminformationen über den Vietnamkrieg aus einer Sitzung, an der Dell einst selbst beteiligt war. Das Volk soll über die wahren Hintergründe des Krieges aufgeklärt und nicht länger getäuscht werden …

Dell nimmt in Aldrichs Film gewissermaßen die Rolle des Patrioten Thomas Scott Key ein. Doch dessen unbändige Freude über das Wehen der amerikanischen Flagge ist bei Dell der Ettäuschung darüber gewichen, dass die Werte, die sie einst repräsentierte, bereits hoffnungslos augehöhlt sind. Das Volk wird belogen und mutwillig getäuscht, die Politik verfolgt nur noch die eigenen schmutzigen Ziele, Idealisten wie er werden aus dem Weg geräumt und öffentlich zerstört. Wenn das Land sowieso schon ruiniert ist, es sein „last gleaming“ eigentlich bereits erlebt hat, dann kann man es auch ganz zerstören, es in einem grellen Feuerball – ebenfalls einem „letzten Glimmen“ also – untergehen lassen. Oder ihm eben mit diesem Ende drohen, um es wieder zur Besinnung zu bringen. Tatsächlich findet Dell in Präsident Stevens einen Verbündeten, der nach dem Studium jener Geheimakten, deren Inhalt Dell veröffentlicht sehen will, beschließt, dass die Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Politik gekommen ist, sie sich wieder als Diener des Volkes begreifen muss, nicht als sein Gegner. Doch weder Dell noch Stevens haben damit gerechnet, dass solche Entscheidungen längst nicht mehr von einzelnen Personen abhängen. Dass auch der Präsident nur noch eine Sockenpuppe ist, die gegebenenfalls aus dem Weg geräumt wird, wenn sie das Spiel, über dessen Regeln stillschweigende Einigkeit besteht, nicht mehr mitspielen will. „Twilight’s Last Gleaming“, das Ende der Welt, bleibt am Ende aus. Aber jenes andere letzte Glimmen, jenes, das vom Ende Amerikas als einem freiheitlichen Staat des Volkes kündet, ist nicht mehr zu leugnen.

TWILIGHT’S LAST GLEAMING erschien in Deutschland in einer rund 25 Minuten kürzeren Schnittfassung, die seit einiger Zeit auch auf Blu-Ray erhältlich ist. Es handelt sich nicht im eigentlichen Sinne um eine geschnittene, sondern lediglich um eine alternative Fassung, dennoch meine ich, dass man dem Film die fehlenden Passagen ungut anmerkt. Es mag vielleicht auch daran liegen, dass ich TWILIGHT’S LAST GLEAMING wieder einmal in zwei Etappen geschaut habe, aber ich meine, dass sein Rhythmus einfach nicht stimmt: Nach überproportional viel Aufbau und einem nur kurzen Mittelteil folgt dann recht abrupt das Finale. Die Motivationen der beiden Protagonisten bleiben dabei leider etwas schwammig. Sie verkommen zu Sprachrohren einer Botschaft, werden als Menschen nicht wirklich greifbar. Hinzu kommt die Statik des Films. Aldrich kehrt zu der kammerspielartigen Form von THE BIG KNIFE, THE LEGEND OF LYLAH CLARE oder auch THE KILLING OF SISTER GEORGE zurück, siedelt die Handlung bis auf wenige Ausnahmen in zwei abgeriegelten Innenräumen ab. Das ist insofern konsequent, als es ja gerade darum geht, dass global bedeutende Entscheidungen unter völligem Ausschluss jener Öffentlichkeit, die von ihnen in erster Linie betroffen ist, gefällt werden. Dass Aldrich diese Statik dann aber durch den Einsatz von Splitscreens auflöst, ist ein zweifelhafter Schachzug und im Gegensatz zu THE LONGEST YARD auch ästhetisch nur mäßig überzeugend gelungen. Lediglich in einer Sequenz, als eine Zündung der Raketen erst in letzter Sekunde abgewendet wird, erfüllt sie eine erzählerische Funktion, bietet sie einen echten Mehrwert. Ansonsten scheint sie lediglich ein gimmickhafter Ersatz für die ungleich weniger Aufmerksamkeit heischende Paralellmontage. Nein, ich fand TWILIGHT’S LAST GLEAMING unangenehm steif, unelegant und irgendwie leer. Vielleicht revidiere ich meine Meinung nach einer weiteren Sichtung (dann am Stück). Bis dahin behalte ich ihn vor allem wegen seines deprimierenden Endes, der kreativen Titelgebung und der schönen Besetzung – neben den Genannten agieren Richard Widmark, Joseph Cotten, Melvyn Douglas, Paul Winfield, Burt Young, Aldrich-Regular Richard Jaeckel sowie William Smith und BLACULA-Hauptdarsteller William Marshall – in einigermaßen guter Erinnerung. Schade, ich hatte mich so auf den Film gefreut.

Der Polizist Phil Gaines (Burt Reynolds) sitzt mit seiner Freundin, der Edelprostituierten Nicole (Catherine Deneuve), im Kino. Auf der Leinwand läuft ein dialogarmer Schwarzweißfilm, Akkordeonmusik untermalt die tiefmelancholischen Bilder. Man weiß sofort: Das ist ein französischer Film, und es war Nicole, die ihn für den gemeinsamen Kinobesuch ausgewählt hat. Während sie mit leuchtenden Augen gebannt auf die Leinwand schaut, kann Phil seine Langeweile nicht ganz verhehlen. Aber er liebt Nicole, es reicht ihm, bei ihr zu sein, also hält er durch. Als die beiden aus dem Kino treten, sieht man das Marquee und wird in seiner Vermutung bestätigt: Das Kino weist ein „French Film Festival“ aus, der Film, den das ungleiche Paar sich just angeschaut hat, war Claude Lelouchs UN HOMME ET UNE FEMME. Der Film handelt von einem Mann und einer Frau, beide verwitwet, die sich zufällig treffen, einen Tag miteinander verbringen und sich dabei näherkommen, während der Schatten ihrer verstorbenen Ex-Partner über ihnen hängt und sie daran hindert, ein Paar zu werden. „Un Homme et une femme“, „Ein Mann und eine Frau“ – so könnte auch Aldrichs Film heißen, der zwar auch von einem mysteriösen Todesfall handelt, vor allem aber von einem Mann und einer Frau, die verzweifelt versuchen, die Barrikade zu überwinden, die sie davon abhält, eins zu werden.

Am Strand wird die Leiche von Gloria Hollinger, eines jungen Mädchens, gefunden. Todesursache ist eine Überdosis Barbiturate. Weil sich außerdem zwar große Mengen Sperma in allen Körperöffnungen des Leichnams finden, aber keinerlei Zeichen von äußerer Gewaltanwendung, kommt der Gerichtsmediziner zu dem Schluss, dass Selbstmord vorliegt. Für den desillusionierten Cop Phil Gaines ist der Fall damit erledigt, doch sein Partner Louis Belgrave (Paul Winfield) überredet ihn zu weiteren Ermittlungen. Anlass für seine Zweifel an der Selbstmord-These ist ein Foto, das Gloria mit dem zwielichtigen Anwalt Leo Sellers (Eddie Albert) zeigt. Der verfügt nicht nur über Kontakte zum Rotlichtmilieu, sondern auch zum organisierten Verbrechen. Während Gaines Belgrave widerwillig unterstützt und nebenbei vergeblich versucht, sich damit zu arrangieren, dass seine Geliebte eine Prostituierte ist, beginnt auch Glorias Vater Marty (Ben Johnson) auf eigene Faust zu ermitteln …

Wie ich in meinem einleitenden Absatz schon andeutete, handelt es sich bei HUSTLE nur vordergründig um einen Krimi. In den aussichtslosen Bemühungen der Polizeibeamten, den Fall um Gloria Hollinger zu einem Ende zu führen, das den Hinterbliebenen wenigstens etwas seelischen Frieden und Würde inmitten der schreienden Hoffnungslosigkeit gewährt, findet sich bloß die äußere Konkretion eines inneren Dramas, das Aldrich viel mehr interessiert. Sein Film handelt von nichts anderem als vom alltäglichen Kampf: von den entwürdigenden Scheißjobs, mit denen man den Großteil seiner Zeit verplempert, hoffend, dass die Arbeit irgendwann erledigt ist und das Leben endlich beginnen kann, bevor es zu Ende ist; davon, sich immer wieder selbst zu überwinden, sich jeden Morgen erneut aufzuraffen und den Tag so zu begehen, als wartete da nicht bloß das zermürbende more of the same; davon, angesichts dieses Irrsinns weder den Verstand noch den Mut zu verlieren oder ein Arschloch zu werden; davon, mit sich selbst im ständigen Clinch zu liegen und dennoch so weiterzumachen, als wüsste man, worum es geht. Schließlich davon, in der völligen Leere und Sinnlosigkeit den einen Verbündeten zu finden, bei dem man sich geborgen und verstanden fühlt. Und von der nagenden Ahnung, dass es diese Person vielleicht nicht gibt, dass der moderne Mensch für Liebe und Zweisamkeit schon verloren ist. Die Beziehung zwischen Phil und Nicole ist eigentlich perfekt, aber sie ist es doch nicht. Er kann nicht mit dem Wissen leben, dass sie mit anderen Männern schläft, auch wenn er lange vorgegeben hat, dass ihn das nicht tangiert. Da bleibt das Gefühl der Leere, das Gefühl, dass die beiden etwas trennt, auch wenn sie sich innig verbunden sind. Das Leben, so wie die beiden es geplant haben, es ist so nicht möglich. Im Alltag werden beide aufgerieben, das Schöne wird zerstört. Sie jagen einem weißen Wal hinterher und wenn sie ihn endlich eingeholt haben, wird er sie umbringen.

Wie der Titel von Aldrichs Film kurz und prägnant zu verstehen gibt: Es geht um den „Hustle“ und darum, wie er das Leben zerstört, das er erhalten soll. Der Begriff lässt sich kaum ins Deutsche übersetzen. Der „hustle“ beschäftigt vor allem die Unterprivilegierten, die, die entweder gar keinen Job haben oder mit diesem nicht über die Runden kommen, sich damit aber nicht abfinden möchten. Die Arbeiter und Angestellten, die es nicht geschafft haben, ihren Traum zu verwirklichen, und sich nun in Verhältnissen wiederfinden, die ihre Seele abzutragen drohen. Not macht erfinderisch, also nutzen sie die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel, um an Geld zu kommen: Prostitution und Zuhälterei, Hehlerei, Drogenverkauf, Glücksspiel. Sie versuchen da zu sein, wo das Geld ist und sich ein Stück vom Kuchen zu sichern. Der „Hustler“ hat aber ein Problem: Er kommt früher oder später mit dem Gesetz in Konflikt oder aber mit Konkurrenten, die demselben Coup hinterher eilen. Allesamt sind sie Hustler in Aldrichs HUSTLE: Phil Gaines, der Tag für Tag in seinem abstellkammerartigen Büro sitzt und sich mit dem Abschaum der Straße herumschlagen muss, dabei nie „fertig“ wird, von einem Leben „Danach“ träumt, aber jeden Tag damit rechnen muss, draufzugehen. Die schöne Nicole, die sich mit der Prostitution zwar einen beachtlichen Lebensstil erworben hat, aber vor der Erkenntnis steht, dass sich so auf Dauer nicht leben lässt. Gloria Hollinger, die aus einem Durchschnittselternhaus  stammt und auf der Suche nach dem Glück beim Porno und privaten Sexparties mit reichen alten Männern landet. Ihr Vater, ein Koreakriegs-Veteran, der traumatisiert nach Hause kam und dessen Ehe seitdem nur noch eine beengende Zweckgemeinschaft ist. Seine Gattin, die nicht wusste, ob er jemals geheilt aus der Therapie entlassen werden würde, und damals eine Entscheidung traf, die in der Gegenwart des Films mit einem toten Kind quittiert wird. Ihnen gegenüber stehen die bigotten Großverdiener, Anwälte in erster Linie, die von ihren lapidar getroffenen Entscheidungen persönlich nicht betroffen sind, moralisch verkommene Gestalten, die immer davonkommen, egal wie tief sie eigentlich im Dreck stecken. Es ist eine Welt zum Verrücktwerden. Aber in Aldrichs Film haben sich alle schon so sehr damit abgefunden, dass die Kraft für Tobsuchtsanfälle und Amokläufe angesichts der schreienden Ungerechtigkeit nicht mehr ausreicht. Die Nachtwelten des Film Noir waren schon immer ein unheilvolles Zwischenreich, ein Limbo, in dem die Protagonisten auf dem Weg ins Jenseits mehr oder weniger lang Rast machen mussten, ein irdisches Fegefeuer ohne Flammen und beißenden Rauch, dafür aber voller Sackgassen und in die Irre führender Abkürzungen. Aber die Nacht bot doch immerhin einen Rausch, ein Mysterium, das entschlüsselt werden wollte, das Versprechen auf ein Morgen hinter dem Horizont. Auch wenn es nicht gehalten wurde, die Hoffnung war da und diente als Antrieb. In HUSTLE ist die Nacht ein bleischweres Leichentuch und der Morgen danach ein spöttisches Lachen.

HUSTLE ist Aldrichs deprimierendster Film. Stell dir vor ein Mädchen stirbt und niemand kann etwas tun, weil alle viel zu sehr damit beschäftigt sind, irgendwie klarzukommen.

Eine Dialogzeile aus THE LONGEST YARD fasst den Geist dieses Films, die Philosophie, die die Grundlage des US-amerikanischen Verständnisses von Gemeinschaft darstellt, Aldrichs „philantropischen Zynismus“ und seinen gleichermaßen bitteren wie feinen Humor perfekt zusammen: „[…] you could have robbed banks, sold dope or stole your grandmother’s pension checks and none of us would have minded. But shaving points off of a football game, man that’s un-American.“ In THE LONGEST YARD wird mit den Mitteln des Sports verhandelt, was es bedeutet, Amerikaner und Mensch zu sein, bietet das Spiel einer Truppe Outcasts die Gelegenheit, ihren Wert zu beweisen, der ihnen auf anderer Ebene abgesprochen wurde, bildet das Geschehen auf dem Sportplatz ein Spiegelbild zum „echten Leben“, in dem jede Handlung tausendfach vergrößert erscheint.

Die steile Karriere von Quarterback Paul „Wrecking“ Crewe (Burt Reynolds) war beendet, als ihm nachgewiesen wurde, dass er Spiele verschoben hatte. Seitdem befindet er sich im freien Fall, lässt sich von seiner reichen Frau aushalten und beginnt den Tag mit einem Glas Fusel. Als er nach einem Ehestreit wegen Trunkenheit am Steuer und Widerstand gegen die Staatsgewalt im Knast landet, bekommt er Gelegenheit zu beweisen, dass doch noch ein Funken Ehre in ihm schlummert. Gefängnisdirektor Hazen (Eddie Albert) ist begeisterter Footballfan und erwartet von seinem aus Wärtern zusammengestellten Semipro-Team in der nächsten Saison nicht weniger als den Titelgewinn. Crewe soll dabei helfen, indem er für ein Vorbereitungsspiel ein schlagkräftiges Team aus Häftlingen zusammenstellt und anführt. Widerwillig, aber unter Druck gesetzt, nimmt Crewe die Aufgabe an, ohne echten Glauben an einen möglichen Erfolg und nur darauf bedacht, heil aus dem Spiel herauszukommen. Als er den Enthusiasmus der entmündigten Gefangenen sieht und erkennt, was ihnen ein Sieg gegen die Unterdrücker bedeuten würde, ändert er seine Einstellung. Das wiederum veranlasst Hazen, der an einem fairen Kräftemessen auf Augenhöhe eigentlich nicht interesiert ist, die Regeln zu verschärfen. Während des Spiels, den Sieg vor Augen, muss Crewe sich entscheiden, was ihm wichtiger ist: die eigene Integrität oder die Freiheit …

Mit THE LONGEST YARD traf Robert Aldrich zum ersten Mal seit seinem Superhit THE DIRTY DOZEN auch wieder den Nerv des Publikums, nachdem seine vorangegangenen Filme an der Kinokasse allesamt versagt hatten. Rückblickend lässt sich außerdem sagen, dass sich seine Verbindung von Knast- und Sportfilm nicht nur kommerziell als Erfolg erwies, sondern auch einen enormen Einfluss auf den modernen amerikanischen Sportfilm im Allgemeinen hatte: Wann immer ein Film seitdem ein Team aus Underdogs gegen einen anscheinend haushoch überlegenen Gegner antreten und kraft ungebrochenen Teamgeistes gegen jede Wahrscheinlichkeit triumphieren ließ, dann orientierte er sich dabei an THE LONGEST YARD (einer meiner ewigen Lieblinge, Michele Lupos LO CHIAMAVANO BULLDOZER, würde ohne ihn gar nicht existieren). Aldrichs Film hat alles, was diese Oden auf die Kraft der Gemeinschaft und die „upward mobility“ – die Hauptzutaten des amerikanischen Traums – so effektiv macht: den unwilligen, ausgebrannten, zynischen Protagonisten, der über seine Aufgabe auch mit sich selbst ins Reine kommt; den korrupten Schurken, der seine privilegierte Position – Macht, Geld – nutzt, um sich ohne Rücksicht auf die Gesetze der Demokratie und die Gebote der Fairness über andere zu erheben; schließlich den bunten Haufen von Outcasts, Freaks, Verlierern und sonstig Gebeutelten, der keine Chance hat, aber sie entschlossen ergreift und über sich hinauswächst; auf der Handlungsebene die Erpressung des zunächst unwilligen Protagonisten, der dann immer mehr in seine Aufgabe hineinfindet, die Verschärfung der Spielregeln durch die „Bösen“, meist mittels einem Vergehen am obligatorischen sympathischen Nebencharakter, das den Willen des Helden brechen soll, zu guter Letzt die große finale sportliche Auseinandersetzung, bei der das Team aus Losern erst ins Hintertreffen gerät, um am Ende doch noch zu siegen – wie ein eigener Film folgt es dabei selbst einer ausgefeilten Dramaturgie. Dass THE LONGEST YARD diesen Einfluss hatte, ist keine besondere Erkenntnis. Überraschend ist diese Tatsache erst, wenn man bemerkt, dass Aldrichs Knast-Sportfilm selbst eine Aufarbeitung seines eigenen THE DIRTY DOZEN ist. Elemente, die seinen Kriegsfilm auszeichneten, wurden von ihm für THE LONGEST YARD aufgegriffen und ausgearbeitet. Hier wie dort gibt es den erfahrenen Leader, der einen Haufen von Hoffnungslosen zum Sieg gegen eine Übermacht verhelfen muss; hier wie dort wachsen die ungleichen, egoistischen Einzelgänger zu einer unzertrennlichen Gemeinschaft zusammen, finde sie in der gemeinsamen Aufgabe zu neuem Selbstwertgefühl; hier wie dort wirkt ein System im Hintergrund, das das Engagement und den Erfolg dieser Outcasts zwar verlangt, letztlich aber doch lieber eine Niederlage sehen möchte, damit das empfindliche Machtgefüge im Gleichgewicht bleibt. Die Parallelen zwischen beiden Filmen reichen bis in kleinste Details, wie jenes, dass in beiden Filmen am Ende zwei Männer mit Verletzungen in einem Krankenzimmer liegen.

Auf den ersten Blick mag es zynisch erscheinen, dass Aldrich die Muster eines Kriegsfilms auf einen Sportfilm überträgt, aber dann ist die Querverbindung überaus konsequent. Sowohl in der Armee wie auch im Mannschaftssport ordnet sich das Individuum einem größeren Zweck unter, stellt es seine Talente in den Dienst eines größeren Ganzen, geht es nicht bloß um „Fähigkeiten“, sondern auch um Moral, wird ein Konflikt in einer dem Alltag enthobenen Situation gelöst. Dass Aldrich seine Footballmannschaft nicht im Rahmen einer normalen Meisterschaft antreten lässt, sondern innerhalb des Systems „Strafanstalt“ verstärkt die Gemeinsamkeiten beider Filme noch. Denn in beiden entwickelt sich so ein Spannungsverhältnis zwischen dem ihr von außen auferlegten Zweck und der Innenwahrnehmung der Gruppen. Das dreckige Dutzend hat zwar eine Mission zu erfüllen, doch sind die Verantwortlichen nur zu bereit, die Reißleine zu ziehen und das Kommando abzublasen, anstatt in Kauf zu nehmen, dass ihnen die Lumpen über den Kopf wachsen. Gleiches gilt für das von Crewe angeführte Team der „Mean Machine“: Hazen will zwar einen Sparringspartner für sein Semipro-Team, aber keinesfalls eine Mannschaft, die ein echtes Problem für dieses darstellt. In beiden Filmen sehen die Autoritäten die Gefahr, die von Outcasts ausgeht, die zu neuem Selbstbewusstsein gelangt sind. Eigentlich wollen sie den Willen bereits am Boden Liegender endgültig brechen, stattdessen verhelfen sie ihnen wider Willen zu neuer Kraft. Unter dem Deckmantel der Bewährungschance wird in beiden Filmen eine Machtdemonstration unternommen: Die Outcasts sollen selbst Einsicht in jene Nutzlosigkeit erhalten, die ihnen das Establishment ja schon längst bescheinigt hat. Die „Chance“, die ihnen angeboten wird, ist gar keine. So wie THE DIRTY DOZEN auch eine Anklage des Militärkomplexes ist, der Unterprivilegierte gnadenlos in Konflikten verheizt, die diese gar nichts angehen, ist THE LONGEST YARD eine gegen das Strafsystem der USA: Wer sich hinter Gittern wiederfindet, der wird nicht etwa resozialisiert, sondern ein für alle Mal begraben.

In THE LONGEST YARD tritt Aldrichs Humanismus deutlich hinter seinem oft zynisch erscheinenden Realismus durch, zeigen sich seine überbordende Sympathie für die Machtlosen, die Gescheiterten, die Entmündigten, die Benachteiligten, aber natürlich auch seine formale Meisterschaft. Am deutlichsten natürlich im Showdown des Films, jenem mehr als ein Drittel der Gesamtspielzeit einnehmenden Footballspiel, das Hollywood heute noch Blaupause dient, aber dessen Klasse nie wieder erreicht wurde. Besonders herausstechend sind das kongeniale Casting und die brillante Schauspielerführung. Jede Rolle ist perfekt besetzt. Burt Reynolds, mit DELIVERANCE zwei Jahre zuvor zum Star aufgestiegen, nutzte den One-Two-Punch von THE LONGEST YARD und WHITE LIGHTNING zum Superstardom. Später allzu einseitig eingesetzt, zeigt er hier das ganze Spektrum seines beachtlichen Könnens und legt einen bemerkenswerten Wandel vom geckenhaften Assholism der Exposition – in der er die Selbstdarstellerei, die in den SMOKEY AND THE BANDIT-Filmen zur Masche werden sollte, vorwegnimmt – zum reflektierteren, reuigen Rebellen des finalen Drittels hin. Eddie Albert, bereits in Aldrichs ATTACK! ein mit zu viel Macht ausgestatteter, zutiefst neurotischer Charakter, gibt hier den hassenswerten Staatsbeamten, der zur Linderung eigener Komplexe auch über Leichen geht, den Mörder hinter der grauen Fassade des Bürokraten. Eine echte Schau sind die Charakterfressen, aus denen Aldrich die beiden Teams zusammensetzt, eine bunte Mischung aus ehemaligen Footballprofis – Burt Reynolds selbst, Mike Henry, Joe Kapp, Ray Nitschke, Pervis Atkins – Hollywood-Toughies wie Ed Lauter, Richard Kiel und Robert Tessier und markanten Nebendarstellern wie Michael Conrad, James Hampton, Charles Tyner, John Steadman oder Harry Caesar. In einer einer humorvollen Kleinrolle brilliert außerdem Bernadette Peters. Es ließe sich bestimmt noch mehr sagen, aber das haben Filme wie THE LONGEST YARD eben so an sich. Man nennt sie deshalb auch „Klassiker“. Wer ihn noch nicht kennt, leidet unter Erklärungsnotstand.

 

Europa lernt in diesen Zeiten wieder, was Armut bedeutet. Die Berichte vor allem aus südlichen Nationen – Spanien, Portugal, Griechenland, Zypern, Italien – sind alarmierend. Menschen, die vor kurzer Zeit noch in relativer Sicherheit lebten, sehen nun einer völlig ungewissen Zukunft entgegen. Vielleicht muss man sich so die Zeit der großen Depression in den Dreißigerjahren vorstellen, die wir, vermittelt durch Berichte, Dokumentar- und Spielfilme, nur gefiltert und mit der Patina der Nostalgie versehen rezipieren. Damals gab es vor den Toren fast jeder größeren amerikanischen Stadt sogenannte Hoovervilles, riesige Slums aus behelfsmäßig zusammengehämmerten Hütten (als Anschauungsmaterial hier das Ergebnis der Google-Bildersuche). In San Francisco kam es während des Generalstreiks im Jahr 1934 zu Massenaufständen, in deren Folge in Teilen der Stadt sogar das Kriegsrecht verhängt wurde. Weil Geld in dieser Zeit so knapp war und die Not groß, waren arbeitsfähige Männer gezwungen, lange Wanderungen zu unternehmen. Das Transportmittel der Wahl der „hobos“ getauften Vagabunden war die Eisenbahn. Zu Hunderten erklommen sie die Züge in der Hoffnung, am Ziel Arbeit zu finden und ihrer Familie ein paar Dollars nach Hause schicken zu können. Diese Zeit ist längst Bestandteil amerikanischer Mythologie, der americana, geworden und wird – ganz im Sinne einer Nation, die sich stets ihres Pioniergeistes rühmte – auch als Freiheits- und Selbstfindungsprozess idealisiert. Wahrscheinlich steckt hinter dieser Idealisierung auch die heute Allgemeinplatz gewordene Erkenntnis, dass Geld nicht glücklich macht, materieller Besitz auch eine Bürde, ein Gefängnis darstellen kann. Robert Aldrichs EMPEROR OF THE NORTH POLE – er ersetzte Sam Peckinpah, der seinerseits Martin Ritt als Regisseur ersetzt hatte – handelt genau von diesen Themen: von der Zeit der Depression allgemein, von der Befreiung, die der Lebensstil der hobos bedeutete, aber auch von der korrumpierenden Wirkung von Geld und Besitz.

A-No.-1 (Lee Marvin) genießt unter den hobos des Landes Legendenstatus. Nun will er mit dem No. 19 nach Portland fahren, einem Zug, dessen gnadenloser Zugführer Shack (Ernest Borgnine) sich damit rühmt, dass noch keiner unerlaubt bei ihm mitgefahren ist. Damit das so bleibt, geht er ohne jeden Skrupel gegen jeden vor, der es versucht. A-No.-1 erhält ungewollte Begleitung von dem jungen Vagabunden Cigaret (Keith Carradine), einem selbstsüchtigen Halsabschneider, der etwas Ruhm – und Erfahrung – von dem alten Veteranen abhaben möchte. Gemeinsam erklimmen sie Shacks Zug und fordern den Mann zum Kampf heraus …

EMPEROR OF THE NORTH POLE ist ein großartiger und vielseitiger Film, der das Herz des Zuschauers auf vielen verschiedenen Ebenen trifft. Er funkioniert etwa als leichtfüßiger Buddy-Movie, als nostalgisch-verklärter Blick zurück auf die oben geschilderte Zeit, voller Verehrung für die Unbekümmertheit, den Erfindungsreichtum und den Enthusiasmus der hobos. Wie in einer Gaunerkomödie müssen A-No.-1 immer wieder Rückschläge einstecken, doch nie lassen sie sich davon einschüchtern, immer fällt ihnen etwas ein, das sie zurück in die Spur bringt. Man ertappt sich dabei, wie man sie trotz ihrer Armut beneidet um ihre Freiheit, ihre Ungebundenheit, die Geduld und Ruhe, mit der sie die Dinge nehmen, wie sie kommen. Schließlich für das, was sie aktiv er-leben: die Menschen, die sie treffen, die Bekanntschaften, die sie machen, die Orte, die sie sehen, die Erfahrungen, die sie machen. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen lauert Shack, Vertreter des Systems, dem die hobos und Tagelöhner zuwider sind. Oder vielleicht konkreter: einer der Besitzenden, die das Wenige, das sie haben, um jeden Preis verteidigen, auch gegen jene, die noch viel, viel weniger besitzen. So klar die Regeln seines Handelns auch sind – „Wenn du meinen Zug betrittst, bringe ich dich um!“ – und so sehr er sich auch an sie hält, so sehr erschrecken die irrationalität seiner Ausbrüche, die sadistische Freude und die ungebremste Härte, mit der er gegen die Landstreicher vorgeht. Einen sich zwischen zwei Waggons versteckenden Mann stößt er gnadenlos unter den Zug, beobachtet mit beinahe lustverzerrtem Gesicht erst wie der Mann langsam den rettenden Halt verliert, dann schließlich zu Tode stürzt und überrollt wird. Sein glühender Fanatismus ist dabei nicht von außerhalb begründet: Es gibt keinen offiziellen Auftrag, auch keinen durch das Treiben der hobos Geschädigten. In Shacks Handeln zeigt sich die Wirkung der Macht, der Selbsterhaltungstrieb des Systems. Kaum hat man den Arbeiter – nichts anderes ist Shack – mit einem Funken Macht ausgestattet, setzt sofort der Impuls ein, fest nach unten zu treten, um den eigenen Status zu sichern – der ja gar nicht in Gefahr ist. Anstatt die Verwandtschaft mit den Besitzlosen zu erkennen und sich gegen den gemeinsamen Feind zu verbünden, fungieren Männer wie Shack als dankbare Gatekeeper, allzeit bereit, zum Mörder zu werden, ohne nachzufragen. Man muss EMPEROR OF THE NORTH POLE aber nicht zwingend so politisch lesen, auch wenn sich das vor seinem historischen Hintergrund natürlich anbietet. Er fungiert auch allgemeiner als Film über ungezügelten Freiheitsdrang und die Dämonen, die sich dabei in den Weg stellen. Diese allgemeinere Lesart drängt sich vor allem dann auf, wenn man auf die Beziehung zwischen A-No.-1 und Cigaret fokussiert. Während erster – ganz Sisyphos – die Absurdität seines Lebens erkannt hat und sich der Wertlosigkeit seines Ruhms wohl bewusst ist (eine Wertlosigkeit, die sich im selbstironischen Titel „Herrscher des Nordpols“ äußert), hat Cigaret immer das Ziel vor Augen, „berühmt“ zu werden. Man könnte platt sagen: Für A-No.-1 ist der Weg das Ziel, während Cigaret immer irgendwo hin will und dadurch ähnlich kalkulierend und mitunter zynisch in seinem Handeln ist. Am Ende stößt ihn der Veteran höchstselbst vom Zug, den er zuvor in einem tödlichen Kampf erobert hat, und brüllt ihm aus der Ferne entgegen: „Stay off the tracks. Forget it. Its a bum’s world for a bum. You’ll never be Emperor of the North Pole, kid. You had the juice, kid, but not the heart and they go together. You’re all gas and no feel, and nobody can teach you that, not even A-No.1. So stay off the train, she’ll throw you under for sure. Remember me for that. So long, kid.“ Nicht jeder hat das Zeug zum Landstreicher, manchem fehlt ganz einfach die Moral dazu. EMPEROR OF THE NORTH POLE ist auch die Huldigung eines bestimmten Lebensstiles.

Robert Aldrich gelang wahrscheinlich einer der größten Filme, die zu Beginn der Siebziger diesseits von New Hollywood gedreht wurden. Leider zahlte sich das für ihn erneut nicht aus. EMPEROR THE NORTH POLE fand nie sein Publikum, auch nicht, als er unter dem sinnlosen Alternativtitel EMPEROR OF THE NORTH noch einmal in die Kinos gebracht wurde. Es war Aldrichs sechster Flop in Folge, eine Serie, die er erst mit dem folgenden THE LONGEST YARD beenden würde. Der Kultstatus, den der Film seitdem erlangt hat, bestätigt die Vermutung, dass er einfach nur falsch vermarktet worden war: Auch wenn Aldrichs nüchternes Menschenbild einem das Vergnügen, A-No.-1 und Cigaret bei ihren Gaunereien zuzuschauen, immer wieder gezielt trübt, ist EMPEROR OF THE NORTH POLE gewiss sein spektakulärster und aufregendster Film seit THE DIRTY DOZEN. Allein den beiden Charakterfressen Marvin und Borgnine dabei zuschauen zu dürfen, wie sie wie zwei tollwütige Hunde aufeinandern losgehen, sollte jeden Filmfreund zufrieden stellen. Lee Marvin ist wie immer grandios als altersweiser, knurriger Draufgänger, aber der sonst für seine untrüblichen, stets gut gelaunten Kumpeltypen bekannte Borgnine stiehlt ihm als verbissen-brutaler Shack fast die Show. Die beiden tragen den Film mit ihren Performances, ohne ihn zu überstrahlen. Ein Glücksfall und ein rundum perfekter Film, der jedem ans Herz gelegt sei.

Ich kann auf eine lange Geschichte mit ULZANA’S RAID zurückblicken. Ich habe den Film schon relativ früh gesehen – vielleicht früher als ich ihn hätte sehen sollen. Damals haben mich seine Darstellungen indianischer Grausamkeiten geschockt. Vielleicht war ULZANA’S RAID mein erster Kontakt mit dem Konzept von Splatter. Dabei ist er nicht übermäßig grafisch in seinen Gewaltdarstellungen (aber genug, sich angesichts der Freigabe ab 12 zu wundern), aber was er zeigt – und wie – das hinterlässt eine starke Wirkung. Aldrich gelingt es ausgezeichnet, eine Ahnung von unaussprechlichem Leid zu vermitteln, eine tief sitzende Angst vor dem, was er nicht zeigt. Eine Ahnung davon, dass es Dinge geibt, die sich mit unserem aufgeklärten westlichen weltbild nicht vertragen. Die roh, grausam und ursprünglich sind. Die wir nicht begreifen können, aber akzeptieren müssen. „Hassen Sie die Apachen?“, fragt der junge Lieutenant Garnett DeBuin (Bruce Davison), Sohn eines Priesters, gerade frisch aus der Militärakademie gekommen und voller falschem Idealismus, den erfahrenen Scout und Apachenkenner Macintosh (Burt Lancaster). „Nein. Das wäre, als würde man die Wüste dafür zu hassen, weil sie kein Wasser hat.“ Manche Dinge sind einfach so, wie sie sind. Auch wennes wehtut, das zugeben zu müssen.

Der mit seinem Stamm in einem Reservat in Arizona eingepferchte Apachen-Häuptling Ulzana (Joaquin Martinez) stiehlt eines Nachts einige Pferde und geht mit seinen Männern auf Kriegspfad. Um ihn einzufangen und die Leben der im Gebiet lebenden Siedler zu retten, wird eine Truppe unter der Führung des jungen unerfahrenen DeBuin zusammengestellt. Ihm zur Seite stehen der alte Apachenkenner Macintosh und der Apachen-Scout Ke-Ni-Tay (Jorge Luke). Als sie unterwegs auf die Spuren der Blutlust der Apachen stoßen, gerät vor allem DeBuin mit seinem christlich geprägten Weltbild an die Grenzen seiner Toleranz. Doch auf der Jagd nach dem gerissenen Indianer sind feurige Emotionen fehl am Platz …

Man könnte ULZANA’S RAID für „indianerfeindlich“ halten: Ulzana und seine Männer gehen mit sadistischem Einfallsreichtum gegen ihre Opfer vor und kennen keine Gnade beim Stillen ihrer Blutlust. Und Aldrich nimmt sich viel Zeit, diese Grausamkeit in Wort und Bild als Fakt zu etablieren. Doch geht es ihm dabei nicht etwa darum, die Ausrottung der amerikanischen Ureinwohner zu rechtfertigen, Indianer als vertierte Untermenschen oder dergleichen zu zeichnen. Die Lehre, die man aus seinem Film mitnehmen kann, ist aber deswegen kaum weniger beunruhigend: Es gibt Menschen, deren Wertesysteme sind von den unsere so verschieden, dass es gar keinen Sinn macht, sie daran zu messen. Die Apachen trifft keine „Schuld“: Ja, Ulzana und seine Männer müssen für ihre Verbrechen bezahlen, aber sie unter Rückgriff auf christliche Moralvorstellungen mit Vokabeln wie „böse“ zu schlagen, geht am Kern der Sache vorbei. Das Problem besteht überhaupt erst, wenn zwei solchermaßen entgegengestellte Parteien aufeinandertreffen. Und hier wird der schwarze Peter dann an die Amerikaner weitergereicht: Ihnen gehört dieses Land nicht, sie haben kein Recht dazu, über eine Zivilisation zu richten, die sich über Jahrhunderte völlig eigenständig entwickelt hat. Man kann ein Kriegervolk nicht in ein Reservat stecken und darauf hoffen, dass sie sich mit diesem Leben arrangieren. Burt Lancaster, als weiser Scout ebenso in sich ruhend wie die sonnengesengte Landschaft, fungiert als alter ego des Regisseurs: ohne Illusionen darüber, wozu Menschen fähig sind. Aber auch ohne über diese Erkenntnis zum Misanthropen zu werden. Als DeBuin angesichts der sich häufenden Gräueltaten einen missionarischen Feuereifer an den Tag zu legen beginnt und seine Männer beschimpft, weil sie einen Apachen-Leichnam schänden wollen, antwortet Macintosh nur: „Was sie nicht wollen, ist dass Ihre Männer sich wie Apachen verhalten. Es lässt die klaren Linien ihres Auftrags verschwimmen.“ Das Bedürfnis, die Welt in Gut und Böse zu teilen, ist letztlich ein Problem des Subjektivismus. Man steht ja selbst immer auf der Seite der Guten.

Ich halte ULZANA’S RAID für eines von Aldrichs ausgesprochenen Meisterwerken. Während des Vietnamkriegs erscienen ist er vielleicht sein politisch radikalster Film, aber unabhängig von diesem zeitlichen Kontext ein verdammt wichtiger, wenn auch kein leichter. Dem Glauben an das Gute im Menschen bereitet er ebenso harsch ein Ende wie dem Glauben daran, dass ein Zusammenleben über die Grenzen aller Kulturen hinweg möglich sei. Ich habe oben die happigen Gewaltdarstellungen des Films erwähnt. Eine Szene hat mich damals, als Kind, wohl am meisten beeindruckt und auch heute noch finde ich sie in ihrer schonungslosen, aber ehrlichen Härte absolut niederschmetternd: Ein Soldat soll eine Kutsche zum Reservat eskortieren. Darauf befinden sich ein Siedlerin und ihr vielleicht zwölfjähriger Sohn, der Mann ist zurück auf dem Grundstück geblieben. Als die Indianer die Pferde erschießen, die die Kutsche ziehen, beginnt die Mutter panisch nach dem Soldaten zu rufen: „Lassen sie mich nicht zurück!“ Der Soldat macht kehrt, reitet im Galopp auf die Kutsche zu, der sich die Indianer nähern, zieht den Revolver – und schießt der Frau in den Kopf, um sie vor dem Unvermeidbaren zu bewahren. Er schnappt sich den Sohn und reitet davon, dann wird das Pferd unter ihm erschossen. Voller Eile sucht er auf dem Boden nch seiner Waffe, er findet sie, nimmt den Lauf in den Mund und bläst sich das Hirn weg, bevor die Indianer ihn erreichen. Belustigt über seiner Feigheit machen sie sich überseinen Leichnam her, stechen mit ihren Messern auf ihn ein, fördern ein blutiges Stück Fleisch zutage und werfen es sich unter Gelächter zu. Eine Szene, die man nicht vergisst. ULZANA’S RAID ist voll solcher unvergesslicher Szenen.

 

Der gewaltige Erfolg von THE DIRTY DOZEN hatte es Aldrich ermöglicht, seine eigene Produktionsfirma und sogar sein eigenes Filmstudio zu gründen, die erwartbar benannten „Aldrich Studios“. Die so erlangte finanzielle Unabhängigkeit sollte sich auch in einer größeren künstlerischen Freiheit niederschlagen: Mit THE LEGEND OF LYLAH CLARE und THE KILLING OF SISTER GEORGE entstanden zwei hochgradig eigenständige, mutige Filme, die in dieser Form unter der Ägide eines großen Studios nicht möglich gewesen wären. Leider waren sie, wie auch der nachfolgende  Kriegsfilm TOO LATE THE HERO, finanzielle Flops. Mit THE GRISSOM GANG war Aldrich gewissermaßen zum Erfolg verdammt, doch leider fand auch dieser Film sein Publikum nicht. Nach nur vier Jahren und ebenso vielen Filmen mussten die Aldrich Studios ihre Pforten bereits wieder schließen, Aldrich sein Heil erneut als Regisseur von Studiofilmen suchen. Schade, denn so endete eine immens spannende Phase in Aldrichs Schaffen, die andeutete, was für ungewöhnliche Filme man noch von ihm hätte erwarten können. (Er machte aber auch in den folgenden Jahren das Beste aus seiner Abhängigkeit und etwa mit ULZANA’S RAID und THE CHOIR BOYS mutige, radikale und seltsame Filme.) Dass THE GRISSOM GANG an den Kinokassen durchfiel, ist auf der einen Seite verständlich: Der Film konnte keinen zugkräftigen Namen vorweisen, irritiert mit den von Aldrich gewohnten Unschärfen, die im Kontrast zur sonstigen Schwarzweiß-Malerei des Genres stehen, bietet eine psychologisch überaus komplexe Story im Rahmen einer Räuberpistole – und lässt darüber hinaus die finanziellen Engpässe, mit denen Aldrich damals zu kämpfen hatte, überdeutlich erkennen. Andererseits schrieb man gerade das Jahr 1971: New Hollywood stand in voller Blüte, nachdem Arthur Penn und Warren Beatty nur drei Jahre zuvor mit dem seinerseits hochgradig eigenen BONNIE & CLYDE einen Überraschungserfolg produziert und eine neue Ära eingeläutet hatten. Man sollte meinen, das Publikum, das in jenen Jahren eine wahre Flut von Depression-Era-Gangster-Pics über sich hereinbrechen sah, war bereit für THE GRISSOM GANG, doch die Geschichte beweist leider das Gegenteil.

Drei kleine Amateurgangster kommen auf die Idee, Millionärstochter und Society-Girl Barbara Blandish (Kim Darby) ihrer Diamantenhalskette zu berauben. Bei dem Überfall auf die junge Frau und ihren Begleiter fällt letzterer dummerweise im Gefecht einer Kugel zum Opfer, sodass die Räuber erst zu Mördern und dann schließlich zu Kidnappern werden. Als ihnen der gerissene Eddie Hagan (Tony Musante), Mitglied der von Gladys Grissom (Irene Dailey) angeführten Grissom-Gangsterfamilie, über den Weg läuft und die Berichte über das Verschwinden der Blandish-Tochter hört, zählt er eins und eins zusammen: Mit seinen Kompagnons überrascht er die Kleinganoven in ihrem Versteck, bringt sie um und nimmt ihnen die kostbare Beute ab. Von Barbaras Vater fordern die Grissoms ein Lösegeld von einer Million Dollar, doch auch als er bezahlt, können sie sich von ihrer Geisel nicht trennen: Dummerweise hat sich der jüngster Spross der Familie, der geistig minderbemittelte Slim (Scott Wilson), nämlich in sie verliebt. Es beginnt ein gnadenloses Ringen um die junge Frau, nach der nun auch der Privatdetektiv Fenner (Robert Lansing) sucht …

Am Inhalt oder auch an seiner Oberfläche lässt sich kaum ausmachen, was Aldrichs Film von anderen populären Gangsterfilmen jener Zeit – Arthur Penns BONNIE & CLYDE wurde schon erwähnt, Milius‘ DILLINGER, Altmans THIEVES LIKE US, Cormans BLOODY MAMA oder Nachzieher wie CRAZY MAMA fallen spontan noch ein – abhob und sein Publikum verprellte. Die Protagonisten sind mit großer Mehrheit Gauner, Mörder und Halsabschneider, aber eben gleichzeitig Opfer der Depression, Underdogs, die sich mit ihren beschränkten Mitteln gegen die herrschenden Zustände auflehnen. Der Film ist im eher provinziellen Kansas City angesiedelt, neben den typischen Schlupflöchern, Hotelzimmern, Gin Joints und Jazzclubs spielt sich das Geschehen auch immer wieder in ländlichen Gefilden ab. Maschinenpistolen, Anzüge, Fedoras und schicke Autos sind unverzichtbare Requisiten, es wird viel geschwitzt, die Vokale in breitestem Südstaatenslang langgezogen, das Blut ist rot wie Ketchup. Der Entführungsplot schlägt via Stockholm-Syndrom um in eine Liebesgeschichte, die vom selben juvenilen Drang nach Rebellion und Selbstbestimmung getrieben wird wie etwa Terrence Malicks BADLANDS. (Wer will, der erkennt in Aldrichs Film vielleicht sogar die unverzerrte Vorlage für Tobe Hoopers THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE, im von moderner Technologie in die Arbeitslosigkeit getriebenen Schlachterclan der Sawyers ein Echo der Grissoms, die in Mord und Totschlag eine Möglichkeit entdeckt haben, sich ihren sonst ungewissen Lebensunterhalt zu sichern.) Aber diese Elemente sind nicht das, was den Film auszeichnet, der weitaus weniger geordnet und klar ist als es eine Inhaltsangabe vielleicht vermuten lässt.

Die Handlung von THE GRISSOM GANG bewegt sich nicht stringent voran, sie erzählt von der Entführung nicht wie von einem sauber und geordnet ablaufenden Coup, von der gesellschaftliche Barrieren überwindenden Liebesgeschichte nicht mit dem Pathos des Romantikers und Sozialutopisten, von der Jagd des Detektivs nicht als Kampf des Helden gegen eine bösartige Übermacht. Und überhaupt trennt Aldrich diese einzelnen Aspekte seiner Geschichte nicht so sauber, wie ich es hier tue, sondern lässt sie im Chaos des Zufalls, in der Unbeständigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen, der Undurchsichtigkeit der Motivationen und dem Brennen der Emotionen ineinanderlaufen. Der Fortgang des Films ist nicht einer Abfolge von bewussten oder gar geplanten Handlungen geschuldet, sondern einer Kettenreaktion unvorhersehbarer Fuck-ups und Zufälle, die nicht zuletzt daher rühren, dass jeder jeden kennt, es keine Geheimnisse in der Welt des Verbrechens gibt. THE GRISSOM GANG ist ein einziger Tumult, den Aldrich aber mit der gewohnt ruhigen Hand des unbeteiligten Chronisten inszeniert. Eines überaus zynischen Chronisten wohlgemerkt. Es ist längst ein abgegriffenes Klischee, dass die „Grenze zwischen Gut & Böse verwischt“: Gangster können Helden sein und Polizisten Schurken, big deal. In Aldrichs Film geht das aber so weit, dass die Kategorien von Gut und Böse vollkommen hinfällig sind. Jeder tut, was er kann, tun muss, wozu er keine Alternative hat. Einmal fragt der Detektiv Fenner Hagans Freundin Anna (Connie Stevens) aus, die etwas dümmliche Sängerin im Club der Grissoms, unter dem Vorwand, sie für ein Broadway-Musical engagieren zu wollen. Die Arme kann ihr Glück kaum fassen und gibt ihm bereitwillig Auskunft zu jeder seiner Fragen, als Hagan wieder auftaucht. Fenner kommt unbeschadet aus der Situation, schlägt den Gangster nieder und verabschiedet sich von der Betrogenen hämisch mit den Worten „Grüß mir den Broadway“, bevor er sie und Hagan allein zurücklässt. Er bekommt nicht mehr mit, dass sie für ihren Verrat kaltblütig erschossen wird, aber ihm muss diese Konsequenz seines Handelns natürlich bewusst sein. Er hat sie bereitwillig in Kauf genommen und nun keine Zeit, sich dafür Vorwürfe zu machen. Das verwöhnte Balg Barbara lernt, was es bedeutet, sich mit aller Kraft an das Leben zu krallen, so sehr um seine Existenz zu bangen, dass man dafür bereit ist, alles zu tun, und dann, dass man das vermeintlich Falsche sogar lieben lernen kann, während sich das Richtige – der eigene Vater – als abgrundtief verkommen entpuppt. Der Einfaltspinsel Slim schließlich, das Mamasöhnchen zu Barbaras Papa’s Girl, ewiger Prügelknabe und willkommene Zielscheibe des Spotts seiner Gangkameraden, ist der brutalste Mörder unter ihnen und völlig unberechenbar in seinen Gefühlswallungen, aber gleichzeitig auch der einzige, der am Ende zu einer gesunden Einschätzung seiner Selbst und seiner Taten gelangt, Einsicht in die Konsequenz seines Tuns erlangt – und die Verantwortung dafür übernimmt. Ein Monster, ja, aber eines mit Gewissen. Ein Mensch letztlich.

THE GRISSOM GANG ist ein bleicher Film und seine Komik lässt sich nur als Galgenhumor begreifen. Es liegt weder Glamour im Outsider-Dasein der Grissoms, einem Haufen räudiger Asozialer, noch in den Taten Fenners, der auch nur ein besserer Kopfgeldjäger ist. Wenn am Ende eine Verfolgungsjagd in den Straßen Kansas Citys tobt und man die aufgeräumten Settings deutlich als Kulissenstadt identifizieren kann, liegt darin eine gewisse Konsequenz. Die Protagonisten von Aldrichs Film merken nicht, dass die Welt, die sie um sich herum entworfen haben, längst nicht mehr lebbar ist, sondern nur noch Pappszenario für ihren tosenden Massen- und Selbstmord.

Der Titel gibt aufgrund des fehlenden Prädikats ja erst einmal Rätsel auf. Mehrere Bedeutungen sind möglich: Kam der Held zu spät (und wenn ja, was machte ihn dann zum Helden?), wurde eine Person zu spät zum Helden (Zu spät für was? Und wie konnte er dann überhaupt zum Helden werden?) oder ist es etwa ganz zu spät für Helden? Aldrich gibt keine endgültige Antwort auf diese Frage, lässt alle Interpretationen zu und nimmt den Zuschauer in die Verantwortung, eine Position zum Krieg und zm Gezeigten einzunehmen. Er macht es ihm dabei nicht einfach und egal zu welcher Entscheidung der Betrachter auch gelangt, es bleiben nagende Zweifel.

Lieutenant Sam Lawson (Cliff Robertson) lässt es sich während des Zweiten Weltkriegs irgendwo im Pazifik gutgehen. Als Kommunikationsspezialist mit der Aussicht auf eine steile Karriere und darauf, eine ruhige Kugel zu schieben, in die Armee eingetreten, wird er jäh aus seinem Lotterleben geweckt: Die Briten brauchen für eine Mission jemanden, der Japanisch spricht, und die Wahl von Captain Nolan (Henry Fonda) fällt zu dessen Entsetzen auf Lawson, der doch nie damit gerechnet hat, jemals in Kriegshandlungen verwickelt zu werden. Auf einer kleinen Insel im Südpazifik soll er einer dezimierten britischen Einheit bei einem wahren Himmelfahrtskommando helfen: ein Lager der Japaner überfallen, ihre Funkstation zerstören und einen falschen Funkspruch auf Japanisch absetzen. Doch alles geht schief und so werden Lawson und die Engländet um den aufmüpfigen Priavte Tosh Hearne (Michael Caine) plötzlich von einer japanischen Übermacht durch den Urwald gejagt …

TOO LATE THE HERO zählt zu den weniger besungenen Filmen Aldrichs, scheiterte zu seiner Zeit auch an den Kinokassen und konnte sein Budget in den USA nicht annähernd einspielen. Nach dem persönlichen THE KILLING OF SISTER GEORGE und dem eigenwilligen THE LEGEND OF LYLAH CLARE stellt er vordergründig eine Rückkehr zu den großen publikumswirksamen Abenteuerstoffen à la THE DIRTY DOZEN oder THE FLIGHT OF THE PHOENIX dar, doch der Schein trügt, noch stärker als bei jenen bricht hier der Zyniker und Realist durch. Lawson ist ein egozentrischer Opportunist: Er benutzt den Krieg, um voranzukommen, ohne dabei etwas zu riskieren. Er liegt den lieben langen Tag besoffen am Strand einer Pazifik-Trauminsel, während andere Amerikaner im Krieg ihr Leben lassen. Es ist offenkundig Vitamin B, das ihm diese privilegierte Position verschafft hat: Seinen Vorgesetzten adressiert er informell mit einem vertrauten „Du“, und als dieser ihm dann wirklich einmal als Befehlshaber gegenübertritt, kann Lawson es kaum glauben. Seine schöne Welt des Müßiggangs und der Verantwortungslosigkeit fällt in Sekundenbruchteilen in sich zusammen. Nun soll er tatsächlich an einem Kampfeinsatz teilnehmen, von dem er glaubt, dass er dem minderen Fußvolk vorbehalten ist.

Am Ziel angekommen, sieht er sich mit der bitteren Realität des Kriegs konfrontiert. Die britischen Streitkräfte sind zermürbt und entkräftet. Die Position ihres Camps im Süden einer Insel ist strategisch überaus ungünstig: im Norden angrenzend an eine riesige freie Fläche, die keinerlei Deckung bietet, wird jeder von dort aus gestartete Vorstoß zu einem Himmelfahrtskommando. Die hoffnungslose Lage, gepaart mit der Gewissheit, bei entsprechendem Marschbefehl der Gnade des Schicksals ausgesetzt zu sein, führt zu Ungehorsam und Disziplinlosigkeit. Die Soldaten begegnen ihren Vorgesetzten mit unverhohlener Verachtung. Lawson sieht sich in seiner egoistischen Haltung noch bestärkt, doch glaubt er noch daran, die Situation mit entsprechendem Professionalismus bewältigen zu können. Seine Beharren auf dem „Lehrbuch“ führt während des Einsatzes jedoch zum Tod von Captain Hornsby (Denholm Elliott). Von diesem Zeitpunkt an ändert sich seine Haltung: Er will die Mission so gut es geht zum Ende bringen, auch wenn er dabei selbst auf der Strecke bleibt.

Aldrich spielt zwei Haltungen gegeneinander aus: Zum einen den Glauben daran, während des Krieges das „Richtige“ tun zu können. Dieses „Richtige“ beinhaltet das Zurückstellen eigener Interessen zugunsten des Kollektivs und des übergeordneten Zwecks. Es kann bedeuten, in den Tod geschickt zu werden oder Dinge zu tun, die man für falsch hält – etwa, weil man die größeren Zusammenhänge nicht überblickt. Zum anderen die Verweigerung, den Protest, die Meuterei gegen die Befehlskette, die von oben nach unten führt und keine Rücksicht auf Einzelinteressen nehmen kann. Beide kollidieren im Verlauf des Films heftig. Die einfachen Soldaten sehen sich gegängelt, als Kanonenfutter verheizt in einem Konflikt, der sie als Individuen gar nicht betrifft. Doch müssen sie sich nicht an die Spielregeln halten, wenn sie schon am Spiel teilnehmen? Aldrich glaubt, dass es eine Pflicht gibt, die mit der Teilnahme am Krieg einhergeht. Wer sich dazu bereiterklärt, die Uniform zu tragen, der muss bestimmte Konsequenzen in Kauf nehmen. Wer seine eigenen Interessen über die der anderen oder der Sache stellt, riskiert ebenso Leben, wie der Offizier, der den Befehl zu einem Himmelfahrtsunternehmen gibt. TOO LATE THE HERO: Die Frage nach Heldentum stellt sich gar nicht. Im Krieg hat jeder seine Aufgabe zu erfüllen. Es gibt keine Gelegenheit sich auszuzeichnen, nur eine, zu versagen und zu sterben.